Yellowface (relié collector)
Mein Hör-Eindruck:
In seinem Roman „David Copperfield“ literarisiert Charles Dickens seine eigene Geschichte: die Geschichte eines sozial benachteiligten Kindes, das trotz aller Widrigkeiten schließlich seinen Platz im Leben finden konnte. Als Leser hofft man, dass die Autorin bei ihrer Adaption auch das gute Ende dieses Romans übernimmt. Wüsste man nämlich nicht um den guten Ausgang der Geschichte, wären die nicht endenden Schilderungen von Armut, Gewalt, Hunger, Ausbeutung, Einsamkeit, Schmutz, Kinderarbeit, Rechtlosigkeit und Elend allüberall schwer zu ertragen.
Kingsolvers sozialkritischer Ansatz ist unüberhörbar, und man fragt sich betreten, wieso sich die Verhältnisse seit Dickens Zeiten nicht grundlegend geändert haben.
Die Autorin versetzt die Handlung in den Süden der USA, ins ländliche Virginia, in die Appalachen. Wie bei Dickens erzählt der Held aus der Rückschau seine eigene Geschichte. Damit hat er die Möglichkeit zu straffen und einen roten Faden herauszuarbeiten, indem er die Erzählung auf wesentliche Ereignisse reduziert. Diese Chance hätte Kingsolver deutlicher nutzen können, um den Roman zu kürzen. Seine Wucht hätte er dabei nicht verloren.
Ansonsten ist Kingsolvers Adaption sehr gut durchdacht. Das meiste Personal aus Dickens‘ Roman wird übernommen, die Handlung wird jedoch in wesentlichen Teilen der Zeit angepasst. So gerät Demon nach einer Fußballverletzung an einen Arzt, der wie so viele andere leichtfertig das Opioid Oxycontin verschreibt: ein Schmerzmittel, das sehr aggressiv und sehr erfolgreich beworben wurde und das zur sog. Opioid-Krise in den USA führte mit Hunderttausenden von Toten. Viele Abhängige konnten aufgrund der fehlenden Krankenversicherung keine Therapie beginnen. Demon aber hat Glück: sein Entzug wird finanziert, und er ist mit Lebenswillen gesegnet und lässt sich nicht unterkriegen.
Der Roman ist also nicht nur eine Adaption eines Klassikers und nicht nur der Roman eines Jungen mit großer Klappe. Mit der Geschichte Demons legt die Autorin den Finger auf das marode Sozialversicherungssystem der USA, auf die Falle der Armut v. a. in den ländlichen Gegenden und auf die mangelnde Fürsorge des Staates für seine schwächsten Mitglieder.
Der Roman wird eingelesen von Fabian Busch. Stimme, Modulation, Intonation – perfekt!
4,5/5*
Kurzmeinung: Zu lang!
Ich wollte, ich könnte sagen, der Roman „Demon Copperhead“ hat die Opioid-Krise in den Staaten im Visier und die Kritik an der gewissenlosen Pharmaindustrie wäre ihr Fokus, aber so ist es nicht, obwohl die herrschenden Zustände unter den sozial Unterprivilegierten messerscharf dargestellt werden. So ist es jedenfalls nicht auf den ersten 500 Seiten. Später ändert sich das, aber da hat man schon 500 bis 600 Seiten Kindheitsgeschichte in allen dreckigen Details hinter sich. Freilich mit unversehrtem Helden. Man fühlt sich irgendwie an Huckleberry Finn erinnert.
Der Roman erzählt einerseits die Geschichte eines vaterlosen Kindes im Lee County. Von einer Junkiemom unter widrigen Umständen ins Leben gebracht, muss Held Damon schon früh lernen, was Einsamkeit, Vernachlässigung und Kinderarbeit heißt. Man folgt ihm als Leser von einer schlimmen Lage in eine noch schlimmere. Das ist schwer zu ertragen, aber durch die Schnoddrigkeit des Icherzählers Damon wird es ertragbar. Der Stil zwischen Zynismus und Humor. Schließlich, nach unendlichen Qualen hat der Held Glück, er findet seine Großmutter und wird danach im Hause des Coaches Winfield eine Footballgröße. Bis es dann in den Drogensumpf geht, aber der Held, wir wissen es bereits, wird zwar angekratzt, bleibt aber größtenteils unversehrt, ein Diamond eben, wie es einmal jemand im Roman zu ihm sagt. Unverwüstlich. Ein Märchen.
Der Kommentar und das Leseerlebnis:
Barbara Kingsover schreibt ein modernes Remake von David Copperfield, eine sogenannte Adaption. Dieses Remake ist gleichzeitig das große Plus und das große Manko dieses Romans. Denn diese Adaption ist wirklich gut gelungen, sowohl was den Stil, wie die Ideen und die Art angeht, wie Barbara Kingsover die Namen der Personen aus der Vorlage von Dickens „David Copperfield“ verwendet; das ist erheiternd und listig. Doch diese Adaption ist auch das Manko des Romans. Denn wie alle anderen Kinderhelden, auch die von Erich Kästner und die von Mark Twain zum Beispiel, watet Damon zwar durch Entbehrung, Erniedrigung, Hunger und Not, doch auch wenn sich diese Kinderhelden durch den Schlamm der Menschheit arbeiten und sich dabei die Schuhe schmutzig machen, bewahren sie sich immer und ewig ein goldenes Herz, wenn nicht gar ein unschuldiges. Diese Tatsache konstatiert die herangewachsene Emmy, eine Art Cousine von Damon: „… ich konnte nicht mit Hammer Kelly zusammensein, er ist auf dieselbe Art gut wie du, als hättet ihr ein Metall in euch oder so, das nicht schmilzt ganz gleich, was passiert.“
Sag ich doch, ein Held mit einem Herzen aus Gold. Das ist nett und liest sich wie ein Jugendbuch, aber authentisch ist es nicht.
Als sich die Drogengeschichten endlich zuspitzen und die Junkiebraut Dori stirbt, wache ich auf. Jetzt wird’s richtig interessant, aber es ist zu spät, ich habe schon 650 Seiten und mehr goldenes Herz intus und bin müdegelesen.
Fazit: Eigentlich eine gelungene Dickens-Adaption, der Ton genau getroffen und in die Neuzeit übersetzt, aber unversehrbare Helden mit goldenen Herzen sind einfach nicht mehr mein Ding. Und als es endlich interessant wird, nach 650 bis 700 Seiten hat mich der ewiglange Vorspann ausgelaugt. 300 Seiten weniger und früher zum Punkt gekommen, dann wärs ganz mein Buch gewesen. Freilich, die Dickensadaption wäre dabei auf der Strecke geblieben.
Kategorie: Anspruchsvolle Literatur
Pulitzer Preis 2023
Women’s Prize for Fiction, 2023
Dtv 2024
Barbara Kingsolver hat, wie sie im Vorwort zu diesem Roman schreibt, 2018 ein Wochenende in Bleak House in England verbracht, dem Haus von Charles Dickens, in dem er David Copperfield geschrieben hat. Am selben Wochenende beginnt sie den vorliegenden Roman zu schreiben, mit Dickens, wie sie sagt, an ihrer Seite.
Dickens wollte mit seinem Roman David Copperfield laut Kingsolver die institutionelle Armut und deren verheerende Auswirkung auf das Leben von Kindern in der damaligen Zeit anklagen. Dieses Anliegen Dickens überträgt Kingsolver auf faszinierende Weise in die heutige Zeit.
Demon Copperhead wird als Kind eines Teenagers in den 1990iger Jahren in Virginia/USA geboren. Er wächst vaterlos bei seiner alkohol- und tablettenabhängigen Mutter in einer Trailersiedlung in den Appalachen auf. Der Leser begleitet Demon von seinem 10. Lebensjahr bis zu seiner Volljährigkeit. Die Mutter stirbt an einer Überdosis an Demons 11. Geburtstag. Die Kindheit des Jungen war und ist von nun an erst recht gekennzeichnet von Armut und Härte.
Er wächst bei Pflegeeltern auf, die die Bezeichnung Familie nicht annähernd verdienen. Lieblosigkeit und Gewalt kennzeichnen sein Leben und schließlich immer wieder Drogen aller Art. Nur die einstigen Nachbarn, insbesondere Mr. und Mrs. Peggot und ihre zahlreichen Nachkommen und Verwandten bieten Demon ein Gefühl von Zuflucht und Heimat. Als Demon von einem Footballcoach aufgenommen wird, scheint sich das Blatt für ihn zum Positiven zu wenden. Doch durch eine Knieverletzung gerät Demon an schwer abhängig machende Opium enthaltende Medikamente, eine Abwärtsspirale beginnt.
Diese Geschichte wird in der Ich-Form vom erwachsenen Demon erzählt. Die Art, wie er von seiner unvorstellbar harten Kindheit berichtet, ist faszinierend, denn sie schont den Leser nicht, ist schnoddrig und witzig, und macht die Lektüre dieses Elends sogar erträglich. Stets scheint dabei ein Funken Hoffnung durch. Diese Hoffnung nährt sich aus dem Überlebenswillen des Jungen. Er zieht Kraft aus seiner Bindung zur wiedergefundenen Großmutter und seinem Onkel väterlicherseits und aus der Verbundenheit zu den Bewohnern des Ortes, in dem er aufgewachsen ist und der Schönheit der Umgebung, den bewaldeten Gebirgszügen der Appalachen, den "blauen" Bergen.
Dieser Roman ist faszinierend und schonungslos zugleich. Ich habe ihn gebannt und fassungslos gelesen, von Anfang an gefesselt von den unfassbaren Härten, die dieses Kind erleiden musste. Der Autorin gelingt es, den Leser Teil dieses verlorenen Waisen-Daseins und Junkee-Universums werden zu lassen. Man wertet bzw. verurteilt die Protagonisten nicht, man lebt geradezu mit und unter ihnen. Manche Szenen bekommt man nicht mehr aus dem Kopf, so drastisch schildert Demon sie. Und dennoch, stets vermittelt er den Eindruck eines Menschen, der seine Wurzeln und sein Leben in diesem abgehängten und durch die sogenannte Opiod-Krise schwer gebeutelten Teils der USA innig liebt.
Trotz der Länge des Romans, mehr als 800 Seiten, bin ich in einen regelrechten Lesesog geraten. Die Lektüre von Demon Copperhead hat mich sehr beeindruckt und nicht mehr losgelassen, so sehr bin ich abgetaucht in diese mir glücklicherweise bisher aus eigener Erfahrung erspart gebliebene Welt. Das Aufwachsen dieses Protagonisten unter erschreckend widrigsten Umständen in der Opiod-Krise in den USA ist dermaßen realitätsnah geschildert, dass es mich umgehauen hat.
Ganz im Sinne von Dickens kann man nichts anderes tun, als das System, das zu Armut, Ausbeutung und Verelendung ganzer Landstriche geführt hat, anzuklagen und zu verurteilen. Für mich ein Lesehighlight. Ich kann den Roman nur empfehlen und vergebe 5 Sterne.
Barbara Kingsolver hat mit ihrem neuen Roman ein ehrgeiziges Projekt verfolgt: Charles Dickens´ persönlichstes Werk, David Copperfield, in die Gegenwart zu verpflanzen. Zumindest beim Umfang, so sieht es jedenfalls aus, gibt es Parallelen. David Copperfield habe ich selbst noch nicht gelesen, was sich nicht als Nachteil erwies. Der Roman steht ganz und gar in eigenem Recht.
Das Setting der Geschichte ist ein Wohnwagencamp irgendwo in den Appalachen – die Gegend, in der die Rednecks und Hillbillys leben. Damon – so sein eigentlicher Name – kommt als Sohn eines süchtigen Teenagers zur Welt, der an einer Überdosis Oxycontin stirbt, als Damon gerade mal 5 Jahre alt ist. Damit ist das Thema gesetzt: Die Opiodkrise in den USA, verursacht von einem gewissenlosen Pharmakonzern und dessen Handlangern unter Ärzten und Apothekern, die vor allem in den strukturschwachen Gebieten gewütet hat. Demons Mutter ist eine der ersten von über 500 000 Sterbefällen durch diese Droge.
Demon Copperhead, wie er bald aufgrund seiner Haarfarbe genannt wird, gerät nach dem Tod seiner Mutter in die Mühlen des amerikanischen Sozialsystems. Pflegestellen sind rar und werden nicht nach Qualifikation ausgesucht. Ausbeutung und Misshandlung sind die Regel. Doch schließlich gelingt ihm ein Aufstieg durch sportliche Leistung – bis er eine schwere Knieverletzung erleidet. Der Arzt des Teams verschreibt ihm Oxycontin, Demon rutscht in die Sucht ab. Kingsolver, ganz wie Dickens, erspart ihrem Helden nichts, die Abwärtsspirale scheint unaufhaltsam, ein Unglück reiht sich an das andere. Der Roman wird rückblickend aus Demons Perspektive erzählt, und sein Stil ist witzig, ironisch und voller scharfer Beobachtungen.
„Das ist dir angetan worden“ beschwören ihn Freunde. Aber Demon will die Verantwortung für sein Leben nicht abgeben. Vor allem das macht den cleveren Helden dieses Romans so liebenswert – er will sich partout nicht als Opfer sehen. „Erst mal musste ich es schaffen, auf die Welt zu kommen.“ So lautet gleich der erste Satz des Romans; selbst seine Geburt versteht unser Held als aktive Handlung. Und er gibt nicht auf. Unterstützt wird er dabei von den Frauen im Ort: Die alte Nachbarin Mrs. Peggot und deren in der Stadt lebende Nichte June, die zu seinem Leitstern wird. Vor allem aber von Angus, seiner Pflegeschwester, die sich weiblichen Stereotypen verweigert und ihre eigene Sicht auf die Welt hat. Kingsolver setzt damit all den Frauen ein Denkmal, die die Härten der Opiodkrise durch ihre unermüdliche Care-Arbeit aufgefangen haben.
Strukturale Armut ist, wie bei Dickens, das zweite große Thema des Romans. Kingsolver lässt uns aus Demons Perspektive verstehen, in welchem Ausmaß die Region der Appalachen ihrer funktionierenden Strukturen beraubt und im Anschluss mitsamt den gesprengten Berggipfeln, leeren Kohleminen und bankrotten Gemeinden dem Absturz preisgegeben wurde. Damit nicht genug, wurde der „Hillbilly“ zum verachteten Prügelknaben der Nation. Demon erlebt es am eigenen Leib und wir mit ihm: Von Anfang an stigmatisiert durch Herkunft und Mangel, ist er in jedem Umfeld sofort als Hillbilly und „Trailer Trash“ zu erkennen. Aber er ist gewitzt und clever, und er hat ein großes Talent - er kann zeichnen. Nur: Wird ihn das retten?
„Demon Copperhead“ liest sich so farbig und lebensprall, dass einem die reale Welt blass vorkommt, wenn man die Lektüre beiseite legt. Vieles, von dem ich durchaus vorher wusste, ist mir erst dadurch richtig ins Bewusstsein gedrungen. Wie tagesfüllend aufwändig Sucht sein kann: Der nächste Turkey kommt bestimmt, es braucht Geld, es braucht Stoff, es braucht eine Quelle. Ein unglaublicher Stress. Auch, was durch Purdue Pharma über die USA gekommen ist, wie Familien zerstört und Heerscharen von Waisen produziert wurden, das habe ich erst mit Kingsolvers Roman emotional und nicht nur kognitiv verstanden. Kingsolver holt uns ins Bewusstsein, dass es überall Menschen gibt, die von Anfang an ein so schlechtes Blatt haben, dass sie nur verlieren können. Wieviel Resilienz könnten wir an ihrer Stelle aufbringen? „Demon Copperhead“ ruft uns auf zu Mitgefühl und Solidarität. Ein großartiger Roman. Lesen!
Barbara Kingsolver, 1955 geboren und in Kentucky aufgewachsen, ist eine anerkannte und mehrfach ausgezeichnete Autorin. Ihr neunter Roman „ Demon Copperhead“ wurde zu einem der „ 10 besten Bücher des Jahres 2022“ gekürt.
Für den Protagonisten und Ich- Erzähler Demon sind die Chancen von Anfang an schlecht. Seine junge Mutter ist drogenabhängig und arm. Die beiden leben in einem Trailer am Rand einer ehemaligen Bergarbeitersiedlung. Der Vater starb auf mysteriöse Weise vor Demons Geburt. Noch übler wird die Situation, als Demons Mutter heiratet. Der Stiefvater tyrannisiert und misshandelt Mutter und Sohn. Und dann stirbt die Mutter an Demons elftem Geburtstag an einer Überdosis Oxycontin.
Demon kommt in verschiedene Pflegefamilien, doch her erfährt er keine Liebe und Zuwendung. Von den einen wird er als billige Arbeitskraft ausgenutzt, die anderen sind nur am Pflegegeld interessiert.
Doch endlich scheint sich das Blatt zu wenden. Die Großmutter väterlicherseits verschafft ihm Zugang an eine High School und einen Platz im Haus des Footballtrainers der Schule. Für kurze Zeit wird Demon ein gefeierter Footballstar, bis ein Sportunfall die Karriere vorzeitig beendet.
Die Schmerzmittel, die er großzügig verordnet bekommt, führen in die Sucht und Abhängigkeit mit all ihren schrecklichen Folgen.
Es ist eine Zeit voller Leid, Gewalt und Verlust, aus der sich Demon nur mit der Hilfe guter Freunde befreien kann. Das Ende lässt Hoffnung aufkommen.
Diese Lebensgeschichte erzählt Demon im Rückblick. Sein schnoddriger, oftmals bissig- witziger Ton macht das Geschilderte einigermaßen erträglich. Denn es ist manchmal kaum zum Aushalten, was Demon und anderen Kindern angetan wird. Erschreckend zu sehen, wie Armut, Hunger, Gewalt und Verachtung das Leben so vieler bestimmt. Dazu kommt das institutionelle Versagen der zuständigen Behörden, die die ihnen anvertrauten Kinder nur verwalten.
Sicher, es gibt den Zusammenhalt der Familien und auch immer wieder Erwachsene, die sich Demons annehmen.
Demon selbst ist ein Kämpfer, der sich nicht unterkriegen lassen will. Aber auch er trifft falsche Entscheidungen, lässt sich mit Menschen ein, die ihm nicht guttun.
Die Autorin zeigt dabei sehr anschaulich, welche Auswirkungen Drogen auf die Konsumenten, aber auch auf deren Umfeld haben. Was es heißt, wenn sich alles nur noch darum dreht, Geld für den nächsten Kick zu verschaffen.
Barbara Kingsolver reagiert hier auf die Opioidepidemie in den USA . Durch das leichtfertige Verschreiben von Oxycontin und ähnlichen Schmerzmitteln stieg die Anzahl der Drogenabhängigen und Drogentoten enorm. Eine ganze Generation Kinder wächst ohne Eltern auf, weil diese entweder abhängig, im Knast oder tot sind. Die Pharmaindustrie macht ihre Gewinne auf Kosten der Ärmsten des Landes.
Ihr anderes großes Thema sind die Abgehängten dieser Region, die sog. „ Hillbillys“, auf die das andere Amerika herabschaut. Sie erzählt die Geschichte dieser Gegend, benennt die Schuldigen, die das Land heruntergewirtschaftet und die Bewohner ohne Perspektiven zurückgelassen haben.
Die Autorin hat sich für ihren Roman von Charles Dickens „ David Copperfield“ inspirieren lassen. Wie der englische Autor übt auch sie scharfe Kritik an den sozialen Missständen im Land und beleuchtet die verheerenden Auswirkungen von Armut und Perspektivlosigkeit auf das Leben von Kindern und Jugendlichen.
Man muss aber den englischen Klassiker nicht kennen, denn dieser Roman hier steht für sich.
Barbara Kingsolver wurde für „ Demon Copperhead“ 2023 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet, gemeinsam mit Hernan Diaz, der die Auszeichnung für seinen Roman „ Treue“ erhielt.
Ich habe beide Bücher gelesen und auch wenn „ Treue“ mit seiner originellen Struktur und seinen unterschiedlichen Erzählformen literarisch ambitionierter sein mag, so halte ich „ Demon Copperhead“ für das wichtigere Buch. Wer Amerika, die Zerrissenheit des Landes und die Probleme seiner Bewohner besser verstehen möchte, der tut das nach der Lektüre des Romans.
Dieses Buch soll, so der Wunsch der Autorin, „ Fenster sein und Spiegel“. Die einen sollen verstehen und die anderen sich gesehen fühlen. Es ist zu hoffen, dass dieses Buch und seine Botschaft von vielen gelesen und verstanden wird. Und dass sich niemand von seinem Umfang abschrecken lässt.
Schon einmal hatte schon vor Jahren einen Unfall und seitdem betreibt sie ihr Eiskunstlaufen nicht mehr als Einzelperson sondern gemeinsam mit Dan nimmt sie am Paarlauf teil. An ihrer Uni wird auch Eishockey angeboten und zwischen den Eiskunstläufern und den Eishockeyspielern herrscht eine gewisse Rivalität. Doch irgendwann wird der Bogen überspannt, weil Romy durch einen sogenannten Streich stürzt und sich verletzt. Einer der Hockeyspieler Jack genannt Frost wird dazu verdonnert, gemeinsam mit Romy zu trainieren, die wieder Sicherheit auf dem Eis finden will. Zu Beginn haben sich die Beiden nicht viel zu sagen, doch nach und nach ändert sich das.
Eine Verbindung zwischen Eiskunstlauf und Eishockey, was für eine schöne Idee. Durch die Aktion der Trainer, die eigentlich als Strafe gedacht war, kommt Romy zum ersten Mal mit den Eishockeyspielern zusammen. Während die Eiskunstläufer doch eher Individualsportler sind, treten die Eishockeyspieler mehr als Teamplayer auf. Das gefällt Romy überraschend gut. Auch dass durchaus Interesse am Eiskunstlauf zeigt, findet Romy sympathisch. Kein Wunder, dass sich Beide gut verstehen. Romys Trainingspartner Dan, der seit kurzem ihr Ex-Freund ist, spart manchmal nicht mit Kritik. Kein Wunder, dass Romy die Leichtigkeit, die sie während der Zeit mit Jack verspürt, sehr zu schätzen weiß.
Das neue Traumpaar Romy und Jack, wobei Romy trotz ihres zarten Äußeren eine starke Persönlichkeit besitzt und Jack trotz seiner etwas raubeinigen Sportart sehr empfindsam sein kann. Toll beschrieben sind die gemeinsamen Trainingsstunden, wenn sich Romy und Jack gegenseitig ihre Sportarten näher bringen und erklären und sich dabei auch persönlich näher kommen. Dan wirkt dagegen recht karrierebestimmt und von oben herab. Auch wenn der Schluss nachher etwas schnell und unspektakulär kommt und für Leser älterer Semester vielleicht etwas zu viel auf political correctness geachtet wird, liest man diesen Sportroman sehr gerne, weil man sich diese Trainingsstunden sehr gut vorstellen kann und es Freude bereitet, zu lesen wie sich diese beiden finden.
3,5 Sterne
Das Wissen um die eigenen Wurzeln ist wichtig! Sehr wichtig sogar! Und zwar für die eigene Identität und für das Selbstbewusstsein! Aber was ist, wenn derjenige - mit den wichtigen Informationen - keine Auskunft geben kann, einfach, weil es für ihn zu schmerzhaft wäre?! Und weil er Angst hat vor politischen Konsequenzen?
Renshu wächst die ersten vier Jahre seines Lebens in einer begüterten Großfamilie in Changsa (Provinz Hunan) auf. Doch als der chin.-jap. Krieg 1938 auch seine Heimatstadt erreicht, muss er mit seiner Mutter Meilin und der Familie seines Onkels fliehen. Nach 10 Jahren Flucht (mit sehr eindrücklich geschriebenen Szenen!) und immer wieder erforderlichen Neuanfängen landen Meilin und Renshu, inzwischen nur noch zu zweit, in Taiwan. (Für das Nachvollziehen dieser Odyssee empfehle ich eine Landkarte!)
Renshu lernt fleißig, studiert und sein (wiedergefundener) Onkel macht es auch möglich, dass er 1960 in USA weiterstudieren und promovieren kann. Er heiratet Rachel, eine US-Amerikanerin und sie bekommen ihre Tochter Lily.
Für Rachel und noch mehr für Lily ist es sehr schwer, dass Renshu (der sich inzwischen Henry nennt) nie von seiner Vergangenheit spricht. Auch im sicheren New Mexico geht er keine Verbindungen mit anderen Chinesen ein - er hat Angst, dass dadurch seine Mutter (in Taiwan) Repressalien erleiden könnte.
Mich begeisterte nicht nur das Kennenlernen der chinesischen geschichtlichen Ereignisse, sondern auch die wunderschönen Geschichten / Sagen (z.B. von den zwei Mönchen), die Meilin anhand einer chinesischen Bildrolle ihrem Sohn immer wieder erzählt, und die voller Weisheit stecken! Sie berührten mich sehr! Ich befürchtete auf Grund des Titels und des Covers einen kitschigen Roman - weit gefehlt! Erst später erschloss sich mir der Bezug auf eine alte chin. Sage.
Ich empfehle dieses Buch all denjenigen, die Interesse an China haben: an seiner Vergangenheit (und wie sich das alles auf einzelne Menschen auswirkt), an der typischen Kulinarik oder der Kalligraphie. Ich genoss jede Zeile dieses Buches und bedaure, dass ich nicht mehr als 5 Sterne geben kann!
Nachdem mir der erste Band der Reihe "Lonely Heart" nur so mittel gefiel, aber sehr viele mir von diesem Titel vorgeschwärmt haben, habe ich es nochmal gewagt einen Roman von Mona Kasten zu lesen. Wahrscheinlich muss man in der richtigen Stimmung sein, denn hier fühlte ich mich etwas wohler.
Nach dem völligen Kontaktabbruch treffen Rosie und Adam endlich aufeinander und das im echten Leben und nicht via sozialer Medien oder dem Handy, was ich eh besser und echter finde.
Die Liebesgeschichte entwickelt sich enorm langsam. Viele mag das vielleicht stören, aber ich habe es in der gehetzten Zeit, die aktuell herrscht und der Druck, der auf beiden lastet dann doch sehr verstanden, dass sie nach allem was war nichts überstürzen. So etwas hätte ich auch nur zu gern.
Gut gefiel mir zudem, dass sich beide gegenseitig Halt geben, auch wenn ich es jetzt nicht gebraucht hätte, dass Adam die Rolle des Beschützers einnimmt, denn im echten Leben gibt es diese heldenhaften, starken Männer, von denen viele junge Frauen träumen, einfach nicht.
Dass sich Adams Angst vor Berührungen in Luft aufgelöst hat, fand ich etwas plötzlich. Allerdings habe ich es mir damit erklärt, dass vielleicht die Therapie geholfen hat. Da ich so etwas noch nicht erlebt habe, fällt es mir schwer das genau beurteilen zu können.
Fazit: Wer den Herzschmerz und leichte Kost sucht, der bekommt dies auch. Mehr dann aber auch nicht. Romance halt.
Wieder wird der Magier Harry Dresden von Detective Murphy zu einem Mordfall gerufen. Knapp außerhalb Chicagos. Murphy erklärt, das mit der Zuständigkeit sei geregelt. Wirklich? Sie haben gerade genug Zeit, den Fundort zu begehen, da erscheint eine Delegation des FBI und vorbei ist es mit der Zuständigkeit und dem Auftrag. Eigentlich. Denn die Zeichen stehen auf noch mehr Morde und Harry Dresden will unbedingt verhindern, was er verhindern kann. In welche Gefahr er sich begibt, kann er nicht ahnen. Er kann nur hoffen, dass das mühsam wieder hergestellte Vertrauen zwischen ihm und Karrin Murphy erhalten bleibt.
In seinem zweiten Auftritt muss sich Harry Dresden mit einer Gefahr auseinandersetzen, mit der er nie gerechnet hätte. Magische Wesen, ja. er ist einiges gewöhnt. Doch mit Werwölfen hat er nicht gerechnet. Die grausame Art wie sie ihre Opfer töten zerrt auch an Dresdens Nerven. Müssen jetzt alle vier Wochen Menschen den Aufgang des Vollmonds mit ihrem Leben bezahlen? Oder steckt hinter dem Ganzen ein Plan? Eine vage Spur tut sich auf, die Dresden in die Welt der unterschiedlichen Legenden von Werwölfen führt. Und so ganz nebenbei taucht auch der zwielichtige Geschäftsmann John Marcone mit seinen zwielichtigen Angeboten wieder auf.
Wenn man die ursprünglichen Ausgaben der Harry Dresden Reihe verpasst hat, kann man sich nun auf die schön gestalteten Neuausgaben freuen. In diesem zweiten Band geht es manchmal etwas brutal zu. Es muss einem eben klar sein, dass Werwölfe mit ihren opfern nicht zimperlich umgehen. Spannend geht es trotzdem zu, denn ganz schön verwickelt sind die Handlungsstränge und man muss aufmerksam sein, um Gut und Böse auseinanderzuhalten. Geprägt wird die Story auch weiterhin durch die Frage, inwieweit Dresden und Murphy einander trauen können. Kann sie als Polizistin sich darauf verlassen, dass er ihr zur Seite steht? Und kann er als Magier jede Information preisgeben, auch wenn es gefährlich werden könnte? Daraus ergibt sich etwas Magnetisches, dass die Reihe trägt.
Einer, den niemand will
Für diesen 832-Seiten-Roman mit dem schrecklichen Cover habe ich knappe vier Wochen gebraucht. Ich habe mich jeden einzelnen Tag so aufs Lesen gefreut, das war bei den beiden Vorgängern in 2024 leider nicht so. Trotz der Fülle hat also jeder Satz seine Daseinsberechtigung. Und ich muss Frau Kingsolver ein dickes Kompliment aussprechen, dass sie als ältere Autorin so zielgenau die Sprache der Jugend getroffen hat. Und das über diese vielen Seiten bravourös durchgehalten hat. Das Kompliment gebührt natürlich auch dem Übersetzer Dirk van Gunsteren.
Demon Copperhead, die Titelfigur und unser Ich-Erzähler, hat es schwer in dem Drogensumpf zu überleben, der schon seine Ankunft in dieser Welt überschattet. Sein Vater starb schon vor seiner Geburt und der Stiefvater, Stoner, ist brutal, machtgeil und weiß mit Demon nichts Besseres anzufangen, als ihn pausenlos aufs Übelste zu schikanieren. Demons Mom ist eigentlich nicht so übel, aber leider drogenabhängig und unfähig, sich gegenüber Stoner durchzusetzen. Als sie jung an einer Überdosis Oxy stirbt, verschwindet Stoner fluchtartig aus dem Trailer und aus Demons Leben.
Die Nachbarn: S. 19: „Und da sitzen sie jetzt auf ihren zusammengeflickten Veranden, eine einzige große Sippe, und über dem Ur-Trailer weht die ausgefranste Flagge. Eine Nation unter Schrott.“
Nach dem Tod der Mutter wird Demon pausenlos rumgereicht. Die Pflegefamilien, die ihn widerstrebend aufnehmen, nutzen ihn nur aus, nehmen aber das Pflegegeld gern entgegen. Oder lassen ihn arbeiten und kassieren den kompletten Lohn. Und Demon hat immer, immer Hunger. Auch der umschwärmte Held seiner Jugend, Fast Forward, nutzt alle seine Fans und Bewunderer letztlich nur aus.
Echte Freunde gibt es wenige: Maggot, der im Nachbartrailer wohnt. Tommy, den Demon auf einer Farm kennenlernt, auf der auch das Idol seiner Jugend, Fast Forward, wohnt. Und: nicht zu vergessen Angus, die Unvergleichliche. Bleiben noch die wenigen Erwachsenen, die es gut mit Demon meinen, die Peggots und Tante June. Später noch der Coach der Footballmannschaft, bei dem Demon dann zuletzt unterkommt. Die seltsame Großmutter väterlicherseits, Betsy Woodall, tut zwar Gutes, aber spät und nur zu ihren Konditionen.
Was zeichnet nun Demon aus, dass er die ganze Hölle übersteht? Jedenfalls bis er zum Coach kommt und dort vom Waisenkind zum Footballstar avanciert. Er ist hart im Nehmen, sehr hart und ja, er kann super-gut Comics zeichnen. Damit verdient er später sogar Geld. – S. 432: „Jeder warnt einen vor schlechten Einflüssen, aber das, was einen zu Fall bringt, trägt man schon in sich.“
S. 713: „Es ist ein Wunder, dass man das Leben mit nichts beginnt und mit nichts beendet und dazwischen trotzdem so viel verliert.“ So trauert Demon um seine große Liebe Dori, eine weitere Drogentote in den Appalachen.
Zur Kritik gegen das System in USA: Tante June hatte ja einen Zwischenlover, der Pharma-Vertreter ist. Und da wird ganz deutlich erklärt, dass jeder Arzt, wenn er nur genug verschreibt, dann eine Golfreise machen darf oder alternativ nach Hawaii reisen kann. Für tutti, versteht sich. (siehe S. 372)
Mehr heftige Kritik gegen die Nation unter Schrott, bzw. für die sog. Hunde Amerikas gibt es jede Menge. Z. B. S. 576: „Wir waren mit Fernsehserien aufgewachsen, in denen Eltern Jobs hatten und die Kinder ihre Großstadtträume durch die Wahl ihrer Garderobe und mit Strömen von Geld auslebten.“
Befeuern solche Fernsehsendungen die armen Leute mit einer Wut und möchten sie, dass der Rest der Welt leiden soll, weil sie selbst so leiden? Siehe S. 754: „Man fragt sich, wie viel von dem, was auf der Welt passiert, von dieser Wut befeuert wird.“ – Demon dagegen ist erstaunlich unwütig. Selbst, als er in seiner größten Not aufs Übelste bestohlen wird, reagiert er nicht aggressiv.
Fazit: Hier ist Barbara Kingsolver ein großer Wurf gelungen, zu Recht mit Preisen überhäuft. Warum allerdings ausgerechnet ein Mainstream-Preis (der Pulitzer) an so ein amerika-kritisches Werk vergeben wird, ist mir schleierhaft. – Einfach eintauchen und sich diesem unwiderstehlichen Sog hingeben. Bin mal gespannt, ob mir dieses Jahr noch so ein super Highlight vergönnt sein wird. Vielleicht der Pulitzer-Zwilling? *****