Über Menschen: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Über Menschen: Roman' von Juli Zeh
4.3
4.3 von 5 (7 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Über Menschen: Roman"

Autor:
Format:Taschenbuch
Seiten:416
Verlag: btb Verlag
EAN:9783442772193
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Rezensionen zu "Über Menschen: Roman"

  1. Es menschelt gewaltig in der Provinz.

    In die Falle der Befindlichkeitsliteratur tappt auch Juli Zeh mit ihrem jüngsten Roman. Wenn sie sich also vorgenommen hat, über Menschen zu schreiben, die sich den obengenannten Krisenerscheinung unserer jüngsten Gegenwart stellen müssen, so beschreibt sie keine allgemeingültiges Verhalten, sondern die Befindlichkeiten der hippen Grosstadt-Mittelschicht. Und das macht diesen Roman mehr als problematisch. Indem er so tut, als erzähle er über "den" Menschen beschreibt er tatsächlich die Befindlichkeit einer kleinen, gut aufgestellten Menschin aus Berlin, die sich zwischen Sinnsuche und Alltagsbewältigung mächtig ins Zeug legt. Frau kauft sich nach unausgesprochener Trennung von ihrem Partner ein Häuschen in der Provinz, um dort ein wenig Abstand von Klimakrise und Pandemietreiben rund um den ersten Lockdown zu bekommen. Hier soll die Läuterung erfolgen, in aller selbstgewählter Einfachheit. Eine Auszeit nehmen, heisst das im Jargon der Wohlstandsverwöhnten. Alles ist anders als in Berlin und in all dem Fremdeln am naziverseuchten dumben Ort versucht Frau Dora sich als Gärtnerin. Die Landbevölkerung ist dabei hilfsbereit. Das Leben plätschert so dahin, Home Office herrscht, Mobilität ist unterbunden, Seite um Seite, Tag um Tag, Betrachtung um Betrachtung langweilt sie uns mit Betrachtungen, die wir ohnehin schon kennen. Mehr als 200 Seiten braucht die Autorin, um zum Punkt zu kommen, um den Knoten der Erzählung so weit zu schürzen, damit wir endlich wissen, worum es im Roman dramatisch gehen mag. Juli Zeh tappt dabei gleich ins nächste Klischee: in das von der faschistischen Provinz. Der Nachbar, der *Nazi vom Dorf*, wie er sich selbst mit Stolz nennt, kuckt mit Brutalo-Charme über die Gartenmauer und feiert mit seinen rechtsextremen Kameraden lautstarke Gartenparties. Seine Tochter verwahrlost nebenan, wäre da nicht der hässliche Hund der Ich-Erzählerin, der Liebe und Zuneigung spendet. Der Nazi aber kuckt dumm über die Mauer und droht, den Hund *platt zu machen*. Gerade in diesen "Anti-Helden" darf sich die sensible Werbetexterin Dora auf eine sehr verquere Weise vergucken: so spielt also das Leben!

    Damit wären die Kontrapositionen definiert: da die linksliberale Werbetexterin aus Berlin mit Hund, dort der dem Untergang geweihte Neonazi mit verwahrloster Tochter: hie Mittelstandskultur, dort Unterschichtkultur. Brückenbauen ist daher angesagt, damit aus dem lädierten und vernachlässigten Land auch gefühlsbereite Mittelstandsoase werden kann. Zumindest wohl fühlen soll man sich dort können. Darauf hat der Mittelstand wohl Anspruch. Deshalb menschelt es auch gewaltig und insbesondere zwischen beiden Protagonisten: manche verwechseln das mit Menschenrechten. Man hört es geradezu knistern. Das Land erfüllt sich mit dem Geist des linksliberaler Unentschlossenheit, ein behütetes Leben wird rege, eine höhere Tochter, welche vom Jaguar fahrenden Vater bürgerlich massvoll unterstützt wird. Kein Anlass zur Sorge, alles nur vorübergehend! Die Klischees füllen das Buch unweigerlich, Seite für Seite, da hat die Autorin kein Erbarmen mit uns.

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  1. Typisch Juli Zeh!

    !ein Lesehighlight!

    Klappentext:

    „Dora ist mit ihrer kleinen Hündin aufs Land gezogen. Sie brauchte dringend einen Tapetenwechsel, mehr Freiheit, Raum zum Atmen. Aber ganz so idyllisch wie gedacht ist Bracken, das kleine Dorf im brandenburgischen Nirgendwo, nicht. In Doras Haus gibt es noch keine Möbel, der Garten gleicht einer Wildnis, und die Busverbindung in die Kreisstadt ist ein Witz. Vor allem aber verbirgt sich hinter der hohen Gartenmauer ein Nachbar, der mit kahlrasiertem Kopf und rechten Sprüchen sämtlichen Vorurteilen zu entsprechen scheint. Geflohen vor dem Lockdown in der Großstadt muss Dora sich fragen, was sie in dieser anarchischen Leere sucht: Abstand von Robert, ihrem Freund, der ihr in seinem verbissenen Klimaaktivismus immer fremder wird? Zuflucht wegen der inneren Unruhe, die sie nachts nicht mehr schlafen lässt? Antwort auf die Frage, wann die Welt eigentlich so durcheinandergeraten ist? Während Dora noch versucht, die eigenen Gedanken und Dämonen in Schach zu halten, geschehen in ihrer unmittelbaren Nähe Dinge, mit denen sie nicht rechnen konnte. Ihr zeigen sich Menschen, die in kein Raster passen, ihre Vorstellungen und ihr bisheriges Leben aufs Massivste herausfordern und sie etwas erfahren lassen, von dem sie niemals gedacht hätte, dass sie es sucht.“

    Juli Zehs neuer Roman ist eine geniale Zusammenfassung der aktuellen Sichtweise auf die Schicht der Menschen, die in unserem Land, auf unserem Erdball leben. Wer so schreibt und die Menschen analysiert, hat eine enorme Auffassungsgabe! Ihre Wortwahl ist dabei wieder ein Garant für Gedanken zwischen den Zeilen. Zeh‘s Worten darf man niemals eine zu tiefe Bedeutung schenken bzw. sich in ihnen festbeißen, denn dann gerät man ins stocken, ins grübeln, und versteht alles falsch, was es falsch zu verstehen gibt. Hier sollte man auch grundsätzlich den eigenen Verstand ausschalten und nur Zehs !Wortbildern! Bedeutung schenken. Man muss hier zwingend zwischen Zeilen lesen! Juli Zeh geht dabei wieder analytisch vor, und nimmt hier Protagonistin Dora inklusive Hund und ihre Lebenssituation unter die Lupe. Ihre Ankunft im „neuen Heim“ ist so grotesk morbide, das es bildlich wird vor dem inneren Auge, das man genau riechen kann, wie die Landluft schnuppert….Nein, das ist kein Heimatroman sondern eine geballte Analyse. Doras Nachbar gehört definitiv zu einem ganz besonderen braunen Spektrum und anhand von bereits erschienen Rezensionen, hatte ich genau deren Reaktionen darauf hin erwartet. Es wird von vielen Lesern so empfunden, das Zeh hier einen Nationalsozialisten „schön“ redet - wer das denkt, kennt Zeh‘s Schreibstil nicht und wird dieses Buch verteufeln. Juli Zeh wollte das mit Sicherheit niemals, sie wollte nur eines, „Über Menschen“ schreiben, diese Seelen offen legen, egal welche Gesinnung sie haben, sie redet, schreibt einfach nur über Menschen und deren Charakter. Das was sie schreibt über diesen kahlrasierten Typen, ist keineswegs „puppig“ und „nett“, es ist eine reine Betrachtung. Diese Betrachtungen erleben wir durch Dora und tauchen extrem tief in eine Gedankenwelt ab. Juli Zeh wäre nie in der Lage eine Autobiografie über sich zu schreiben, dafür braucht sie immer Charaktere, denn genau so auch hier, wissen wir Leser nie genau, schreibt sie hier Doras Gedankenwelten auf oder ihre eigenen Erfahrungen? Ist alles Fiktion oder doch Realität? Dora wird zum Sinnbild für Sinnsuche in diesem Buch, das über Menschen spricht, wie sie hier leben, wie wir sind, aber dennoch spiegelt hier auch die Gesellschaft unseres Landes sich wieder.

    Ein extrem aktueller Roman, der grandios erzählt wurde, der Witz und Charme an der richtigen Stelle hat, der unheimlich nachhallt, der vor Spannung strotzt und der die Leser spaltet - genau das ist Juli Zeh! 5 von 5 Sterne!

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  1. Bracken, ein kleines Straßendorf

    "Ich bin ohnehin eine Schriftstellerin, die stets versucht, möglichst nah am Puls der Zeit zu schreiben.
    Bei "Über Menschen" ist das noch intensiver geworden. Ich hatte die erste Fassung des Romans schon geschrieben, als sich die Pandemie über die Welt auszubreiten begann. Für mich war es ausgeschlossen, an dem Text weiterzuarbeiten, ohne darauf zu reagieren. Deshalb habe ich den Roman ein zweites Mal von Neuem geschrieben und die aktuellen Ereignisse mit einfließen lassen. Das war einerseits ein Wagnis, so nah an den täglichen Entwicklungen zu schreiben, andererseits war es aber auch spannend und für mich eine Möglichkeit, Dinge zu verarbeiten, die für uns alle schwer und belastend sind."
    Zitat: Juli Zeh

    Inhalt
    Dora, sechsunddreißig Jahre alt, ist eine erfolgreiche Werbetexterin. Sie lebt mit Robert, ihren überspannten Freund mit Übermotivation fürs Klima, zusammen und befindet sich selbst im Home-Office des Corona-Lockdowns. Doch sie hält es in ihrer WG mit Robert nicht mehr aus. Sie braucht Veränderung, ein Ortswechsel ist die Lösung. Sie zieht mit ihrem Hund in ein kleines brandenburgisches Dorf. Bracken, ein kleines Straßendorf. Schon vorher hat sie heimlich ein altes Gutsverwalterhaus, 4000 qm, renovierungsbedürftig auf einem verwilderten Grundstück mit großen Bäumen, gekauft.
    Sie richtet sich ein und merkt schnell, dass es auch ein neues Leben mit Andersdenkenden wird. Gemeinsam mit ihrem Hund Jochen-der-Rochen entdeckt sie zunehmend eine für sie fremde Welt.

    „In Doras Augen ist Nachbarschaft eine Form von Zwangsehe. Man kann glücklich miteinander werden, aber die Wahrscheinlichkeit ist nicht sehr hoch.“ (S. 40)

    Sie lernt Gottfried, genannt Gote, kennen, der sich Dora direkt als Dorfnazi vorstellt. Er verfügt über einen Schlüssel zu ihrem Haus. Sie lernt den Handwerker Heini kennen und das Paar Tom und Steffen. Von allen erfährt sie große Hilfsbereitschaft, wie sie es bisher noch nicht kannte. Früher wurde ihr von ihrem Vater, dem berühmten Gehirnchirurgen aus Münster und auch von ihrem Bruder das Weltbild vermittelt, dass „Menschen dazu da sind, sich um ihn zu kümmern. Besonders Dora." (S.111)
    Doch hier in Bracken herrschen andere Regeln. "In Bracken ist man unter Leuten. Da kann man sich nicht so leicht über die Menschen erheben." (S.128) Es gibt eine Nachbarschaft bei der jeder jedem hilft. Das Fahrrad ist keine Leihgabe, sondern ein Geschenk. Plötzlich liegt ihre Matratze auf einem eigens für sie angefertigten Bett und auf ihrem Lieblingsplatz, dem Treppenabsatz vor dem Haus, stehen eines Tages Küchenstühle.
    Hier, in diesem Dorf mit seinen Menschen verändert sich etwas in Dora vom Nachdenken zum Umdenken. Sie beginnt ihr eigenes Leben neu zu sortieren.

    Stil und Sprache
    „Weitermachen. Nicht nachdenken.
    Dora rammt den Spaten in den Boden, zieht ihn wieder heraus, durchtrennt mit einem Hieb eine hartnäckige Wurzel und wendet das nächste Stück sandiger Erde. Dann wirft sie ihr Werkzeug beiseite und presst die Hände ins Kreuz. Rückenschmerzen. Mit – sie muss kurz rechnen – 36 Jahren. Seit dem fünfundzwanzigsten Geburtstag muss sie immer nachrechnen, wenn es um ihr Alter geht.“ (S.7)

    Der Roman hat 50 kleine Kapitel, die sich auf drei große Kapitel aufteilen.
    Juli Zehs Erzählperspektive ist an Dora ausgerichtet. Einfühlsam, intensiv und auch sehr scharfsinnig, manchmal zum Schmunzeln werden Menschen mit ihren Ängsten und Sorgen dargestellt. Das tägliche Leben wird pointiert mit skurrilen, witzigen und nachdenklichen, sehr traurigen Szenen. Trotzdem erscheint an der Oberfläche der Zusammenhalt in diesen herausfordernden Tagen einer modernen, aber unsicher und brüchig gewordenen Gegenwart. Wie ein Bild lässt die Sprache Menschen mit den unterschiedlichsten Facetten entstehen. Dora trotzt allen Spannungen zwischen Pandemie und Rechtsradikalismus auf angenehm pragmatische Weise. Juli Zeh hat es geschafft, eine aktuelle und bewegende Geschichte zu schreiben, hautnah „am Puls der Zeit“.

    „Deshalb habe ich den Roman ein zweites Mal von Neuem geschrieben und die aktuellen Ereignisse mit einfließen lassen.“ Zitat Juli Zeh

    Fazit
    Juli Zeh ist eine sehr aktuelle und bewegende Geschichte gelungen, die zum Nachdenken anregt und unserer Gesellschaft den Spiegel vorhält. Vorurteile werden in Frage gestellt. Kann man einen Nazi mögen? Man kann. Menschen finden zueinander, die normalerweise in der heutigen Zeit kaum noch zueinander finden würden. Menschen begegnen sich auf Augenhöhe. So scheint alles in Bracken möglich zu sein.

    “Weil du alles einfach haben willst, ist die Welt immer falsch für dich. Deshalb bist du auch so unruhig.” (S.161)

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  1. Blühende Freundschaften

    "Kohls blühende Landschaften gibt es bis heute nicht, die blühenden Freundschaften von Bracken dagegen schon." (S. 346)

    Der neue Romantitel von Juli Zeh ist ein gelungenes Wortspiel: Auf "Unterleuten" (2016) folgt nun "Über Menschen", Anklänge an Friedrich Nietzsche nicht zufällig. Beide Romane spielen in unterschiedlichen fiktiven Dörfern in der Prignitz im nordwestlichen Brandenburg, "Unterleuten" im Jahr 2010, "Über Menschen" im ersten Corona-Frühling und -Sommer 2020.

    Flucht
    Anstatt vieler Perspektiven gibt es dieses Mal nur die Sicht einer Protagonistin: Dora Korfmacher. Die hat mit 36 Jahren ein immer anstrengenderes, zuletzt unerträgliches Leben in Berlin aufgegeben und ist mit ihrer Mischlingshündin Jochen-der-Rochen in ein kurz vor der Pandemie ohne bestimmtes Ziel erworbenes, heruntergekommenes ehemaliges Gutsverwalterhaus mit grauer Stuckfassade und verwildertem Grundstück gezogen. Aus 80 Quadratmeter saniertem Altbau mit Balkon in Kreuzberg wird Dorfrandlage von Bracken, bröckelnde Straßen, efeuüberwucherte ehemalige Kneipen und komplett fehlende Infrastruktur. Vordergründig hat die Wende ihres Lebenspartners Robert vom überzeugten Klimaschutzaktivisten zum fanatisch-selbstgefälligen Corona-Apokalyptiker den Ausschlag gegeben, es ist aber auch eine Flucht vor der Überforderung im sich immer schneller drehenden Projekte-Hamsterrad einer Werbeagentur für nachhaltige Produkte.

    Neue Nachbarn
    Nicht dass Dora nicht gewarnt gewesen wäre:

    "In die Prignitz? Was willst du denn bei den ganzen Rechtsradikalen?" (S. 45)

    Unverblümt stellt sich der kahlgeschorene neue Nachbar jenseits der Mauer, Gottfried Proksch, genannt Gote, vor:

    „Angenehm“, sagt Gote, „Ich bin hier der Dorf-Nazi.“ (S. 45)

    Gote lebt in einem Bauwagen im eigenen gepflegten Garten neben seinem Haus, beherbergt die wegen Corona vorübergehend bei ihm untergebrachte zehnjährige Tochter Franzi und entpuppt sich als ebenso hilfsbereit wie radikal.

    Da es bei 285 Einwohnern keine Anonymität gibt, keine Möglichkeit für Dora, sich in der eigenen Blase zu bewegen, kommt sie den 27 Prozent AfD-Wählern zwangsläufig nah:

    "In Bracken ist man unter Leuten. Da kann man sich nicht mehr so leicht über die Menschen erheben. Wirst dich daran gewöhnen müssen." (S. 128)

    "Über Menschen" ist eine wohlkalkulierte Zumutung für die Leserinnen und Leser. Kaum hat man sich angesichts der selbstverständlichen Hilfsbereitschaft und väterlichen Zuneigung von Gote leicht entspannt, pöbelt er über „Pflanzkanacken“, erzählt von Pyrotechnik vor Flüchtlingsheimen, beschimpft eine indische Ärztin oder grölt mit Kumpanen das Horst-Wessel-Lied. Heini, ebenso handwerklich begabt wie Gote, würzt seine selbstlosen Hilfseinsätze mit rassistischen Sparwitzchen. Sadie, alleinerziehende Mutter in Dauernachtschicht, mit einer Wirklichkeit, „in der es um Dinge geht, von denen in Prenzlauer Berg niemand etwas ahnt“ (S. 216/217), beklagt ungerechtfertigte Unterstützung für „die Ausländer“. Das schwule Pärchen Tom und Steffen hat einen AfD-Sticker neben der Klingel („Geht ja nicht anders.“ S. 126), obwohl Steffen in seinem Kabarettprogramm Rechte aufs Korn nimmt.

    Leicht zu lesen, schwer zu verdauen
    Juli Zeh lässt uns Dora, die mit Youtube-Videos gärtnernde Städterin, beim Erlernen der Dorfregeln und beim Aushalten der Ambivalenzen ihres neuen Lebens zuschauen:

    "Eine Bedrohung des lebenswichtigen Irrtums, man könne das Gute und das Böse spielend leicht auseinanderhalten." (S. 194)

    Dora muss, will sie bleiben, Klischees auflösen, lernen, miteinander – statt wie in Berlin übereinander – zu reden und den Glauben an die eigene Überlegenheit aufgeben.

    Sehr gelungen sind die oft entlarvenden Dialoge voller sprachlicher Missverständnisse und Doras automatisch anspringendem Werbetexter-Hirn.

    Ob wir diesen Roman auch noch in zwanzig oder dreißig Jahren lesen werden? Ich bin mir nicht sicher. Aber ein interessanter, lesenswerter Diskussionsbeitrag zu aktuellen deutschen Befindlichkeiten ist er auf jeden Fall.

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  1. Am Ende sind wir alle. nur Menschen

    Inhalt: 2020 - Dora beschließt ihren persönlichen Lockdown und flieht zusammen mit ihrer Hündin Jochen der Rochen aus Berlin hinaus aufs Land. Doch statt ruhiger Landidylle zieht es sie in ihr neu erworbenes Domizil mitten im Nichts nach Bracken in Brandenburg. Sie hofft auf Abstand und Ruhe nach der Enge einer komplizierter werdenden Beziehung, die immer stärker von Klima- und Pandemieaktivismus durchdrungen wird. Doras innere Zerrissenheit will trotz allem nicht zur Ruhe kommen. Erst als die Dorfbewohner mehr Raum in ihrem Leben einnehmen und ihre vorgefertigten Schubladenraster nicht mehr passen wollen, kann sie sich ihren Ängsten stellen und gewinnt eine neue Sicht auf sich und die Menschen.
    Juli Zeh gibt mit Covid 19 nur den Zeitrahmen vor, nicht die Handlung. Es geht um unsere Gegenwart, den Umgang miteinander, das Vergessen von kleinen wunderbaren Dingen, Ängsten und deren Bewältigung und um Stärke im richtigen Moment zu handeln.

    Bracken, ein fiktiver Ort in Brandenburg, ist so beschrieben, wie man sich als Außenstehender ein ostdeutsches Dorf mit schwacher Infrastruktur, Arbeitslosigkeit und desillusionierten, wortkargen Menschen vorstellt. Hier möchte man nicht tot über den Zaun hängen. Aber genau an diesen Ort zieht es die 36-jährige Werbetexterin Dora. Nur weg aus Berlin und aus der Beziehung. Sie stört sich weder an dem maroden Zustand ihrer erworbenen Immobilie, noch an fehlenden Möbeln. Plan- und ahnungslos widmet sie sich ihrem Garten in der Hoffnung, einmal Freunde einladen zu können, sie sie gar nicht besitzt.

    "Inzwischen kennt sie eine Menge Formen von Unruhe, Furcht und Aufregung. Sie hat die verschiedenen Zustände beobachtet, analysiert und katalogisiert. Sie ist eine Archivarin der Nervositäten."
    Wer Dinge gerne nach Schwarz und Weiß sortiert, sollte sich auf ein Leseabenteuer gefasst machen. Juli Zeh ist es glaubhaft gelungen, einem "Dorf-Nazi", wie sich Doras Nachbar Gote selbst vorstellt, ein fast schon liebenswertes Profil zu verpassen. Der anfänglich grobe Nachbar, der sich hinter einer Mauer von Doras Grundstück abgrenzt, zeigt mehr und mehr raue, liebenswürdige Facetten. Heimlich wandern Möbel von ihm in Doras Haus, er organisiert einen weiteren Nachbarn, um dem Unkraut den Garaus zu machen. Aber gleichzeitig lernt man seine Vergangenheit kennen: eine Messerattacke, Nazigesänge und offen gezeigte Fremdenfeindlichkeit. Doras anfängliche Abneigung Gote gegenüber bröckelt, weiß sie doch die guten Seiten zu schätzen. Fragen und Ängste türmen sich dennoch in Dora auf. Darf man einfach wegschauen? Sollte man etwas unternehmen?

    "Das Gehirn gewöhnt sich an die Vorgaben der Angst, integriert sie ins Denken und verwischt die Spuren. Man leidet nicht unter der Angst, man praktiziert sie."
    Vorbei ist es mit der selbst gewählten Einsamkeit, denn das brandenburgische Dorfleben schwappt ungefragt in Doras Leben. Trotz aller Gesellschaftskritik fließt auch eine Welle Humor durch die Handlung. Nachbar Heini schreckt vor keinem zu platten Witz zurück und zwei schräge Unternehmer, die anfangs als Drogenanpflanzer verdächtigt werden, stellen sich als blumensträußchenbindende AfD'ler und Comedian heraus. Zu lange darf man sich aber nicht an den unterhaltsamen Stellen aufhalten. Denn wie so oft im Leben wendet sich das Blatt und die Angst gewinnt wieder die Oberhand.

    "Auf der Rückseite dieser Liebe wohnt die Angst, einander zu verlieren. Ebenso grenzenlos, ebenso abgrundtief. Das ist mehr, als ein Mensch ertragen kann."
    Mich hat dieser Roman überraschend in seinen Bann gezogen. Nicht nur die besonders gut herausgearbeiteten Charaktere, sondern auch die politische Grundstimmung dieser Zeit ist deutlich spürbar. Die Handlung regt an vielen Punkten zum Nachdenken und Hinterfragen an und macht deutlich: Es geht hier nicht um Rollen, Schubladen oder Kategorien. Am Ende sind wir alle nur Menschen.

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  1. 4
    05. Apr 2021 

    Jochen der Rochen

    Der erste Lockdown in der Corona-Pandemie läuft. Die Menschen sind alle irgendwie seltsam geworden. Jeder hat Recht und es wird nicht miteinander geredet. Robert, Doras Freund ist besonders überzeugt, dass das Klima gerettet werden muss und die Corona-Maßnahmen einzuhalten sind. Dora hat vor einiger Zeit ein heruntergekommenes Haus in Brandenburg erworben und nun nimmt sie ihren kleine Hündin Jochen und zieht aufs Land. Auch dort sind die Menschen seltsam, aber anders. Will Dora dort bleiben? Immerhin kann sie jederzeit in die Stadt, wenn sie denn irgendwelche öffentlichen Verkehrsmittel findet. Erstmal fängt sie an, ein Gemüsebeet anzulegen und dann wird sie weitersehen.

    Das Landleben in Brandenburg hat nicht so einen guten Ruf. Zu oft liest man von den Rechten, die dabei sind dort die Oberhand zu gewinnen. Doch lauert wirklich an jeder Ecke ein Rassist? Eines merkt Dora schnell. Eine verschlossene Tür bedeutet hier nicht viel. Sie müht sich auf ihrem viertausend Quadratmeter Grundstück ab. Und plötzlich muss sie sich fragen, ob sie unter die Heinzelmännchen geraten ist. Der Garten wird gerodet, ein Bett wird gebaut. Etwas beängstigend. Froh ist Dora, dass ein Nachbar die Straße runter sie nach dem Einkaufen mitnimmt. Sie beginnt zu verstehen, wieso in ländlichen Gegenden die meisten Leute ein Auto haben.

    Der neue Roman beginnt mit einer Beschreibung des Lebens in der heutigen Pandemie-Zeit. Die Lektüre nimmt dabei etliche Stunden in Anspruch, weil man dasitzt und denkt: eher nicht, vielleicht oder stimmt, stimmt genau. Man ist im positiven Sinne gezwungen zu reflektieren und nicht nur über die Pandemie, sondern auch über den Umgang der Menschen untereinander. Das Bild ist trostlos und die Frage, wie man wieder zu einer zugewandten Kommunikation kommen könnte, kann nicht einfach beantwortet werden. Doch als Dora so langsam von dem Dorf und seinen Menschen auf- und eingenommen wird, wird man beim Lesen auch in die Handlung hineingesogen. In der Anonymität der Stadt kann man sich seine Freunde aussuchen. Die Nachbarn im Dorf sind einfach da und man sollte versuchen, sie zu nehmen. Wie schwierig das sein kann, merkt man an Doras Beispiel. Auch wenn das Buch die Welt nicht ändert, so wäre es doch ein guter Ansatz sich selbst zu ändern.

    4,5 Sterne

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  1. Über Menschen

    „Meistens besteht das Leben aus Trial and Error, und der Mensch kann viel weniger begreifen und kontrollieren, als er glaubt. Auf dieses Dilemma kann weder Nichtstun noch Aktionismus die richtige Antwort sein.“ (Zitat Seite 28)

    Inhalt
    Dora, sechsunddreißig Jahre alt, ist eine erfolgreiche Werbetexterin, als ihr im Home-Office des Corona-Lockdown nicht nur die gemeinsame Wohnung in Berlin, sondern auch das Leben mit Robert endgültig zu eng wird. Bereits im Dezember hatte sie heimlich das renovierungsbedürftige, alte Gutsverwalterhaus auf dem verwilderten Grundstück mit den großen Bäumen gekauft, in Bracken, einem kleinen Straßendorf irgendwo in Brandenburg. Jetzt, drei Monate später, ist sie emdgültig hierher übersiedelt. Mit ihrer Hündin Jochen, ohne Möbel, aber mit einem Nachbarn, der sich ihr als Gote, wie Gottfried, ich bin der Dorf-Nazi vorstellt, was zu seiner sauber geschorenen Glatze passt. Doch plötzlich liegt ihre Matratze auf einem eigens für sie angefertigten Bett und auf ihrem Lieblingsplatz auf dem Treppenabsatz vor dem Haus stehen eines Tages Küchenstühle. Hier, in diesem Dorf mit seinen Menschen verändert sich etwas in Dora, vom Nachdenken zum Umdenken.

    Thema und Genre
    In diesem Roman geht es um Menschen, ihre Ängste, Sorgen, aber auch den Zusammenhalt in diesen herausfordernden Tagen einer modernen, aber unsicher und brüchig gewordenen Gegenwart.

    Charaktere
    Dora muss in Bewegung sein, um sich ruhig zu fühlen. Sie hat eine eigene Meinung zu vielen Themen unserer Zeit, doch hier in Bracken erkennt sie rasch, wie sehr sie sich irrte, als sie überzeugt davon war, man könne doch Gut und Böse ganz einfach auseinanderhalten. Denn hier lernt sie alle möglichen Zwischenschattierungen in unterschiedlichster Form kennen.

    Handlung und Schreibstil
    Dieser Roman spielt in der Gegenwart in einem kleinen Dorf in Brandenburg. Dora zieht sich aus ihrem Leben in Berlin zurück, um mit ihrer Hündin Jochen eine völlig andere Art Leben zu probieren, denn Home-Office geht überall. Einkaufen ohne Auto, mit einer Busverbindung mit hohem Seltenheitswert, Gärtnern mit theoretischen Anleitungen über YouTube. Dazwischen freie Zeit, auch das muss sie lernen, mit dieser freien Zeit umzugehen, die Natur in ihrer wunderbaren Vielfalt hilft ihr dabei. Doch jeder Tag bringt neue Herausforderungen und manchmal wünscht sich Dora weit weg von allem, am besten auf die Raumstation ISS, um Abstand zu gewinnen und Ruhe. Die Autorin erzählt einfühlsam, intensiv, bindet die drängenden Themen der Gegenwart mit ein, schafft unterschiedliche Figuren mit völlig unterschiedlichen Sichtweisen, beleuchtet die Standpunkte, lässt sie ruhen, nimmt sie in einem neuen Zusammenhang wieder auf. Sie lässt ihre Figuren nachdenken, umdenken und uns beim Lesen mit.

    Fazit
    Dies ist tatsächlich ein Roman über Menschen, ihre Ängste, Probleme, das tägliche Leben mit skurrilen, witzigen Szenen und nachdenklichen, sehr traurigen. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie man miteinander umgeht, wenn die Meinungen stark auseinanderdriften. Es sind Figuren auf der Suche und man schließt jede einzelne der Figuren ins Herz, obwohl oder gerade weil jede so ihre Eigenheiten hat, authentisch, Menschen eben, und oft anders, als die anderen denken.

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Schokolade am Leuchtturm - Süßes Erbe

Buchseite und Rezensionen zu 'Schokolade am Leuchtturm - Süßes Erbe' von Marie Schönbeck

Inhaltsangabe zu "Schokolade am Leuchtturm - Süßes Erbe"

Format:Taschenbuch
Seiten:496
Verlag: Heyne Verlag
EAN:9783453425156
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Der große Wind der Zeit: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Der große Wind der Zeit: Roman' von Joshua Sobol

Inhaltsangabe zu "Der große Wind der Zeit: Roman"

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:528
EAN:9783630875736
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Kairos: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Kairos: Roman' von Jenny Erpenbeck
4.7
4.7 von 5 (7 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Kairos: Roman"

Die neunzehnjährige Katharina und Hans, ein verheirateter Mann Mitte fünfzig, begegnen sich Ende der achtziger Jahre in Ostberlin, zufällig, und kommen für die nächsten Jahre nicht voneinander los. Vor dem Hintergrund der untergehenden DDR und des Umbruchs nach 1989 erzählt Jenny Erpenbeck in ihrer unverwechselbaren Sprache von den Abgründen des Glücks – vom Weg zweier Liebender im Grenzgebiet zwischen Wahrheit und Lüge, von Obsession und Gewalt, Hass und Hoffnung. Alles in ihrem Leben verwandelt sich noch in derselben Sekunde, in der es geschieht, in etwas Verlorenes. Die Grenze ist immer nur ein Augenblick.

Format:Taschenbuch
Seiten:384
EAN:9783328109341
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Rezensionen zu "Kairos: Roman"

  1. 4
    17. Okt 2021 

    Eine Liebe?

    "Die Gelegenheit beim Schopf packen" ist ein Ausspruch, der seinen Ursprung in der Darstellung des griechischen Gottes Kairos hat. Kairos galt in der griechischen Mythologie als Verkörperung des günstigen Augenblickes, den man nur festhalten konnte, wenn man ihm an der Stirnlocke packte, denn ansonsten war er kahl. Zog Kairos also an seinem Gegenüber vorbei, war's das mit dem günstigen Moment.

    Der Roman von Jenny Erpenbeck trägt nicht umsonst den Titel "Kairos". Denn den günstigen Moment erwischen die Protagonisten Katharina und Hans, als sie sich Ende der 80er Jahre zufällig in Ost-Berlin begegnen. Aus dieser Zufallsbegegnung entwickelt sich eine, in vielfacher Hinsicht, ungewöhnliche Beziehung.

    Katharina ist eine 19-jährige Auszubildende, die bei ihrer Mutter wohnt und an der Schwelle zum Erwachsensein steht. Sie ist in der DDR geboren und aufgewachsen. Der Sozialismus gehört für sie zur Normalität, sie ist genauso politisch interessiert, wie andere ihrer Generation - mal mehr, mal weniger. Hans ist Mitte fünfzig, verheiratet, Vater eines Sohnes in der Pubertät, Schriftsteller und überzeugter Sozialist. In der Liaison der beiden herrscht ein Ungleichgewicht. Hans dominiert Katharina, blendet sie mit seiner Lebenserfahrung, seinem unerschöpflichen Wissen über Kunst und Kultur. Er sonnt sich in ihrer Bewunderung und versucht, sie nach seinen eigenen Vorstellungen zu formen. Katharina verwechselt Schwärmerei mit Liebe und versucht, seinen Ansprüchen zu entsprechen. Dadurch verliert sie immer mehr von ihrer eigenen Persönlichkeit. Die Beziehung zwischen den beiden nimmt einen ungesunden Verlauf, über mehrer Jahre, in denen sich seelische Höhen und Tiefen abwechseln.

    Jenny Erpenbeck hat es mir mit der Darstellung des Hans nicht einfach gemacht. Ich konnte nicht anders, als mich über diese Figur zu empören. Dabei war der Altersunterschied nicht entscheidend, sondern eher die Dominanz eines Mannes, der außerhalb dieser Beziehung ein Schwächling ist und im echten Leben wenig Rückgrat besitzt. Er nutzt die Dominanz gegenüber Katharina um sein Ego aufzumöbeln.

    Während Katharina und Hans also mit ihrer und in ihrer "Liebe" kämpfen, findet um sie herum ein politischer Umbruch statt. Das Leben wird von dem Untergang der DDR bestimmt. Die Grenzen werden geöffnet und der Westen hält Einzug in den Alltag der Menschen, die plötzlich mit abrupten Veränderungen zu tun haben, die nicht alle willkommen sind, zumindest nicht in der Schnelligkeit.

    Einer, der von der Wende überfordert sein wird, ist Hans. Das Weltbild des überzeugten Sozialisten stürzt ein. Es fällt ihm schwer, sich mit der neuen Situation zu arrangieren.

    Kairos ist also eine interessante Kombination aus Wende-Roman und Beziehungsgeschichte. Was mich dabei begeistert hat, ist der Aufbau des Romans. Kairos wird aus zwei Perspektive erzählt, die eng miteinander verwoben sind - enger geht es nicht. Der Wechsel der Perspektiven findet innerhalb der Kapitel des Romans völlig unvermittelt statt; Satzzeichen der wörtlichen Rede sind nicht vorhanden. Man rutscht also von einem Moment auf den anderen in die Gedankenwelt des anderen Protagonisten - zunächst völlig unbemerkt, was natürlich gewöhnungsbedürftig ist. Doch durch die sprachliche Intensität der Autorin schafft man es, eine gedankliche Abgrenzung zwischen den beiden Gedankenwelten herzustellen.

    Mein Fazit:
    Eine Liebesgeschichte vor dem Hintergrund des Umbruchs der DDR, wobei mir der Hintergrund besser als der Vordergrund gefallen hat. Denn die Beziehungsgeschichte hat mich nicht überzeugt, was ausschließlich an meiner Ablehnung des männlichen Protagonisten lag. Bemerkenswert sind jedoch die sprachliche Intensität von Jenny Erpenbeck sowie der ungewöhnliche Aufbau dieses Romans.

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  1. Doppeltes Requiem

    Am 11. Juli 1986 begegnen sich die 19-jährige Katharina, Setzerlehrling, und der 53-jährige Schriftsteller Hans W. in einem Bus in Ostberlin zum ersten Mal:

    "Die Türen schlossen sich wieder, der Bus fuhr an, sie suchte nach einem Haltegriff.
    Und da sah sie ihn.
    Und er sah sie.
    Draußen ging eine wahre Sintflut hernieder, drinnen dampfte es von den feuchten Kleidern der Zugestiegenen." (S. 16)

    Noch am gleichen Abend nimmt er sie mit in seine Wohnung, weder seine Frau noch sein 14-jähriger Sohn sind zuhause. Sie hören Mozarts Requiem und landen im Ehebett:

    "Nie wieder wird es so sein wie heute, denkt Hans. So wird es nun sein für immer, denkt Katharina." (S. 29)

    Ob Kairos, der Gott des glücklichen Augenblicks, für diese schicksalhafte Begegnung verantwortlich war, fragt sich Katharina, als sie viele Jahre später, nach Hans‘ Tod, die beiden Kartons mit Erinnerungsstücken auspackt.

    Der erste Karton…
    … enthält Andenken aus den ersten 14 Monaten der Beziehung, Licht und Schatten gleichermaßen. Es ist eine Zeit, während der Katharina „immer weiter fortgerissen“ wird, in der sie entdeckt, „dass sie so lieben kann“, sie Hans beim Familienurlaub an der Ostsee beobachtet und sich ein gemeinsames Kind vorstellen kann. Sie genießt es, von ihm ausgeführt zu werden, bewundert ihn für seine Bildung und akzeptiert seine Machtdemonstrationen mittels sadomasochistischer Praktiken. Erstaunlich zurückhaltend vorgebrachte Bedenken ihrer Eltern und Warnungen ihrer Freunde ignoriert sie:

    "Seit du mit diesem Hans zusammen bist, hast du irgendwie dein Strahlen verloren." (S. 134)

    Hans ging als Student bewusst in den Osten, weil er, desillusioniert von der Rückkehr alter Nazis auf alte Posten, alle Hoffnungen auf die antifaschistische DDR setzte. Nun idealisiert er Katharina ebenso wie damals den Staat und stilisiert sie zu einer Heiligen. Wie die kommunistische Regierung auf Widerstand mit immer drastischerer Unterdrückung antwortete, reagiert auch Hans, der nie seine Ehe für Katharina aufs Spiel setzten würde, auf das, was er für ihren Verrat hält.

    Der zweite Karton…
    … legt Zeugnis von Hans‘ Terror und Machtgehabe als Reaktion auf Katharinas "Treuebruch" ab: Verhöre, Überwachung, Gehirnwäsche, Vorwürfe:

    "Für mich ist dein Betrug die größte und einschneidendste Niederlage meines Lebens." (S. 272)

    "… dass du dich so erniedrigen konntest, dass du dich so klein gemacht hast – das hat dich in meinen Augen entschieden wertgemindert." (S. 312)

    Bis 1992 und über die Wende hinaus zieht sich die toxische Beziehung hin. Kein Tiefpunkt beider parallel verlaufender Ereignisse bleibt ausgespart.

    Die Ostperspektive macht's
    Kairos ist zweifellos ein bedeutendes Stück zeitgenössisch-deutscher Literatur, sprachlich eine Wonne und mit einer Fülle von Anspielungen auf Theater, Musik, Kunst und die DDR-Künstlerszene, von denen ich gewiss nur einen Teil erfasst habe. Was fehlt, ist eine gewisse Leichtigkeit, jedes Wort wirkt bedeutungsschwer und bisweilen gar pathetisch. Probleme hatte ich mit der Glaubwürdigkeit der Beziehung, an der Katharina unbegreiflicherweise  festhält, als sie zum Praktikum nach Frankfurt an der Oder geht und später in Ostberlin Bühnenbild studiert. Auch die Wendung im Epilog hätte es für mich nicht gebraucht. Einen wirklichen Erkenntnisgewinn brachte mir jedoch der spezielle Blick der in Ostberlin wie ihre Protagonistin 1967 geborenen Jenny Erpenbeck auf die Vorwende-, Wende- und Nachwendezeit. Dafür alleine schon lohnt die Lektüre.

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  1. Sprachlich wie inhaltlich ganz besonders raffiniert und kreativ

    „Kairos ist ein religiös-philosophischer Begriff für den günstigen Zeitpunkt einer Entscheidung, dessen ungenutztes Verstreichen nachteilig sein könnte. In der griechischen Mythologie wurde der günstige Zeitpunkt als Gottheit personifiziert.“ (Zitat Wikipedia)

    In Jenny Erpenbecks Roman „Kairos“ kann ich durchaus beobachten, dass es solche entscheidenden Momente gibt. Zum einen gibt es diesen einen Moment in der Beziehung von Katharina (19 Jahre alt) und Hans (53, verheiratet). Der günstige Zeitpunkt für ihr Zusammenkommen ist eines Tages eingetreten, als sie sich in der Straßenbahn begegnet sind und sich sofort zueinander hingezogen gefühlt haben. Ob dies für alles Folgende tatsächlich eine gute Entscheidung gewesen ist, sei dahingestellt...

    Ein weiterer günstiger, entscheidender Moment bahnt sich an in Bezug auf den Niedergang der DDR und die anschließende Geburt eines gemeinsamen Deutschlands. Und auch hier fragt man sich, ist es ein wirklich guter Zeitpunkt? Hätte es sich nachteilig ausgewirkt, hätte man diesen Zeitpunkt verstreichen lassen?

    Mit großer sprachlicher Raffinesse, großartiger Kreativität und viel Lokalkolorit verknüpft die Autorin genau diese beiden Szenarien miteinander. Sie lässt die furiose Liebesgeschichte im Ost-Berlin der Jahre 1986 – 1992 spielen. Erpenbeck erschafft mit Hans einen Charakter, der aufgrund seiner Vergangenheit bewusst in den Osten gegangen ist, um für den Sozialismus zu kämpfen. Er hat eine gute Position als Radiojournalist inne, nebenbei schreibt er Bücher und führt mit seiner Frau eine recht „offene“ Ehe. Er hat eigentlich vergleichsweise viele Freiheiten zur damaligen Zeit. Am Ende der DDR dann ist auch Hans am Ende: desillusioniert, müde, hoffnungslos...

    Katharina hingegen ist jung, unverbraucht, unerfahren und rein, und sie ist in der DDR aufgewachsen, hat keine nennenswert tragische Vergangenheit, die sie aufarbeiten muss. Sie schaut auf zu Hans, der ihr in Sachen Kultur, Kunst (insbesondere Literatur und Musik) viel beibringt – sie ist fasziniert von ihm und begibt sich in eine mehr und mehr abhängige Beziehung. Hans wiederum beginnt, nach einem für ihn einschneidenden Ereignis, die Anhänglichkeit von Katharina aufs Schlimmste auszunutzen... Eine obsessive Liebesbeziehung entspinnt sich, die auch vor (insbesondere psychischer) Gewalt nicht Halt macht. Und immer wieder werden hier die Parallelen zur DDR und zur Wirkungsweise der Stasi angedeutet. Gleichzeitig erfährt man aber auch von vielen damaligen Kulturschaffenden und ihrem Kampf für mehr Freiheit und unzensierte Kunst.

    Fazit: Mich hat der Roman mit all seiner Raffinesse, mit der Einbringung vieler, interessanter geschichtlicher Namen, Zusammenhänge und Ereignisse der Wendezeit und davor, unheimlich gut gefallen. Die Liebesgeschichte kommt in diesem besonderen Rahmen niemals kitschig daher, sondern fesselt und fasziniert und lässt mich auch nach der Lektüre nicht los. Ich glaube zudem, man kann beim zweiten und dritten Lesen immer noch mehr entdecken von den vielen Zusammenhängen und Erkenntnissen, die Jenny Erpenbeck hier beschreibt – sei es in Verbindung mit der psychologisch extrem vertrackten Liebesbeziehung oder hinsichtlich der geschichtlichen Hintergründe. Nominiert ist „Kairos“ für den Bayerischen Buchpreis und ich drücke ihm sowas von die Daumen! Absolut lesenswert!

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  1. 5
    22. Sep 2021 

    „ Lass ihn vorüberziehen“

    Zu Beginn des Romans sitzt eine Frau mittleren Alters vor zwei Kartons und sichtet deren Inhalt: Briefe, Postkarten, Photos, Restaurantrechnungen, Zettel und vieles mehr. Relikte einer längst vergangenen Liebe, hinterlassen von dem Mann, den sie damals geliebt hat.
    Ihre erste schicksalhafte Begegnung war in Ostberlin, am 11. Juli 1986. Sie, Katharina, war damals 19 Jahre jung, lebte noch bei ihrer Mutter und machte gerade eine Ausbildung zur Schriftsetzerin. Er, Hans, 53 Jahre alt, verheiratet, arbeitet als Schriftsteller und beim Rundfunk. Trotz des gewaltigen Altersunterschieds stürzen sich die beiden in eine heftige Liebesbeziehung. Sie treffen sich heimlich, gehen Essen oder ins Museum und der gebildete, ältere Mann versteht sich als Mentor für die junge Frau. Sie führen Gespräche über Literatur und Kunst und Hans zeigt ihr, welche Musik hörenswert ist. Katharina lässt sich bereitwillig leiten und formen, wirft sogar ihre Schallplatten in den Müll, weil Hans sie für Schund hält. Sie lebt nur noch für und mit Hans, unterwirft sich ihm völlig.
    Doch von Anfang an schwingt das Ende mit. Bei ihrem ersten Mal hören sie Mozarts Requiem. „ Wir dürfen uns nicht unglücklich machen, sagt er, und greift nach ihrem Schoß. Sie lächelt: Soweit sind wir doch schon. Salve Me, salve me.“
    Nicht unbeabsichtigt wird die Schlusszeile aus Brechts Gedicht „ Die Liebenden“ zitiert.
    ( „ Ihr fragt, wie lange sind sie schon beisammen?/ Seit kurzem. — Und wann werden sie sich trennen? — Bald. / So scheint die Liebe Liebenden ein Halt.“)
    Als Katharina Hans mit einem jungen Arbeitskollegen betrügt, kommt die Beziehung noch mehr ins Ungleichgewicht. Hans, der nie seine Frau verlassen würde und immer Geliebte hatte, gesteht Katharina keinerlei Freiheiten zu. Sie muss in Zukunft alles offenlegen, darf keine Geheimnisse vor ihm haben. Er wendet Methoden an, die an die Stasi oder an Stalins Schauprozesse erinnern: absolute Kontrolle, unbedingtes Bekennen nur zu ihm, Eingestehen von Schuld und manches mehr.
    Es ist eine Qual zu lesen, wie Katharina sich vollständig unterwirft, sich in eine Abhängigkeit begibt, bis zur Selbstzerstörung. Sie ist unglücklich, kann sich aber nicht lösen von diesem Mann.
    Jenny Erpenbeck erzählt die Geschichte dieser obsessiven Liebe parallel zum Untergang der DDR. An beiden Figuren spiegelt sich deutsche Geschichte.
    Hans, 1933 geboren, war geprägt vom Nationalsozialismus. Einst begeisterter Hitlerjunge wählte er nach dem Krieg ganz bewusst die DDR, weil er überzeugt war, hier das bessere System zu finden.
    Katharina dagegen ist ein Kind der DDR ( „ Ein Geschöpf der neuen Zeit.“), ist mit deren Idealen aufgewachsen, musste aber nie dafür kämpfen.
    In der Beziehung zwischen Hans und Katharina stehen sich , wie am Ende der DDR, Alt und Jung gegenüber. Auf der einen Seite die erschöpften Kämpfer, die auf ihrem Machtanspruch beharren, denen gegenüber die jungen Oppositionellen, die für mehr Freiheit eintreten.
    So wie die Beziehung von Hans und Katharina zum Scheitern verurteilt ist, so ist es auch das DDR- System.
    Jenny Erpenbeck zeichnet den Auflösungsprozess dieses Staates in einprägsamen Bildern. Sie lässt Katharina durch ein Ostberlin irren, von einer Aufführung in der Staatsoper, vorbei an den Tribünen zur Geburtstagsfeier der Republik hin zu einem Gottesdienst der Oppositionellen. Katharina gehört nirgends dazu.
    Vor allem aber beschreibt die Autorin genau, was die Wende für viele DDR - Bürger bedeutet hat. Nicht nur den Verlust alter Gewissheiten oder die Hoffnung auf einen reformierten Sozialismus, sondern auch ganz konkret den Verlust ihrer beruflichen Existenz.
    Katharina Erpenbeck erzählt ihre Geschichte chronologisch, vom ersten Kennenlernen bis zum Ende sechs Jahre später; von der kurzen Rahmenhandlung abgesehen, die in der Gegenwart angesiedelt ist. Dabei haben wir einen Erzähler, der meist die Perspektive Katharinas annimmt, hin und wieder auch die von Hans. Sehr gut zeigt sich dabei die unterschiedliche Wahrnehmung der beiden bei ein und derselben Szene. „ Nie wieder wird es so sein wie heute, denkt Hans. So wird es nun sein für immer, denkt Katharina.“
    Auch in diesem Roman trifft man auf den vertrauten Jenny Erpenbeck- Sound. Der Text ist stark rhythmisch, die Sprache wird auf ihre Bedeutung hinterfragt; dabei gelingen der Autorin immer wieder schöne, unverbrauchte Bilder. Außerdem hat Jenny Erpenbeck einen guten Blick für Details, für Stimmungen und Emotionen.
    „ Kairos“ so heißt der Roman in Anspielung auf den gleichnamigen griechischen Gott. Kairos ist der Gott des günstigen Augenblicks. Er trägt über der Stirn eine Locke, die es zu packen gilt. Denn ist man zu langsam, so präsentiert er uns seinen rückwärtigen kahlen Schädel. Dann ist die Gelegenheit vorüber. „ War der Augenblick ein glücklicher, in dem sie damals, als neunzehnjähriges Mädchen, Hans traf?“ Das fragt sich die älter gewordene Katharina. Wenn man die ganze Geschichte kennt, so möchte man ihr zurufen: „Lass ihn vorübergehen, ohne stehenzubleiben, lass ihn ziehen!“
    „Kairos“ von Jenny Erpenbeck ist ein literarisch überzeugender Roman über eine toxische Beziehung und ein Abgesang auf die DDR. Absolut lesenswer!

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  1. 5
    18. Sep 2021 

    Ein großartiger Roman!

    Am 11. Juli 1986 treffen sich zufällig mitten in Ost-Berlin die damals 19-jährige Katharina und der 53-jährige Hans. Und wie es Kairos, der Gott des glücklichen Augenblicks, in dem Moment bestimmt, nutzen die beiden „die Gunst der Stunde“ und entscheiden, den Abend zusammen zu verbringen. Und auch später halten sie an der Stirnlocke des Gottes fest und setzen ihre aufregende Bekanntschaft fort.

    Was zuerst als eine kleine Liebesaffäre beginnt, wächst mit der Zeit zu einer großen Liebe, die eigentlich keine sein darf. Denn Hans, ein freier Rundfunkmitarbeiter und Schriftsteller ist verheiratet und hat einen Sohn. Er hat überhaupt nicht vor seine Familie zu verlassen, dafür aber will er -eifersüchtig und besitzergreifend, wie er ist - die junge Katharina, angehende Bühnenbildstudentin, nach seinen Vorstellungen zu formen. Katharinas Liebe scheint keine Grenzen zu haben, sie unterwirft sich ihm vollkommen und man kann nur fassungslos beobachten, wie sie langsam in ihr Unglück rennt.

    Diese dramatische Liebesgeschichte verbindet Jenny Erpenbeck meisterhaft mir der deutschen Geschichte der späten achtziger Jahre, mit dem Untergang der DDR und der unmittelbaren Zeit danach. Sie lädt ihre Leser und Leserinnen nach Berlin und beschreibt genau, wie die Stadt damals ausgesehen hat. Sie führt ihre Leserschaft durch die bekannten Straßen und an die meistbesuchten Orte, erzählt, wie man damals gelebt und geliebt hat, worüber man sprach. Die Leser und Leserinnen tauchen in die Welt des Theaters, Musik, Dichter und Denker ein, folgen Erzählungen über Kämpfer für die bessere Welt. Die Autorin bedient sich einer anspruchsvollen aber fesselnden Sprache, ist mal nachdenklich, mal allegorisch, mal poetisch.
    Zu bedeutenden Themen dieses Romans gehören sowohl die Utopie des Kommunismus sowie die vernichtenden, grausamen Bilder des Nationalsozialismus, brutale Methoden der Faschisten und später der Stasi.

    „Kairos“ ist ein großartiger Roman, den ich mit großem Interesse gelesen habe und der noch lange in meiner Erinnerung bleibt. Das Buch bekommt meine wärmste Leseempfehlung!

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  1. Liebe in Zeiten des Umbruchs

    Kairos ist der Gott des glücklichen Augenblicks. „War der Augenblick ein glücklicher, in dem sie damals, als neunzehnjähriges Mädchen, Hans traf?“, sinniert die mittlerweile mit einem anderen Mann verheiratete Katharina Jahre nach ihrer Beziehung mit Hans. Der Anlass? Hans ist gestorben, seine Witwe bringt zwei Kartons vorbei, die angefüllt sind mit Erinnerungsfragmenten aus jener Zeit.

    „In so einem Koffer, in so einem Karton, liegen Ende, Anfang und Mitte gleichgültig miteinander im Staub der Jahrzehnte, liegt das, was zum Täuschen geschrieben wurde, und das, was als Wahrheit gedacht war, das Verschwiegene und das Beschriebene, liegt all das, ob es will oder nicht, eng ineinandergefaltet, …“ S. 9

    In personalem Erzählstil werden wir anhand dieser Kartons durch eine insgesamt sechs Jahre währende Beziehung geleitet. Katharina ist an deren Beginn 19 Jahre jung, Hans ist ein 53-jähriger privilegierter Familienvater, der für den Rundfunk und als „freier fester Autor“ arbeitet. Er ist ein Intellektueller, der mit seiner jungen Freundin über Literatur diskutiert, mit ihr seine Liebe zu klassischen und romantischen Komponisten teilt und nicht widerstehen kann, die junge Frau zu formen. Er führt sie gerne in feine Lokale aus, für Katharina erschließt sich mit ihm eine andere Welt, die sie ihren gleichaltrigen Freunden immer mehr entfremdet. Was zunächst wie eine Affäre beginnt, gewinnt zunehmend an Obsession und Leidenschaft. Hans und Katharina zelebrieren ihre Liebe, sammeln Erinnerungen, Eintritts- und Speisekarten, Briefe, Termine und vieles mehr. Wochen-, Monats- und Jahrestage spielen eine große Rolle. Obwohl Hans verheiratet ist, wacht er über Katharina mit großer Eifersucht und nimmt Einfluss auf ihre beruflichen Entscheidungen. Mit der Zeit benimmt er sich auch übergriffig und despotisch, was zu starken emotionalen Schwankungen über die Jahre führt. Beide arbeiten im Dunstkreis des Theaters, bestimmte Szenen weisen auch dazu Parallelen in ihrer Dramaturgie auf.

    Der überwiegende Teil des Romans findet im Ost-Berlin der Jahre 1986 bis 1992 statt, einer Zeit des Umbruchs also. Jenny Erpenbeck versteht es meisterhaft, das Politische mit dem Persönlichen zu verbinden. Sie stellt dem Staat eine ungleiche Paar-Beziehung gegenüber – beide leiden, beide sind im Niedergang begriffen. Die Atmosphäre des Vorwende-Berlins ist dabei wunderbar eingefangen, so dass ein unglaublich authentisches Bild entsteht. Erpenbeck führt die Leserschaft zusammen mit den Protagonisten in Szenekneipen und -lokale, lässt sie durch die Straßen schlendern oder auf den Bus warten. Locker fließen politische Standpunkte in Dialoge ein, Hans ist ein überzeugter Sozialist. Ebenso beschreibt die Autorin Katharinas Eindrücke während eines Westbesuchs in Köln sowie alle Formalien, die zuvor dafür notwendig waren. Die Wende selbst wird aus Ost-Perspektive geschildert. Augenfällig dabei die existentiellen Ängste, die erzwungenen Veränderungen und Umstrukturierungen, die für den West-Leser neue, interessante Blickwinkel bieten, während beim Ost-Leser Erinnerungen wach werden dürften. Insofern wird neben der packenden Liebesgeschichte auch ein bedeutendes Stück deutscher Vergangenheit aufgearbeitet und beschrieben. Insbesondere Hans bringt dabei seine eigene Biografie mit ein. Er hat nach dem Krieg bereits einen Systemzusammenbruch erlebt und Wunden davongetragen, die sich in seinem Verhalten spiegeln.

    Die personalen Erzählperspektiven sind ohnehin faszinierend, denn sie wechseln sich laufend ab. Dabei kann man Hans und Katharina tief in Seele und Gedanken schauen. Erpenbeck zeigt diese Wechsel nicht gesondert an und benutzt keine Redezeichen, was ein aufmerksames Lesen erfordert. Man wird dafür aber reichlich belohnt. Der gesamte Roman ist wunderbar stimmig konzipiert und erfüllt hohe literarische Ansprüche. Leser, die sich in der griechischen Sagenwelt sowie bei den deutschen Dichtern, Schriftstellern und Liedermachern auskennen, werden noch mehr Bezüge herstellen können als ich – diese Kenntnisse sind aber keinesfalls notwendig. Man hat auch so Freude an den teilweise tiefgründigen oder philosophischen Gedanken zu vielfältigen Themen. Man darf interpretieren, muss aber nicht.

    „Kairos“ ist ein intensives Leseerlebnis. Jenny Erpenbeck ist eine wunderbare Beobachterin, die sich detailliert in ihre Figuren, deren Befindlichkeiten sowie in verschiedene Schauplätze hineindenken kann. Hervorzuheben ist ihre unverwechselbare Sprache, die ich gar nicht genug loben kann. Ihr Sound hat mich von Beginn an so sehr begeistert, dass ich zeitnah auch andere ihrer Romane lesen möchte.

    Große Lese-Empfehlung !

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  1. Vom Vom Privaten im Politischen: ein herausragender Roman.

    Kurzmeinung: Hätte unbedingt auf die Shortlist gehört. Statt des ganzen Genderzeugs.

    So wie man bei der Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland von der Gunst der Stunde spricht, dem historischen „Kairos“, so ist auch die Begegnung des Erpenbeckschen Paars ein „Kairos“. So empfindet es wenigstens das im Mittelpunkt der Geschichte stehende Paar Hans und Katharina und zelebriert wieder und wieder ihre Kennenlernstunde. Wenn Hans nicht, wenn Katharina nicht gerade in dem Moment, wenn der Bus nicht, wenn du woanders hingesehen hättest, wenn du mich nicht angesehen hättest, wenn ich nicht mitgegangen wäre, etc. etc.

    Von der Obsession einer ungleichgewichtigen Liebe handelt Jenny Erpenbecks neuer Roman „Kairos“ und spielt vor dem Hintergrund einer entscheidenden politischen Entwicklung in der deutschen Geschichte. Die DDR liegt in ihren letzten Zügen. Sie röchelt schon, doch noch nicht jeder will den Todesatem im Nacken hören. Dabei hat einmal alles so gut angefangen.

    Ostberlin: Ungefähr sechs Jahre lang, von 1986 an, begleitet man die beiden Protagonisten, nämlich Katharina, blutjung, im Werden erst und noch formbar, und Hans, den alternden Schriftsteller, der in der DDRschen Medienlandschaft als anerkannter Musikexperte tätig ist.

    Nicht nur das Alter schafft in dem Liebesverhältnis der beiden ein Ungleichgewicht. Hans, ein Idealist, hat bereits eine Lebensgeschichte hinter sich, die ihn geprägt hat. Sein Geburtsjahr ist 1933. Seine Wahl im Osten zu leben war freiwillig.

    Katharina dagegen, 1977 geboren, ist politisch unschuldig und muss ein eigenständiges politisches Bewusstsein erst entwickeln, was in dem manipulierenden Umfeld, im dem sie sich befindet, nicht leicht sein dürfte. Der Sozialismus ist ihr selbstverständlich, von Geburt an wurde sie indoktriniert. Sie hat die DDR nicht gewählt. Aber das ist ihr nicht klar.

    Viele Eigenschaften des Paares spiegeln sich im Politischen. Da ist zum einen das Ungleichgewicht zwischen einem, der oben ist und einem, der unten ist, da ist das Alte, das sich gegen das Neue, Junge sträubt und es zu Boden presst. Das Oppressive und das Repressive, ja sogar das Nostalgische der Paar-Rituale, alles findet sich im Politischen wieder. Und schließlich die Umkehr der Verhältnisse.

    Zurück zum Privaten: Hans ist ein Intellektueller wie man ihn sich vorstellt. Klug. Belehrend. Wirklichkeitsscheu. Geistig überlegen. Linke Hände. Ein Denker. Belesen. Museumsverrückt, Konzert- und Vorstellungsbesessen.Entscheidungsschwach. Bequem. Leicht gekränkt. Natürlich gibt es auch anders gestrickte Intellektuelle, einzelne, die sich nicht im Wolkenkuckucksheim eingerichtet haben, aber Hans ist so.

    Es ist eine Liebe wie auf der Bühne. Einzigartig. Unwiederholbar. Die große Liebe. Eine erstklassige Inszenierung. Es ist daher kein Zufall, dass das Theater und die Kunst eine große Rolle im Leben der Protagonisten spielen. Es ist Hans, der Regisseur ihres Liebesspiels ist und es ist Katharina, die das Bühnenbild entwirft, beide sind Akteure in ihrem eigenen Stück und zelebrieren es bis zum Überdruss. Mehrere Aufführungen oder mehrere Akte. Auftakt, Höhepunkt. Läuterung. Umkehr. Niedergang. Vorhang.

    Mit Sätzen von großer literarischer und intellektueller Kraft setzt Jenny Erpenbeck ihre Worte. Hans erläutert griechische Mythologie, referiert über Dichter und Denker der ostdeutschen Kultur, Gedichte werden vorgetragen, Politisches in Bezug gesetzt.

    Und trotzdem, obwohl das Poltische eine so große Rolle spielt und darin gelebt wird, bleibt es dezent. Jenny Erpenbeck drängt dem Leser nichts auf. Sie schlägt ihm nichts um die Ohren. Sie zeigt nur hierhin und dorthin. So war es, so dachte man. Das kommt an.

    Als das Ende der DDR kommt, ist es das Ende. Nichts von „Wenn das Ende nicht gut ist, ist es nicht das Ende.“ Es ist das Ende und es ist für viele Menschen nicht gut, sondern vernichtet ihre Existenz. So hat man sich das nicht vorgestellt.
    Beeindruckend als eine symbolische Szene des Ausverkaufs der DDR ist es, wie nach dem Mauerfall seitens der Buchhandlungen tonnenweise Bücher weggeschmissen wurden, für deren Besitz man vorher wer weiß was gegeben hätte. Noch eindrücklicher dargestellt in Ingo Schulzes Roman "Die rechtschaffenen Mörder".

    Fazit: Das Private ist eben immer auch das Politische. „Kairos“ ist ein ungemein gelungener Liebesroman mit hoher gestalterischer Dramatik und Kraft. Mit eingebautem Erpenbeck-Sound. Versteht sich. Denn Jenny Erpenbecks erzählerische Mittel sind so vielfältig und scheinen ihr nie auszugehen, dass man nicht anders kann als von ihren Romanen fasziniert und begeistert zu sein. „Kairos“ zeugt wieder einmal davon. Eine große Autorin. Ein großartiges Buch.

    Kategorie: Belletristik
    Verlag: Penguin, 2021

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Muna oder Die Hälfte des Lebens -

Buchseite und Rezensionen zu 'Muna oder Die Hälfte des Lebens -' von Terézia Mora
4.5
4.5 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Muna oder Die Hälfte des Lebens -"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:448
EAN:9783630874968
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Rezensionen zu "Muna oder Die Hälfte des Lebens -"

  1. Ein Irrer und eine Hörige

    „Muna“ hatte ich schon lange auf meiner Wunschliste, bevor ich wusste, dass dieser Roman auf der Longlist (und später auf der Shortlist) des Deutschen Bücherpreises 2023 landen würde. Einfach, weil Terézia Mora unvergleichlich ist und ich ihren Roman „Das Ungeheuer“ so umwerfend gut fand, dass ich gerne wieder etwas Neues von ihr lesen wollte. Dafür erhielt sie verdienterweise den Deutschen Buchpreis 2013.

    Irgendwie sind ja gerade toxische Beziehungen (nicht nur) in der Literatur angesagt und dieses Thema ist immer wieder neu und auch immer wieder alt, bzw. unvergänglich.

    Hier also bewegen wir uns im Germanisten-Milieu, was mich ohnehin schon reizt. Muna, die Protagonistin, und Ich-Erzählerin wächst in einer fiktiven DDR-Stadt auf, der Vater ist lange verschwunden und die Mutter ist Schauspielerin am Theater. Bei einem Volontariats-Job lernt Muna Magnus kennen, der ist Fotograf und Französischlehrer. Und ja, er sieht umwerfend gut aus, hat aber m. E. ansonsten so gut wie keine Qualitäten. Eher im Gegenteil. Muna und Magnus landen im Bett, danach verschwindet er spurlos. Er will sich halt nicht festlegen, dauerhaft nicht festlegen.

    Alle anderen Männer sind nicht gut genug für Muna. Zwar gibt es Einige und Interesse haben viele, denn Muna ist blond und attraktiv, aber gegen das imaginäre Dauervorbild Magnus können die anderen Männer nicht anstinken. Keiner von ihnen.

    Bis irgendwann, bei einem total bescheuerten Freilichttheater Magnus von Muna erblickt wird und mehr oder weniger widerstrebend lässt er sich auf eine Beziehung ein. Jedenfalls auf das, was er unter Beziehung versteht. Es findet sogar eine gemeinsame Reise statt, aber immer geht alle Initiative von Muna aus. Er behandelt sie schlecht, aber das hält sie nicht davon ab, ständig bei ihm und um ihn sein zu wollen. So schade um diese intelligente und schöne Frau, die so die Hälfte ihres Lebens buchstäblich verschwendet.

    "Der Schlüssel ist, so zu tun, als wärst du eine von ihm unabhängige Frau mit einem eigenen Leben, einer eigenen Laufbahn. Unkompliziert sein und gut aussehen. Nicht zu viel Quatsch erzählen, nicht klagen und nicht zu viel fragen." (Seite 254)

    Wie man sieht, betreibt Muna hier Selbstverleugnung ohne Grenzen, erreicht aber nie, was sie erreichen möchte: Dass sie für Magnus genauso wichtig ist, wie er für sie. TM seziert ihre Protagonisten so tiefgründig, als lägen sie bereits in der Pathologie.

    Es gibt sehr, sehr viel Neues zu entdecken in diesem Buch, es wimmelt nur so vor Weisheiten, bekannten und unbekannten, und ist (trotzdem oder gerade deswegen) so spannend und so bravourös und ungewöhnlich geschrieben, dass man immer dranbleibt.

    Zum Glück hält sich der Ausflug ins „Gendern plus Kultur“ extrem kurz und schmerzlos auf den Seiten 300 und 301. „Das Ziel, ebenso vielen Frauen wie Männern wie anderen Geschlechtern einen Platz in Spitzenpositionen der Wissenschaft und der Wissenschaftspolitik zu gewähren, …“ (S. 301) Ansonsten wäre es wirklich höchst bedauerlich gewesen, wenn dieser grandiose Roman dadurch zum woken Geschreibsel verkommen wäre.

    Fazit: 441 Seiten, die man nicht verpassen sollte und auch, wenn ich die anderen Bücher der Shortlist 2023 nicht kenne, wünsche ich Terézia Mora den erneuten Gewinn des Deutschen Buchpreises von ganzem Herzen.

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  1. 4
    17. Sep 2023 

    Die bessere Hälfte

    Muna steht kurz vor dem Abitur als ihre Mutter ins Krankenhaus muss. Zum ersten Mal auf sich allein gestellt, streift sie durch die Stadt. Während eines Praktikums lernt sie Magnus kennen, älter als sie, Lehrer und Fotograf. Muna glaubt, es sei für immer. Doch in der Zeit der Wende verschwindet Magnus. Es ist schon ein unglaublicher Zufall, dass sich Muna und Magnus nach sieben Jahren wieder begegnen. Wieder ist Muna Feuer und Flamme. Sie und Magnus müssen ein Paar werden und sein. Doch reicht es für ein ganzes Leben, wenn nur eine Hälfte die ganze Überzeugung hat?

    Eine nicht ganz einfache Jugend ist es für Muna. Ihr Vater starb früh, ihre Mutter muss wegen ihrer Alkoholkrankheit in die Klinik und dann kommen die Umwälzungen durch den Fall der Mauer. Und Muna gewinnt und verliert Magnus beinahe an einen Tag. Es ist schon viel, was auf die junge Frau einprasselt. Wie wird Muna ihren Weg wählen? Muna studiert, geht ihren Weg über Berlin nach London und Wien. Was könnte sie alles erreichen. Doch wirft sie alle Pläne über Bord, nachdem Magnus wieder in ihr Leben tritt. Was ist sie alles bereit zu geben, kann sie nichts dafür erhoffen? Schon währen ihres ersten Urlaubs wird klar, dass sich einige Hoffnungen bald zerschlagen werden.

    Für den Deutschen Buchpreis 2023 ist dieser Roman einer bekannten Autorin sicher zurecht. Das Buch liest sich äußerst gut. Welche Gedanken und Wünsche die junge Muna dazu treiben, mit ihren Entscheidungen, was Männer oder auch ihr berufliches Fortkommen angeht, dermaßen daneben zu greifen, ist nicht immer nachvollziehbar. Man denkt sich, bleib doch am Ball oder ergreif lieber die Flucht. Aber Muna rennt nicht, wo sie sollte, sie plant nicht, wo es sinnvoll wäre. Sie flieht die sympathischen Menschen und ergibt sich den Widerlingen. War diese Zeit wirklich so? Oder ist Muna einfach ein spezieller Mensch, deren Staat untergegangen ist? Sie macht aus einer Jugend, die hipp hätte sein können, die einen Aufbruch hätte darstellen können, eine spießige und abhängige. Dieser Roman hat etwas, weil er etwas auslöst. Was das ist wird auf unterschiedliche Leser unterschiedlich wirken. Doch irgendwie sind Gedanken der Schriftsteller, die eine Reaktion hervorrufen, immer sehr lesenswert und sie bilden sicher einigen Gesprächsstoff.

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Der Markisenmann: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Der Markisenmann: Roman' von Jan Weiler
4
4 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Der Markisenmann: Roman"

Was wissen wir schon über unsere Eltern? Meistens viel weniger, als wir denken. Und manchmal gar nichts. Die fünfzehnjährige Kim hat ihren Vater noch nie gesehen, als sie von ihrer Mutter über die Sommerferien zu ihm abgeschoben wird. Der fremde Mann erweist sich auf Anhieb nicht nur als ziemlich seltsam, sondern auch als der erfolgloseste Vertreter der Welt. Aber als sie ihm hilft, seine fürchterlichen Markisen im knallharten Haustürgeschäft zu verkaufen, verändert sich das Leben von Vater und Tochter für immer. Ein Buch über das Erwachsenwerden und das Altern, über die Geheimnisse in unseren Familien, über Schuld und Verantwortung und das orange-gelbe Flimmern an Sommerabenden.

Autor:
Format:Taschenbuch
Seiten:336
Verlag: Heyne Verlag
EAN:9783453427495
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Rezensionen zu "Der Markisenmann: Roman"

  1. Ruhrpottcharme statt Miami Beach...

    Da ich die Geschichten rund ums Pubertier sehr mag und es hier ebenfalls um ein solches Exemplar geht, begann ich gespannt mit der Lektüre.

    In der Geschichte geht es um Kim, die vor allem mit Wutanfällen, schlechten Noten und noch schlechterem Benehmen glänzt. Als sie etwas Schlimmes anstellt, muss sie zur Strafe die Sommerferien bei ihrem leiblichen Vater verbringen, den sie nicht kennt. Das wird der schlimmste Sommer ihres Lebens oder etwa nicht?

    Während der Schreibstil Weilers es einem leicht macht ins Buch einzutauchen, sind die Figuren erstmal alles andere als liebenswert. Jeder hat sein Päckchen zu tragen, ist nicht in der Lage sich zu öffnen und Reden wird eiskalt überbewertet. Erst mit dem Abbau von Vorurteilen und Klischees entsteht Verständnis füreinander.

    Kim erzählt als erwachsene Ich- Erzählerin von ihrem damaligen Sommer im Jahr 2005, der alles danach veränderte.

    Im Buch gibt es jedoch nicht nur tolle Vergleiche und sprachliche Bilder, die einen zum Schmunzeln bringen, sondern auch tiefgreifende Geheimnisse, die das Leben aller beeinflussen und die erst ganz zum Schluss für Klarheit und mehr Verständnis sorgen.

    Während ich die Kollegen rund um Ronalds Halle ungemein mochte, allen voran Alik, der Kim mal zeigt wie das Leben ohne Überfluss aussieht, mochte ich Kims Stiefvater und das Leben was sie bisher führte so gar nicht. Der Überfluss an allem hat ihre Umgebung doch sehr vergiftet, so dass Missgunst und Häme überwiegen und Freundschaften kaum möglich scheinen.

    Mir haben die zarten Bande zwischen Kim und Alik gefallen, die niemals ins Kitschige gerutscht sind und auch, dass sich Kim so enorm zum Positiven verändert hat, was zeigt dass es immer Möglichkeiten gibt aus sich und seinem Leben noch das Beste zu machen.

    Während ich den Großteil des Romans sehr gern gelesen habe und teils herzhaft lachen musste, so fand ich das Ende etwas drüber. Ich hätte es schöner gefunden, wenn Geld irgendwie mal keine Rolle mehr gespielt hätte.

    Fazit: Mal ein etwas anderer Roman über einen jungen Menschen, der über sich hinauswächst. Gern spreche ich eine Empfehlung aus.

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Legenden: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Legenden: Roman' von Hugo Hamilton

Inhaltsangabe zu "Legenden: Roman"

Format:Taschenbuch
Seiten:304
Verlag: btb Verlag
EAN:9783442740802
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Jede einzelne Minute: Roman

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Scharnow

Buchseite und Rezensionen zu 'Scharnow' von Bela B Felsenheimer

Inhaltsangabe zu "Scharnow"

Format:Taschenbuch
Seiten:432
Verlag: Heyne Verlag
EAN:9783453677302
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Effingers: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Effingers: Roman' von Gabriele Tergit
5
5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Effingers: Roman"

Format:Taschenbuch
Seiten:912
Verlag: btb Verlag
EAN:9783442719723
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Rezensionen zu "Effingers: Roman"

  1. Eine großartige Familienchronik

    Gabriele Tergit hat den Roman „Die Buddenbrooks“ von Thomas Mann bewundert. So sollen sich manche Motive entsprechen, auch wird eine Familie ins Zentrum des Romans gestellt. Daher rührt wohl der oft zitierte Vergleich der beiden Werke.
    „Effingers“ erschien zum ersten Mal 1951. Zu nah war da möglicherweise noch der Zweite Weltkrieg, das Buch war nicht annähernd so erfolgreich, wie es das verdient hätte. Ohne die Neuauflage in diesem Jahr wäre ich sicher nicht in den Genuss dieses epochalen Werkes gekommen, das die Jahre 1879 bis 1939 mit atemberaubender Genauigkeit der historischen Ereignisse sowie der gesellschaftlichen Entwicklungen abbildet.

    Familie Effinger ist eine deutsch-jüdische Familie. Die Brüder Paul und Karl werden erfolgreiche Unternehmer und bauen ihre kleine Schraubenfabrik nach und nach aus. Schließlich produzieren sie Automobile und exportieren sie ins Ausland. Obwohl Geschwister, haben die beiden eine völlig unterschiedliche Persönlichkeit: Paul ist eher der sparsam-fleißige Kaufmann, Karl der Lebemann, der gerne feiert und Luxus um sich hat. Entsprechend unterschiedlich wählen sie ihre Gefährtinnen und in konträrem Umfeld wachsen ihre Kinder auf.

    Die Stärke Tergits liegt in ihren detaillierten Beschreibungen dieser Lebensumstände, die ich niemals als langweilig empfunden habe. Kurze Kapitel wechseln sich ab, stellen eine Vielzahl an Charakteren vor (der vorangestellte Familienstammbaum ist sehr hilfreich). Mal boomt die Wirtschaft, mal gibt es Krisen. Die Gesellschaft wandelt sich enorm, Frauen fordern ihre Rechte ein. Dabei darf man feststellen, dass sich viele Dinge, viele Trends und die Kritik daran wiederholen und damit völlig zeitlos sind.

    Anschaulich wird dem Leser die deutsche Geschichte aufgefrischt: Der Große Krieg, die Versailler Verträge, Wirtschaftskrisen, Inflation, Weimarer Republik, Nazi-Terror - Immer aus dem Blickwinkel dieser wohlhabenden, privilegierten Großfamilie erzählt und doch auch darüber Bericht erstattend, wie es dem „einfachen“ Volk erging.
    Der latent vorhandene Antisemitismus tritt dabei erst gegen Ende in den Vordergrund, als die Nationalsozialisten an die Macht kommen und mit einer gnadenlosen Ungerechtigkeit „durchregieren“.

    Tergit erzählt die Geschichte, die auch die Geschichte ihrer eigenen Familie sein soll, fast nüchtern, ohne ausladende Moral. Dadurch kamen mir die Figuren unglaublich nah, ich fühlte mit ihnen. Es ist die Geschichte einer deutschen Familie jüdischen Glaubens, die unbedingt gelesen gehört. Von mit volle Punktzahl!
    5/5 Sterne

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