Yoga

Buchseite und Rezensionen zu 'Yoga' von Emmanuel Carrère

Inhaltsangabe zu "Yoga"

Alles beginnt gut: Emmanuel Carrère fühlt sich souverän als Herr über sein gelungenes Leben und plant ein heiteres, feinsinniges Büchlein über Yoga zu schreiben. Mit leichter Ironie, aber auch echter Hingabe wollte er dem Leser seine Erkenntnisse über Yoga enthüllen, das er er seit einem Vierteljahrhundert betreibt: ein Buch voller Weisheit über das Verhältnis zur Welt, wenn man Abstand zum eigenen Ego gewinnt. Zunächst läuft alles bestens, doch dann wird er während seiner Recherchen vom Tod eines Freundes beim Anschlag auf Charlie Hebdo eingeholt und gleich darauf von einer unkontrollierbaren Leidenschaft erschüttert. Von einem Tag auf den anderen kippt sein Leben, eine bipolare Störung wird diagnostiziert, und Carrère verbringt vier quälende Monate in der geschlossenen Psychiatrie, wo er versucht, seinen Geist mit Gedichten an die Leine zu legen. Entlassen und verlassen lernt er auf Leros in einer Gruppe minderjähriger Geflüchteter ganz anders Haltlose kennen. Zurück in Paris stirbt sein langjähriger Verleger – und doch gibt es am Ende auch wieder Licht. Denn Yoga ist die Erzählung vom mal beherrschten, mal entfesselten Schwanken zwischen den Gegensätzen. Durch schonungslose Selbstanalyse zwischen Autobiografie, Essay und journalistischer Chronik gelingt Carrère der Zugang zu einer tieferen Wahrheit: Was es heißt, ein in den Wahnsinn der Welt geworfener Mensch zu sein.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:341
EAN:9783751800587
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BONJOUR, SAINT-EX!

Buchseite und Rezensionen zu 'BONJOUR, SAINT-EX!' von Jörg H. Trauboth
5
5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "BONJOUR, SAINT-EX!"

Am 31. Juli 1944 hebt der physisch und psychisch angeschlagene Kriegspilot Major Antoine de Saint-Exupéry auf dem Flugplatz Bastia-Borgo (Korsika) mit einem Aufklärungsflugzeug ab und kehrt nicht mehr zurück. Ein deutscher Jagdpilot gibt an, ihn abgeschossen zu haben. Jahrzehnte später fliegt Fabian, der Sohn des Jagd­piloten, die Route seines Idols, Major „Saint-Ex“, nach. Am Himmel über Frankreich wird Fabian mit seinem Flugzeug in ein Universum jenseits von Raum und Zeit geschleudert. An seiner Seite erscheint ein mysteriöser Flügelmann und beginnt mit ihm ein sehr persönliches Gespräch ...

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:168
Verlag: ratio-books
EAN:9783961361366
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Rezensionen zu "BONJOUR, SAINT-EX!"

  1. Au revoir, Monsieur de Saint - Exupéry!

    Ein Flieger begibt sich auf Spurensuche zu einem Flieger. Der erste ist ein ehemaliger Jagdflieger der deutschen Luftwaffe, der zweite weltberühmt: Antoine de Saint – Exupéry flog zuletzt als Aufklärungsflieger in einer Lightning P-38 und kam vom seinem letzten Flug am 31. Juli des Jahres 1944 nicht zurück. Erst um die Jahrhundertwende finden sich erst ein Armband des Fliegers im Netz eines Fischers und dann das Wrack abseits der Route bei der Ile de Riou vor Marsailles. Fabians Vater, Messerschmitt-Pilot der im Jahr 1944, könnte den beidseitig der Front verehrten Schriftsteller abgeschossen haben. Fabian möchte an einem 31. Juli die Route abfliegen und fliegt dazu nach Bastia – Korsika – den Ausgangspunkt des Fluges von Saint – Ex, den der besser nicht angetreten hätte.

    In der Luft in Richtung Grenoble, als Fabian gerade den Autopiloten einschaltet und in NACHTFLUG, einem der bekannten Fliegerbücher des Franzosen blättern will, findet sich plötzlich ein riesiger Schatten neben seinem Sportflugzeug: Ist das eine Lightning?

    In der Novelle beginnt ein Dialog über drei Generationen von Fliegern hinweg, der kleine Prinz ist immer mit dabei. Bekommt Fabian die sich selbst gestellten Fragen beantwortet?

    * * *

    Trauboth macht uns vertrauter mit dem fliegenden Dichter, dem dichtenden Flieger den die meisten Leserinnen und Leser der Welt „nur“ durch den kleinen Prinzen kennen, der auch sehr schön den Einband des Buches ziert. Es führt zu ihm hin, der „die arme Welt der Erwachsenen und die reiche der Kinder zusammenführte“ und dessen Weisheiten zu den nicht nur literarischen Kostbarkeiten der Welt zählen. Es führt auch zum Flieger, der einst von Toulouse über die Pyrenäen nach Dakar die Post beförderte und dann dafür über den Atlantik setzte.

    Jörg H. Trauboth, selbst ehemaliger Oberst der Luftwaffe, der den Flug seiner Hauptfigur selbst „vor flog“, führt uns zu dessen Romanen, die so oft von der Fliegerei handeln, den Abenteuern, dem Leben und dem Tod. Bücher, die vor achtzig Jahren und mehr geschrieben wurden.

    Es ist ein spannendes, ein bildreiches Buch, es ist eine Novelle, die sehr dicht und anschaulich nicht nur von Antoine de Saint – Exupéry erzählt, sondern auch von seinen Ansichten, seinen Botschaften, von Frieden und Krieg. Bezüge zur heutigen Zeit machen das Büchlein verblüffend aktuell.

    Mit diesem Buch halten wir eine wunderbare „Zusammenfassung“ in der Hand, in den Medien würde vielleicht stehen: „Alles über Saint-Exupéry!“. Das literarische Werk wird den Leserinnen und Lesern vorgestellt, der Verfasser bleibt dabei immer im Vordergrund. Vieles, was uns durch den Kleinen Prinzen bekannt ist, wird uns noch deutlicher, oder wird überhaupt erst verstanden, wenn man etwas einen der berühmtesten Franzosen weiß.

    In sechs Kapitel hat Trauboth diese zwar an Seiten überschaubare, an Inhalt jedoch sehr dichte Novelle eingeteilt und zwei weitere drangehangen, in denen er sich der Spurensuche und der Literatur des Dichters widmet. In Spurensuche erklärt er auch, dass er in Bastia seine Recherchen fortsetzte und des Fliegers Route selber nachgeflogen ist.

    Hilfreich ist ebenso, dass DER FLIEGER, SÜDKURIER, NACHTFLUG, WIND, SONNE UND STERNE, DER KLEINE PRINZ, DIE STADT IN DER WÜSTE und MANON, DIE TÄNZERIN vorgestellt werden. Das Buch führt zu Saint - Exupéry und damit den Büchern, die fast alle vor DER KLEINE PRINZ geschrieben worden.

    Das Büchlein bekam den sehr passenden Titel „Bonjour, Saint – Ex!“, wir haben „Guten Tag“ gesagt zu Antoine de Saint – Exupéry und ich würde vorschlagen als letzte Zeile unter das Kapitel als lachten alle Sterne... zu schreiben:

    „Au revoir, Antoine!“

    Es zählt vermutlich jetzt schon zu meinen Jahrershighlights.

    Ich durfte die Novelle, die am 01.05.2022 erscheint vorab lesen. Vielen Dank an Autor und Verlag.

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Eine verdächtig wahre Geschichte: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Eine verdächtig wahre Geschichte: Roman' von Antoine Laurain
3
3 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Eine verdächtig wahre Geschichte: Roman"

Eine Star-Lektorin, ein literarischer Geniestreich, dem der Autor abhanden gekommen ist, und drei hilfreiche Morde: Antoine Laurain entzündet in seinem neuen Roman ein kriminalistisches Unterhaltungsfeuerwerk. Die Pariser Star-Lektorin Violaine Lepage liegt nach einem schweren Unfall im Koma. Aber es kommt noch schlimmer: Als sie aufwacht, droht der unter ihrer Federführung erschienene Roman Die Zuckerblumen Frankreichs renommiertesten Literaturpreis zu gewinnen. Dabei ist der Autor unauffindbar! Das ist so sehr gegen die Konvention der Preisvergabe, dass Violaines Karriereende bevorsteht. Da kommen ihr drei Morde zu Hilfe, die sich just so ereignen wie im Roman beschrieben. Nun sucht auch die Polizei den unsichtbaren Autor. Wer hat Die Zuckerblumen geschrieben und warum? Die Antwort liegt gut versteckt in der realen Vergangenheit und nicht jeder will, dass sie entdeckt wird …

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:208
Verlag: Atlantik
EAN:9783455012026
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Rezensionen zu "Eine verdächtig wahre Geschichte: Roman"

  1. Unglaubwürdig, aus Versatzstücken zusammengesetzt

    Dieser Roman bekommt von mir nur deshalb einen Stern, weil er in modernem, umgangssprachlichem Französisch geschrieben ist (ich habe das Original gelesen, "Le service des manuscrits"). Null Sterne gehen ja nicht. Ich habe mich noch selten so über ein Buch geärgert und habe es auch nur zu Ende gelesen, weil wir es in der Gruppe diskutieren wollten.

    Es klingt stellenweise, als sei es aus einem Lehrbuch für Romanautoren übernommen. Der Autor hat sicher auch seine Erfahrungen bei der Suche nach einem Verlag für seine Manuskripte einfließen lassen, und Modiano scheint er sehr zu mögen, er taucht zumindest auch in einem anderen Buch von Laurain auf. Aber warum muss er auch noch eine blinde Lektorin in einem opulenten Pariser Hôtel particulier reinschreiben? Warum braucht Violaine einen Psychiater, und welche Rolle spielt er noch? Warum ist sie Kleptomanin? Warum hat sie „ihre Laster und ihre Sünden“ (Zitat des Psychiaters) vergessen, und nur das? Warum hat sie Angst vor dem Fliegen? Viele Beschreibungen klingen hölzern, viele Details überflüssig.

    Jetzt die Morde. Die Polizistin trägt natürlich die amerikanische Bomberjacke. Die Lektorin hat natürlich alles von ihrem Gönner geerbt. Ich musste den Rest auch noch lesen, um zu wissen, wie es ausgeht, aber Spaß gemacht hat mir das Buch nicht. Ich empfand es als formelhaft, wie aus dem Baukasten der Schreibschule. So viele Ungereimtheiten ... Jetzt hat sie auch noch die Affäre mit dem von ihr veröffentlichten Schriftsteller vergessen, dem sie vorwirft, zu viel Zeit mit seiner Schreibschule zu verbringen und dort nur unglückliche Möchtegern-Schriftsteller heranzuzüchten.

    Und das Ende ist endgültig komplett unglaubwürdig. Nein, von Laurain muss ich nichts mehr lesen.

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  1. Rezension "Eine verdächtig wahre Geschichte"

    Wie viele Sterne verdient ein Roman, den man nach 40 Seiten eigentlich zur Seite legen möchte? Es des guten Namens des Autors willen aber unterlässt? Um dann ab ungefähr Seite 100 (das Buch hat 149 Seiten) doch noch so etwas wie gefesselt zu sein?

    Die Erzählung beginnt damit, dass Violaine Lepage, Cheflektorin eines großen Pariser Verlags, nach einem Flugzeugabsturz im Koma liegt. Als sie aufwacht, steht der von ihr herausgebrachte Roman "Die Zuckerblumen" auf der Auswahlliste für den begehrtesten französischen Literaturpreis, den Prix goncourt. Doch was eigentlich ein Grund zur Freude wäre, löst bei Violaine Beklemmungen aus - sie kennt den Verfasser oder die Verfasserin nämlich gar nicht. Und eine Preisvergabe ohne Autor ist schlicht undenkbar. Ist Camille Désencres eine Frau oder ein Mann? Und warum gibt sich der Autor nicht zu erkennen?
    Noch mehr in Bedrängnis gerät die Lektorin allerdings, als auch die Polizei plötzlich vor ihrer Tür steht und nach der Identität des Autors fragt - ermittelt sie doch wegen dreier Morde, die genauso wie im Buch verübt wurden.

    Wie viele Sterne also?

    Sprachlich gibt es nichts auszusetzen; der Einstieg, den viele namhafte französische Schriftsteller bevölkern, ist charmant. Die Ausführungen zum Verlagswesen sind mir dagegen zu lang(weilig) geraten, das Ende nach manchen überraschenden Volten dann doch zu konstruiert. Macht alles in allem solide drei Sterne - an "Glücklicher als gedacht" oder gar "Liebe mit zwei Unbekannten" kommt dieser Roman in meinen Augen nicht heran.

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  1. Facettenreich und überraschend

    „Vor langer Zeit ist etwas geschehen. An diesem Winternachmittag in der großen Stadt, auf der Terrasse dieses Cafés, unter diesem mondgrauen Himmel beschließe ich: Bald wird alle Schuld beglichen sein.“ (Zitat Pos. 609)

    Inhalt
    Zehn bis fünfzehn Manuskripte treffen täglich in diesem Pariser Verlag ein. Pro Jahr werden zwei bis drei davon angenommen. „Die Zuckerblume“ von Camille Désencres ist einer dieser Romane und ist nun auch für den Prix Goncourt nominiert. Als Violaine Lepage, Cheflektorin und Leiterin der Manuskriptabteilung, nach einem Unfall aus dem Koma erwacht, hat sie ein paar persönliche Fakten aus ihrem Leben vergessen, das jedoch nicht. Denn der Autor ist verschwunden. Ein berühmter Literaturpreis für ein von ihr veröffentlichtes Buch, bei dem sie nicht in der Lage ist, den Autor zu präsentieren, würde das Ende ihrer beeindruckenden Karriere bedeuten. Nun interessiert sich auch Sophie Tanche, Kommissarin der Kriminalpolizei Rouen, für die bekannte Lektorin und für diesen Roman. Vor einem Jahr hat die Kommissarin in einem immer noch ungelösten Fall mit zwei Toten ermittelt, deren Ermordung genau der Beschreibung in diesem Buch entspricht. Nun ist auch die Kommissarin auf der Suche nach dem Autor, denn in dem Roman sind streng vertrauliche Details erwähnt, die nie an die Öffentlichkeit gelangt sind, und es geht um insgesamt vier Morde.

    Thema und Genre
    Dieser Roman spielt in der Literaturszene. Themen sind Verlage, Bücher, Manuskripte und Buchpreise. Doch es geht auch um persönliche Entscheidungen und Geheimnisse, die tief in der Vergangenheit begraben sind.

    Charaktere
    Die Figuren sind authentisch, zeigen viele menschliche Facetten und ziehen uns Lesende sofort in ihren Bann.

    Handlung und Schreibstil
    Die Geschichte wird in drei Teilen erzählt, wobei der zweite, mittlere Teil zwanzig Jahre früher spielt, die berufliche Entwicklung von Violaine schildert, und so die aktuelle Handlung unterbricht, gleichzeitig jedoch mit wichtigen Informationen ergänzt. Dieser interessante Aufbau der Geschichte macht sie packend und erhöht das intensive Vergnügen, sich Seite um Seite durch diese geheimnisvolle Suche nach einem unbekannten Autor zu lesen und gleichzeitig der ermittelnden, misstrauischen Kommissarin zu folgen.

    Fazit
    Eine Geschichte, deren Manuskript auch die strenge Lektorin Violaine sofort mit einer Sonne, dem internen Zeichen der Manuskriptabteilung für „angenommen“, versehen und veröffentlicht hätte. Denn dieser unterhaltsame, facettenreiche und überraschende Roman ist pures, großartiges Lesevergnügen.

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Opus 77: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Opus 77: Roman' von Alexis Ragougneau
5
5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Opus 77: Roman"

Auf der Beerdigung ihres Vaters hält Ariane am Flügel inne, die gefeierte Konzertpianistin, belauert von der Trauergesellschaft. Eine dröhnende Pause, ein langes Atemholen, und Ariane setzt an – zu Schostakowitschs »Opus 77« und zu der Geschichte ihrer Familie. Ihr Vater, der große Dirigent, der Maestro, übermächtig in Orchester und Familie. Ihr Bruder, Geigenvirtuose, das blasse Gesicht verborgen hinter schwarzen Locken. Ihre Mutter, ehemals leuchtend, nur noch ein schwacher Schatten. Und sie selbst, verdeckt von der perfekten Inszenierung der unnahbaren Pianistin. Vom einsamen Gesang steigert sich Arianes Opus zu einem dämonischen Tanz, der die Ruhe zerreißt und die Missklänge der Vergangenheit aufwirbelt.

Format:Kindle Ausgabe
Seiten:237
Verlag: Unionsverlag
EAN:
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Rezensionen zu "Opus 77: Roman"

  1. Wo Musik und Literatur sich treffen

    „Wir werden mit dem Schweigen beginnen. Aber Schweigeminuten dauern ja, wie Sie wissen, nie volle 60 Sekunden, genauso wenig wie Minuten stillen Gedenkens bei einer Beerdigung in einer Genfer Basilika.“ (S. 6)

    So beginnt Starpianistin Ariane Claessens uns ihre Gedanken mitzuteilen, während sie vor dem Flügel in dieser Kirche sitzt. Sie hat ihren Vater beim Sterben begleitet, der über Jahrzehnte der berühmte Dirigent des führenden Sinfonieorchesters der Schweiz war. Nun wird er zur letzten Ruhe gebettet. Ariane soll etwas zum Gedenken an ihren Vater spielen. Sie verwirft alles Gewöhnliche und nimmt sich den Klavierauszug des Opus 77 von Schostakowitsch vor, ein gefühlsaufwallendes Violinkonzert über vier Sätze, das offenbar weitreichende Bedeutung für Familie Claessens hat.

    „Hören Sie mir jetzt gut zu, hören Sie unsere Geschichte; die Geschichte von meiner Mutter, meinem Bruder und Ariane Claessens, die für Sie aus dem Gedächtnis spielt; diesmal, das verspreche ich Ihnen, werde ich die Hüllen fallen lassen, und sie werden mich nackt sehen, wie Gott mich schuf.“ (S. 12)

    Während Ariane nun der Trauergemeinde das dramatische Opus 77 vorträgt, wendet sie sich in einem fesselnden inneren Gedankenstrom an ihre Zuhörer, zu denen auch wir Leser gehören, und berichtet ihre packende Familiengeschichte.

    Die Familie, das sind neben dem dominanten Maestro seine 17 Jahre jüngere Frau Yaël sowie die beiden Kinder David und dessen zwei Jahre jüngere Schwester Ariane. Yaël brillierte einst als aussichtsreiche Sopranistin. An der Seite Claessens verlor sie schnell ihre Strahlkraft und zog sich aus dem Rampenlicht zurück. Als Mutter bleibt sie blass, ist zeitlebens unglücklich bis depressiv. Die beiden Kinder wachsen wie selbstverständlich in ihre musikalischen Karrieren hinein. David wählt frühzeitig die Violine zu seinem Instrument, Ariane entscheidet sich für das Klavier. Jahrelang begleitet sie ihren sensiblen Bruder nicht nur musikalisch, sie übernimmt auch Verantwortung für ihn, denn an den Eltern haben die Kinder wenig Stütze. Im Gegenteil entwickeln sich unüberbrückbare Differenzen insbesondere zwischen Vater und Sohn, für die zwei offenbar dramatische Erlebnisse mitverantwortlich sind. Beide hängen unmittelbar mit dem legendären Opus 77 zusammen.

    Fragmentarisch erzählt Ariane, nicht chronologisch. Sie wechselt dabei die Zeitebenen, weiß Cliffhanger geschickt zu setzen. Man erfährt viel über ihre eigenen Konzerterfahrungen rund um den Globus, ihre Beziehungen, ihre Sorgen und Ängste. Die Musikwelt scheint ein Haifischbecken aus konkurrierenden Künstlern, neidvollen Kritikern und machtvollen Mäzenen zu sein, in dem sich nur die stärksten und besten Solisten behaupten können. Parallel erzählt Ariane von ihrem Bruder, seinen ersten Erfolgen, von seinen Konflikten mit dem Vater, seiner verbissenen Vorbereitung auf einen renommierten Musikwettbewerb in Brüssel, von seinem sich anschließenden Rückzug von der Welt.

    Der Roman wird unglaublich vielschichtig und dicht erzählt. Bezeichnenderweise entsprechen die Unterteilungen des Romans den Satzbezeichnungen des vorgetragenen Opus 77. Parallelen in Ausdruck, Tempi und Stimmungen sind also durchaus gewollt. Man muss kein Musikkenner sein, um diesen Roman zu mögen. Vieles über Komponist und Werk wird uns erläutert. Allerdings schadet es nichts, in das titelgebende, sehr emotionale Werk hineinzuhören: „Opus 77 oder der einzige Rettungsanker eines Menschen, der sich zum Selbstmord getrieben sieht. Nie hat Musik wohl mehr den Kampf des Lichts gegen die dunklen Mächte symbolisiert.“ (S. 147)

    Ich weiß gar nicht, wo ich beginnen soll, meine Begeisterung in Worte zu fassen. Ich habe den gesamten Roman irrsinnig genossen, ihn regelrecht verschlungen. Die einzelnen Erzählstränge Arianes sind sehr geschickt miteinander verwoben. Das eine Thema wird kurz zur Seite gelegt, um das nächste wieder aufzunehmen und fortzusetzen. Die Handlung schreitet kontinuierlich auf einen Höhepunkt zu, der sich abzeichnet, den man aber bis zum Erreichen nur erahnen kann. Insofern erinnert seine Konstruktion durchaus an sinfonische Musik. Im Schreibstil wirkt sich Arianes fehlende Emotionalität aus. Die junge Frau ist stets bemüht, nichts von ihrem Innenleben preiszugeben. Dadurch beschreibt sie ihre Erinnerungen, bewertet sie aus der Distanz heraus. Das Erzählte wirkt aber dennoch nach. Allein aus der sachlichen Beschreibung der Ereignisse erkennt der Leser deren Tragweite und Bedeutung, die mitunter sprachlos machen. Die Charaktere kann man sich nach und nach durch ihr Tun erschließen, teilweise ergeben sich auch Aufschlüsse durch deren aufreibende Vergangenheit. Im Zuge des Romans erfasst man immer mehr Zusammenhänge dieser toxischen Familie, die einen in ihren Bann ziehen. Obwohl hier aus der Distanz und kein bisschen sentimental erzählt wird, fühlt man intensiv mit dem Protagonisten mit.  

    Ragougneau kommt aus der Spannungsliteratur. Das merkt man diesem Roman an, der von Beginn an Fahrt aufnimmt, kontinuierlich an Schwung gewinnt, um erst ganz am Ende wieder zur Ruhe zu kommen. Zu gut beherrscht der Autor sein Metier. Sprachlich hat mich der Text extrem beeindruckt, die Übersetzung aus dem Französischen von Brigitte Große möchte ich als genial bezeichnen; man spürt sie an keiner Stelle.

    Den Roman konzeptionell an die Satzfolge des titelgebenden Opus anzulehnen und jeweils noch ein passendes Zitat von Kafka, Canetti, Bernhard und von Kleist voranzustellen, wirkt organisch und macht ihn besonders. Für mich ist „Opus 77“ ein glanzvolles Highlight dieses Jahres und für Musikfreunde fast ein Muss, da man sehr viel über Licht und Schatten der professionellen Musikwelt erfährt. Hervorzuheben ist zudem die ausdrucksvolle Einbandgestaltung des Hardcovers in Rot-Schwarz, der etwas Teuflisches anhaftet.

    Riesige Lese-Empfehlung!

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Das synthetische Herz: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Das synthetische Herz: Roman' von Chloé Delaume
4.35
4.4 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Das synthetische Herz: Roman"

Adélaïde Berthel ist sechsundvierzig und frisch geschieden. Ein längst überfälliger Schritt, ihr Eheleben war zuletzt eine Ödnis, sie braucht einen Neuanfang. Es wird sicher nicht lange dauern, bis sie wieder in festen Händen ist. Allerdings entpuppt sich der Beziehungsmarkt als brutales Schlachtfeld. Die meisten Männer sind verheiratet – oder sie suchen nach etwas Jüngerem. Adélaïde Berthel muss sich mit dem Gedanken auseinandersetzen, dass Frauen ihres Alters nicht mehr die besten Karten haben. Besessen von der Idee, möglichst schnell einen Partner zu finden, schlittert sie zielsicher von einer Katastrophe zur nächsten. Gleichzeitig macht sie sich Vorwürfe, dass sie mit ihrem Singlestatus nicht so souverän umgeht, wie man es eigentlich von einer modernen, unabhängigen Frau erwarten könnte. Aber die Statistiken sprechen gegen sie. Es gibt mehr Frauen als Männer, und Männer sterben zuerst …

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:160
Verlag: Liebeskind
EAN:9783954381432
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Rezensionen zu "Das synthetische Herz: Roman"

  1. 3
    16. Okt 2022 

    Klischee statt Satire

    Gibt es für Hetero-Frauen eine Alternative zur Hetero-Partnerschaft bzw. -ehe? Das Feuilleton schwärmt und hält den Roman für "hochkomisch" und "beißend".

    Ich fand ihn eher deprimierend und war sehr befremdet über die Protagonistin , die sich obsessiv auf die Suche nach einem neuen Partner begibt, nachdem sie sich entschlossen hat, aus ihrer Ehe auszusteigen. Sie findet aber, obwohl erst 46 und attraktiv, keinen Partner, weil Männer angeblich nur jüngere Frauen wollen und wenn nicht, ansonsten bekanntlich sind wie Toiletten, entweder beschissen oder besetzt. Die konsumistischen Vokabeln, die die patriarchale Sichtweise abbilden sollen, wirkten auf mich nicht satirisch, sondern ärgerlich. Sie demaskiert diese Anschauung nicht, sondern übernimmt sie.

    Ziemlich treffend und humorig wird hingegen die grundlos positive Sicht übergewichtiger Männer auf ihren Körper beschrieben. Auch die Verlagswelt, in der die Protagonistin als Pressefrau arbeitet, kommt authentisch und interessant rüber; eine Welt, in der um Preise und Medienpräsenz gerungen wird und Qualität nachrangig ist. Sprachlich gefiel mir der Roman ebenfalls ganz gut, Delaume formuliert knapp und pointiert.

    Die Protagonistin erlebt drei Enttäuschungen und gibt bald die Suche auf, um sich eine Katze anzuschaffen und fortan in einer WG mit ihren Freundinnen zu leben. Und dort lebten sie glücklich bis an ihr Ende, denn das einzig Wahre ist die weibliche Solidarität.

    Das kommt mir so dermaßen naiv und klischeehaft vor, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll mit mich aufregen.

    Satire soll durch Überzeichnung entlarven – Delaume reproduziert lediglich Klischees. Am Ende wird sie sehr deutlich, für den Fall, dass frau noch nicht verstanden hat, was sie rüberbringen will: „Einzig Freundschaft und Schwesternschaft bewahren uns vor dem Abgrund.“

    Schön wär´s.

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  1. Ironisch geschilderte Lebensrealität einer 46-jährigen Frau

    Adelaide hatte nie Schwierigkeiten, einen Mann zu finden. Seit der Pubertät war sie im Grunde eines nie: unbemannt. Die letzten 10 Jahre war sie sogar verheiratet. Doch dann wurde ihr Gatte Elias zu langweilig und zu gewohnt, so dass sie ihn verließ. Nun sitzt sie in einer kleinen, 35 Quadratmeter kleinen Wohnung in Paris und wundert sich, dass ihr Leben in diese übersichtliche Bleibe passt.

    Adelaide fühlt sich vom Ehejoch befreit und möchte schnell wieder ihren Jagdinstinkt ausleben, sie kann nicht alleine sein. Sie sehnt sich nach einem Begleiter, malt ihn sich in den schönsten Farben aus. Leider hält die Realität mit dem Fantasiemann nicht Schritt. Für die attraktiven Männer scheint sie unsichtbar und zu alt zu sein – diese Erkenntnis schmerzt. Im Verlauf der 156 Seiten muss Adelaide so manche Enttäuschung verkraften. Herrlich sind die Kommentare der allwissenden Erzählinstanz: „Dies ist die Geschichte einer Rose, die noch nicht weiß, dass sie zum Mauerblümchen wird. Adelaide Berthel ist eine Frau wie viele andere. Für die mit sechsundvierzig Jahren das Ende der Mädchenträume eingeläutet wird.“ (S. 12) Der Erzähler hat stets einen distanziert-ironischen Blick aufs Geschehen. Er verkündet harte Wahrheiten, überspitzt zuweilen oder schaut in die nahe Zukunft.

    Zum Glück kann Adelaide auf einen festen, treuen Stamm an alten Freundinnen zurückgreifen, die zwar ziemlich unterschiedliche Charaktere und eigene Marotten haben, aber dennoch fest zusammenhalten. Sie tun alles, was in ihrer Macht steht, um Adelaide wieder einen adäquaten Mann zu beschaffen.
    Eine weitere Freude sind die Einblicke, die man als Leser in den Literaturbetrieb erhält. Die Protagonistin ist nämlich in einem kleinen feinen Verlagshaus als Pressefrau beschäftigt. Sie betreut mehrere, im Temperament sehr unterschiedliche und mehr oder minder exzentrische Schriftsteller, denen sie zum Erfolg verhelfen soll. Zum Kugeln sind die Titel ihrer Werke: Das Wimmern des Küchenweckers, Das Monopoly der Schmerzen, Ich wohne in meinem Kühlschrank, Die Welt des Käses uvm. Diese Titel passen einfach perfekt in diese aufgeplusterte, wichtige Verlagsatmosphäre, in der Männer das Sagen haben – schallendes Gelächter!

    Chloe Delorme schreibt mit so viel Esprit, dass es eine Freude ist! Sie verpackt Adelaides Last mit dem Älterwerden originell und humoristisch, ohne dass ihr der Tiefgang abhandenkommt. Die Sätze sind kurz und schnittig, fast wie eine Echtzeit-Reportage verfasst. Die Erzählinstanz wirft auch kritische Fragen auf, lässt Raum zum Nachdenken. Ich habe das Buch regelrecht verschlungen. Ein rundum gelungener kleiner Roman! Neugierig werde ich das weitere Schaffen der Autorin verfolgen. Unbedingt lesen!

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  1. 5
    22. Feb 2022 

    Frauen in der Gesellschaft

    Während ich vor Kurzem den Roman „Das synthetische Herz“ von Chloé Delaume gelesen habe, fiel mein Blick auf einen Kommentar der französischen Tagesszeitung Le Monde, der auf dem Buchumschlag dieses Romans zu finden ist.
    „Eine hochkomische Gesellschaftsposse, die einem noch lange nachgeht.“
    Mein spontaner Gedanke zu diesem Ausspruch: Das kann doch nur ein Mann von sich gegeben haben!

    Denn aus der Sicht einer Leserin ist dieser Roman definitiv nicht „hochkomisch“, was die Qualität dieses Buches keinesfalls schmälert. Sicherlich wird der Roman „(einem) einer noch lange nachgehen“, was aber nicht an der Komik liegt, sondern an der schwierigen Antwort auf die Frage: „Wie sieht ein erfülltes Frauenleben aus?“ Es ist also ein Buch, das Frau nachdenklich stimmt – den einen oder anderen Mann hoffentlich auch.

    Ein übergeordneter Erzähler erzählt die Geschichte von Adélaïde, zu Beginn des Buches 46 Jahre alt, frisch geschieden und soeben in eine eigene Wohnung in Paris gezogen. Sie lebt das erste Mal seit etlichen Jahren, diversen Beziehungen und Ehen allein. Adélaïde ist Pressemitarbeiterin eines Verlages – dieser Aspekt sorgt im Übrigen für ein gewisses Maß an Komik, denn Leser, die als Blogger, Journalist oder Verlagsmensch unterwegs sind, wird einiges am Berufsleben von Adélaïde bekannt vorkommen.
    Adélaïdes optimistische Aufbruchsstimmung nach ihrer Scheidung schlägt schnell ins Gegenteil um. Denn bereits nach wenigen Tagen stellt sie fest, dass sie mit 46 Jahren „unsichtbar“ geworden ist. Das Spiel der Partnersuche findet ohne sie statt. Fatal für eine Frau wie Adélaïde, die nicht allein leben kann und will. Denn
    „Adélaïde Berthel ist eine Frau wie viele andere. Sie braucht es, dass man sie liebt, um zu spüren, dass sie existiert.“
    Also versucht sie, sich wieder zurück ins Spiel zu bringen. Dabei erhält sie Unterstützung von ihren vier Freundinnen, die ihr mit Rat und Tat zur Seite stehen, sie trösten, sie aber auch kritisieren. Diese vier Frauen verkörpern die unterschiedlichsten Frauentypen: berufstätige Ehefrau und Mutter – exzentrische Single-Schriftstellerin – lesbische Kunstprofessorin – Tinder-affine Bankerin.
    Der Roman beschreibt den Entwicklungsprozess von Adélaïde. Anfangs steht ihre Angst vor dem Alleinsein und ihrer Besessenheit, einen Mann finden zu müssen im Mittelpunkt. Diese Angst macht sie kompromissbereit und sie trifft auf Männer, die sie sich schönredet. Und egal wie viele Frösche sie küsst, Frosch bleibt Frosch und den Prinzen gibt es nicht.
    Aber gibt es ihn vielleicht doch? Denn der auktoriale Erzähler lässt alle Möglichkeiten offen. Er erzählt Adélaïdes Geschichte als Chronik ihrer Entwicklung und erweist sich gleichzeitig als Visionär, der prophezeit, wie sich ihr Leben entwickeln wird oder entwickeln könnte. Dadurch zeigt er die unterschiedlichsten Möglichkeiten und Lebensentwürfe auf, die sich für eine Frau in unserer Gesellschaft ergeben und die am Ende zu einem erfüllten Leben beitragen könnten. Frau hat es selbst in der Hand.
    Auch wenn in meinem Text etliche Trigger auftauchen, die den Verdacht nahelegen, dass es sich hierbei um ein seichtes Frauenromänchen halten könnte, ist dem nicht so. Ich gebe zu, dass eine Protagonistin ihrer Altersklasse, die krampfhaft auf der Suche nach dem Prinzen ist und dabei von illustren Freundinnen unterstützt wird, eine Steilvorlage für die Einordnung in ein triviales Genre bietet. Doch „Das synthetische Herz“ ist alles andere als trivial.
    Es ist ein origineller, nachdenklich stimmender, manchmal auch komischer Roman, der einen wunden Punkt bei Frauen unserer Gesellschaft trifft. Denn die Angst vor dem Alleinsein und die Zweisamkeit als ultimative Lebensform anzustreben, ist uns Frauen anerzogen. Es bedarf Bücher wie diesem, die uns in dieser Gelähmtheit wachrütteln.
    Die Autorin hat für „Das synthetische Herz“ in 2020 den Prix Medicis erhalten, ein französischer Literaturpreis, der an junge vielversprechende und originelle Autoren sowohl französischer als auch fremdsprachiger Literatur vergeben wird. Zu Recht! Ich bin sicher, da geht noch mehr und freue mich auf das, was von Chloé Delaume noch kommen wird.

    © Renie

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Vernichten: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Vernichten: Roman' von Michel Houellebecq
3.65
3.7 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Vernichten: Roman"

Kurz vor den französischen Präsidentschaftswahlen 2027 taucht im Netz ein Video auf, das die Hinrichtung des möglichen Kandidaten Bruno Juge zu zeigen scheint. Paul Raison ist Absolvent einer Elitehochschule und arbeitet als Spitzenbeamter im Wirtschaftsministerium. Als Mitarbeiter und Vertrautem Juges fällt ihm die Aufgabe zu, die Urheber des Videos ausfindig zu machen. Im Laufe seiner Nachforschungen kommt es zu einer Serie mysteriöser terroristischer Anschläge, zwischen denen kein Zusammenhang zu erkennen ist. Aber nicht nur die Arbeit, auch das Privatleben von Paul Raison ist alles andere als einfach. Er und seine Frau Prudence leben zwar noch zusammen, aber sie teilen nichts mehr miteinander. Selbst die Fächer im Kühlschrank sind getrennt. Während Juge um seine Kandidatur kämpft, kann Paul entscheidende Hinweise für die Aufklärung der Anschläge liefern. Doch letztlich verliert Juge gegen einen volksnahen ehemaligen Fernsehmoderator, und die Erkenntnisse aus Pauls Recherche sind nicht minder niederschmetternd für die Politik des Landes. Als Paul von seiner Arbeit freigestellt wird, kommt es zu einer Annäherung zwischen ihm und seiner Frau und die beiden finden wieder zueinander. Ein unerwartetes, wenn auch fragiles Glück … Die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der Liebe, das komplexe Zusammenspiel von Gesellschaft und Politik und die weitreichende, oftmals kaum wahrnehmbare Verknüpfung von Politischem und Privatem – das sind die Themen des neuen Romans von Michel Houellebecq, dem großen Visionär der französischen Literatur.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:624
EAN:9783832181932
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Rezensionen zu "Vernichten: Roman"

  1. Bis ins Feinste konstruiert und geplant

    Nach all den fürchterlich akademischen Rezensionen, die ich in den letzten Jahren über Houellebecq überflogen hatte, erwarte ich bei »Vernichten«, einem mit reichlich 600 Seiten recht dicken Buch eigentlich das Schlimmste: akademische Kärrnerarbeit, sich durchpflügen im Schweiße des Leser-Angesichts, Migräne und hoffen auf raschen überfliegen des Wälzers.

    Weit gefehlt: Der Mann schreibt so leichtfüßig und witzig, dass ich geradezu spielerisch über ellenlange Schachtelsätze hinweg lese, oder auch nur einmal ins Stolpern zu kommen.

    Die Story? Ein echter Thriller. Verdammt, warum hat mir das keiner gesagt! Immer wieder nur das Gerede, ob Houellebecq nun politisch korrekt oder neo-konservativ sein. Was mir hier wie Butter (bescheuerte Metapher) durch die Seiten fließt, ist Unterhaltung von Feinsten. Und dann noch diese schrägen Geschichten, die wir alle irgendwie kennen: Streit um ethisch korrekte Ernährung, irgendwie abgeschmierte Computer, Langweile beim Sex in einer ausgelebten Beziehung etc. Der Mann holt uns da ab, wo wir leben. Und entführt uns dann in eine skurrile Fantasiewelt, die so utopisch zu sein scheint wie die Vorstellung, Putin würde die Ukraine angreifen, noch im Januar 2022.

    Inzwischen wissen wir es besser. Einzig gewiss ist, dass nichts mehr gewiss ist. Positiver Nebeneffekt: Die Langweile der ersten Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts gehört der Vergangenheit an. Und so schaue ich sie mir halt an bzw. lese sie in mich rein, die Vernichten-Fantasiewelt des kettenrauchenden Franzosen.

    Mit seinen früheren Büchern soll er ja bereits visionär in die Zukunft geschaut haben. Ist er ein Seher? Nun ja, nicht übertreiben, wie John Brunner, der mit »Schafe blicken auf« in den 70er-Jahren eine faszinierende Endzeitdystopie verfasste, in der Öko-Terroristen ein letztes verzweifeltes Gefecht gegen die naturzerstörende Zivilisation führen, und George Orwell, der nach dem Zweiten Weltkrieg in »1984« eine Vision des Totalitarismus schrieb, ebenfalls zeitlos aktuell. Sie konnten auch in die Zukunft schauen, von Science-Fiction-Autoren Jules Verne oder Hans Dominik mal ganz abgesehen.

    Habe ich schon gesagt, dass »Vernichten« leichtfüßig daherkommt? Leichtfüßig, nicht so eine ätzende Betroffenheits-Empörungs-Shitstorm-Prosa, kein Kulturpessimismus oder dergleichen. Leichtfüßig!

    Gewöhnlich stürzen sich Literaturkritiker auf die erotischen Stellen, die ihnen der französische Erfolgsautor gleich Fleischhappen vor die Füße wirft. Zugegeben: Seine Muschi- und Fick-Passagen auf den Seiten 68 ff. reichen fast an das Niveau eines deutschstämmigen Amerikaners heran, der vor einem Jahrhundert nach Paris ging, die Damenwelt und die Sternen gleichermaßen liebte. Wie Henry Miller in »Wendekreis des Steinbocks« schwenkt Michel Houellebecq elegant von Genitalen und zur Götterwelt, wobei seine Kenntnisse, was linkshändisches Tantra-Yoga betrifft, speziell bei den Tibetern, von tiefer Sachkenntnis zeugt.

    Überzeugt hat mich jedoch eine ganz andere Szene, nur vier Seiten weiter, wenn zu Beratern der Arbeitsverwaltung bemerkt, dass sie zu bemerkenswerten Vorspiegelungen von Optimismus in der Lage seien, geschult in Clown-Workshops, dass sich die psychologische Betreuung von Arbeitslosen in den letzten Jahren stark verbessert haben - die Arbeitslosenquote jedoch nicht gesunken. Letzte Woche las ich diese Zeilen einem hiesigen Arbeitsamtsberater vor, in seinem Dienstbüro: Nicht nur, dass er es bestätigte, der Mitarbeiter outete sich zudem als begeisterter Leser des Franzosen.

    Die Hauptfigur des Romans ist in der Oberschicht angesiedelt. Ich erinnere mich an eine Dampferfahrt durch die Kanäle von Straßburg, wo uns der Stadtführer auf eine jener französischen Eliteuniversitäten hinwies, in denen ausschließlich Staatsbeamte »herangezüchtet« werden. Meine Begleiterin zum Europaparlament las in »Rückkehr nach Reims« einer Autobiografie des französischen Soziologen Didier Eribon. Wie die administrative und politische Elite Frankreichs mit den Jahren immer mehr von den Sorgen und Nöten der verarmenden Mittel- und Unterschicht abhob, die Sozialisten den Kontakt zur Arbeiterklasse zugunsten der Rechtsextremen verloren, beschreibt Didier Eribon eindringlich.

    Michel Houellebecq ist bei aller intellektuelle Brillanz nicht abgehoben. In seinen Roman fügt er Protagonisten ein, die extremen sozialen Spannungen des modernen Frankreich transportieren. Der Autor weiß sehr wohl um die Sorgen der ganz einfachen Leute und ihre miserablen Jobchancen, die in Nordfrankreich genauso wenig von den Eliten der Gesellschaft ernst genommen werden wie in Ostdeutschland, hier und dort zu Staatsverdrossenheit führen.

    Ich habe noch während des Lesens auf die Kritiken geschielt und bin solchermaßen vorgewarnt. Der Autor wird es nicht beim Thriller belassen, sondern abrupt das Genre wechseln, Handlungsfäden aufgeben, Figuren verlassen. Quasi in einem Pentagramm soll er fünf moderne Gesellschaftsgruppen vorstellen, alle gleichsam sinnentleert durch eine Industrialisierung, die den Arbeiter weitgehend überflüssig macht, die Gesellschaft in schlecht bezahlte Handlanger und eine sorglose Elite spaltet - ein Grundthema, das sich in seinem literarischen Œuvre spiegelt.

    Im Westeuropa der 60-er Jahre fing die Malaise mit der Krise von Kohle und Stahl, als die Importe aus Asien billiger wurden, schließlich die Werften geschlossen wurden, Elektroindustrie, Textil- und Schuhindustrie bankrott gingen, nach dem Fall der Mauer im Zeitraffer gleiches in Osteuropa. Was blieb, waren Billiglöhne plus jene neue Oberschicht, die von Silicon Valley aus mit technologischem Know-how mal eben übers Wochenende in den Weltraum fliegen kann, während unten auf Erden der Amazonas-Urwald gerodet wird, um den Rohstoffhunger der Massen zu stillen, Lieferung per Mouseklick als Premium-Delivery für jene, die es sich leisten können.

    In »Elementarteilchen«, dessen Verfilmung die wesentliche philosophische Themen ausspart aber in ihrer x-beliebigen Seichtheit den Zeitgeist des beginnenden 21. Jahrhunderts in der westlichen widerspiegelt, stellt er u.a. die neu-religiöse Bewegung des »Raelismus« vor. Wozu noch Geschlechtsverkehr, wenn sich mithilfe der Biotechnologie Menschen künstlich reproduzieren lassen? In meinen Augen ein Luxusproblem, das damals meine Freunde in der wohlhabenden Schweiz genauso ernst diskutierten wie das Recht auf Freitod. Zwar waren sie allesamt kerngesund, als wir im Motorboot von Romanshorn aus bei den sündhaft teuren Nachtklubs am Bodensee anlegten. Aber sie sorgten sich: Warum noch schwanger werden, wenn Klonen möglich ist. Warum nicht mit Gift vorsorgen, falls man irgendwann, vielleicht, unheilbar krank sein würde?

    Der Franzose ist etwa in meinem Alter. Ich kann nachvollziehen, wenn er in einem FAZ-Interview bemerkt, dass die Gesellschaft mit den Jahren und Jahrzehnten immer unfähiger wurde, zu differenzieren und unterschiedliche Meinungen zu ertragen. Damals in Hamburg auf dem Gymnasium diskutierten wir unter Anleitung des Sozialkundelehrers noch ganz frei über Unterschiede zwischen dem demokratischen Sozialismus der DDR und der sozialdemokratischen BRD, verglichen Pros und Kontras, wie beispielsweise die sehr viel liberalere Abtreibung-Gesetzeslage bei unseren Brüder und Schwestern jenseits des Eisernen Vorhangs. Heutzutage, im Zeitalter von linksliberaler Political Correctness und neu-rechten Fake News gänzlich undenkbar.

    Einige existenzielle Umbrüche haben wird erlebt, der Franzose und ich: Der Fall des Eisernen Vorhangs, die digitale Revolution, den Siegeszug des Internets, einstürzende Zwillingstürme 9/11 live on TV. Doch im Grunde ist alles viel gleichförmiger geworden seit damals, als uns jungen Burschen Flower-Power umgab, als Jimi Hendrix und Janis Joplin »live fast, die young« zelebrierten. Außer Shitstorm bei Facebook, wenn man/frau nicht gendergerecht postet, ist eigentlich alles langweilig geworden.

    Der Schreibens überdrüssig sei er geworden, der französische Skandalautor mit dem unaussprechlichen Namen. Alles sei gesagt, alles sei geschrieben. Rückzug ins Private, in den Schoß der Familie, soll sein neuestes Werk »Vernichten« propagieren, schreiben die Kritiker zu Beginn des Jahres 2022, das so langweilig begann wie fast alle Jahrzehnte zuvor.

    Doch halt! Es ist Frühling geworden und in der gar nicht so fernen Ukraine sind es einzig Tretminen und Blindgänger, die in den Gärten sprießen. Zu Ostern kommen keine Hasen und bringen Eier, sondern Raketen fallen vom Himmel und wer sich nicht rechtzeitig wegducken kann, wird von Scharfschützen niedergemetzelt. Wir sind alle dabei, online via Livestream, den Hunderte über dem Kampfgeschehen kreisender Satelliten auf unsere Smartphones schicken. Es geht ums Überleben. Und wenn der hässliche Zwerg in seinem Bunker dort drüben auf den Roten Knopf drückt, fallen regnen auch bei uns im ach so so langweiligen Westeuropa die Atombomben vom Himmel.

    Michel Houellebecq, wenn du bei deinem letzten Roman noch gedacht hast, es gäbe nichts mehr zu erzählen, die Dekadenz der Gesellschaft würde durch ewigen Fortschritt der Maschinen beschleunigt, dann warst du ausnahmsweise mal kein guter Seher. Ich denke, klammheimlich hast du deinen Schriftsteller-Laptop schon längst wieder hochgefahren und arbeitest an deinem nächsten Roman. »Vernichten«, der Titel deines letzten, passt momentan wie die Faust aufs Auge.

    Doch was kommt danach? »Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen«. Dieses Lutherzitat sollte dem kettenrauchenden Atheisten ins Poesiealbum geschrieben werden. Obwohl - stets war der Franzose seiner Zeit voraus. Nicht unwahrscheinlich, dass sein nächster Roman im Schrebergartenmilieu spielt, mit lachenden Kinder und Ostkuchen zum Kaffee. Das Leben geht in Zyklen. Auf die Nacht folgt der Tag und auf eine sinnentleerte Konsumperiode vielleicht eine Zeit der Entbehrung, die Sinn stiftet?

    Am Tag der Frankreich-Wahl und des des andauernden Bombardements auf die Ukraine während des russischen Osterfests sprach lange in einem Café hier am Postplatz mit einem polnischen Geschäftsmann, der Jared Diamonds »Arm und Reich« las und dem ich das Nachfolgewerk »Kollaps« empfahl, zugleich auf das Faustische des Krieges verwies und Goethes Mephistopheles zitierte: »Ich bin die Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.« Ob der Vernichtungswille Putins, der eine nie dagewesene Einheit Europas erzeugte, letztendlich zum Wiederentstehen des Jagiellonenreichs führen wird wie zu Shakespeares Zeiten, als im »Hamlet« ein Abgesandter des damals mächtigsten Staates von Europa auftrat, der Personalunion von Polen, Lettland und der Ukraine umfasste, vom Schwarzen Meer bis zu Ostsee?

    Spielt die Erzählung wirklich in der Zukunft, im Jahr 2027? Zwar geht es um die Präsidentschaftswahl in fünf Jahren, jedoch ist es ein Gegenwartsroman, den ich hier lese, und ich befinde mich in einer Gegenwart, die eine Zeitenwende darstellt, merke wie ich hin- und herspringe bei der Bewertung. Was mich am Lesen hält ist die stoische Ruhe der Hauptfigur, die moralische Unaufdringlichkeit des Autors und seine ungeheure Belesenheit, die niemals eitel daherkommt. Eigentlich ist es ein langes Selbstgespräch, das der Regierungsbeamte Paul hier vollzieht. Ständig reflektiert und hinterfragt er, was er wahrnimmt, sogar das, was er sagt. Und es wirkt nicht gekünstelt. Das kann nur große Literatur.

    Es ärgert mich, wenn ich Rezensionen lese, in denen Kritiker bemängeln, sie seinen durch Houellebecqs neuesten Roman nicht ausreichend »unterhalten«, er amüsiere sie nicht wie in früheren Werken. Genauso unsinnig Kritiken, wonach Handlungsstränge verloren gehen oder Figuren im Nichts verschwinden. Hier waren Rezensenten am Werk, die es gewohnt sind, Seiten zu überblättern, um schnell durchzukommen. Nichts habe sie verstanden!

    In »Vernichten« geht es viel ums Sterben, um Pauls Vater, der nach einem Schlaganfall ins Koma fällt, daraus erwacht, jedoch nur noch »Gemüse« ist – ein Schicksal, das die Hauptfigur auch ereilen wird. Eine Metapher für die westeuropäische Zivilisation, um deren Niedergang Houellebecq sich auch in früheren Werken Sorgen macht. Er ist ein Aufklärer, und das, was zynisch herüberkommt, ist im Grunde als Warnung gemeint.

    Bemerkenswert, wie elegant Innenwelt und Außenwelt in der Erzählung verknüpft werden. Der Autor beschreibt seine Figuren nicht mit Haarfarbe oder Altersangabe, sondern wesentlich eleganter, so auf Seite 151:

    »Sie hatte ›Vater‹ gesagt, nicht ›Papa‹, dachte Paul, vielleicht hatte sie an Weihnachten wirklich Familienprobleme gehabt, sie begann ihm fast sympathisch zu werden, diese dämliche Spießbürgerin.«
    Faszinierender Umgang mit personalen Erzählperspektiven. Es Ruhe, dieses Buch zu lesen. Man muss sich Zeit nehmen – und wird belohnt mit jener stoischen Ruhe, die der Autor beim Schreiben an den Tag legt und seinem tragischen Helden dazu verhilft, so gut wie jedes Glück und Unglück gelassen zu ertragen. Kaiser Hadrian, dessen Regentschaft zu den friedlichsten und stabilsten des Römischen Reiches gehörte, soll ein Anhänger der Stoa gewesen sein, jener vom Griechen Zenon begründeten Philosophie der Ruhe und Gelassenheit, die dem chinesischen Zen-Buddhismus nicht unähnlich ist.

    Noch einmal zurück zu Henry Miller: Wie nahtlos Houellebecq in seinen Erzählstrom Alltagserlebnisse, Traumsequenzen, Erotisches und Spirituelles verknüpft, erinnert stark an jenen Autor, der einhundert Jahre zuvor von New York nach Paris kam, sich als Autor nur seinem inneren Erleben verpflichtet fühlte, der nach vielen Mühen einen französischen Verleger fand, mit Prozesses wegen angeblicher Pornografie überhäuft wurde, dessen Werke bis weit in die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts auf dem Index standen.

    Ob der kettenrauchende Franzose Michel seine Bücher gelesen hat? Auf jeden Fall ist er ein würdiger Nachfolger des zu Unrecht als Schmuddelautor diffamierten Henry. Es sind dieser kluge, freigeistige Duktus, dieses Verabscheuen spießbürgerlicher Konvention, der forschende Blick auf die Wahrheit hinten den Masken und die Verehrung des Weiblichen, fast zur Gottheit erhoben, auf jeden Fall im krassen Gegensatz zum Christen-Herrgott, diese einst von Nietzsche und Warburg beschriebenen Dichotomie von apollinischer und dionysischer Kulturgeschichte des Abendlandes, die Houellebecq und Miller gemein ist.

    Fast in der Mitte des Buches angelangt möchte ich den Literaturkritikern insofern Recht geben, als dass der Roman zu lang ist – ein Phänomen, das sich auch bei anderen fest etablierten Autoren wie Stephen King zeigt, die sich dem entdeckenden Schreiben hingeben, anstatt zu plotten, zu strukturieren und immer wieder zu überarbeiten, überflüssige Adjektive, Sätze, ja ganze Absätze, Passagen und Figuren in immer neuen Überarbeitungen zu eliminieren, wie es Ernest Hemingway meisterlich verstand. Doch dies nehme ich beim weiteren Lesen zurück.

    Wenn in Rezensionen davon die Rede ist, dass Houellebecq lose Fäden zurücklässt und Protagonisten ins Nichts laufen lässt, dann stimmt dies nicht. Es fehlte jenen, die dies behaupten, nur jene stoische Ruhe, derer es beim Lesen guter Bücher bedarf. Der Autor widersetzt sich lediglich dem Dogma modernen Verlagslektoren, wonach Bücher heutzutage »lesertauglich« zu sein haben, es Action und Thrill bedarf. »Ein Buch ist wie ein Freund« heißt es. Spätestens im letzten Drittel der 620 Seiten ist es mir zum freundlichen Begleiter geworden, fühle ich mich wohl in der vom Autor geschaffenen Welt und blicke voll Sorge auf die schwindende Seitenzahl. Viel gäbe es noch zu erzählen über »Vernichten«.

    Nicht in allem möchte ich vorgreifen. Nur dies noch: Bis ins Feinste ist es konstruiert und geplant, beispielsweise wenn Bruno zu Beginn des Romans in sein Kinderzimmer kommt, zum ersten Mal seit vielen Jahren, und die Poster an den Wänden betrachtet, die seit seiner Teenie-Zeit dort hängen, so ist auch dies eine Klammer, die zum Ende geschlossen wird, mit tiefem Ernst und Tragik – jedoch mit jener Heiterkeit, die dem Autor zu Eigen ist und das Lesen zum Genuss macht.

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    17. Sep 2022 

    Zahme Dystopie eines Unverbesserlichen

    „Vernichten“ setzt ein mit einer Reihe rätselhafter, anscheinend unzusammenhängender Terroranschläge, die die Sphäre von Paul Raison erschüttern. Paul ist der Vertraute und Assistent des amtierenden Finanzministers, einer Art grauen Eminenz in der Regierung. Dieser Erzählstrang ist der wichtigste des Romans und handelt vom Wahlkampf um die Präsidentschaft im Jahr 2027.

    Ein weiterer Strang handelt von Pauls Vater, einem ehemaligen hochrangigen Geheimdienstler, der nach einem Schlaganfall ins Koma fällt, und prangert die miserablen Zustände in Krankenhäusern und in der Altenpflege an.

    Im dritten Strang geht es um die Wiederbelebung von Pauls Ehe mit Prudence, die seit 10 Jahren quasi kontaktlos in derselben Wohnung leben. Zunächst habe ich mich von der sensiblen Schilderung dieser langjährigen Ehe bestechen lassen. Immerhin ist „Vernichten“ mein erster von drei Houellebecqs, bei dem ich NICHT alle 10 Seiten das Bedürfnis hatte, das Buch an die Wand zu schmeißen. Die üblichen hasserfüllten Sexismen und Wichsexzesse bleiben uns in diesem Roman erspart, H. ist offenbar altersmilde geworden. Meine Verblüffung hielt jedoch nicht lange vor. H. geht nicht so weit, das Unglück seiner armseligen Männer auf die patriarchalen Strukturen zurückzuführen, die sie um den Preis ihres Glückes aufrecht erhalten wollen. Es ist ihre Unfähigkeit, intime Beziehungen auf Augenhöhe zu führen, die in die Einsamkeit führt. H. hält dies für naturgegeben, notwendig, ja heroisch. In Houellebecqs Welt sind Männer die Inhaber der Macht und Frauen tun das, was sie „von Natur aus“ am besten können, nämlich lieben, mitfühlen, unterstützen, kommunizieren – und kochen.

    Ein vierter Strang dreht sich um Pauls künstlerischen, schwachen, lebensuntüchtigen (weil „unmännlichen“) Bruder Aurélien. Dieser wird durch seine Frau gedemütigt, indem sie nicht von ihm schwanger werden will, sondern den Samen eines Schwarzen aus einer Samenbank vorzieht. Der ultimative Alptraum des weißen Hetero, Houellebecq, wie er leibt und lebt, patriarchalischer Rechtspopulismus pur.

    Damit können letztlich auch die vielen klugen, oft brillanten Überlegungen zu gesellschaftlichen und politischen Zusammenhängen nicht versöhnen, mit denen er den Niedergang Europas beschwört. Buchtitel und Einstieg versprachen eine saftige Dystopie – leider versandet dieser Strang in vagen Satanismustheorien ohne jede Auflösung. Am Ende bleibt uns nicht mal die aufopferungsvolle Ehefrau erspart, die buchstäblich mit Todesverachtung ihren sterbenden, nach Verwesung stinkenden Ehemann besteigt – wahre (weibliche) Liebe eben.

    Dazu kommt das behäbige, antiquiert wirkende langsame Erzähltempo. Insgesamt hätten 100 Seiten weniger (mindestens!) dem Buch gut getan. Das Dankeswort am Ende überrascht mit der Ankündigung, dass „Vernichten“ Houellebecqs letzter Roman gewesen sein wird.

    Dazu zitiere ich Christine Lehnen von DW.com, besser kann man es nicht sagen: „In unzähligen Romanen hat er sein Anliegen erfüllt: die Einsamkeit der männlichen Existenz im Patriarchat in der Literatur zu verewigen. Das ist ihm gelungen. Man möchte nur noch eines rufen: Bravo! – und Adieu.“

    Leider keine Leseempfehlung.

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  1. Vom Leben und vom Sterben.

    Kurzmeinung: Ich kann nicht anders, ich muss alle Sterne vergeben!

    Grob gesagt geht es ums Sterben. Und um den Tod. Die beiden unleidlichen Begriffe, die, wie wir ja wissen, aufs Engste verknüpft sind. Grundaussage des Buches: der Tod vernichtet das Leben. Lapidar. Und doch, wie Michel Houellebecq das macht, wie er sein Sujet handhabt, das ist schon grandios, Er schleicht sich von hinten an dich ran.

    Was ich an Michel Houellebecqs Romanen bisher (lediglich gelesen: Unterwerfung, abgebrochen: Serotonin) mag, das ist vor allem der jeweilige politische Kontext. In „Vernichten“ wie in „Unterwerfung“ schaut der Autor auf Frankreich. Zwar siedelt er das Romangeschehen beide Male um ein Weniges in der Zukunft an, doch hat er ein scharfes Auge auf die gesellschaftlichen, sozialen und politischen Verhältnisse im Land. Seine Analysen sind messerscharf.

    Im vorliegenden Roman nimmt Houellebecq vor allem den Wahlkampf ins Visier, zeigt die Verflechtungen, Berechnungen und die Manipulationen auf, die die Wahlkampfagenturen aushecken. Politiker werden geschult, jedes Wort, das sie im Interview sagen, wurde gebrieft; der Kandidat wird mit seinem Privatleben unter die Lupe genommen; nichts bleibt vor dem Skalpell verschont: passt, passt nicht, muss verändert werden, verstärkt, darf nie ans Licht kommen, etc. etc. Letztlich geht es immer darum, wie verkaufen wir die Öffentlichkeit für dumm? Laut Houellebecq. Zwischen den Zeilen. Doch da steckt mehr als ein Körnchen Wahrheit darin. Der Wirtschaftsminister, der den Kandidaten massiv unterstützt, und der eine gute Stimme hat, lernt zuhause Arien zu singen, und rezitiert Gedichte. So kommt sein Timbre noch besser an. Er bekommt auch eine intelligente junge Geliebte, damit er nach einer gescheiterten Ehe bessere Laune ausstrahlt. Das ist Bruno Juge, der Minister, der arbeitsbesessen sozusagen im Ministerium wohnt und dem Paul, dem Protagonisten, als persönlicher Assistent unterstellt ist. Eine gut bezahlte Vertrauensstellung.

    Mit Paul kommt die private Komponente ins Buch. Die Familie. Schwelende Konflikte, scheiternde Ehen, ungelöste Fragen, Suizid, Krankheit, Tod. Sex scheint das einzige Verteidigungsmittel zu sein, das einem Mann gegen das Herannahen des Todes zur Verfügung steht. Vergessen wir nicht, es ist ein Houellebecq, den wir lesen! Frauen haben eine dienende Rolle. Sie sind allzeit bereit, ständig am Mann interessiert und erfreuen ihn sexuell. Das machen sie freiwillig und gern und umsonst! Wie Raxanne eben, die Wahlkampfassistentin von Bruno!

    Eine einzige Ausnahme ist Solène Signal, die Chefin der Werbeagentur, Präsidentenmacherin, sie ist natürlich unsympathisch und kommandiert alle rum und hat (wahrscheinlich) ein Verhältnis mit ihrem Assistenten, der insofern kein richtiger Mann ist.

    „Einem wirklichen Schriftsteller kann es gelingen, uns an den Tod zu erinnern. An unseren ganz persönlichen Tod. Jeder weiß, dass das Leben irgendwann endet. Aber selten machen wir uns klar, dass wir selbst es sind, die sterben werden. Während die Welt ungerührt weiterexistiert. Literatur öffnet uns manchmal für Momente die Augen für diese Wahrheit, vor der wir sie sonst zumeist schließen“. Das sagt Marcel Reich-Ranicki in Fokus Online vom 9.9.2015, geschrieben von Uwe Wittstock:

    Hat Houellebecq dies geschafft? Ist ihm diese Auseinandersetzung mit uns selbst gelungen? Die Schilderung einer schlimmen Krankheit, einer sehr seltenen Krankheit sogar, ist dann doch zu selten; so dass man sich zwar entsetzt, aber man identifiziert sich nicht. Man ist nicht angefasst, wie man heute so schön sagt.

    Je mehr sich der Autor vom Sog des Privaten einsaugen lässt und uns, die Leser, einzusaugen versucht, desto mehr entfernt er sich von seinem spannenden Ausgangskonzept. Cybermobbing und Cyberterrorismus. Es gerieten dubiose Sektierer in den Fokus der Ermittlungen. Und der Autor stellte mittels seiner Figuren manche Überlegungen an, die der Komik nicht entbehrten. Wiccaisten treten auf. Katholische Aktivisten. Leider bleibt aber dieser Strang lose in der Luft hängen. Gerade noch den Ausgang der Wahl bekommen die Leser am Rande noch so mitgeteilt. Und dass Bruno darauf spekuliert, selber Kandidat zu werden, war von Anfang an keine Überraschung. Der Erkrankte hat das Interesse an Politik verloren. Verständlich. Der Leser aber nicht.

    Im Privaten geht es weiter um Krankheit: Apoplexie. Wie geht die Familie damit um? Wie die Öffentlichkeit? Wie das Gesundheitssystem. Hier ist man ständig am Nicken. Liegt doch so vieles gesellschaftlich im Argen. Krankheit und Alter per se scheint ein Angriff auf die Jungen und Gesunden zu sein. Und ein Krankenhaus oder eine Pflegeeinrichtung sind Welten für sich. Abgeschlossene Welten. Es gibt nur Drinnen oder Draußen.

    Um sich dagegen Vereinnahmung auf Seiten des Gesundheitswesens (eigentlich Krankheitsverwaltung) einerseits und gegen die Abschiebung in die Unsichtbarkeit und damit in die Nichtexistenz zu behaupten, gibt es nur die Werkzeuge Vermögen und Hingabe. Nur die Wohlhabenden können sich die beste Behandlung sichern, dh. eine menschenwürdige, und nur die Menschen, die jemanden haben, der sie mit Hingabe betreut, haben noch ein lebenswertes Dasein. Und wer pflegt voller Hingabe und Leidenschaft und Opferbereitschaft? Frauen. Und wer wird im Gesundheitssystem ausgenutzt: ausländische Pflegekräfte. Weiblich.

    Houellebecqs Roman ist vielfältig und komplex. Und obwohl er mich zuletzt im Regen stehen lässt, wie seinerzeit Steinfests „Das grüne Rollo“, ist er auch genial.

    In den Traumbildern, die Houellebecq alle Naselang entlang des gesamten Romans präsentiert, treffen sich jeweils zwei Ebenen, eine Surreale und eine des Horrors. Mit Fug und Recht kann man sie als Verarbeitungsprozeß interpretieren, eine Reaktion des Unterbewusstseins auf die Todesbedrohung.

    Am meisten liebe ich die Beschreibungen der Landschaft, die der Sterbende noch einmal intensiv erlebt. Wunderbarst die Hommage an die Natur. Ich kann den Wald atmen. Der gesamte Wald wird von einem Wind gebeugt, stark und doch sanft. Die letzte Phase des Sterbeprozesses wird dadurch symbolisiert, ein Bild der Ruhe: die vollkommene Akzeptanz.

    FAZIT: Trotz einiger Abstriche und trotz des vermittelten Frauenbildes, bei dem man nie weiß, wie es gemeint ist, als bloßes Abbild des Realen (Frau trägt ja tatsächlich die Last der Pflege und des sozialen Leben und sie ist Sexdienstleisterin) oder als Wunschbild, es möge so bleiben, ist „Vernichten“ selbstverständlich große Literatur.

    Kategorie: Anspruchsvoll. Belletristik
    Verlag: DuMont Buchverlag, 2022
    Als ungekürztes Hörbuch gehört und hervorragend gesprochen von: Christian Berkel.

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Aus dem Schatten des Vergessens

Buchseite und Rezensionen zu 'Aus dem Schatten des Vergessens' von Martin Michaud
4.5
4.5 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Aus dem Schatten des Vergessens"

Montreal, heute: Am Tag vor Weihnachten wird Judith Harper, eine renommierte Psychologin, auf grausame Weise umgebracht. Zur gleichen Zeit verschwindet Nathan Lawson, ein angesehener Anwalt, nachdem er in Panik Dokumente auf einem Friedhof vergraben hat. Wenig später stürzt sich ein Obdachloser von einem Wolkenkratzer. Im Mantel des Obdachlosen: die Brieftaschen von Harper und Lawson. Als Sergent-Détective Victor Lessard, der selbst ein Getriebener ist, gemeinsam mit seiner Partnerin Jacinthe Taillon die Ermittlungen aufnimmt, wird den beiden eine verstörende Aufnahme zugespielt, auf der die Stimme von Lee Harvey Oswald zu hören ist, dem Mann, der einst J. F. Kennedy erschoss und der jetzt aus dem Grab zu ihnen spricht. Lessard und Taillon stehen vor einem Fall, der sie in die dunkelsten Abgründe sowohl der menschlichen Seele als auch der amerikanischen Geschichte führt.

Format:Taschenbuch
Seiten:640
EAN:9783455011678
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Rezensionen zu "Aus dem Schatten des Vergessens"

  1. “I didn’t shoot anybody, no sir!”

    Montreal, Kanada: Nur wenige Tage vor Weihnachten begeht ein obdachloser Mann Selbstmord, eine renommierte Professorin und Psychiaterin wird ermordet aufgefunden und ein Anwalt verschwindet. Bemerkenswert ist, dass bei dem Selbstmörder die Brieftaschen der beiden anderen gefunden wurden. Dessen letzte Worte:

    „Ich hätte auch gern Erinnerungen.“

    Je me souviens - Ich erinnere mich ist der Originaltitel des Kriminalromans Aus dem Schatten des Vergessens frankokanadischen Schriftstellers Martin Michaud.

    Was ich hier gelesen habe, hat mich von den ersten Seiten an angefixt. Dieser Kriminalroman hat unglaublich viele Facetten, ist sprachlich und vom Aufbau sehr komplex. Michaud verschlingt die gegenwärtige Handlung mit Rückblicken auf unterschiedlichen Zeitebenen. Sein Protagonist, der Sergent-Detective Victor Lessard, trägt diverse Geschichten aus seiner Vergangenheit mit sich herum. Seine Partnerin Jacinthe ist eine Urgewalt von Polizistin, laut, ungehobelt und kongeniale Ergänzung zu Lessard.
    Michaud führt einen sehr weiten Bogen von den aktuellen Ermittlungen über die Unabhängigkeitsbestrebungen der kanadischen Provinz Québec in den 1980er Jahren bis zur Ermordung des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy im Jahr 1963.

    “I didn’t shoot anybody, no sir!”

    Wie die Worte Lee Harvey Oswalds im Zusammenhang mit dem brutalen Mord an der Psychiaterin und dem zunächst vermissten und später auch getöteten Anwalt stehen, befeuert die Verschwörungstheorien rund um das Attentat auf Kennedy. In seinem Nachwort zu diesem Kriminalroman schreibt Michaud über die dichterische Freiheit sich über historische und politische Realität hinwegzusetzen und die Aufgabe sich vorzustellen, was alles möglich sein könnte.
    Das macht Michaud großartig, nachvollziehbar und plausibel. Das Buch entwickelt einen Sog, dem ich mich einfach nicht entziehen konnte.

    (Dieser Roman, den Michaud schon im Jahr 2012 geschrieben hat, wird in deutscher Übersetzung als Band 1 der Serie Lessard angeboten. Das stimmt nur bedingt, weil es im französischen Original und mittlerweile auch englischer Übersetzung die beiden 2010 und 2011 erschienen Vorgänger gibt. Wer also die Vorgeschichte zu Victor Lessard lesen will muss wohl auf die Ausgaben in nichtdeutscher Sprache zurückgreifen.)

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  1. 4
    05. Jun 2021 

    Crime Montreal

    Sergent-Detective Victor Lessard und seine Partnerin Jacinthe Taillon übernehmen. Eine bekannte Psychologin wurde tot aufgefunden, wobei zunächst unerklärlich ist, wie sie genau umgekommen ist. Der angesehene Anwalt Nathan Lawson wird beinahe zur selben Zeit vermisst. Und damit nicht genug, ein Obdachloser stürzt sich von einem Hochhaus. Hinweise deuten darauf hin, dass er der Täter sein könnte. Doch irgendwie passt nichts richtig zusammen und Lessard beginnt tiefer zu graben. Besonders die wenigen Halbseligkeiten des Wohnungslosen geben Rätsel auf. Der Mann war psychisch schwer krank und trotzdem deutet einiges darauf hin, dass er in jungen Jahren bei geheimen Operationen mitgemischt haben könnte.

    Im ersten Band um Victor Lessard, der manchmal auf sein Bauchgefühl achtet, und Jacinthe Taillon, die durch ihre freche und polterige Art auffällt. Beide sind ein eingespieltes Team, was man auf den ersten Blick nicht annehmen möchte. Doch sie ergänzen sich bestens. In diesem rätselhaften Fall kommen sie erstmal nicht richtig voran. Irgendwie landen sie meist in Sackgassen und sei es nur deshalb, weil sie die zu Vernehmenden mitunter nur tot auffinden oder diese ganz und gar verschwunden sind. So konzentrieren sie sich zunächst auf den Selbstmörder, dessen Vergangenheit mehr Geheimnisse birgt als man annehmen konnte.

    Zu Beginn ist dieser Kriminalroman tatsächlich etwas schwierig. Man bekommt den Eindruck, alles geht ein wenig durcheinander und es tauchen mehr Spuren auf als man erfassen kann. Hier mag möglicherweise ein Printexemplar durchaus einen Vorteil gegenüber einem ebook haben, da man dort schnell nochmal blättern kann. Kurz bevor die Frage aufkommt, ob man weiterlesen möchte, beginnen die Hinweise sich zusammenzufügen und es wird richtig spannend. Die Ermittler kommen einem Skandal auf die Spur, der sich gewaschen hat. Und als Leser will man irgendwann einfach nur noch hinter das letzte Geheimnis kommen. Auch das Ermittlerteam ist nach einer Gewöhnungsphase gewinnend gezeichnet, ohne zu kaputt zu wirken mit authentischer Tiefe.

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Die wärmste aller Farben

Buchseite und Rezensionen zu 'Die wärmste aller Farben' von Grégoire Delacourt
5
5 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die wärmste aller Farben"

Während die Gelbwesten-Proteste Frankreich in Atem halten, lebt der dreizehnjährige Geoffroy in einer imaginären Welt, die er nach Zahlen und Farben ordnet. Das sensible Wesen des besonderen Kindes überfordert seine Familie: Vater Pierre ist unfähig, mit ihm zu kommunizieren, und gefangen im eigenen Zorn; Mutter Louise versucht ihn zu beschützen und hofft vergeblich auf etwas Zärtlichkeit. Und seine Freundin Djamila, die sich von den Vorschriften der muslimischen Tradition unter Druck gesetzt fühlt, ist fasziniert von der unschuldigen Wahrnehmung des Jungen, die neue Perspektiven und Freiheiten eröffnet. Inmitten des gesellschaftlichen Aufruhrs prallen Wut, Träume und Verlangen aufeinander. Gibt es einen Ausweg aus all dem Chaos?

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:256
Verlag: Atlantik
EAN:9783455011715
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Rezensionen zu "Die wärmste aller Farben"

  1. Harte Zeiten

    Klappentext:

    „Während die Gelbwesten-Proteste Frankreich in Atem halten, lebt der dreizehnjährige Geoffroy in einer imaginären Welt, die er nach Zahlen und Farben ordnet. Das sensible Wesen des besonderen Kindes überfordert seine Familie: Vater Pierre ist unfähig, mit ihm zu kommunizieren, und gefangen im eigenen Zorn; Mutter Louise versucht ihn zu beschützen und hofft vergeblich auf etwas Zärtlichkeit. Und seine Freundin Djamila, die sich von den Vorschriften der muslimischen Tradition unter Druck gesetzt fühlt, ist fasziniert von der unschuldigen Wahrnehmung des Jungen, die neue Perspektiven und Freiheiten eröffnet. Inmitten des gesellschaftlichen Aufruhrs prallen Wut, Träume und Verlangen aufeinander. Gibt es einen Ausweg aus all dem Chaos?“

    Wow! Das war ein Buch, welches mich tief gefesselt hat. Neben Protagonist Geoffroy erleben wir weitere Charaktere und dieses Geflecht baut sich wunderbar zart und stimmig auf, aber erstmal zu Geoffroy: Er ist besonders, er ist anders, er lebt in seiner Welt und schlussendlich beneidet man den Jungen um dieses „Glück“ ein bisschen, denn die Zeit, in der er real lebt, ist hart, böse und schädigt sogar das Land in dem sie leben. Die Gelbwesten wüten durch Frankreich und man fragt sich, genau wie die Protagonisten im Buch: Was soll werden? Wo kommt diese rechte Wut her und was treibt diese Fratzen an? Solche aktuellen Themen in einem Buch und in einer Geschichten zu verweben ist nicht einfach umzusetzen aber hier wurde es großartig eingebettet und gibt gerade Geoffroy einen gewissen Schutzschirm vor seiner Welt, denn nur seine Welt ist die, die zählt. Aber nicht nur das wütete durch die Buchseiten! Auch der Familienkonflikt ist derbe und hart. Die eine will ihr Kind schützen, der andere kommt erst gar nicht an ihn heran und dann ist da auch noch Djamila mit ihrer Religion und ihren eigenen Problemen.

    Ja diese Geschichte hat wahrlich viel Chaos und Konflikte inne aber genau die muss man erlesen, verstehen und sich selbst eine Meinung darauf bilden. Jeder Leser wird hier andere Gesichtspunkte haben und anders an die Themen heran gehen. Autor Grégoire Delacourt nimmt hier eine ganze Hand voll Themen auf und mischt sie durcheinander und dennoch lassen sie sich nicht komplett vermixen. Aber sie gehören auf gewisse Weise zusammen. Diese Geschichte ist eine gewisse Reflexion der aktuellen Zeit, Gesellschaftskritik aber auch Themen wie Liebe werden gekonnt erzählt.

    Ein besonderes Buch mit besonderem Inhalt und genau deshalb gibt es 5 von 5 Sterne!

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  1. Facettenreich, eindringlich, poetisch

    „Er lebt in einer Welt, in der wir beide, du und ich, unseren Platz haben. Einer Welt der Bäume und des Winds, der klugen Worte, einer Welt, in der Wut, Gewalt, das Böse nicht existieren.“ (Zitat Pos. 897)

    Inhalt
    Geoffrey Delatte lebt in seiner eigenen Welt, in die er sich zurückzieht, weil ihm der Lärm und die Einflüsse um ihn herum zu viel werden. Seine Mutter Louise liebt ihn, versucht ihn zu verstehen, seine eigene, präzise Ordnung, sein Weltbild aus Zahlen und aus Farben, seine Liebe zur Natur. Sein Vater Pierre war, als die Welt noch in Ordnung war, Maschinenführer in einer Papierfabrik, dann wurde er arbeitslos, bekam eine Teilstelle als Nachtwächter. Als die Gelbwestenproteste beginnen, ist Pierre Delatte dabei. Sein stiller Sohn Geoffrey ist in der Schule ein gemobbter Außenseiter, bis sich eines Tages in der Pause die zwei Jahre ältere Djamila neben ihn setzt und Geoffreys Leben sich für immer verändert. Ihre Freizeit verbringen sie im Wald des alten Einzelgängers Hagop Haytayan, wo Geoffrey Djamila die Natur erklärt, ein stiller, magischer Ort, doch kann er die drei Außenseiter vor der Realität dieser Tage schützen?

    Thema und Genre
    Dieser Roman ist vielseitig, es ist ein Familienroman, Gesellschaftsroman, Coming-of-Age-Roman. Themen sind Ausgrenzung, ASS, Migration, Radikalisierung, Sozialkritik aber auch Freundschaft, die stille Schönheit der Natur und die Liebe.

    Charaktere
    Geoffrey ist dreizehn Jahre alt und lebt seit seiner Geburt in seiner eigenen, genau geordneten Welt. Man müsste nur zuhören, um ihn zu verstehen, und die zwei Jahre ältere Djamila und der alte Hagop Haytayan hören ihm zu. Der Autor zeichnet seine Figuren mit Empathie, auch die zornigen Gelbwesten, erklärt ihre Hintergründe, zeigt ihnen aber auch neue Möglichkeiten, lässt ihnen eine Wahl in ihren Entscheidungen.

    Handlung und Schreibstil
    Diese Geschichte ist ein Zeitbild von Frankreich und Paris während der intensiven Phase der zornigen Gelbwesten-Proteste. „Siebzehn Jahre später streifte sich die Verzweiflung neongelbe Warnwesten über. Jetzt bemerkte man sie schon von Weitem.“ (Zitat Pos. 149) Einfühlsam schildert der Autor die Hintergründe, seine Figuren stehen für Schicksale, die keine Einzelschicksale sind. Er erzählt das Leben seiner Hauptprotagonisten chronologisch, parallel, denn die Ereignisse finden gleichzeitig statt. In dieser Welt der Radikalisierung in alle Richtungen und Aufstände finden wir eine zweite, kleine Welt, leise und poetisch durch die Liebe zur Natur und das tiefe Verständnis zwischen drei Menschen, alle eine Form von Außenseitern. Der Autor ist ein wunderbarer Erzähler, dessen Sprache beeindruckt. Jedes Kapitel trägt als Überschrift eine bestimmte Farbe, die auch den Inhalt widerspiegelt.

    Fazit
    Eine facettenreiche, gesellschaftskritische, aktuelle Geschichte, einfühlsam, eindringlich und poetisch erzählt.

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Die Anomalie

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Anomalie' von Hervé Le Tellier
4.65
4.7 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die Anomalie"

Der spektakuläre Bestseller aus Frankreich: eine brillante Mischung aus Thriller, Komödie und großer Literatur. Im März 2021 fliegt eine Boeing 787 auf dem Weg von Paris nach New York durch einen elektromagnetischen Wirbelsturm. Die Turbulenzen sind heftig, doch die Landung glückt. Allerdings: Im Juni landet dieselbe Boeing mit denselben Passagieren ein zweites Mal. Im Flieger sitzen der Architekt André und seine Geliebte Lucie, der Auftragskiller Blake, der nigerianische Afro-Pop-Sänger Slimboy, der französische Schriftsteller Victor Miesel, eine amerikanische Schauspielerin. Sie alle führen auf unterschiedliche Weise ein Doppelleben. Und nun gibt es sie tatsächlich doppelt - sie sind mit sich selbst konfrontiert, in der Anomalie einer verrückt gewordenen Welt. Hochkomisch und teuflisch intelligent spielt der Roman mit unseren Gewissheiten und fragt nach den Grenzen von Sprache, Literatur und Leben. Facettenreich, weltumfassend, ein literarisches Ereignis.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:352
Verlag:
EAN:9783498002589
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Rezensionen zu "Die Anomalie"

  1. 4
    01. Mai 2022 

    Doppelbürger

    Im März gibt es auf einem Air France Flug von Paris nach New York heftige Turbulenzen als das Flugzeug durch eine massive Schlechtwetterzone fliegen muss. Doch die Landung glückt und alle sind froh, dass alles gut gegangen ist. Doch drei Monate später landet die selbe Maschine mit den selben Passagieren und Besatzungsmitgliedern noch einmal. Die amerikanische Bürokratie hat eine Antwort auf alles und so gibt es auch für eine unmögliche Situation einen Fahrplan. Das Flugzeug wird auf einen Militärflughafen umgeleitet und eine große Zahl von Wissenschaftlern, Beamten und Militärs wird zusammengerufen, um nach den besten Lösungen zu suchen.

    Auf solch eine Idee muss man erstmal kommen. Es klingt wie Science Fiction, ein sich selbst verdoppelndes Flugzeug. Wie reagieren die Mensch im Flugzeug, die Offiziellen und die, welche drei Monate weitergelebt haben und die nun plötzlich zweimal da sind. Elf Personen von über zweihundert Doppelbürgern - wie unterschiedlich sind ihre Reaktionen? Und was geschieht, wenn die Sache von der Öffentlichkeit entdeckt wird? Kann das Unmögliche, wenn es einmal vorgekommen ist, etwa häufiger vorkommen? Zunächst jedoch sorgen sich, die Flugzeuginsassen, weshalb sie festgehalten werden, warum ihnen eigenartig sinnlose oder sinnvolle Fragen gestellt werden. Eine Anomalie, die viele Fragen aufwirft.

    Auf das Gedankenspiel, das der Autor präsentiert, ist schon ungewöhnlich. Noch nicht einmal Zwillinge sind doppelt, auch wenn sie wohl das höchste Maß an Ähnlichkeit haben. Was also, wenn Menschen wirklich doppelt sind, sie tatsächlich ein Leben haben, dass plötzlich nicht mehr eins ist, sich nach diesem außergewöhnlichen Ereignis auseinander entwickelt? Humorvoll, ironisch, ernst, mitunter zynisch und manchmal auch philosophisch geht der Autor diese Fragen an. Man folgt ihm gerne in diesem von Camil Jammal berührend vorgetragenen Hörbuch. Ob man jede Entwicklung so gewählt hätte? Vielleicht nicht, doch dieses Experiment, die Gedanken anzuregen, ist unbedingt gelungen. Ist das Interesse nach dem Lesen des Klappentextes geweckt, kann es in jedem Fall angebracht sein, dem Impuls zu folgen.

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  1. Philosophisch

    Der französische Schriftsteller Hervé Le Tellier ist bisher in Deutschland noch nicht allzu sehr bekannt. Mit seinem letzten Buch L'anomalie gewann er den renommierten französischen Prix Goncourt und stand mehrere Wochen auf den Bestsellerlisten. Es ist die Geschichte eines Flugzeugs, das auf seinem Weg von Paris nach New York in eine nie dagewesene Gewitterfront gerät. Nach heftigen Turbulenzen gelingt es den Piloten das Flugzeug zu stabilisieren und sicher zu landen. Drei Monate später erscheint genau das gleiche Flugzeug mit allen Passagieren und Besatzungsmitgliedern allerdings wieder am Himmel. Wo kommt es her? Wie kam es zu dieser Anomalie?

    Das Buch beginnt mit vielen kleinen Geschichten einzelner Personen, im ersten Moment hat man das Gefühl einen Kurzgeschichtenband in den Händen zu haben. Die Personen haben allerdings die Gemeinsamkeit, dass sie in dem Flugzeug saßen, das zuerst gelandet ist. Das Leben geht weiter, es gibt mehr oder weniger schwerwiegende Veränderungen im Leben der Protagonisten. Nun treffen sie auf ihre Doppelgänger, die diese Veränderungen noch nicht erlebt haben, was zu einigen sehr interessanten Ergebnissen führt.

    Ich finde die Idee zu diesem Buch einfach nur genial. Was passiert, wenn es Dich auf einmal doppelt gibt. Eine Person, die verständlicherweise den gleichen Anspruch auf Dein Leben erhebt, wie Du selbst. Leben wir wirklich nur in einer riesengroßen Simulation und wenn ja, wer hat sie erschaffen? Und wie reagiert der Rest der Welt auf dieses Phänomen? Viele Fragen, die zu philosophischen Überlegungen anregen. Der humorvolle, leicht ironische Schreibstil passt so wunderbar zum Thema, dass sich das Buch trotz einiger wissenschaftlicher Ausführungen herrlich leicht lesen lässt. Da sich das Buch nur auf einige der Passagiere konzentriert, kann man die Vielfältigkeit der Reaktionen sehr gut nachempfinden. Am Ende kommt es sogar noch zu einigen überraschenden Wendungen, so dass ich das Buch eindeutig zu meinen Lesehighlights zählen kann.

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  1. Geniales Gedankenspiel

    „Alle Realität ist eine Konstruktion….

    Im Juni 2021 landet eine Boenig 787 von Paris nach New York im angesteuerten Flughafen. Eigentlich wäre das nichts Besonderes, wenn nicht genau diese Maschine schon drei Monate zuvor mit genau denselben Passagieren an Bord in New York gelandet wäre. Plötzlich hat jeder der Reisenden einen Doppelgänger.
    Exemplarisch erfahren wir mehr über eine Handvoll der Passagiere, darunter ein Auftragskiller, ein Architekt und seine Geliebte, ein afrikanischer Popstar, ein Literat, der Pilot der Maschine.

    ….und mehr noch eine Rekonstruktion.“

    Der französische Schriftsteller Hervé Le Tellier konnte mich mit seinem Roman Die Anomalie absolut begeistern. Der Vorleser des Hörbuches Camil Jammal verleiht allen Beteiligten eine charakteristische Stimme.
    Es war ein Buch voller Widersprüche: absurd und intelligent, vollkommen verrückt und ernsthaft. Die naturwissenschaftliche, philosophische und theologische Diskussion war nachvollziehbar mit viel Spielraum für Interpretation. (Zum Glück war der amerikanische Präsident, was Physik betrifft, genauso dumm wie ich und sogar ich konnte mit den Erklärungen für die dümmste anzunehmende Leserin und den Vergleichen zu Entenhausen etwas anfangen.)

    Die absurd geniale Vorstellung, dass es uns plötzlich doppelt geben kann, löst ganz große Fragen aus: Ist uns alles vorbestimmt? Wie weit geht unsere freie Entscheidung? Wie gehen wir mit zweiten Chancen um? Was können wir loslassen, was wollen wir behalten? Wer wollen wir sein?
    Ein verrückt intelligentes, amüsant ernsthaftes Gedankenspiel mit einem beunruhigenden Ende.

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Die Stadt ohne Wind: Arkas Reise

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Stadt ohne Wind: Arkas Reise' von Éléonore Devillepoix
5
5 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die Stadt ohne Wind: Arkas Reise"

Mit ihrem treuen Pferd ist Arka auf dem gefährlichen Weg in das sagenumwobene Hyperborea. Die dreizehnjährige Kriegerin sucht dort ihren Vater, den sie noch nie gesehen hat. Die Stadt ist ein geheimnisvoller Ort, sie liegt im rauen Gebirge und wird von einer magischen Kuppel geschützt, die nicht nur Feinde abwehrt, sondern auch die kalten Winde der schneebedeckten Gipfel. Und außerdem die letzte Stadt der Welt, in der Magie noch erlaubt ist. Einer der mächtigen Magier soll Arkas Vater sein. Doch das abgeschottete Leben der großen Magier in den hohen Türmen macht es Arka fast unmöglich, ihn zu finden. Einen überraschenden Verbündeten findet sie in dem Magier Lastyanax. Der talentierte und ehrgeizige junge Mann hat es aus der Armut zum Minister geschafft. Und auch er verfolgt eine Mission: Er sucht einen Mörder, der in der Stadt sein Unwesen treibt und sogar seinen früheren Mentor getötet hat. Doch wie sollen sie einen Täter finden, der keine Spuren hinterlässt, außer einem eisigen Windhauch? Und welches Rätsel steckt hinter Arkas Herkunft?

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:500
Verlag:
EAN:9783458179603
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Rezensionen zu "Die Stadt ohne Wind: Arkas Reise"

  1. starke Fantasy

    Arka ist auf dem Weg nach Hyperborea, der Stadt ohne Wind. Dort will sie ihren Vater ausfindig machen. Der soll dort ein Magier sein. So trifft es sich gut, dass sie als Schülerin beim Magier Lastyanax unterkommt. Dieser ist gerade zum jüngsten Minister aufgestiegen und versucht mehr über den plötzlichen Tod seines früheren Mentors herauszufinden. Bald stellt sich heraus, dass es hier Zusammenhänge gibt und von der Klärung die Zukunft Hyperboreas abhängt.

    Éléonore Devillepoix gelingt es in ihrem Debut eine Welt aufzubauen, die unglaublich komplex ist. Hyperborea ist ein Land, in dem die Gesellschaft in Schichten aufgeteilt ist. Wer ganz unten wohnt ist auch gesellschaftlich nicht angesehen. In diese Gesellschaft kommt Arka, die die Regeln nicht kennt, aber es schnell schafft sich anzupassen. Und bald ist sie als Schülerin in der obersten Ebene angekommen. Ihr Mentor Lastyanax ist zwar Minister, aber auch er kommt nicht aus der obersten Ebene. Das macht ihn dann doch zu einem Außenseiter, vor allem da er seine Ausbildung gerade erst abgeschlossen hat. Die beiden geraten in Intrigen und erkennen bald, dass manches nicht so läuft wie es soll und dass hier wohl Mächte im Spiel sind, die nicht nur Hyperboreas Glück im Sinn haben.

    Ich fand das Buch ausgesprochen schön zu lesen. Arkas Humor und Frechheit haben mich manches Mal zum Schmunzeln gebracht. Man merkt ihr an, dass sie erst 13 Jahre alt ist und schon viel erlebt hat. Mit Lastyanax habe ich etwas länger gebraucht, bis ich warm wurde, er wirkt für sein Alter doch recht abgeklärt. Was mich überzeugt hat war, dass Arka und Lastyanax wie Geschwister miteinander umgehen. Es muss ja nicht immer eine Liebesgeschichte geben. Der Schreibstil hat mich auch überzeugt, ich hatte die Stadt vor Augen und was mir sehr gut gefallen hat, waren die Schildkröten, mit denen man sich dort fortbewegt.

    Ich bin auf jeden Fall schon auf den nächsten Band der Reihe gespannt. Dieser Auftaktband der Reihe hat mich auf jeden Fall überzeugt!

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  1. 5
    26. Aug 2021 

    Wunderbar anders

    Schon auf dem Weg nach Hyperborea ist es für die dreizehnjährige Arka nicht ungefährlich, aber nach Ankunft in der Stadt der Magier geht es mit den Abenteuern erst richtig los. Dabei ist sie eigentlich nur auf der Suche nach ihrem Vater und schlittert scheinbar zufällig in eine schwierige Situation nach der anderen.
    Es ist eine besondere Geschichte, die hier erzählt wird, wie ich finde: Das sehr politische System der Magie und der Magier, aber auch die völlig unkonventionelle Arka selbst entspricht so gar nicht dem Standard, der einem regelmäßig in deutschen bzw. englischen Fantasy-Büchern begegnet – und das hat beim Lesen richtig viel Spaß gemacht. Der Autorin ist es gelungen, mir die fantastische Stadt Hyperborea bildlich vor Augen erscheinen zu lassen, obwohl sie wirklich außergewöhnlich ist und diverse physikalische Gesetze außer Kraft setzt. Außerdem ist es praktisch unmöglich den Fortgang der Geschichte auch nur zu erahnen.
    Arka wirkt in ihrem Handeln wesentlich älter und auch die politischen und gesellschaftlichen Strukturen im Buch sind recht komplex, so dass es für das Genre eher anspruchsvoll ist. Das empfand ich aber als sehr angenehm und hindert einen auch nicht daran, das Buch in kürzester Zeit wegzulesen.
    Ich bin komplett begeistert von Arkas Geschichte und freue mich schon jetzt auf ihre Fortsetzung, daher spreche ich eine absolute Leseempfehlung aus.

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