Kill: Thriller

Buchseite und Rezensionen zu 'Kill: Thriller' von Shane Stevens
5
5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Kill: Thriller"

Diskussionen zu "Kill: Thriller"

Format:Taschenbuch
Seiten:496
Verlag: Heyne Verlag
EAN:9783453439115
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Rezensionen zu "Kill: Thriller"

  1. Mutti ist die Beste!

    Mutti ist die Beste!!!!

    Mitunter gibt es Romane, deren Kladdentexte reisserischer und blutrünstiger sind, als das was sich im Buchblock zwischen dem Einband verbirgt.

    Zynisch gesagt haben wir es hier mit einem Entwicklungsroman zu tun. Ein junger Man kommt aus sozial schwierigen Verhältnissen, in denen Gewalt zu seinen frühen Alltagserfahrungen gehört.

    Die Beziehung der Eltern ist durch Alkohol überzeichent und der Protagonist hat so nicht die Möglchkeit positiv besetzte soziale Strukturen, Rückhalt, Wäre und ein zuverlässiges Netzwerk zu erfahren.

    Die Vaterschaft ist ungeklärt, so dass sich hieraus weitere Handlungsstränge im Buh ergeben.

    Mit einer der Gründe für die permanenten Grenzüberschreitungen ist die schwierige Vater-Sohn-Beziehung. Der Vater ist nicht der leibliche Vater. Dieser erfährt dies zu einem ungeeigneten Zeitpunkt und wird gegenüber der Mutter gewalttätig. Er wird im Zuge eines Raubüberfalls von den eigenen Komplizen erschossen.

    Die Mutter reagiert auf diese Situation mit einer allgemeinen Vermeidungsstrategie. Dies äussert sich in einigen Umzügen. Die negativen Erfahrungen der Muter werden auf den eigenen Sohn projeziert, so dass dieser früh Gewalterfahrungen macht.

    Final reagiert der Sohn auf diese Situation, indem er seine Mutter erwürgt, den Leichnam in einen Ofen verbringt. Als er aufgefunden wird, nagt er gerade an den Überresten seiner eigenen Mutter.

    Dies ist die Ausgangssituation des Romans. Durch die gezielte Nutzung von vermeintlichen Grenzüberschreitungen gelingt es dem Autor seine Leser in den Bann zu ziehen.

    Hierdurch enstehen mitunter Längen.

    Abschliessend lässt sich der Roamn s beschreiben, dass es sich hier um ein solides Stück "Noir"-Literatur handelt, in dem ein Täter gejagt wird und und immer wieder Rückblenden als Mittel genutzt werden um das vielfältige Beziehungsgeflecht zwischen einem aufstrebendem konserativen Politiker, einem zurückgezogenem Schwerkriminellem und einem Reporter und dessen Redaktion im Widerstreit mit der Polizei zu erläutern.

    Der Leser kann sich also auf ein klassisches Stück "Blutgrätsche" freuen, sollte hier auch nichts anderes erwarten und wird somit auch nicht enttäuscht werden.

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Ein Stück meines Herzens: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Ein Stück meines Herzens: Roman' von Richard Ford

Inhaltsangabe zu "Ein Stück meines Herzens: Roman"

Diskussionen zu "Kill: Thriller"

Autor:
Format:Taschenbuch
Seiten:448
EAN:9783423144865
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Propaganda: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Propaganda: Roman' von Steffen Kopetzky

Inhaltsangabe zu "Propaganda: Roman"

Diskussionen zu "Kill: Thriller"

Format:Taschenbuch
Seiten:496
EAN:9783499276477
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Das Band, das uns hält (Ein Holt Roman)

Buchseite und Rezensionen zu 'Das Band, das uns hält (Ein Holt Roman)' von Kent Haruf
4.75
4.8 von 5 (13 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Das Band, das uns hält (Ein Holt Roman)"

Die achtzigjährige Edith Goodnough wurde verhaftet. Ihr Nachbar weiß um Ediths Lebenstragödien und die kleinen Lichtblicke, die vielleicht unweigerlich zu diesem Januar 1977 führten: die entbehrungsreiche Kindheit, der Tod der Mutter, der durch einen Unfall abhängige, stets wütende Vater. Wahrhaftig und einfühlsam entführt Kent Haruf abermals in ein Leben, in dem es an dem meisten fehlt, in dem es Herz und Beharrlichkeit braucht, um die Geschenke darin zu entdecken.

Diskussionen zu "Kill: Thriller"

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:336
Verlag: Diogenes
EAN:9783257072297
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Rezensionen zu "Das Band, das uns hält (Ein Holt Roman)"

  1. Die erste Geschichte aus Holt

    !ein Lesehighlight 2023!

    Klappentext:

    „Die achtzigjährige Edith Goodnough wurde verhaftet. Ihr Nachbar weiß um Ediths Lebenstragödien und die kleinen Lichtblicke, die vielleicht unweigerlich zu diesem Januar 1977 führten: die entbehrungsreiche Kindheit, der Tod der Mutter, der durch einen Unfall abhängige, stets wütende Vater. Wahrhaftig und einfühlsam entführt Kent Haruf abermals in ein Leben, in dem es an dem meisten fehlt, in dem es Herz und Beharrlichkeit braucht, um die Geschenke darin zu entdecken.“

    Harufs Dauer-Leser bewegen sich hier wieder im fiktiven Örtchen Holt. Es ist Harufs erstes Werk und somit der Beginn der Holt-Reihe. Vorweg sei gesagt, alle Bände lassen sich sehr gut unabhängig von einander lesen aber Vorsicht sei geboten: Wenn man einmal sich an Holt festgelesen hat, kommt man nie wieder davon los!

    Als Haruf-Fan war es ein großer Genuss seinen Erstling zu erlesen. Ja, sein Schreibstil sein Ausdruck und auch seine Führung der Figuren war hier und da etwas steif und noch nicht so ausgefeilt wie in den Nachfolgern aber das tut der Story und ihrem Verlauf überhaupt keinen Abbruch. Ich muss auch klar sagen, diese noch recht staksige Sprache passte hervorragend zu den Figuren. Hauptprotagonistin Edith soll also in ihrem hohen Alter noch der Prozess gemacht werden. Aber warum? Erlesen Sie es! Edith ist aber nicht die einzige Person in diesem Buch. Uns werden noch Edith‘ Vater und ihr Bruder vorgestellt. Ja, es sind alles verkappte Seelen und ja, es ist nunmal das Band was sie zusammen hält. Man könnte nach allem Bösen und Guten in diesem Buch meinen, Blut ist dicker als Wasser. Vielleicht ist es das auch?! Haruf zeichnet trotz seines kantigen Schreibstils feine und sehr ausdrucksstarke Figuren mit Herz (auch egal wie sehr man sie hasst) und Verstand. Sein Humor ist teils unheimlich schwarz und bissig aber schlussendlich passt es perfekt! Wie soll man denn sonst diesen Wahnsinn durchstehen in Holt? Er nutzt mal harte mal feine Worte, er formt stets einen stimmigen Spannungs- und Erzählbogen, dass einem der Ort mit seinen Bewohnern tief ans Herz wächst. Man merkt schnell, die Bewohner dieses kleinen Städtchens haben alle ihren Rucksack im Leben zu tragen. Haruf „klingelt hier an die Haustür der Familie Goodnough, er öffnet diese Tür und wir lernen ihre Geschichte kennen. Wie herrlich es ist, dass wir noch mehr Bewohner Holts kennenlernen oder diese bereits kennen und so irgendwie auch zu einem Teil von ihnen werden! Ein wenig „Holt“ steckt irgendwie in uns allen…5 Sterne für dieses Werk!

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  1. Ein Frauenleben voller Pflichterfüllung

    „Das Band, das uns hält“ sind in Ediths Fall die Männer ihrer Familie und mit Abstrichen das Land, das Haus der Familie. Kent Harufs Roman, der sich wie gewohnt mit dem Leben der Kleinstadt Holt in Colorado befasst, rückt dieses Mal ein ausgesprochen hartes Frauenleben in den Mittelpunkt. Edith versagt sich Liebe und Glück, um ihre Zeit in der kleinen Welt ihres Elternhauses verbringen, im täglichen Dienst der Pflichterfüllung an ihren männlichen Familienmitgliedern, dem Vater und dem Bruder, die beide aus unterschiedlichen Gründen und mit anderen Mitteln Ediths Aktionsradius extrem beschränken.

    Auf den ersten Blick scheint Haruf ein Frauenleben zu entwerfen, dass es heute so hoffentlich nicht mehr gibt, aber der Mangel an Wertschätzung und Achtung, mit der Ediths männliche Familienmitglieder ihr begegnen und die Selbstverständlichkeit mit der ihre Arbeit in Anspruch genommen wird, macht fassungslos und regt durchaus zum Nachdenken über Männer- und Frauenrollen an.

    Haruf gelingt es durch seinen Erzähler Sanders, Edith einen Hauch von Liebe und Fürsorge zukommen zu lassen: der Roman an sich ist eine Hommage an Frauen wie Edith, die selbstvergessen im begrenzten Familienumfeld ihre Pflicht tun. Dies gelingt Haruf sprachlich rau und schnörkellos, auch wenn man ihm den Vorwurf machen muss, das dramatische Ereignisse erzähltechnisch ihre Schatten vorauswerfen, weil die jeweils darauf hinleitenden Situation akribisch, ausufernd und äußerst detailliert geschildert werden – der Spannungsaufbau wird hier doch überstrapaziert. Dazu ist die ein oder andere Schilderung nichts für sensible Gemüter.

    Die Figuren sind – besonders Edith, die man nur sehr gefiltert durch Sanders Wahrnehmung kennenlernt – sehr glaubhaft und in ihrer Alltäglichkeit authentisch. Haruf braucht zur Charakterisierung nicht viele Wörter.

    Insgesamt ein lesenswertes Buch, dass in seiner Handlungskonzeption gerade zum Ende hin etwas über das Ziel hinausschießt, aber ein durchaus lohnenswerter Ausflug nach Holt.

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  1. 4
    09. Jul 2023 

    Verschwendete Leben...

    Die achtzigjährige Edith Goodnough wurde verhaftet. Ihr Nachbar weiß um Ediths Lebenstragödien und die kleinen Lichtblicke, die vielleicht unweigerlich zu diesem Januar 1977 führten: die entbehrungsreiche Kindheit, der Tod der Mutter, der durch einen Unfall abhängige, stets wütende Vater. Wahrhaftig und einfühlsam entführt Kent Haruf abermals in ein Leben, in dem es an dem meisten fehlt, in dem es Herz und Beharrlichkeit braucht, um die Geschenke darin zu entdecken. (Verlagsbeschreibung)

    Die achtzigjährige Edith wurde verhaftet, das erfährt man direkt schon zu Beginn der hier erzählten Familiengeschichte, was natürlich gleich schon neugierig darauf macht, was da wohl geschehen sein mag. Darauf folgt zunächst eine langgezogene Rückblende auf die Eltern von Edith und ihrem nun verstorbenen Bruder. Der Vater als gnadenloser Despot, der nicht nur hart sich selbst gegenüber ist. Die Mutter, von zarterem Gemüt, erholt sich von dem Schock der Umsiedlung nach Colorado und dem "Ausgeliefertsein" an das trostlose Land und ihren gefühllosen Mann zeitlebens nicht mehr. Einziger Lichtblick für die Mutter ist die halbindigene Nachbarin, die sie bei einschneidenden Ereignissen wie der Geburt ihrer Kinder oder auch im Sterbeprozess begleitet.

    Nach dem Tod der Mutter ist es eben diese Nachbarschaft, die v.a. auch für Edith einen Halt bedeutet. Dabei erweist sich vor allem der Nachbarssohn Sanders Roscoe als treuer Freund. Er ist es auch, der die Lebensgeschichte von Edith als Ich-Erzähler den Lesenden präsentiert, nachdem er nach Ediths Verhaftung einen Reporter vom Hof gejagt hat. So erfährt man von der täglichen harten Arbeit auf dem Feld und mit dem Vieh, vom Unfall des Vaters, der ihn noch verbitterter werden lässt, von den jahrelangen Reisen von Ediths Bruder Lyman, v.a. aber von Ediths Lebenswelt. Die Trostlosigkeit der Landschaft, die Härte der Lebensumstände, all das kommt hier gut rüber.

    Kent Haruf trägt wie gewohnt gleichzeitig distanziert und unter der Oberfläche doch gefühlvoll, undramatisch und doch fesselnd durch die Erzählung. Wie immer bei Kent Haruf erfolgt die Charakerzeichnung auch diesmal ruhig, melancholisch, unaufgeregt, aber prägnant. Positive wie negative Facetten treten zutage, nüchtern dargestellt ohne zu beschönigen oder zu dramatisieren und dabei erstaunlicherweise stets ohne Wertung. Gerade bei Ediths Vater Ray fiel es mir diesmal schwer, das zu akzeptieren - denn wenn man ein Feindbild braucht: tadaa...

    Es widerstrebte mir auch, welche Entscheidungen Edith für sich und ihr Leben aus einem (für mich überzogenen) Verantwortungsgefühl heraus getroffen hat - mehr als einmal habe ich gedacht: ein verschwendetes Leben. Edith und ihr Bruder haben sich stets abgestumpft dem lieblosen Diktat ihres Vaters unterworfen. Und nicht nur sie zahlten dafür einen lebenslangen Preis. Ich weiß ja, dass es solche Menschen gibt, die vor allem einem inneren Pflichtbewusstsein gehorchen und darüber vergessen, ihr eigentlich mögliches Leben zu leben - aber auch in der Realität halte ich das nur schwer aus. Trotzdem war mir Edith durchaus sympathisch, und die kleinen glücklichen Momente, von denen hier auch die Rede ist, haben mich jedesmal für sie gefreut. Die Begegnungen, die Akzente der Mitmenschlichkeit - sie sind es, die die Einsamkeit zuweilen auflösen und die selbst angesichts mancher Schrecknisse für Hoffnung und Trost sorgen. Aber auf das Glück ist eben kein Verlass...

    Der erste Roman Kent Harufs ist nun gleichzeitig der letzte, der auf Deutsch erschienen ist - und auch der letzte, den ich nun gelesen habe. Da der Autor bereits verstorben ist, gibt es nun keine weiteren Reisen mehr in das fiktive Städtchen Holt in Colorado, was ich sehr bedaure. Kent Haruf ist auf jeden Fall immer eine Leseempfehlung!

    © Parden

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  1. Schuldig oder nicht?

    "Das Band, das uns hält" ist der sechste Roman aus der Feder des bereits verstorbenen Autoren Kent Haruf. Es handelt sich um den Erstlingsroman von Haruf, der nun in der Übersetzung von Roberto de Hollanda im Diogenesverlag erschien. Zuvor las ich erst ein Werk des Autoren, war aber dennoch voller Vorfreude auf die Lektüre.

    Der Roman beginnt mit einem Paukenschlag: Die 80 jährige Edith Goodnough wartet im Krankenhaus auf ihre Genesung, während draußen ein Polizeibeamter über sie wacht. Es ist klar, sobald die Dame genesen ist, soll ihr der Prozess gemacht werden. Doch der Grund dafür bleibt zunächst unklar. Haruf nimmt uns mit auf die Reise in die Vergangenheit rund um die Jahrhundertwende (1900). Er erzählt, wie die Goodnoughs in das fiktive Holt in Colarado kamen, um dort auf einer wenig fruchtbaren Farm ihr Glück zu suchen. Roy setzt alles daran, Ertrag zu erwirtschaften. Seine Frau Ada wird auf der Farm nicht warm und leidet unter dem harten Regiment ihres Mannes. Die gemeinsamen Kinder, Eidth und Lyman lernen bereits früh die harten Seiten des Farmlebens kennen. Ada verstirbt mit 40 Jahren recht früh.

    Für Edith könnte das Leben eine glückliche Wendung nehmen, hat sie sich doch in den Sohn der Nachbarn verliebt, was auf Gegenseitigkeit beruht. Duch ihr Vater Roy duldet die Beziehung nicht. Edith leistet Verzicht. Ihre Entbehrungen steigen weiter, als Roy bei einem Unfall fast alle Finger verliert. In der Folge wird dieser noch tyrannischer als zuvor. Lyman verlässt die Farm und Edith bleibt nun mit ihrem Vater allein zurück. Sie verliert jedoch nie die Hoffnung, dass Lyman zurückkehren wird, zu stark ist wohl das Band, das hält. Sie behält tatsächlich Recht, doch ihr Glück währt nur 6 Tage. Dann passiert etwas Schreckliches, wofür sie nun zur Verantwortung gezogen werden soll...

    Haruf erzählt die Geschichte so fesselnd mit viel Feingefühl und Gespür für die unterschiedlichen Charaktere. Ich geriet zunehmend in den Sog der Geschichte und konnte kaum die Leltüre pausieren. Es hat mich sehr ergriffen, was Edith alles widerfährt und wie hart das Farmersleben ist. Gespannt wartete ich darauf zu erfahren, was geschehen war: Was hatte dieser Journalist herausgefunden und nun an die Öffentlichkeit gebracht? Ich werde es hier nicht verraten, aber es hat mich tief erschüttert, lässt mich auch Wochen später noch über die Schuldfrage sinnieren.

    Für mich war dieses Buch ein echtes highlight. Sehr gerne empfehle ich dieses Buch uneingeschränkt weiter.

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  1. Ein entbehrungsreiches Leben auf dem Land

    Das fiktive Städtchen Holt in den High Plains im US-Bundesstaat Colorado im Frühjahr 1977: Die 80-jährige Edith Goodnough befindet sich in einem Krankenhausbett. Vor der Tür hält die Polizei Wache, denn die Seniorin wird eines schlimmen Verbrechens beschuldigt: Mord. Wie konnte es soweit kommen?

    „Das Band, das uns hält“ ist ein Roman des verstorbenen Autors Kent Haruf, der im Original bereits 1984 erschienen ist und nun erstmals in deutscher Übersetzung vorliegt.

    Meine Meinung:
    Mit seinen elf Kapiteln, die aus mehreren Abschnitten bestehen, verfügt der Roman über eine bewährte Struktur. Erzählt wird rückblickend in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Sanders Roscoe. Die erzählte Zeit erstreckt sich über eine Spanne von rund 80 Jahren, beginnend im Jahr 1977, um die Geschichte ab 1896 aufzurollen.

    In sprachlicher Sicht unterscheidet sich das frühe Werk des Autors von seinen späteren Romanen. Der Ton ist rauer, derber, die Wortwahl ein wenig rustikal. Dies war für mich anfangs gewöhnungsbedürftig, passt jedoch gut zur Erzählstimme. Zudem ist der Stil so atmosphärisch und eindringlich wie in den nachfolgenden Holt-Romanen.

    Mit Liebe und Feingefühl, aber zugleich mit unverstelltem Blick werden die Figuren beleuchtet. Die Protagonistinnen und Protagonisten sind in Graunuancen gezeichnet. Der Großteil der Charakter ist durchweg weder gut noch böse. Menschliche Schwächen, aber auch Vorzüge treten zutage. Diese differenzierte, psychologisch ausgefeilte Darstellung der Figuren macht sie authentisch und glaubwürdig. Eine weitere Stärke des Romans.

    Inhaltlich ist die Geschichte düsterer und schwermütiger als die übrigen fünf Romane Harufs. Der harte Alltag des Landlebens und persönliche Schicksale spielen eine hervorgehobene Rolle. Liebe, Verantwortung und Pflichtgefühl sind weitere große Themen. Die Lektüre ist fordernd und dabei alles andere als leichte Kost. Sie rüttelt auf, macht betroffen und nachdenklich, berührt.

    Trotz des eher langsamen Erzähltempos kommt auf den etwa 300 Seiten keine Langeweile auf. Die Frage, was genau Edith angelastet wird, sorgt für eine subtile Spannung. Zudem hat mich der Roman an einigen Stellen überraschen können.

    Das Cover passt sowohl zum Inhalt als auch zu den anderen Holt-Bänden. Der deutschsprachige Titel wurde erfreulicherweise wortgetreu aus dem amerikanischen Englisch („The Tie That Binds“) übersetzt.

    Mein Fazit:
    Auch wenn sein Debütroman nicht zu meinem Lieblingsroman von Kent Haruf geworden ist, hat mich auch diese Geschichte aus dem Holt-Universum in mehrerlei Hinsicht überzeugt. Eines meiner Lesehighlights 2023 und ein Roman, den ich anspruchsvollen Lesern gerne ans Herz legen kann.

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  1. Ein Wiedersehen mit der fiktiven Stadt Holt

    Der Leser wird in das fiktive Städtchen Holt in Colorado entführt. Dort lernen wir die Familie Goodnough kennen, die um 1900 in dieses karge, triste Land zieht. Erst besteht sie nur aus Roy und Ada, die sich nur schwer einleben kann. Nicht nur weil das Leben Entbehrungen mit sich bringt, auch weil ihr Mann Roy sehr jähzornig ist, alles dreht sich um die Arbeit. Als dann Edith geboren wird, kommt die Nachbarin zu Hilfe, die einzige Stütze die Ada bis zu ihrem frühen Tod je haben wird. Als dann Lymann geboren wird ist die Familie komplett, alle müssen mit anpacken. Roy verlangt den Kindern enorm viel ab.
    Als Ada dann leider sehr früh verstirbt, ist es an den Geschwistern den despotischen Vater zu unterstützen. Als Edith sich in den Sohn der Nachbarin verliebt, setzt der Vater alles daran es zu verbieten. Durch einen Unfall wird er seiner Arbeitskraft beraubt und tyrannisiert trotzdem weiter. Die Geschister müssen sich nun um den kranken Vater und um den gesamten Hof kümmern. Doch Lyman verlässt das Städtchen und überlässt Edith sich und ihrem Vater….

    Das ist das Grundgerüst der Handlung, die am Anfang vorweg nimmt, dass sich die über 80 Jährige Edith vor dem Gericht zu verantworten hat. Während des gesamten Romans treibt den Leser die Frage um, was dazu geführt haben könnte.

    Kent Haruf hat ein Faible für ernste Schicksale, hier habe ich es allerdings als sehr extrem empfunden. Dieser Roman ist zwar der letzte in der Reihe der ins Deutsche übersetzten Romane, doch chronologisch gesehen war er der erste des Autors. Ob dies begründet, warum es hier härtere Schicksale zu begleiten gibt?! Der Zauber dieses Städtchens geht dadurch ein wenig verloren, sonst gab es immer ein paar Momente die sehr herzerweichend waren. Dennoch ist auch dieser Roman wieder ein tolles Werk, dass gelesen werden sollte!
    Ein wenig wehmütig macht es außerdem, weil man sich nun nicht mehr darauf freuen dieser Stadt und ihren Bewohnern einen weiteren Besuch abstatten zu dürfen.

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  1. 5
    25. Jun 2023 

    Ein starkes Debut

    Schon seinen ersten Roman siedelt Kent Haruf im fiktiven Städtchen Holt an, ein Ort mitten in der unendlichen Weite Colorados, das zum Zentrum all seiner weiteren Romane werden sollte.
    Doch hier geht er in die Vergangenheit zurück, in die Pionierzeit der Stadt. Im Jahr 1896 macht sich Roy Goodnough mit seiner Frau Ada von Iowa auf zu den High Plains von Colorado auf der Suche nach eigenem Land. Sie bleiben hier, sieben Meilen von Holt entfernt, obwohl das, was sie vorfinden, nicht ihren Vorstellungen entspricht. Die Landschaft ist baumlos und karg , die Erde wenig fruchtbar. Doch Roy lässt sich davon nicht beirren. Er baut ein bescheidenes Holzhaus, kauft zwei Kühe und versucht dem sandigen Boden Ertrag abzuringen. Das Paar bekommt zwei Kinder, Edith und zwei Jahre darauf den Sohn Lymann. Der Alltag ist hart, voller Arbeit und Mühen und Roy spart jeden Cent, um weiter Land zu kaufen. Ada ist dem Leben hier nicht gewachsen, sie schrumpft innerlich und äußerlich neben ihrem hartherzigen Mann und stirbt mit Anfang Vierzig. Für die Kinder wird der Alltag mit dem despotischen Vater danach nur noch schlimmer. Die siebzehnjährige Edith muss nun auch die Aufgaben und Pflichten ihrer Mutter übernehmen.
    Dann, ein Jahr später, passiert ein schreckliches Unglück, bei dem Roy arbeitsunfähig wird. Nun sitzen Edith und Lymann noch mehr in der Falle. Den Vater mit der ganzen Arbeit allein lassen, das können sie nicht. Obwohl der sie schikaniert und herumkommandiert und alles selbst entscheidet. Kein gutes Wort, keinerlei Anerkennung hat er für seine Kinder. Und die beiden ertragen ihr Los ohne zu klagen.
    Edith verzichtet sogar auf ein eigenes Heim mit Mann und Kind, obwohl das Glück mit dem Nachbar John Roscoe in greifbarer Nähe war.
    Lymann sieht im Kriegseintritt der USA die Chance, von daheim wegzukommen. Er meldet sich freiwillig und kehrt erst nach zwanzig Jahren zu Edith zurück. Den Geschwistern bleiben ein paar glückliche Jahre, bevor das Schicksal wieder zuschlägt.

    Der Roman beginnt im Frühjahr 1977. Die nunmehr achtzigjährige Edith Goodnough liegt im Krankenhaus und wartet auf ihren Prozess. Die Anklage lautet Mord. Der Leser muss sich nun bis zum Ende des Buches gedulden, um zu erfahren, was tatsächlich geschehen ist.
    Wie es dazu kommen konnte, erzählt uns der Nachbar Sanders Roscoe, der Sohn jenes Mannes, der Edith liebte und nie ihre Zurückweisung überwunden hat.
    Es ist die Geschichte einer willensstarken, pflichtbewussten Frau. Edith hat ihr Los, das das Schicksal ihr zuwies, ohne Klage und mit Würde ertragen. Ein Leben voller Arbeit, voller Fürsorge, voller Selbstaufgabe, aus dem Gefühl der Verantwortung heraus. Etwas, das wir heute in Zeiten von Selbstverwirklichung und Selbstoptimierung nur schwer nachvollziehen können.
    Kent Haruf verurteilt seine Protagonistin dafür nicht, auch wenn er ihr mehr Sinn für Eigennutz, mehr Glück gegönnt hätte.
    Er beschreibt sie dagegen mit so viel Empathie, dass wir nur voller Respekt auf Edith schauen . Er wirbt um Verständnis, in dem er uns den erbarmungslosen Alltag von damals nahebringt. Das Leben war ein ständiger Kampf, Arbeit von früh bis spät, kaum Möglichkeiten für Ablenkung oder kleine Fluchten. Und das alles unter dem unbarmherzigen Diktat eines Despoten. Doch Edith fühlt sich verantwortlich für ihren Vater und mehr noch für ihren Bruder.
    Die Weltgeschichte wird von Kent Haruf nur kurz gestreift. Für die einfachen Menschen im Umfeld von Holt hatte sie nur wenig Auswirkungen, sie verschärfte höchstens die finanzielle Lage. Dafür schildert der Autor uns sehr genau die Arbeit, die täglich auf einer Farm anfällt und wenig von ländlicher Idylle hat.
    „ Das Band, das uns hält“ - was ist das ? Liebe, Verantwortung, Pflichtgefühl? Der Leser wird seine eigene Antwort finden.
    Wir haben es hier mit einem Roman zu tun, der starke Gefühle auslöst. Wut über einen tyrannischen Vater, Trauer über beschädigte Figuren und verkorkste Leben, Hochachtung für eine unbeugsame Frau und gleichzeitig Mitleid mit ihr.
    Wie in seinen späteren Büchern stellt Kent Haruf Figuren ins Zentrum seiner Geschichten, die vom Leben gebeutelt werden, die falsche Entscheidungen treffen, einfach, weil sie nicht anders können. Das Tröstende daran sind die Menschen, die er ihnen zur Seite stellt - hier die Familie Roscoe - die unterstützen und für sie da sind.
    Der Ton in seinem Debut ist rauer, härter, den zeitlichen Umständen geschuldet. Doch das Gefühl für Atmosphäre und Stimmung findet sich auch hier. Die Erzählerstimme ist direkt, zum Teil derb, oft auch voller Humor. Das wirkt authentisch und macht die ganze Tragik erträglicher.
    Mit seinem Erstling hat der Diogenes-Verlag die Holt- Reihe des Autors abgeschlossen. Es wird keine weiteren Bücher von dem 2014 verstorbenen Autor geben. Diese Tatsache macht mich wehmütig. Vielleicht werde ich seine sämtlichen Romane ein zweites Mal lesen, mit ebenso viel Freude wie bei der Erstlektüre. Ansonsten werde ich werben für diesen Autor, der mit so viel Menschenliebe geschrieben hat, damit noch viel mehr Leser in den Genuss seiner Bücher kommen.

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  1. 5
    19. Jun 2023 

    Glück vs. Pflicht

    Die 80jährige Edith Goodenough liegt im Krankenhaus. Nach ihrer Genesung soll ihr der Prozess wegen Mordes gemacht werden. Wie ist es so weit gekommen?

    Ediths Vater Roy ist als später Pionier in die High Plains von Colorado eingewandert. Mühsal und Rückschläge im Versuch, dem kargen Land einen Lebensunterhalt abzuringen, verstärken sein reizbares Temperament, und bald bestimmen Repression und Gewalt sein Handeln gegenüber Frau und Kindern. Seine Frau flüchtet noch jung in den Tod und lässt die Geschwister allein mit ihm.

    Ediths Geschichte – und die des Ford County mit dem fiktiven Ort Holt, den wir schon aus Harufs späteren Romanen kennen – erfahren wir aus der Perspektive von Sanders. Sanders Sicht wiederum ist geprägt durch seinen verstorbenen Vater, der Edith gerne geheiratet hätte. Wir begegnen der Protagonistin folglich nur in der Außensicht. Auch wen sie getötet haben soll, erfahren wir sehr lange nicht; der Spannungsbogen des Romans entsteht aus diesen Leerstellen.

    Die Ereignisse der Weltgeschichte fließen wie nebenbei in den Roman ein – der Angriff auf Pearl Harbor zum Beispiel ist für Ediths Bruder Lyman ein willkommener Anlass, vor dem zornigen Patriarchen zu flüchten: er meldet sich zur Marine. Als Roy stirbt und Lyman zurückkehrt, scheint endlich Ediths Zeit gekommen. Aber wieder wendet sich ihr Geschick und es kommt anders, denn da ist „Das Band, das uns hält“.

    Das ist beim Lesen schwer auszuhalten, gerade in unserer Gegenwart, die dem Diktat der Selbstverwirklichung folgt. Ein genialer Kunstgriff des Autors, eine Figur ihre Werte so hoch halten zu lassen, dass persönliches Glück unmöglich wird. Will der Autor diese Werte feiern oder in Zweifel ziehen? Er vermeidet Eindeutigkeit und schickt die Leserin auf eine Achterbahn der Hoffnung, des Mitgefühls, der Empörung und des Zweifels. Wie auch in seinen späteren Romanen wird die Kleinstadt Holt in den High Plains von Colorado zum Brennglas für das, was uns Menschen ausmacht – oder ausmachen sollte.

    Das klingt nach einem Ideenroman, ist aber keiner – dazu sind Harufs Figuren viel zu lebendig. Auf Augenhöhe schildert er das harte Leben der einfachen Leute. Im Bemühen, die Härten des Landlebens möglichst realistisch zu schildern, schießt Haruf ein wenig über das Ziel hinaus, aber vielleicht hat gerade das mich den Roman mit wachsender Faszination lesen lassen. Ich mochte auch die Elemente des klassischen Westerns, die Haruf in seinem Setting verarbeitet - sein Erstling ist deutlich rauer und kantiger als seine späteren Romane; das gilt auch für seine kompromisslose Figurenführung. Gerade das Ambivalente, Kantige und Raue hat mir gefallen.

    Der spätere Meister ist in diesem Erstling schon deutlich zu spüren. Leseempfehlung!

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  1. Ein Frauenschicksal aus Holt, Colorado (USA)

    Kent Haruf (1943 – 2014) ist in meinen Augen ein großartiger Geschichtenerzähler. Leider verstarb er zu früh und hat uns nur sechs Romane hinterlassen können, die alle von Menschen in der fiktiven Kleinstadt Holt handeln. „Das Band, das uns hält“ war sein erstes Buch, das nun als sechstes bei Diogenes erschien und vom Übersetzerduo pociao/ Roberto de Hollanda wunderbar ins Deutsche übertragen wurde.

    Bereits im ersten Satz lernt man die Hauptfigur kennen, die 80-jährige Edith Goodnough. Man schreibt das Jahr 1976. Edith ist die Nachbarin des Erzählers Sanders Roscoe. Beide leben etwas außerhalb Holts und bewirtschaften kleine Farmen. Edith liegt im Krankenhaus, etwas Tragisches muss passiert sein, denn man will ein Gerichtsverfahren gegen sie anstrengen. Gerne hätte man in Holt bestimmte Vorgänge unter den Teppich gekehrt, doch ein junger ehrgeiziger Zeitungsreporter aus Denver schnüffelt so lange herum, bis er alle Fakten zu wissen glaubt und veröffentlicht. Diesem kurzfristigen, auf Sensationen ausgerichteten Blickwinkel will sich Sanders, der Edith von Kindheit an schätzt und ihre Wurzeln kennt, entgegenstellen. Er spricht uns mit seiner Version der Geschichte als Leser direkt an. Er holt weit aus, schildert, wie Ediths Eltern bereits Ende des 19. Jahrhunderts das fruchtbare Iowa verließen, um in den Great Plains neu anzufangen. Wir lernen die Familie Goodnough kennen. Der Vater entwickelt sich zum Despoten, die Mutter stirbt früh. Edith und ihr Bruder Lyman müssen zusammenhalten, sie bilden eine Art Schicksalsgemeinschaft. Ihrer großen Liebe entsagt Edith. Pflichtbewusstsein und Familienbande halten sie Zeit ihres Lebens davor zurück, eigene Wege zu gehen.

    Man erfährt einiges über das einfache Leben, die kleinen Freuden der Farmer. Menschliches und Alltägliches wechseln sich ab mit höchst tragischen Ereignissen, die die Menschen überwiegend als gegeben hinnehmen. Sie hadern nicht mit dem Schicksal und behalten ihre Emotionen für sich. Die Lektüre ist packend. Sie berührt, macht nachdenklich, ohne an irgendeiner Stelle in Gefühligkeit abzugleiten. Der Erzähler berichtet. Er weckt intensive Sympathien für die Protagonistin. Indem er ihre Lebensumstände schildert, bekommt man großes Verständnis für ihre Persönlichkeit. Harufs großes Verdienst dabei ist es, dass er nicht wertet. Er fällt kein Urteil über seine Figuren, sondern überlässt es dem Leser, eigene Schlussfolgerungen zu ziehen oder Überlegungen anzustellen.

    Wie nebenbei erzählt Sanders auch seinen eigenen Werdegang mit allen Höhen und Tiefen. Der Autor ist ein ungemein scharfsichtiger Beobachter. Sein Figurenkarussell wirkt glaubwürdig aus dem Leben der einfachen Landbevölkerung gegriffen. Vielleicht wird Ediths Vater, der sich als das personifizierte Böse entpuppt, ein bisschen überzeichnet. Doch letzten Endes herrschte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein strenges Patriarchat, so dass manche väterliche Willkür vorstellbar sein mag. Edith ist ein Kind ihrer Zeit. Sie beugt sich den männlichen Erwartungen und steht damit stellvertretend für viele Frauen ihrer Generation. Ihre Figur lädt zu mancher feministischen Diskussion ein.

    Kent Haruf überzeugt mich mit seiner Romankonstruktion. Man lauscht der Erzählstimme sehr gebannt, weil man erfahren möchte, wie sich die Handlung über die Jahre zu dem kritischen Punkt hin entwickelt hat, der dafür sorgte, das Edith aktuell im Krankenhaus liegt.

    Ein ganz großartiger Roman, den ich allen Freunden spannender Familien- und Gesellschaftsromane empfehlen möchte. Schade, dass dies die letzte Übersetzung der Werke von Kent Haruf ist. Man kann jeden seiner Romane getrennt voneinander lesen. Allerdings fällt der Abschied von Holt jedes Mal schwerer.

    Große Leseempfehlung!

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  1. Staaarkes Band

    Warum will man einer 80-jährigen Frau den Prozess machen? Diese Frage stellt sich den Leser:innen direkt am Anfang von „Das Band, das uns hält“ von Kent Haruf, dem letzten von pociao und Roberto de Hollanda ins Deutsche übersetzten Roman (wie die anderen 5 im Diogenes Verlag erschienen) und (gemäß der eigentlichen Reihenfolge) dem ersten Roman aus dem fiktiven Städtchen Holt in Colorado.

    Anyway: Edith Goodnough liegt im Krankenhaus und der Sheriff von Holt, Bud Sealey, wartet nur darauf, die alte Dame vor Gericht zu zerren. Ob es zu dem Prozess kommt, wissen die Leser:innen auch am Ende der gut 300 Seiten nicht. Es spielt auch keine Rolle, denn Kent Haruf erzählt in der Rolle des Ich-Erzählers Sanders Roscoe die Lebens- und (wie man unweigerlich feststellen wird) auch die Leidensgeschichte von Edith.

    Die Geschichte erzählt er mit tiefem Respekt vor den handelnden Personen – er wertet also nicht, sondern überlässt es den Leser:innen, ob man z. B. das (lebenslange) Verhalten Edith´s billigt oder ob der „vergeudeten“ Chancen des Absprungs (die es durchaus gegeben hätte) mit Missfallen straft. Ich persönlich habe vor Edith den imaginären Hut gezogen – wenn es zum Prozess kommen sollte und ich wäre der Richter, würde sie ganz klar Freispruch bekommen ha ha ha.

    Dem gegenüber wird die Figur des brutalen und egoistischen Vaters von Edith gestellt. Haruf versteht es wie kein Zweiter, den Leser:innen wenigstens „einen Hauch“ von Mitleid auch für Roy Goodnough zu entlocken; ebenso wie für den Bruder Ediths, Lyman, der ebenso eine tragende und tragische Rolle im Roman spielt. Jede der Figuren ist mit scharfen Ecken und glattgebügelten Kanten ausgestattet – so wie jede:r von uns.

    Schon in diesem ersten Roman von Kent Haruf (mein insgesamt dritter von ihm gelesene) blitzt die in späteren Romanen aufgegriffene wunderbar warmherzige Sprache wie ein versteckter Diamant auf. Ebenso wie der teils knochentrockene Humor. Doch durch die derbe, der Landwirtschaft bzw. der Prärie angepassten Sprache, habe ich lange gebraucht, um in dem Roman „anzukommen“, weshalb ich auch über weite Strecken bei 4* lag. Doch spätestens mit dem ergreifenden Ende und dem Schlusssatz (den ich jetzt aus Spoilergründen hier nicht zitiere *g*), konnte ich den 5* nicht länger zurückhalten und spreche entsprechend eine absolute Leseempfehlung für diesen wunderbaren Roman aus!

    ©kingofmusic

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  1. Was ist schon gerecht?

    "Das Leben ist nun mal nicht gerecht. Und dass wir ständig denken, es müsste gerecht sein, spielt offenbar nicht die geringste Rolle, verdammt. Besser, du begreifst das jetzt als nie." (S. 159)

    Es passiert häufiger, dass ich einen schönen Roman mit einer gewissen Wehmut beende, aber auf "Das Band, das uns hält" von Kent Haruf (1943 - 2014) trifft das in ganz besonderer Weise zu. Einerseits war auch dieser sechste Ausflug ins fiktive US-Präriestädtchen Holt im östlichen Colorado wieder eine rundum erfreuliche Lektüre, andererseits ist er unwiderruflich die letzte Begegnung mit seinen ganz besonderen Bewohnerinnen und Bewohnern, deren Alltag und Schicksalen Kent Haruf sich in seinen sechs unabhängig voneinander zu lesenden Romane widmet. Seit 2017 hat der Diogenes Verlag sie nach und nach veröffentlicht, beginnend mit dem unvergleichlichen, 2015 posthum erschienenen letzten Werk "Unsere Seelen bei Nacht", und endet nun, 2023, mit seinem preisgekrönten Debüt von 1984.

    Aus Holts Anfangszeit
    Mit Edith Goodnough hat Kent Haruf eine weitere unvergessliche Protagonistin geschaffen, geboren 1897 in Holt. Sie ist das Kind von Roy Goodnough und seiner Frau Ada, die 1896 nach dem Homestead Act Präsident Lincolns von 1862 mit dem Pferdewagen aus Iowa ins östliche Colorado kamen, um Landbesitz zu erlangen. Was sie vorfanden war baumloses, sandiges, trockenes, flaches ehemaliges Cheyenne-Land und elende landwirtschaftliche Bedingungen. Sieben Meilen von Holt entfernt gründeten sie mühevoll eine Farm, die nächsten Nachbarn, eine Halb-Cheyenne namens Hannah Roscoe und ihr sechsjähriger Sohn John, eine halbe Meile entfernt.

    Ein Leben in eiserner Disziplin
    Schon für Ada, die ihre neue Heimat bis zu ihrem frühen Tod hasste und unter der Gewalt und der cholerischen Tyrannei ihres Mannes litt, war die Familie Roscoe der einzige Lichtblick. Diese enge, schicksalhafte Verbindung zwischen den beiden Familien setzte sich in den nächsten Generationen fort. Folgerichtig ist es Hannahs knapp 50-jähriger Enkel Sanders Roscoe, der im Frühjahr 1977 Ediths Lebensgeschichte mit viel Zuneigung und Bereitschaft zu ihrer Verteidigung erzählt. Es ist der Bericht über eine liebenswerte Frau, die ein hartes, enges Leben führte, nie für ihre Belange eintrat, ihre Zukunft, Liebe und Freiheit in demütigem Pflichtbewusstsein den Interessen ihres Vaters und ihres jüngeren Bruders Lyman opferte, dennoch stets ihre stille Würde bewahrte, die freudigen Momente aus vollem Herzen genoss und nun mit 80 Jahren unter einer schwerwiegenden Anklage steht.

    Ein schmales großes Werk
    Kent Haruf hat mit dem unspektakulären Präriestädtchen Holt eine Bühne für seine universellen und zeitlosen Themen wie Pflichtbewusstsein und Würde, Einsamkeit und Ignoranz, Nächstenliebe, Menschlichkeit, Herzenswärme und Großzügigkeit, Gruppendynamik, Leidenschaft und Mut, Familienbeziehungen und Freundschaft, Enge und Weite geschaffen. Alle Holt-Romane sind packend und fangen das Prärieleben großartig atmosphärisch ein. Mit viel Empathie, einer zu den Menschen passenden schmucklosen, derben Sprache, in gemächlichem Tempo, voller schmerzhafter Traurigkeit und sanftem Humor und ohne jede kitschige Landleben-Romantik erzählt Kent Haruf bewegende menschliche Dramen mit tragischen, glaubwürdigen Heldinnen und Helden der High Plains.

    Schade nur, dass Kent Haruf kein umfangreicheres Werk hinterlassen konnte. So bleibt nichts anderes übrig, als die sechs Holt-Romane irgendwann erneut zu lesen. Ich freue mich drauf.

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  1. Es ist meine Aufgabe mich um ihn zu kümmern

    "Edith klammerte sich ans Leben, als wüsste sie noch immer nicht, wie loslassen oder aufhören geht." (Buchauszug)
    Die achtzigjährige Edith wurde verhaftet, sie soll ihren Bruder Lyman getötet haben. Doch was sich genau zugetragen hat und wie das Leben von Edith und Lyman wirklich gewesen ist, das weiß einzig und allein ihr Nachbar Sanders Roscoe. Sanders, der für Edith wie ein Sohn ist und dessen Vater sie eins geliebt hat. Doch das Leben hatte etwas anderes vor mit Edith, weil eine unglaubliche Tragödie alles verändern wird. Sie erlebt eine harte, entbehrungsreiche Kindheit nach dem Tod der Mutter. Kent Haruf zeigt hier auf, was eine Familienbande alles ertrage und erdulden muss und kann.

    Meine Meinung:
    Anders als bei seinen anderen Büchern beginnt er hier wirklich mit der Entstehungsgeschichte der Kleinstadt Holt. Man muss sich in die damaligen Zeiten und die Anfänge zurückversetzen, um in diese Geschichte einzutauchen. Es ist der Beginn einer Kleinstadt, wo das Leben als Farmer alles bestimmt hat. Wer am meisten Land besitzt, die besten Erträge hat, der ist ein angesehener Bürger. Dass man dafür jedoch hart arbeiten muss, selbst die Kinder, ist zu dieser Zeit völlig normal. Schlimm wird es erst, wenn einer der Eltern oder gar beide ausfallen und die Zukunft der Kinder zusammenfällt wie ein Kartenhaus. Kent Haruf lässt uns darüber nachdenken, welchen Stellenwert Familie hat, was Farmleben bedeutet, Verantwortung, Pflichtbewusstsein gegenüber Eltern und welche Entbehrungen man dafür in Kauf nimmt. Von Ende 19. Jahrhunderts bis in die 70-er Jahre begleiten wir die Farmerfamilie Goodnough. Die Kinder Edith und Lyman müssen nach dem Tod der Mutter und dem tragischen Unfall des Vaters das Arbeiten auf der Farm übernehmen. Unter den Augen des cholerischen Vaters keine leichte Aufgabe, der sie ständig antreibt und oft seiner Wut freien Lauf lässt. Von der Liebe eines Vaters ist hier wenig zu spüren, deshalb und sicher auch wegen ihres Heimwehs ist seine Frau Ava so früh verstorben. Sie hat sich nie als Farmerin gesehen und wohlgefühlt. Die sehr bildhafte Erzählung, weswegen ich den Autor so liebe, zeigt uns eine junge Frau auf, die einfach ihre Arbeit übernimmt, nur weil man sie tun muss. Weil sie sich verantwortlich für den Vater fühlt, lässt sie sogar ihre große Liebe, Sanders Vater zurück. Sein Vater und Sanders selbst passen trotzdem auf Edith auf, selbst wenn Roy ihn ablehnt, weil er ein Indianermischling ist. Lyman dagegen nimmt irgendwann die Flucht nach vorne und reist über Jahre im Land um her, nur um dem Vater zu entkommen. Währenddessen wartet seine Schwester sehnsüchtig auf ihn. Es ist traurig und schwierig zugleich, wie extrem sich eine junge Frau aufgibt und anderseits kann ich sie manchmal sogar verstehen. Selbst wenn die Thematik hier ernst ist, wirkt unterschwellig immer ein wenig Humor mit bei der Erzählung. Am Ende lässt uns der Autor mit einem Fragezeichen zurück, sodass jeder sein eigenes Urteil fällen kann. Es ist so schade, dass diesem Autor vor seinem Tod nur so wenige Bücher vergönnt blieben, ich hätte gerne mehr von ihm gelesen. Für ich ein Buch, das mich begeistert und zum Nachdenken angeregt hat und dem ich gerne 5 von 5 Sterne gebe.

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  1. Das traurige von Pflicht und schwerer Arbeit geprägte Leben der

    Tragische Geschichte zweier Familien im frühen Ort Holt, einer von ihrem Vater ausgebeuteten Frau mit unüberwindbarem Pflichtgefühl

    Ich habe das Buch gerne gelesen und doch hatte ich meine Probleme damit, genauer: mit dem unüberwindlichen Pflichtbewusstsein von Edith Goodnough (nomen est omen?), mittlerweile über 80 Jahre alt, im Krankenhaus, eine Gerichtsverhandlung erwartend. Was ist passiert? Was hat sie getan?

    Das versucht ein Journalist mit ungeschickten Fragen herauszufinden, ausgerechnet beim Farmer Sanders Roscoe, einem Nachbar von Edith, der sie sehr mag und nichts auf sie kommen lässt. Er vertreibt den Journalisten und erzählt uns Lesern die Geschichte ihrer Familie, die eng mit der seinen verbunden ist.

    Wir begeben uns in die Anfangszeiten des Örtchens Holt, das vielen Lesern durch mehrere Romane von Kent Haruf bekannt ist. (Dieser erschien 1984 und ist wohl der erste). Es ist ein karges Land, das seinen Bewohnern alles abverlangt. Die Mutter von Edith und dem jüngeren Lyman ist diesem Druck nicht gewachsen und stirbt früh. Nun sind die beiden Geschwister nicht nur mit schwerer Farmarbeit überlastet, sondern auch noch dem Druck des Vaters ausgesetzt. Dies nimmt noch schlimmere Ausmaße an, als der Vater bei Mäharbeiten einen schweren Unfall erleidet und arbeitsunfähig ist. All' seine Wut und seinen Hass lässt er an seinen beiden Kindern aus, die sich ihm widerspruchslos fügen und allerschwerste Arbeit verrichten, ohne dass ihnen je ein gutes Wort gegönnt oder ein Mitspracherecht gewährt würde. Das alles erzählt Kent Haruf drastisch und bildhaft und man wundert sich, dass die beiden das aushalten.

    Für Edith gibt es eine kurze Phase des Glücks, als ihr junger Nachbar John Roscoe (Sanders' Vater) sie heiraten will, aber auch dieses Vorhaben macht der Vater brutal zunichte. Ediths Pflichtbewusstein lässt sie ihr eigenes Wohlergehen hinten anstellen; sie widmet sich ganz der Farmarbeit und der Versorgung des Vaters. Das ist der Punkt, wo ich Probleme hatte, eine solche Selbstaufopferung zu akzeptieren, zumal der Vater sie in übelster Weise beschimpft.
    Lyman schafft es zwar, sein Zuhause zu verlassen, scheint aber beziehungsunfähig zu sein und führt ein unstetes Leben. Als Edith 55 ist, stirbt der Vater, aber sie schafft es nicht, ein neues Leben zu beginnen und wird sonderlich. Erst als Lyman zurückkehrt – sie ist inzwischen 64 - scheint sich das Blatt zu wenden und den beiden sind ein paar Jahre des gemeinsamen Glücks vergönnt.

    All' die Jahre hatte Edith unterstützende Hilfe der Nachbarn Roscoe und auch jetzt haben Lyman und sie ein gutes Verhältnis mit dem jungen Sanders und seiner Frau. Das scheint wohl das Band zu sein, auf den sich der Titel des Buches bezieht und das sich durch Ediths Leben zieht.

    Also Ende gut, alles gut? Leider nein. Wieder schlägt das Unglück zu und zerstört das gute Leben, das Edith hätte haben können. Wieder verlangt ihr unerschütterliches Pflichtbewusstsein, sich selbst hintenan zu stellen. Was passiert ist und wie es endet, soll hier nicht verraten werden. Nur so viel: ich habe es als trauriges Buch über ein vergeudetes Leben empfunden, nur gemildert durch die Warmherzigkeit der nachbarschaftlichen Beziehungen.

    Hätte Edith etwas anders machen können? Diese Frage ist letztlich nicht zu beantworten. Allerdings hat Kent Haruf den Satz an den Schluss gestellt, dass Edith es nie gelernt habe, 'endgültig Ja zu sich sagen.'

    Fazit
    Im Ganzen hat mir das Buch gut gefallen. Edith muss man einfach mögen, aber sie tut mir sehr leid und ich habe ein Problem damit, dass sie sich nicht in irgendeiner Weise wehrt und dass man nicht erfährt, was sie wirklich denkt, ob sie ihr starkes Pflichtbewusstsein nicht doch einmal in Frage stellt.

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Zwei Schwestern: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Zwei Schwestern: Roman' von Dorothy Baker

Inhaltsangabe zu "Zwei Schwestern: Roman"

Diskussionen zu "Kill: Thriller"

Format:Taschenbuch
Seiten:280
EAN:9783423145596
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Die Telefonistin – Mrs. Dalton hört mit: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Telefonistin – Mrs. Dalton hört mit: Roman' von Gretchen Berg
3
3 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die Telefonistin – Mrs. Dalton hört mit: Roman"

Diskussionen zu "Kill: Thriller"

Format:Taschenbuch
Seiten:400
Verlag: Diana Verlag
EAN:9783453292352
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Rezensionen zu "Die Telefonistin – Mrs. Dalton hört mit: Roman"

  1. 3
    12. Dez 2022 

    Die Entdeckerin

    In einem kleinen Ort im Amerika Anfang der 1950er Jahre arbeitet Vivian Dalton als Telefonistin. Sie kann nicht leugnen, dass sie schon als Kind neugierig war. Den Telefonaten zu lauschen, ist nicht erlaubt und deshalb macht sie das auch nicht, meistens. Eines Abends jedoch bekommt Vivian etwas zu hören, das ihre ganz Welt durcheinander wirft. Ihr Mann soll noch eine andere Frau haben. Das kann einfach nicht sein, deshalb muss Vivian unbedingt herausfinden, ob an der Behauptung etwas dran sein könnte. Auf ihrer Suche nach der Wahrheit findet die Telefonisten noch ganz andere Geheimnisse über die Einwohner des Städtchens heraus.

    Was waren die Fünfziger doch für eine beschauliche Zeit. Es gab kein Internet, keine Handys, kein Social Media. Dafür saßen Familien gemeinsam vor Radio oder Fernseher, die Männer hatten zwar das Sagen, wurden aber doch von den Frauen gelenkt und es gab eben neugierige Telefonistinnen wie Vivian Dalton. Natürlich bedeutet beschaulich nicht unbedingt besser. So sind schon einige der Frauen damals abhängig von den Männern, da ihr Gehalt nicht zum Leben reicht. Und Vivians Eltern haben nie viel gehabt und die Depression hat ihre Möglichkeiten eingeschränkt, weshalb Vivian keinen höheren Schulabschluss hat. Und nun auch noch der Verdacht, ihr Mann könne eine andere haben.

    Wenn man sich das Cover anschaut und auch den Klappentext liest, werden Erwartungen an die Abenteuer geweckt, die eine quirlige neugierige Telefonistin erlebt. Und dann wird man doch ein wenig enttäuscht, denn Vivian Dalton wirkt mehr wie die neugierige Klatschbase, die gerne die Fäden in der Hand hält und die sehr darauf bedacht ist, was die Nachbarn denken. Dabei muss sie alles tun, um nach der Neuigkeit den Schein zu wahren. Vivian lernt auf die harte Tour, dass der Lauscher an der Wand manchmal seine eigene Schand hört. Erst im weiteren Verlauf, wenn Vivian energisch und mutig versucht, den Hintergrund der unerhörten Behauptung zu erforschen und dabei über sich hinauswächst, wird sie nach und nach sympathisch und der Roman gewinnt durch einige weitere Wendungen an Tiefe. Nachdem man die anfängliche kleine Enttäuschung überwunden hat, wird dieser beschauliche Roman, für den sich die Autorin durch das Leben ihrer Großmutter inspirieren ließ, noch sehr ansprechend und fesselnd.

    3,5 Sterne

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Maud Martha

Buchseite und Rezensionen zu 'Maud Martha' von Gwendolyn Brooks
4.5
4.5 von 5 (8 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Maud Martha"

Diskussionen zu "Kill: Thriller"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:160
EAN:9783717525646
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Rezensionen zu "Maud Martha"

  1. Über Rassismus kann niemals genug geschrieben werden!

    "Maud Martha" ist der einzige Roman der Pulitzerpreisträgerin Gwendolyn Brooks geblieben, deren Leben sich im Leben der Hauptprotagonistin Maud Martha widerspiegelt. Der Roman erschien erstmals im Jahr 1953, wurde jedoch erst jetzt der deutschen Leserschaft zugänglich gemacht. Wieder einmal hat der Manesse Verlag damit einen literarischen Schatz gehoben, der allemal lesenswert ist, da er das wichtige Thema des Rassismus angeht, der nach wie vor omnipräsent ist. Positiv gewürdigt werden soll auch die ansprechende Gestaltung des Bandes inklusive des gelungenen Nachwortes von Daniel Schreiber, das auch noch einmal bei der Einordnung des Werkes hilft.

    Maud Martha, die Hauptprotagonistin des Romans, weist einige Parallelen zu ihrer Schöpferin, der Autorin Gwendolyn Brooks auf: Wie diese wurde jene im Jahr 1917 geboren und beider Leben wird durch den omnipräsenten Rassismus stark beeinträchtigt. Es scheint fast, Maud Martha sei eine Art Sprachrohr der Autorin, durch deren Stimme sie lautstark gegen den Rassismus ihren Widerstand kundtut.

    Maud Martha lebt im Süden Chicagos. Wie jedes Mädchen hat sie Träume, doch da sie schwarz ist, werden diese erschüttert. Maud Martha begreift früh, dass zum Beispiel auch Schönheit im Auge des Betrachters liegt. Als schwarzes junges Mädchen weiß sie, dass sie nicht als "schön" gilt. Nicht mal ihr späterer Ehemann, mit dem sie in einer Kitchenette gemeinsam leben wird, findet sie wirklich schön. Auch sonst scheinen die beiden Eheleute sehr unterschiedlich, wie exemplarisch ihre gewählten Lektüren vor Augen führen. Dennoch bleiben sie zusammen und werden auch ein gemeinsames Kind haben.

    Maud Martha erfährt Alltagsrassismus in vielen Facetten. In einem von primär 'Weißen' besuchten Kino fühlt sie sich deplatziert und im wahrsten Sinne des Wortes unwohl in ihrer Haut. Doch auch an für 'Schware' vorgesehenen Orten fühlt sie sich fremd. Schwarz ist nicht gleich schwarz. Maud Martha weiß dies. Es ist eine Illusion 'weißer' Menschen.

    In vielen episodenhaften Szenen bekommen wir Alltagsrassismus vorgeführt und erleben hautnah mit, wie es Maud Martha dabei ergeht. So beispielsweise beim Besuch eines Friseurs, wo sie mit dem N-Wort konfrontiert wird. Die Autorin wird nicht müde, vermittelt durch ihre fiktive Schicksalsgefährtin Situationen des Alltagsrassismus anzuprangern. Es sind Szenen, die schockieren und unter die Haut gehen. Sie zeigen eindrücklich, Folgen und Wirkweise von Rassismus auf.

    Die Sprache der Autorin ist sehr eindrücklich, phasenweise sehr poetisch. Kein Wort ist zu viel. Kurz und prägnant wird das gesagt, was gesagt werden muss. Schon längst. Dabei habe ich es nicht als Manko empfunden, dass die Geschichte, obwohl als Roman betitelt und vertrieben, eher eine Ansammlung von Episoden und Miniaturen ist. Das Thema Rassismus eint sie, für mich ist das roter Faden genug. In jedem Fall auch ein gutes Argument, das Buch zu lesen, denn über Rassismus kann nie genug gelesen, gesprochen und diskutiert werden. Insbesondere dann, wenn Rassismus fast schon in einer Art intersektionaler Perspektive verstanden wird als Resultat des Ineinandergreifens verschiedener Faktoren: wie Rasse, Klasse und Geschlecht. Brooks liefert meines Erachtens, so mein Fazit, einen wichtigen und lesenswerten Beitrag zur Rassismusdebatte. Ich bin froh und dankbar, dass ich das Buch entdecken durfte.

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  1. 5
    25. Mai 2023 

    Ein Leben aus Momentaufnahmen

    Dass dieser im Original schon 1953 erschienene Roman nun endlich auch auf Deutsch vorliegt, ist dem Manesse Verlag zu verdanken. Der hat es sich zum Ziel gesetzt, unter dem Motto „ Mehr Klassikerinnen“, vergessenen oder noch unbekannten Schriftstellerinnen zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen.
    Die 1917 in Kansas geborene und im Jahr 2000 verstorbene Autorin Gwendolyn Brooks zählt zu den bedeutendsten Dichterinnen der USA. Sie erhielt für ihr großes lyrisches Werk zahlreiche Preise , darunter den Pulitzerpreis für Lyrik. Damit war sie 1950 die erste schwarze Autorin, die diese Auszeichnung erhielt.
    „ Maud Martha“ war ihr einziges Prosawerk, doch ihre künstlerische Begabung zeigt sich in der ungewöhnlich poetischen Sprache.
    Der schmale Band umfasst 34 kurze, meist nur zwei bis drei Seiten umfassende Kapitel. Wir begleiten dabei Maud Martha, Ich- Erzählerin und Protagonistin des Romans, von ihrer Kindheit über das Erwachsenwerden bis zu ihrem Leben als Ehefrau und Mutter. Angesiedelt sind die Geschichten im Chicago der 1920er bis Mitte der 1940er Jahre, angelehnt an die Biographie der Autorin.
    Maud Martha wächst auf als schwarzes Kind in einer fünfköpfigen Arbeiterfamilie. Das Geld ist knapp; der Vater kann nur mit Hilfe eines weiteren Bankkredits das eigene, bescheidene Haus halten. Doch Martha ist ein fröhliches optimistisches Kind, entdeckt die Schönheit im Alltäglichen. Sie sieht im Löwenzahn des Hinterhofs „ gelbe Alltagsedelsteine“ und mag dessen „ nüchterne Schönheit“ und sieht darin ein Abbild ihrer Selbst.
    Doch hin und wieder hadert sie mit ihrem Aussehen, mit ihrer Haut, die die „ Farbe von purem Kakao“ hat und nicht so hell ist wie die ihrer jüngeren Schwester Helene. Die beneidet sie nicht nur um ihre Schönheit und Anmut, sondern auch um ihre bevorzugte Stellung beim Vater.
    Existenzängste, Streitigkeiten zwischen den Eltern, das Sterben der Großmutter, dies und vieles mehr wird von dem Mädchen beobachtet und beschrieben und hinterlässt Spuren in ihr.
    Später stellen sich die ersten Verehrer ein. Doch nicht jeder hält ihrem kritischen Blick stand. Dann bei Paul aber fängt ihr ganzer Körper an zu singen. Paul hat große Pläne, aber erweist sich bald als Enttäuschung. Das gemeinsame Zuhause in einer sog. „ Kitchenette“ entspricht nicht den bescheidenen Träumen von Maud Martha.
    Wie Daniel Schreiber in seinem aufschlussreichen Nachwort erläutert, waren Kitchenette -Wohnungen eine Antwort auf die große Nachfrage nach Wohnraum für schwarze Familien. Schon existierende Appartements wurden in mehrere, winzig kleine möblierte Einheiten mit Küchenzeilen aufgeteilt. Das Grau der Wohnung und ihrer Umgebung überträgt sich bald auf ihre Ehe. Maud, deren Sinn nach Höherem und Schönem steht, leidet unter der Ignoranz ihres Ehemannes. Seine Albernheiten und sein mangelndes Interesse an jeglicher Kultur stören sie zunehmend. Die Beiden bekommen eine Tochter, aber aus Paul wird kein idealer Familienvater.
    Doch es gibt auch Momente des Glücks, so z.B. ein gemeinsamer Kinoabend. Aber so richtig genießen können es beide nicht, sind sie doch das einzige schwarze Paar im Saal. Es gibt zwar keine offenen Diskriminierung, trotzdem fühlen sich beide unwohl.

    Maud spürt, dass es nicht nur ihre schwarze Haut ist, die sie von den anderen trennt, sondern auch deren soziale Stellung. „ Die schlendernden Frauen waren raffiniert gekleidet….Sie wirkten aufgetakelt. Gut versorgt. Und als hätten sie noch nie im Leben eine Kakerlake oder Ratte gesehen.“
    Rasse ist sicher das zentrale Thema des Romans. Doch auch die Klassenfrage wird damit zusammenhängend verhandelt.
    Es sind kleine, beinahe nebensächliche Beobachtungen, die den Geschichten ihre Dimension geben. So z. B. wenn Maud Martha Zeugin einer rassistischen Beleidigung wird und die so Beleidigte das damit abtut, dass sie mit dem Wort „ Nigger“ nicht gemeint sein könne.
    Als Maud Martha selbst von der weißen Dame, bei der sie den Haushalt macht, gebeten wird, zukünftig den Hintereingang zu benutzen, beschließt sie nicht mehr zur Arbeit zu kommen.
    Doch herzzerreißend für die Protagonistin wie für die Leserin ist jene Szene, als Paulette, die kleine Tochter von Maud Martha und Paul, vom Weihnachtsmann eines Kaufhauses nicht dieselbe Aufmerksamkeit bekommt wie zuvor die weißen Kinder. Wie kann sie ihrem Kind dieses Verhalten erklären, ohne ihm das unschuldige Vertrauen in die Welt zu nehmen?
    Gwendolyn Brooks erzählt Maud Marthas Leben episodenhaft. Es sind immer nur Momentaufnahmen bzw. Beobachtungen und Reflexionen. Dazwischen bleiben Leerstellen, vieles bleibt unausgesprochen. Aber in der Summe ergibt sich so ein ganzes Frauenleben, ein Leben als Tochter, Ehefrau und Mutter.
    Und Brooks dichte und poetische Sprache erschafft Bilder von großer Eindringlichkeit, die in Erinnerung bleiben. Mit leichtem Spott blickt die Protagonistin auf ihre Umwelt, aber schließt sich davon nicht aus. Im Verlauf ihres Lebens muss sie sich von manchen Traum verabschieden, trotzdem verliert sie nicht ihren Optimismus und ihre Fähigkeit, Schönes zu entdecken.
    Vieles
    „ Maud Martha“ ist das Portrait einer widerständigen und positiv denkenden Frau, die sich in einer rassistischen Gesellschaft bewähren muss. Ein Buch, dem ich viele Leser wünsche.

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  1. Schwarz hat viele Nuancen

    Schwarz hat viele Nuancen

    Eine Wiederentdeckung, von der ich mich frage, warum sie in Vergessenheit geraten konnte?! Schließlich war Gwendolyn Brooks die erste schwarze Pulitzer-Preisträgerin überhaupt, eine große Ehre! Nach der Lektüre kann ich nachvollziehen, warum sie diesen Preis erhalten hat. Die Autorin lehnt vieles an ihr eigenes Leben an, und man erkennt zwischen den knappen Zeilen was ein Farbiger damals zu erleiden hatte. Den Preis erhielt sie aber nicht für dieses Buch, dies verfasste sie gut 3 Jahre nach der Auszeichnung!

    Maud Martha berichtet in diesem Werk von kurzen Erlebnissen aus ihrem Leben. Die Passagen sind eher kurz gehalten, doch die Wortwahl des gelesenen gibt Einblick in die Gefühle Maud Marthas, deren Leben der Leser vom Kindesalter an bis zum Alter einer reifen Frau begleiten darf. Ihre Gedanken und Erlebnisse zeigen sehr deutlich, wie schwer es war schwarz zu sein. Dabei wird ebenfalls deutlich, dass die Abstufungen der Hautfarbe ebenfalls eine zentrale Rolle spielte, je dunkler, desto schlechter. Als Maud Martha ihren Mann heiratet, treibt sie immer noch der Gedanke um, ob sie gut genug für ihn ist, weil sie sich als zu schwarz sieht. Hübsch wäre sie vielleicht, wenn man ihren Hautton als Cremefarben bezeichnen könnte. Beim lesen tut es manchmal fast weh, diesen Gedanken zu verfolgen. Es muss schrecklich sein, wenn das gesamte Leben von diesem Gefühl überschattet wird. Schwarz sein ist keine Momentaufnahme, es überschattet das gesamte Leben. Entkommen konnte man dem nicht als Frau in dieser Zeit um 1930. Hier drängt sich die Frage auf, ob sich seitdem überhaupt viel geändert hat.
    Auch innerhalb der Familie ergeht es Maud Martha schlechter als der Schwester zum Beispiel. Dennoch meistert sie ihr Leben, arrangiert sich mit vielem und erträgt es auf ihre Weise. Bewundernswert! Denn auch Maud Martha hatte Träume, wie jeder andere Mensch auch. Eine schöne Wohnung war einer davon, doch sie muss mit der Kitchenette vorlieb nehmen und das Beste daraus machen. Ihre Tochter erzieht sie sehr liebevoll, und bangt darum, dass sie allzu bald den Ernst des Lebens kennenlernen muss. Paulette wird irgendwann am eigenen Leib die Diskriminierung erleben, Maud Marthas schützende Hand wird sie nicht für immer begleiten können…..

    Ein Klassiker, der gelesen werden sollte, immer und immer wieder. Danke an den Manesse Verlag, der diesen Klassiker endlich ins deutsche übersetzt herausgegeben hat.

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  1. Ein Leben in leiser Würde

    Chicago in den 1940er- und 1950er-Jahren: Maud Martha Brown wächst in bescheidenen, aber behüteten Verhältnissen auf. Als Heranwachsende träumt sie von Wohlstand, fremden Großstädten und der großen Liebe. Doch ganz so gut meint es das Leben nicht mit ihr. Trotz aller Widrigkeiten und Hindernisse ist sie stets darauf bedacht, ihre Würde zu behalten.

    „Maud Martha“ ist der einzige Roman der verstorbenen Autorin Gwendolyn Brooks, der bereits im Jahr 1953 entstanden und nun erstmals auf Deutsch erschienen ist.

    Meine Meinung:
    Der Roman besteht aus 34 kurzen Episoden. Er spielt in Chicago und begleitet Maud Martha von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter, mit Unterbrechungen in Form von kleineren und größeren Zeitsprüngen. Erzählt wird aus einer personalen Perspektive aus der Sicht der Protagonistin.

    Die Sprache hat mich begeistert und schnell für den Roman eingenommen. Sie ist atmosphärisch und bildstark. Die Autorin beweist mit diesem Werk, dass sie mit nur wenigen Wörtern und Sätzen, sehr viel transportieren konnte. Der Stil ist zugleich reduziert und dennoch poetisch. Nur die Übersetzung von Andrea Ott weist kleinere Schwächen auf.

    Wie der Titel richtigerweise vermuten lässt, steht die Figur Maud Martha im Vordergrund des Romans. Sie wird realitätsnah und mit psychologische Tiefe dargestellt. Beim Lesen kommt man der Figur nahe. Weil die Protagonistin Gemeinsamkeiten mit der Autorin aufweist, ist davon auszugehen, dass autobiografische Elemente eingearbeitet sind.

    Inhaltlich ist der Roman ein Porträt einer jungen Schwarzen und gleichzeitig eine Art Gesellschaftsstudie, denn die Biografie Maud Marthas zeigt exemplarisch, wie es ist, als nicht-privilegierte Person in dieser Zeit zu leben. Einerseits nehmen der Rassismus und seine Folgen breiten Raum ein. Andererseits wird die Protagonistin nicht nur wegen ihrer Hautfarbe, sondern auch wegen ihres Geschlechts, ihres Aussehens insgesamt und ihrer gesellschaftlichen Stellung diskriminiert und abgewertet. Vor allem Situationen, in denen diese Aspekte zutage treten, werden schlaglichtartig beleuchtet. Diese Szenen sind es, die mich am meisten berührt und gedanklich beschäftigt haben. Betroffen macht die Feststellung, dass sich so manche Begebenheit auch in der heutigen Zeit so ereignet haben könnte. Obwohl die Erfahrungen sehr persönlich sind, sind sie zum Teil eben zugleich universell, was dem Roman auch in der Gegenwart Bedeutung verleiht.

    Auf den knapp 140 Seiten werden die Erlebnisse verdichtet und aufs Wesentliche beschränkt. Einen klassischen Spannungsbogen und größere Überraschungen gibt es nicht. Dies tut dem Lesevergnügen jedoch keinerlei Abbruch.

    Als gelungen empfinde ich auch das Nachwort von Daniel Schreiber („Eine Ballade gelebten Lebens“). Er ordnet den Roman ins Gesamtwerk von Gwendolyn Brooks ein, skizziert die Biografie der Autorin und legt ihr Anliegen dar.

    Die unaufdringliche, aber ansprechende, zeitgemäße und durchdachte Aufmachung des Hardcovers passt sehr gut. Erfreulicherweise hat der Manesse-Verlag beim deutschen Titel auf Experimente verzichtet und sich am Original orientiert.

    Mein Fazit:
    Mit „Maud Martha“ hat Gwendolyn Brooks ein sprachlich beeindruckendes und inhaltlich intensives Leseerlebnis geschaffen. Ein Roman, der an Relevanz leider nicht eingebüßt hat und daher uneingeschränkt empfehlenswert ist.

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  1. Rassismus, Klassengesellschaft und Patriarchat

    Unter dem Motto "Mehr Klassikerinnen" veröffentlicht der Verlag Manesse Werke von Frauen, berühmten Autorinnen genauso wie vergessenen oder sogar bisher nicht ins Deutsche übersetzten. Zu letzteren gehört die US-Amerikanerin Gwendolyn Brooks (1917 – 2000), die 1950 als erste Schwarze den Pulitzerpreis in der Kategorie Lyrik und später zahlreiche weitere Auszeichnungen erhielt.

    Während die Gedichte bis heute nicht auf Deutsch vorliegen, hat Andrea Ott nun ihren einzigen Roman "Maud Martha" von 1953 übersetzt. Er besteht aus 34 Einzelgeschichten um die gleichnamige Protagonistin, überwiegend aus ihrer Sicht erzählt und autobiografisch inspiriert. Die „Vignetten“, wie Daniel Schreiber sie in seinem sehr erhellenden Nachwort nennt, die man größtenteils auch als unabhängige Kurzgeschichten lesen könnte, werfen Schlaglichter auf den alltäglichen Rassismus, die Klassengesellschaft, insbesondere das Arbeitermilieu, und die patriarchalische Familienordnung in den 1920er-Jahren bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs.

    Kindheit, Jugend, Ehe, Mutterschaft
    In der ersten Vignette ist Maud Martha sieben Jahre alt:

    "Sie mochte Schokolinsen und Bücher und gemalte Musik (tiefblau oder zartsilbern) und den sich wandelnden Abendhimmel, von den Stufen der hinteren Veranda aus betrachtet. Und Löwenzahn." (S. 7)

    In den Löwenzahnblüten sieht sich das wenig selbstbewusste Kind gespiegelt, sind sie doch ebenso gewöhnlich, verzieren aber als „gelbe Halbedelsteine“ das „geflickte grüne Kleid ihres Hinterhofs“ (S. 7). Maud Martha wünscht sich, geliebt zu werden, etwas zu erschaffen und „der Welt einfach eine gute Maud Martha schenken“. (S. 21)

    Die einzelnen Kapitel handeln von Maud Marthas Kindheit, während derer sie sich stets hinter der hellhäutigeren, charmanteren zwei Jahre jüngeren Schwester und „Königin“ Helen zurückgesetzt fühlt, von finanziellen Schwierigkeiten der Eltern, ersten Verehrern sowie ihrem Traum von New York und einem „gediegenen" Zuhause, der mit der Eheschließung mit Paul und dem Bezug einer armseligen "Kitchenette" im Chicagoer Stadtteil South Side zerplatzt. Die eheliche Desillusionierung schiebt sie beharrlich auf ihre dunkle Hautfarbe und das Kraushaar, die ihrer Ansicht nach ihren etwas hellhäutigeren Mann stören müssen, nicht auf ihren offensichtlich unterschiedlichen Intellekt: Während sie William S. Maugham liest, studiert Paul „Sex in the Married Life“.

    Szenen mit Gänsehaut-Effekten
    Dem Text merkt man die Lyriker an, insbesondere bei den kreativen Farbadjektiven und Bildern. Zwar hätte ich mir einen weniger fragmentierten und ausführlicheren Text gewünscht und Maud Marthas Beteuerung, das Leben eher als Komödie denn als Tragödie zu sehen, konnte ich über weite Strecken nicht nachvollziehen. Trotzdem berühren viele Vignetten stark, so eine diskriminierende Szene im Hutladen, den Maud Martha trotzdem würdevoll verlässt, oder die vorletzte Geschichte, in der ihre geliebte Tochter Paulette im Kaufhaus von Santa Claus ignoriert wird und der Mutter aufgeht, dass sie ihr die grausame Wahrheit über die Diskriminierung nicht mehr lang verheimlichen kann. Stark sind auch die Charakterisierung der Mitbewohnerinnen und –bewohner des Mietshauses und Maud Marthas deprimierender Arbeitsversuch als Hausmädchen. Überrascht hat mich der Rassismus innerhalb der schwarzen Community aufgrund unterschiedlicher Teints.

    Die Entdeckung dieses modernen Klassikers über eine in eng gesteckten Grenzen widerständige, wütende und doch nicht verzagte Frau, die sich nicht ihrer Würde berauben lässt, lohnt daher sehr.

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  1. 4
    03. Mai 2023 

    Fast eine Autobiografie - erzählt in Miniaturen...

    Der Bezeichnung "Roman" kann ich in diesem Fall kaum folgen, denn erzählt wird hier eher unzusammenhängend in lose aufeinanderfolgenden Vignetten von jeweils wenigen Seiten, wenn auch zumeist chronologisch. Grob skizziert werden hier einige Jahrzehnte eines Frauenlebens, das eher auf der Schattenseite des Lebens anzusiedeln ist, von den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Vergleicht man die Schilderungen des Lebens von Maud Martha Brown mit den Eckdaten der Autorin, wird man auf nicht unerhebliche Parallelen stoßen. Einiges ist jedoch auch nicht stimmig, so dass es sich hierbei wohl am ehesten um eine autofiktionale Erzählung handeln dürfte.

    Tatsächlich hat die Pulitzer-Preis-Trägerin Gwendolyn Brooks mit "Maud Martha" ihren einzigen Roman verfasst - ansonsten hat sie sich der Lyrik gewidmet, was dem Schreibstil auch von diesem Buch durchaus anzumerken ist. Sehr bildhafte, auf eine kleine aber treffende Essenz zusammengeschnürte und fein geschliffene Schilderungen, teilweise von einer unerwartet zauberhaften Poesie durchdrungen in einer ansonsten durch und durch grauen Welt. Da gab es doch etliche Passagen, die mich angesprochen haben.

    "Sie mochte Schokolinsen und Bücher und gemalte Musik (tiefblau oder zartsilbern) und den sich wandelnden Abendhimmel, von den Stufen der hinteren Veranda aus betrachtet. Und Löwenzahn. Gelbe Alltagsedelsteine, mit denen das geflickte grüne Kleid ihres Hinterhofs verziert war. Sie mochte diese nüchterne Schönheit, mehr noch aber ihre Alltäglichkeit, denn darin glaubte sie ein Abbild ihrer selbst zu erkennen, und es war tröstlich, dass etwas, was gewöhnlich war, gleichzeitig eine Blume sein konnte."

    Ansonsten erscheint der Ton meist lakonisch-distanziert, auch wenn manche Gefühlslagen sich nahezu aufdrängen. Im Zentrum des Geschehens steht Maud Martha, eine junge Schwarze Frau, die nicht allein aufgrund des allseits vorherrschenden Rassismus benachteiligt wird, sondern auch wegen ihrer Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse sowie aufgrund ihres Geschlechts als Frau. Drei Anlässe zur Diskriminierung, und dementsprechende Erfahrungen schildern viele der Vignetten. Doch trotz der Enttäuschungen im Leben, der Erniedrigungen und Demütigungen - eines lässt sich Maud Martha nicht nehmen: ihre Würde. Selbstbestimmung, Anstand, Selbstachtung - das sind die drei Säulen ihres Lebens.

    Als Leseerlebnis konnte mich der Roman nicht vollkommen abholen, da Maud Martha als Person für mich wenig greifbar blieb, doch in der Prägnanz der Darstellung konnte mich die Erzählung beeindrucken. Sehr aufschlussreich war dabei das Nachwort von Daniel Schreiber, das mir bei der Einordnung des Gelesenen half und auch schlüssig aufzeigte, weshalb es wichtig ist, dass der Roman nicht in der Versenkung verschwindet. Empfehlungen durch Prominente wie Barack Obama trugen dazu bei, dass man sich dieses Buches aus dem Jahr 1953 erinnerte, und das nun erstmals auch in einer deutschen Übersetzung vorliegt.

    Eine interessante Leseerfahrung...

    © Parden

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  1. Kurz und intensiv.

    Gwendolyn Brooks (1917-2000), eine afroamerikanische Dichterin und Pulitzerpreisträgerin veröffentlichte diesen Roman 1953. Sie beschreibt darin das Leben ihres Alter Egos, Maud Martha, im Chicago der 1940er Jahre. Schlaglichtartig erhellen sich die prägenden Momente Maud Marthas Kindheit, Jugend und schließlich der Ehe mit Paul zusammen in der engen Kitchenette-Wohnung, die auch Schauplatz für Brooks eigenes Leben bildet, als sie, angesichts der Preisverleihung für ihre Gedichte, Reporter und Gratulanten empfangen muss.

    Der Leser darf also getrost davon ausgehen, dass das Leben Maud Marthas eins zu eins Gwendolyns Leben ist. "Maud Martha" ist ihr einziger Roman und seine kurzen lakonischen Vignetten verleugnen nicht die Dichterin, die der Meinung war, dass "echte Größe auch in einem kleinen Haiku [kurze japanische Gedichtform] gefunden werden kann".

    Mit ganz so wenigen Worten müssen wir uns nicht begnügen, doch es ist schon auffällig, wie oft rassistische Konflikte in den Kapiteln mit nur einem Wort abgehakt und quasi im Raum stehen gelassen werden. Brooks diskutiert nicht das Potential der Ungleichbehandlung in Rasse, Klasse und Geschlecht und zeigt auch keine Lösungswege auf, sondern lässt die Momente im Blitzlicht aufleuchten, kurz und scharf umrissen und eilt dann zur nächsten Station ihres Lebens weiter. Das mag bruchstückhaft erscheinen, hat aber den Vorteil, dass die Essenz aus den 140 Seiten tief wirken kann. Dabei findet sie trotzdem immer wieder Platz für kleine Oasen bescheidenen Glücks beim Betrachten von Löwenzahnblüten.

    Maud Martha selbst besitzt wenig Selbstwertgefühl und sieht für ihre Zukunft allenfalls eine schöne Zimmereinrichtung, doch nicht nur der Name "Maud", die mächtige Kämpferin, lässt erahnen, dass sie aus den feinsinnigen Beobachtungen ihrer Umwelt bald ausbrechen wird und die verletzenden Worte der Mitmenschen an den Pranger stellen wird... mit einem Gedicht, oder aber mit diesem Buch, übersetzt von Andrea Ott und mit einem erhellenden Nachwort von Daniel Schreiber ergänzt. Einfach aber sehr intensiv, eben fast wie ein Haiku.

    Der Manesse Verlag hat sich ebenfalls ganz auf dieses Werk eingelassen und huldigt mit dem Vorsatzpapier die Tapete in Maud Marthas kleiner Wohnung, in der ihre Träume platzen, aber das Leben ungebremst weitergeht.

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  1. 4
    27. Apr 2023 

    Kleiner Roman über das Leben einer Schwarzen Frau

    Kleiner Roman über das Leben einer Schwarzen Frau Anfang des 20. Jh.

    „Maud Martha“ ist der 1953 erstmals veröffentlichte und einzige Roman der Pulitzer Preisträgerin aus dem Jahre 1950, der Lyrikerin Gwendolyn Brooks. Mittlerweile kann er als moderner Klassiker eingeordnet werden und ist nun glücklicherweise auch erstmals auf Deutsch erschienen.

    Der Roman, welcher in kurzen Vignetten verfasst ist, beschreibt das Aufwachsen und Leben einer jungen Schwarzen Frau, besagte Maud Martha, in der South Side von Chicago. Die Handlung setzt Anfang der 1920er Jahre ein, Maud Martha ist, wie auch die Autorin selbst, 1917 geboren. Schon ihre Eltern hatten nicht viel Geld, jedoch ein kleines Haus, mit ihrer Heirat zieht sie mit ihrem Mann in eine heruntergekommene Kleinstwohnung, eine sogenannte „Kitchenette“, und wir begleiten sie nun durch ihr Leben, welches geprägt ist von den drei großen, soziologischen Variablen für Verarmung und Ausgrenzung: Rasse, Klasse und Geschlecht. Wir lernen aber auch die Wohngegend kennen, das soziale Umfeld der Protagonistin, ebenso zwischendurch auch kleine alltägliche Szenarien ihres Lebens. Klar wird: Maud Martha hat ganz andere intellektuelle Ambitionen als ihr Ehemann, steckt allerdings fest ist den determinierenden Gegebenheiten der Zeit.

    Gwendolyn Brooks Schreibstil merkt man an, dass sie eigentlich eine Dichterin gewesen ist. Die Beschreibungen von Natur als Parabel auf Empfindungen Maud Marthas können direkt von der ersten Seite an überzeugen. Weiterhin weisen die sehr kurzen Kapitel, die eigentlich viel besser „Geschichten“ genannt werden könnten, auf die lyrische Form hin, welche hier in eine prosaische Form gebracht wurde. Mit einigen wirklich perfekten Sätzen formt sie Ereignisse zu mitunter brillanten Betrachtungen. Ihre Beschreibung der Geburt von Maud Marthas Tochter ist so lebendig und unmittelbar beschrieben, wie auch ein Vorfall, bei dem das N-Wort in einem von Schwarzen geführten Schönheitssalon verwendet wird. Diese Szenen gehen definitiv unter die Haut. Trotzdem konnten mich mitunter diese einzelnen Momentaufnahmen/Vignetten nicht unbedingt der konkreten Person Maud Martha näher bringen. Als Figur wirkte sie immer recht fern auf mich, ich hätte mir ihr noch mehr psychologische Tiefe gewünscht. Das Buch fängt zwar quasi die Essenz des Lebens als Schwarze Frau ein, aber als Roman hat es mich nicht so richtig hineinziehen können. Mir fehlte ein wenig die emotionale Bindung an die Figur Maud Martha sowie ihrer Konflikte. Manchmal konnte ich den Vignetten in ihrem Sprung von einer Szenerie in die nächste nicht ganz folgen und fragte mich auch ab und an, warum jetzt gerade diese Momentaufnahme im Roman auftaucht.

    Ich muss zugeben, dass diese ganz besondere Kürze der Kapitel sowohl inhaltlich als auch sprachlich, sowie die Sprünge zwischen ihnen doch sehr gefordert haben. Ich hätte mich gern Maud Martha näher gefühlt, dafür hätte der Roman eben auch gern noch umfangreicher sein dürfen.

    Sehr gut hat mir beim (Be-)Greifen des Werkes und seiner Relevanz das Nachwort von Daniel Schreiber geholfen, welches noch einmal die Entwicklung der nach außen hin vertretenen Ansichten Gwendolyn Brooks zum Thema Bürgerrechtsbewegung, die Parallelen zwischen Maud Marthas und ihrem eigenen Leben als auch auf soziologischer Seite die Entstehung von Ghettos in den Großstädten der USA und einige andere, wichtige Punkte herausarbeitet. Die Übersetzung von Andrea Ott hat mir über weite Strecken gefallen, wenngleich sie gleich auf Seite 10 aus der Frisur „pompadour“ im Deutschen eine „Elvis-Tolle“ macht, die Handlung in dem Moment aber Anfang der 1920er Jahre angesiedelt ist. Nicht nur zum Handlungszeitpunkt war Elvis noch gar kein Thema, sondern selbst bei Verfassen des Romans 1953 konnte er Brooks noch nicht einmal bekannt gewesen sein, begann er seine Karriere doch erst im darauffolgenden Jahr. ;)

    Insgesamt finde ich die Aufmachung des Buches wirklich sehr gelungen. Ein ganz großes Lob an den Verlag, dass er sich bei diesem Buch dafür entschieden hat, die Anmerkung direkt als Fußnoten auf die entsprechenden Seiten im Roman zu drucken. Kein Blättern, kein Suchen. Die Gestaltung finde ich auch sehr schön und stimmig. Bis hin zum Vorsatzpapier, welches im Aussehen der beschriebenen Tapete aus Maud Marthas Kitchenette gleicht und damit den Rahmen um das Erwachsenenleben der Protagonistin widerspiegelt, stimmt hier alles und gibt auch den perfekten optischen Rahmen für den Roman vor.

    Es ist wichtig und richtig, dass dieses Buch nun auch den deutschsprachigen Leser:innen zugänglich gemacht wird. Es handelt sich, wie besonders durch das Nachwort klar wird, um einen zu unrecht vergessenen, modernen Klassiker und relevanten Roman von einer äußerst interessanten Autorin. Eine Lektüre des Gesamtpakets des Manesse Verlags lohnt sich auf jeden Fall.

    3,5/5 Sterne

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Blue Skies: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Blue Skies: Roman' von T.C. Boyle
4
4 von 5 (4 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Blue Skies: Roman"

Der Countdown zur Apokalypse läuft: Kalifornien geht in Flammen auf, Überschwemmungen bedrohen Florida. „Der Planet stirbt, siehst du das nicht?", wirft Cooper seiner Mutter vor, die ihre Küche gehorsam auf frittierte Heuschrecken umstellt. Heftige Diskussionen gibt es auch mit Schwester Cat. Sie hat sich als Haustier einen Tigerpython namens Willie angeschafft, die sie sich wie ein glitzerndes Juwel um die Schultern hängt. Die Frage nach dem Verhältnis zur Umwelt geht wie ein Riss durch die Familie, bis eines Nachts Willie aus dem Terrarium verschwindet. Mit „Blue Skies“ hat T.C. Boyle den ultimativen Roman über den Alltag in unseren Zeiten geschrieben. Unheimlich, witzig und prophetisch.

Diskussionen zu "Kill: Thriller"

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:400
EAN:9783446276895
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Rezensionen zu "Blue Skies: Roman"

  1. 4
    13. Aug 2023 

    Es ist zum Fürchten

    Im Mittelpunkt von T.C. Boyles neuem Roman Blue Skies steht eine ganz normale, der oberen Mittelschicht angehörende Familie. Frank ist Arzt und lebt mit seiner Frau Ottilie in Kalifornien. Sie haben eine Tochter - Cat – und einen Sohn – Cooper. Die Tochter heiratet einen jungen Mann namens Todd und zieht in das Elternhaus ihres Mannes an der Ostküste Floridas. Sie will eine erfolgreiche Influencerin werden und kauft sich eines Tages eine kleine Schlange. Sie verspricht sich einen Riesenerfolg, wenn sie Bilder mit der wie ein Accessoire um die Schultern gelegten silbernen Schlange ins Netz stellt. Ihre Familie hat wenig Verständnis für diese Marotte. Ihr Bruder Cooper ist Entomologe und hat sich schon als kleiner Junge für Käfer und Insekten interessiert. Er engagiert sich stark für Maßnahmen zur Rettung des Planeten und überredet seine Mutter zu einer radikalen Umstellung der Ernährung. Die Mutter beginnt, Grillen zu züchten und serviert sie in unterschiedlicher Form auch ihren Gästen. Dann ereignen sich die ersten Katastrophen. Cooper wird von einer Zecke gebissen und gerät in Lebensgefahr. Cat ist mitschuldig an einer Katastrophe in ihrer jungen Familie mit den kürzlich geborenen Zwillingsmädchen Sierra und Tahoe. Die privaten Krisen finden ihre Entsprechung in den globalen, die Boyle thematisiert: Während in Kalifornien eine extreme Dürre herrscht und immer wieder Brände ganze Landstriche zerstören, regnet es in Florida fast ununterbrochen. Überschwemmungen zerstören Ortschaften, und die Menschen stehen vor dem Nichts. Cats und Todds Haus ist durch Feuchtigkeit und Termiten stark beschädigt, und Cat muss viele Wege mit dem Boot erledigen. Dann setzt ein Massensterben nicht nur von Bienen, sondern von allen Arten von Insekten ein. Für Cooper bleibt bald nichts mehr zu erforschen.
    T.C. Boyle zeichnet ein realistisches und kenntnisreiches Bild einer Apokalypse, die in ihren Anfängen schon sichtbar ist: die Gletscherschmelze und die Erwärmung der Meere, Überflutung von tief gelegenen Inseln und Küsten überall auf der Welt, das Artensterben, Pandemien… Am Ende ist nichts mehr normal. Die gewohnte Lebensweise der Menschen mit sorglosen Partys und gedankenlosem Umgang mit den Ressourcen ist überholt. Blue Skies ist ein Roman, der den Leser ängstigt und deprimiert. Dennoch ein gutes, empfehlenswertes Buch, weil es zum Nachdenken anregt.

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  1. Im Terrarium und auch davor

    „Blue Skies“: in dieser Satire (jedenfalls halte ich diesen Roman dafür) von T. C. Boyle geht es um Cooper, seine drei jeweiligen Freundinnen und seine Eltern Ottilie & Frank, die alle in Kalifornien wohnen. Ottilie kocht gern und so probiert sie sich gehorsam durch die Haltungsbedingungen vieler frittierbarer Insekten der Welt. In „diesem“ Kalifornien ist es immer heiß, manchmal brennt es, daher das breit lodernde, grell orangefarbene Feuer auf dem Cover.

    Der andere Teil der Familie: Coopers Schwester Catherine, genannt Cat, wohnt in Florida, wo es immer regnet, oft stürmt und alles dauernd überschwemmt ist. Eine klimatische Mischung der beiden Bundesstaaten wäre gut, aber das geht ja nun mal leider nicht. Cat ist mit Todd zusammen, einem Bacardi-Repräsentanten und manchmal hat sie Haustiere. Z. B. einen männlichen, sehr freiheitsliebenden, Tigerpython namens Willie, den sie sich um den Hals legt, wenn sie eine Bar aufsucht, was ziemlich oft passiert. Ebenfalls ziemlich oft passiert es, dass Willie aus seinem Terrarium abhaut.

    Und weil Todd weder Tierhaare noch Babys mag, hatte Cat nicht viel Auswahl bei ihrer sonstigen Gesellschaft. Denn er selbst ist meistens auf Reisen und feiert weltweit seine ausschweifenden Bacardipartys. Manchmal darf sie mit, aber meistens nicht, denn das wäre doch eher geschäftsschädigend für seine weibliche Bacardi-Fangemeinde.

    Dann passiert etwas so Schreckliches, dass der Leser erstmal nach Luft schnappt. Das Kopfkino springt an und lässt einen tagelang nicht wieder los. Leider – oder zum Glück – kann das hier natürlich nicht verraten werden. Durch das Schreckliche ändert sich alles und die Protagonisten sind beschäftigt. Dabei könnte alles doch so schön sein. Wenn man nur die Zeit ein ganz klein wenig zurückdrehen könnte.

    Einiges wird uns allerdings hier untergejubelt, z. B. auf S. 151: „Und sie hatten ja auch einen Wagen mit Elektromotor, was den CO2-Ausstoß reduzierte, aber natürlich brauchte so ein Wagen auch ein Kraftwerk, in dem irgendwas verbrannt wurde.“ Und selbstredend ist Cat gegen Covid geimpft und zweimal gegen Varianten geboostert. (S. 150) Zum Schluss, auf Seite 394, dürfen wir dann noch ein Loblied auf die Chemtrails lesen, folgerichtig hätte dann der Himmel auf dem Cover eher weiß als blau sein müssen.

    Fazit: Eine bunte Mischung aus zwei amerikanischen Bundesstaaten. Aber Achtung, auch wenn’s wie Satire klingt, so scheint uns doch das Nach-Corona-Narrativ des Klimawandels immer wieder übergebügelt zu werden. Beim dennoch versöhnlichen Ende dürfen wir dann wieder etwas aufatmen.

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  1. 5
    29. Mai 2023 

    Realistisches Szenario, satirisch überspitzt

    Der 74jährige T.C.Boyle ist einer der ( vor allem in Deutschland ) erfolgreichsten und interessantesten US-amerikanischen Schriftsteller der Gegenwart. In seinen Büchern greift er gerne aktuelle Themen auf, so auch in seinem neuesten Roman „ Blue Skies“.
    Der Titel und das Cover stehen aber nicht für unbeschwertes Sommerfeeling, sondern für einen beständigen wolkenlosen Himmel und somit für extreme Trockenheit und Dürre. T.C.Boyle thematisiert hier die Klimakatastrophe und ihre Auswirkungen auf die Menschen und ihren Alltag.
    Das macht er ganz konventionell anhand einer Familiengeschichte. Im Zentrum stehen die Eltern Ottilie und Frank mit ihren beiden erwachsenen Kindern Cooper und Cat.
    Die Tochter lebt mit ihrem Verlobten Todd, einem Werbebotschafter für Baccardi- Rum in Florida in einem geerbten Strandhaus. Cat, oberflächlich und gelangweilt, kauft sich aus einer Laune heraus eine Tigerpython und erhofft sich als „ Schlangenlady“ einen großen Erfolg als Influencerin.
    Cooper dagegen hat als Insektenforscher die Zeichen der Zeit erkannt. Schon lange weiß er um das dramatische Insektensterben und dessen Folgen. „ Der Planet stirbt, siehst du das nicht?“ fragt er seine Mutter. Doch die versucht dagegen anzugehen, bewusster und nachhaltiger zu leben. Zuerst einmal stellt sie die Ernährung um, besorgt sich einen Grillenbrutapparat und serviert ihren Gästen Cookies aus Grillenmehl und frittierte Heuschrecken.
    Aber es sind hilflose Versuche, etwas aufzuhalten, was schon längst in der Realität angekommen ist. Der Mensch hat schon viel zu lange gegen die Natur gelebt und nun schlägt sie zurück. Boyle lässt die Familie von einer Katastrophe in die nächste wanken.
    Cats wenig artgerechte Haltung einer gefährlichen Würgeschlange in einem Terrarium in ihrem Haus hat Folgen. Willie, wie die Python zärtlich von Cat genannt wird, verschwindet eines Tages spurlos, um erst dann wieder aufzutauchen, um von der als Ersatz gekauften zweiten, etwas größeren Schlange aufgefressen zu werden. Das ist aber erst der Anfang, die eigentliche Tragödie für Cat und ihre Familie wird noch kommen.
    Auch bei Ottilie läuft einiges schief. Ihre euphorisch begonnene Aufzucht von Grillen endet damit, dass eines Morgens alle Tiere im Brutapparat tot sind. Und der nächste Versuch mit einem Bienenstock endet genauso. Was kann man denn noch tun, fragt sich Ottilie verzweifelt und schwimmt erstmal ein paar Runden im Pool.
    Während viele nützliche Insekten aussterben, vermehren sich Zecken rapide und werden zu einer lebensbedrohenden Gefahr. Das bekommt Cooper nach einem Zeckenbiss schmerzhaft zu spüren.
    Doch nicht nur die Tiere spielen verrückt, sondern auch das Wetter. In Kalifornien, wo Cooper und seine Eltern leben, brennt eine unbarmherzige Sonne vom Himmel und treibt das Thermometer ständig nach oben. Seit Monaten fällt kein Tropfen Regen, der Boden ist dürr und unfruchtbar und der kleinste Funke lässt Häuser und Wälder brennen.
    Bei Cat und Todd in Florida dagegen regnet es unablässig. Der Meeresspiegel steigt, die hölzernen Stützpfähle vom Strandhaus faulen im Wasser und Termiten nisten sich im feuchten Holz ein. Die meisten Nachbarn haben ihre Häuser bereits verlassen, nur Cat versucht auszuhalten, auch wenn das heißt, dass sie ihr Haus nur noch mit dem Boot verlassen kann.
    T.C. Boyle kennt keine Gnade mit seinen Figuren. Er zeichnet sie als typische Zeitgenossen, die entweder unbeirrt an ihrem Lebensstil festhalten und die Fakten ignorieren wie Cat und Todd oder als hilflose Endzeitpropheten, die mit ihren Statistiken dagegenhalten wie Cooper und seine Wissenschaftskollegen.
    Einzig Ottilie gehört die volle Sympathie des Lesers. Ihre Versuche die Katastrophe aufzuhalten wirken gleichzeitig rührend und hilflos. Der Alkoholkonsum aller Protagonisten wird im Verlaufe des Romans enorm ansteigen.
    Aber der Autor mutet ihnen auch viel zu. Immer wenn man denkt, es reicht, folgt der nächste, noch härtere Schicksalsschlag.
    T.C.Boyle beginnt seine Geschichte in der Gegenwart und lässt sie in einer nahen Zukunft enden. Er entwirft ein sehr realistisches Szenario und zeigt, wie ganz gewöhnliche Menschen damit umgehen. Lösungen kann er keine bieten, Schlüsse muss der Leser selber ziehen. Man erfährt hier auch nicht unbedingt Neues, doch dadurch, dass er die bekannten Fakten in eine Erzählung einbindet, erreicht er den Leser auf der emotionalen Ebene.
    Manches ist satirisch überspitzt, das sorgt für Witz und Komik, trotz des ernsten Themas.
    Viele der vierundzwanzig Kapitel enden mit einem Cliffhänger. Das macht den Roman zu einem unglaublich spannenden, aber auch erschreckenden Leseerlebnis. Der Autor spart nicht mit drastischen und verstörenden Szenen.
    Nur am Ende gönnt er dem Leser einen kleinen Lichtblick.

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  1. 4
    15. Mai 2023 

    Dystopische Gesellschaftsatire

    Blauer Himmel ist schön? Das war gestern. In Kalifornien hat es seit 4 Jahren nicht geregnet, Florida dagegen ertrinkt im Starkregen und Stürme sind mittlerweile völlig unberechenbar. Das ist die Situation in den USA, in der Boyle uns mit Ottilie und Frank und ihren Kindern Cooper und Catherine (Cat) bekannt macht. Ein dystopisches Setting für eine bissige, fast zynische Gesellschaftssatire mit rabenschwarzem Humor.

    Cat sind das Klima und die Natur im Grunde egal. Sie hat vor dem Schaufenster einer Reptilienhandlung eine Eingebung – eine Schlange würde sie einzigartig in der Influencer Scene machen, der sie so gerne angehören würde. Es gibt verschiedene Hinweise darauf, dass eine Königspython als Haustier keine gute Idee ist, vor allem, wenn man wie sie ein Alkoholproblem hat, aber Cat ignoriert sie alle. Sie und ihr Mann Todd, der beruflich als „Bacardi-Botschafter“ um die Welt jettet und Partys veranstaltet, stehen für die vielen oberflächlichen Menschen, deren Maßstab nur ihr eigenes Wohlergehen ist. In Cats Fall hat dieser Hedonismus einen exorbitanten Preis – der Kauf der Schlange stößt ein Drama an, das die ganze Familie erschüttern wird.

    Cats Bruder Cooper ist Entomologe aus Leidenschaft und der einzige in der Familie, der die Dramatik des Klimageschehens voll zu durchdringen scheint. Aber auch er ist kein Held, sondern ein selbstgerechter Langweiler. In der Schule einst ein verachteter Nerd mit dem Spitznamen „Bug Boy“, dient ihm nun sein Engagement dazu, seine moralische Überlegenheit zu beweisen. Die Natur vergilt ihm seine Unaufrichtigkeit – typisch für die Boylesche Ironie - mit einem Zeckenbiss, der ihn fast das Leben kostet.

    Die Sympathieträgerin des Romans ist die Mutter Ottilie, die ihr Bestes tut, um sich klimafreundlich zu verhalten. Aber es gelingt ihr nicht. „ … Sake war ihr liebstes Getränk, weil der Rauch der Buschbrände den Reis, aus dem er hergestellt wurde, nicht beeinträchtigte. Allerdings erwähnte niemand, wie intensiv Reis bewässert werden musste.“ Durch sie bekommen wir die absurde Übermacht bürgerlicher Codes vorgeführt. Ottilie kann Nahrung nicht ohne Genuss denken, selbst wenn es mittlerweile darum geht, Milliarden Menschen vor dem Hungertod in einer kollabierenden Umwelt zu retten. „Blue Skies“ zeigt: Wir haben immer noch die falschen Kriterien. Wir wissen das – und ignorieren es.

    Die Dramaturgie des Romans ist denkbar krass – alle versuchen, mit der „neuen Normalität“ zurecht zu kommen. Aber was sie auch unternehmen, „die Natur beisst zurück“, und zwar immer überraschend und viel drastischer als erwartet. Immer, wenn eine der Figuren glaubt, es kann nicht schlimmer kommen – dann kommt es schlimmer. Aber trotz dramatischer Ereignisse in der Handlung fühlt sich deren Fortschritt eher träge an – vielleicht weil Boyles ebenso meisterhafte wie distanziert-ironische Charakterzeichnung die Leserin auf Abstand zu seinen Figuren hält.

    Im letzten Viertel des Romans zerbröselt unter dem Druck der Umweltveränderungen auch die Infrastruktur. Dennoch hat das Ende einen verhalten optimistischen Touch – ob es hierfür Grund gibt oder das schlicht der unbelehrbaren Natur des Menschen geschuldet ist, bleibt offen. Werden am Ende die Illusionen, die wir offenbar brauchen, um psychisch zu überleben, zu unserem physischen Untergang führen?

    Boyles Roman liefert keine Lösungsvorschläge, auch wenn er einen asiatischen Milliardär einen unautorisierten Klimarettungsversuch unternehmen lässt. Er führt uns vor, was er sieht und überlässt die Schlussfolgerungen seinen Leser:innen. Das macht er gewohnt virtuos und sachkundig – alle Szenarien des Romans, auch die krassesten, sind schlüssig und zeitnah denkbar. Zwar zählt „Blue Skies“ aus meiner Sicht nicht zu Boyles packendsten Romanen; dennoch lohnt sich die Lektüre allemal.

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NIGHT – Nacht der Angst

Buchseite und Rezensionen zu 'NIGHT – Nacht der Angst' von Riley Sager
3.35
3.4 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "NIGHT – Nacht der Angst"

1991. George W. Bush sitzt im Weißen Haus, im Kassettendeck läuft Nirvana, und die filmbegeisterte Studentin Charlie fährt mit einem Mann durch die Nacht, der vielleicht ein Serienkiller ist. Es war nur eine Mitfahrgelegenheit. Josh behauptet, er wolle zu seinem kranken Vater in Ohio. Aber etwas stimmt nicht an seiner Geschichte. Während sie über leere, dunkle Highways fahren, steigt in Charlie ein furchtbarer Verdacht auf. Ist es möglich, dass Josh der Campus-Killer ist, der ihre beste Freundin ermordet hat? Sie kann nicht weg, Hilfe holen ist unmöglich. Sie ist gefangen.

Diskussionen zu "Kill: Thriller"

Autor:
Format:Taschenbuch
Seiten:368
EAN:9783423220293
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Rezensionen zu "NIGHT – Nacht der Angst"

  1. Wozu bist du fähig?

    Als die Studentin Maddy von einem Serienkiller ermordet wird, fühlt sich ihre Freundin Charlie schuldig und will nur noch nach Hause zu ihrer Großmutter. In Josh findet sie schnell eine Mitfahrgelegenheit. Unterwegs kommt ihr ein furchtbarer Verdacht, hat sie sich zu dem Campus-Killer ins Auto gesetzt?
    Aufgebaut ist dieser Thriller wie ein Drehbuch, was sehr passend ist, denn Charlie ist ein absoluter Film-Fan und ihr fällt zu jeder erdenklichen Szene ein passender Film ein. Dabei driftet sie immer wieder in eine Scheinwelt ab und hat Schwierigkeiten zu unterscheiden ob sich die Ereignisse in der Realität abspielen oder nur in ihrem Kopf.
    Dadurch, dass sich das Geschehen in einer kalten und dunklen Nacht abspielt, wurde eine beklemmende Atmosphäre geschaffen. Sehr gut gefallen hat mir wie Charlie mit all ihren Schicksalsschlägen, den Schuldgefühlen und ihren Ängsten sehr treffend gezeichnet wurde. Allerdings wurde sie meiner Meinung nach zu naiv dargestellt und bei mehreren ihrer Aktivitäten konnte ich nur noch den Kopf schütteln.
    Die Handlungen finden anfangs hauptsächlich im Auto statt, dies empfand ich sehr in die Länge gezogen und ich ertappte mich mehrmals dabei ganze Seiten nur quer zu lesen. Die Art des Autors zu schreiben, hat mir aber gut gefallen und es dadurch geschafft, mich trotz einiger unlogischen Handlungen der Protagonisten bis zum Schluss an die Story zu fesseln.

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  1. Ein sechs Stunden Roadtrip der zum Alptraum wird

    Die Studentin Charlie möchte nach Ohio und sucht eine Mitfahrgelegenheit. Vor dem schwarzen Brett für Mitfahrgelegengeiten in der Mensa lernt sie Josh kennen. Er nimmt Charlie mit seinem Auto mit aber mit jeder Meile wächst in Charlie der Verdacht ob Josh der Kapus - Killer ist der ihre Freundin Maddy umgebracht hat.

    Der Schreibstil ist sehr leicht, eher ruhig und zügig zu lesen.Die Protagonisten passen hervorragend in diesen Thriller hinein.Der Spannungsbogen umfasst dabei das ganze Buch.

    Fazit: Die Handlung spielt sich nachts am Dienstag den 19. November 1991 ab. Es gibt in diesem Buch fünf Teile die von neun Uhr abends bis drei Uhr nachts gehen. Die einzelnen Kapitel werden zwischen innen und aussen unterteilt. Es wird aus Sichtweise von Charlie erzählt. Sofort fiel mir die Atmosphäre in dieser Story auf - sie ist dichter und schwerer. Sie passt so gut zum Inhalt dass ich beim lesen das Auto von Josh vor Augen hatte und wie es durch die Nacht fuhr. Josh den ich im ersten Drittel als eher harmlos einstufte wirkte mit der Zeit auch nicht mehr ganz so wie er sich gab. Wer ist dieser Mann wirklich? Manipuliert er Charlie ? Nach und nach warf die Story bei mir Fragen auf und so wurde sie für mich zunehmends spannender. Das beklemmende Gefühl des engen Wagens lässt die Stimmung bedrückend und bedrohlicher werden. Während des lesens machte sich eine gewisse Anspannung bei mir breit und die nahm im Laufe des Buches noch zu. Ab ca. der Hälfte des Buches gab es dann für mich persönlich ein Wechselbad der Gefühle weil die Story immer wieder eine andere Wendung nimmt. An einigen dieser Stellen wird es dann heftig und ich musste beim lesen durchatmen. Meiner Ansicht nach ist es ein auf und ab der Gefühle. Was ist real? Was ist imaginär? Welche Rolle spielt dabei Charlie's Psychose? Aber auch bei Josh war ich hin und her gerissen. Welches Spiel treibt er mit Charlie? Ist er doch der Campus - Killer? Das letzte Drittel und das Ende haben mich aber enttäuscht. Für mich war das Buch ab da dann doch unglaubwürdig und sie kam mir eher wie eine actionreiche Story vor obwohl sie nochmals eine Wendung nimmt die ich so nicht erwartet hätte. Dieser Thriller ist spannend aufgebaut, er liest sich kurzweilig und aufregend. Das Buch ist bis zum letzten Drittel sehr gut aufgebaut. Ich vergebe daher vier Sterne.

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  1. Braucht Anlauf...

    Braucht Anlauf...
    "Night - Nacht der Angst"

    Der neue Thriller von Riley Sager ist nun auch in Deutschland erhältlich.
    Riley Sager, ein amerikanischer Schriftsteller schreibt seine Romane selten unter seinem tatsächlichem Namen: Todd Ritter. R. Sager sowie Alan Finn sind seine genutzten Pseudonyme.
    Bis vor Kurzem hielt sich der Schriftsteller bezüglicher seiner persönlichen Daten extrem bedeckt.

    Ich habe seinen Roman "HOME, Haus der dunklen Schatten" erst vor einigen Monaten gelesen und war von diesem Buch sehr beeindruckt gewesen. Mit diesem Fakt im Hinterkopf machte ich mich an die heute, zu besprechende Lektüre.

    Die Grundfarbe vom Coverbild ist in absolut dunklen, nebelähnlichem Stil gestaltet.
    In der Titelschrift "Night" blitzen die Scheinwerfer eines Autos auf und umreißen die von Wald gesäumte Strasse.
    Ein unheimlich wirkendes Titelbild, dass sehr gut zu dem Titel und auch dem Inhalt passt.

    Mein Leseeindruck

    Erzählstil, Aufbau, Spannung, Tempo, Finale
    Der Aufbau der Kapitel ist sehr übersichtlich und hilft die Szenen zeitlich und per Persona einzuordnen.
    Die Charaktere werden gut und auch detailliert vorgestellt.
    Schon gleich zu Beginn ist klar, dass eine der Hauptprotagonisten viele unterschiediedliche Hürden in ihrem Alltag nehmen muss.
    Einige ihrer persönlichen Herausforderungen bleiben schemenhaft skizziert, so wird dann die Phantasie des Lesers angeregt.
    Da nicht alles aus"- buchstabiert" wird, steigt der Spannungsbogen.
    Insgesamt ist der Aufbau schlüssig und logisch.
    Der Autor nimmt sich fast 240 Seiten Zeit, um die Hauptprotagonistin und ihre sehr speziellen alltäglichen psychischen Herausforderungen,deren unentwegten Belastungen - den Leser emotional, spüren zulassen.

    Ab den 2/3 gewinnt die Erzählung stark an Momentum und Action.

    Nun kommt der Schreibstil, der mir in o.g. Vorgängerbuch so gut gefallen hatte wieder zum Vorschein.

    Das Finale hat dann Überraschungen parat, die nicht unbedingt jeder Leser vorhergesehen hätte.
    Der absolute Thriller-Kenner widerum kann sicher, einige der Wendungen vorhersehen.

    Das Buch kommt zu einem absolut stimmigen und logischen Ende.

    Mit jeder Seite erwartete ich ansteigendes Tempo und Spannung.
    Leider wurde ich hier aber enttäuscht. Momentum, Spekulationen und Tempo brauchen Zeit um das gewünschte Speed und die damit verbundenen Nervenkitzel zu entwickeln.
    Die deutsche Übersetzung ist bis auf Kleinigkeiten sehr gut gelungen und lesbar.

    Fazit:
    Der Thriller ist logisch aufgebaut hätte jedoch von einer Straffung gerade in den ersten 2/3 der Erzählung profitiert. Das logische & gut präsentierte Finale versöhnt mich mit der langen Einführungsphase des Buchs.
    Ich gebe diesem Thriller gute 3*Lesesterne. Er brilliert indem er Grenzthematiken der menschlichen Psyche, gekonnt in den Mittelpunkt stellt und zum Thema werden lässt.

    Vielen Dank für das Leseexemplar!

    ISDN: 978-3423220293
    Formate: CD, Taschenbuch
    Verlag: dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
    Deutsche Übersetzung: Christine Blum
    Veröffentlichung: 12. Januar 2023

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Das Monster und andere Geschichten

Buchseite und Rezensionen zu 'Das Monster und andere Geschichten' von Stephen Crane
5
5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Das Monster und andere Geschichten"

Diskussionen zu "Kill: Thriller"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:272
Verlag: Pendragon
EAN:9783865328076
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Rezensionen zu "Das Monster und andere Geschichten"

  1. Crane in Höchstform

    Stephen Crane wurde nur 28 Jahre alt. Er schrieb mit „Die rote Tapferkeitsmedaille“ seinen wohl bekanntesten Roman, der ihm zum Durchbruch verhalf und noch heute in amerikanischen Schulen gelesen wird. Seine Erzählungen stehen dem Roman aber in nichts nach, wie auch der vorliegende Erzählband beweist, der elf Geschichten (zehn davon als dt. Erstveröffentlichung!) sowie den Kurzroman „Das Monster“ umfasst. Erneut bewundere ich Cranes Themenreichtum, seine feine Beobachtungsgabe und seine Liebe zum Detail. Crane beschreibt seine Schauplätze sehr bildlich, bevor er die Figuren ins Rampenlicht treten lässt. Jede Erzählung ist eine Welt für sich, egal, ob alltägliche Familien- und Kinderszenen, Männlichkeitsrituale oder Kriegsschauplätze beschrieben werden. Ebenso vielseitig sind die erzeugten Stimmungen. Mit ein paar einleitenden Zeilen befindet man sich als Leser bereits in einer völlig neuen Örtlichkeit mit einer komplett veränderten Atmosphäre wieder. Crane wendet sich dabei gern den einfachen Menschen zu, hat ein Auge für die Benachteiligten und Schwachen. Seine Themen darf man als modern und völlig zeitlos betrachten, auch wenn das eigentliche Setting im vorletzten Jahrhundert angesiedelt ist.

    Ich war sehr überrascht, dass im vorliegenden Band auch kindliche Perspektiven eingenommen werden, ich kannte sie aus Cranes bisherigem Werk noch nicht. Bereits in der ersten Geschichte kann man die Zerrissenheit des kleinen Horace spüren, der angehalten wurde, auf seine neuen Handschuhe aufzupassen, aber viel lieber mit den anderen Kindern im Schnee tobt. Am Ende schämt er sich und plant seine Flucht.

    Wiederkehrend ist die Figur des kleinen Jimmie Trescott, der mit seiner Familie im fiktiven Städtchen Whilomville lebt. Während er in „Redner in Nöten“ mit einer Schulaufgabe kämpft und in zwei anderen Geschichten seine liebe Not mit den Mädchen hat, wird ihm in „Das Monster“ (1898) auf dramatische Weise das Leben gerettet. Diese Erzählung mit einem Umfang von fast 100 Seiten darf man als Zentrum des Buches betrachten, ich würde sie als Meisterwerk bezeichnen wollen. Thematisch hat sie Parallelen zum Roman „Wer die Nachtigall stört“ von Harper Lee, entstanden ist sie jedoch viele Jahre davor. Sie beginnt zart, über mehrere Szenen, in denen man die Protagonisten kennenlernt. Dann braut sich eine Katastrophe zusammen: Das Haus von Doktor Trescott beginnt zu brennen. Der Schwarze Henry Johnson stürzt sich beherzt in die Flammen, um seinen kleinen Freund Jimmie zu retten, was ihm auch gelingt. Johnson indessen überlebt das Unglück nur schwer entstellt. Der Doktor verhält sich loyal, ist seinem Angestellten zutiefst dankbar, pflegt ihn gesund und übernimmt seine Fürsorge. Doch die Menschen in der ländlichen Provinz zeigen wenig Sympathie mit dem Retter. Sie haben tiefe Vorbehalte gegenüber den Schwarzen und kultivieren ihre Ängste vor dem Gezeichneten… Eine sehr bewegende, nachdenklich machende Erzählung. Crane greift hier die typische Lage der Schwarzen Bevölkerung im ausgehenden 19. Jahrhundert auf: De jure zwar von der Sklaverei befreit, de facto aber immer noch am äußersten Rand der Gesellschaft stehend, muss sie um Anerkennung und Rechte kämpfen.

    Auch Kriegsgeschehen hat wieder Eingang in diese Erzählungen gefunden, allerdings eher als bedrohliches Hintergrundrauschen für die Zwistigkeiten zweier Brüder. Amüsieren kann man sich auch über eine bewunderte Kuckucksuhr im Wilden Westen, die zu kuriosen Entwicklungen führt. Wirklich jede Erzählung hat mich überzeugt, jede hat mich abgeholt und begeistert. Das ist eine Seltenheit. Stephen Crane hat wirklich ein beeindruckendes Talent!

    Grandios übersetzt wurden die Erzählungen von Lucien Deprijck, der sich um größtmögliche Nähe zu den Originaltexten bemüht hat. In voran- und nachgestellten Anmerkungen erläutert er die Besonderheiten und warum er nach heutigen Maßstäben rassistische Begriffe originalgetreu übersetzt hat. Ich bin ihm und dem Pendragon Verlag sehr dankbar für diese Authentizität, weil ich als Leserin Rassismen selbst einordnen kann und klassische Texte „unzensiert“ genießen möchte. Im Nachwort schildert Deprijck wesentliche Lebensstationen Cranes und ordnet sein Werk biografisch ein, so dass der Erzählband wunderbar abgerundet wird.

    Wie schade, dass Stephen Crane nicht ein höheres Lebensalter erreicht hat. Wie viele großartige Erzählungen und Romane hätte er noch schreiben können? Ich empfehle dieses Buch allen Freunden zeitloser, ansprechender Literatur.

    Große Leseempfehlung!

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