Vater Himmel, Mutter Erde
Lange weiß Martin wenig von seinem Vater und seinen Halbbrüdern. Doch eines Tages treten Arthur Friedland und die Zwillinge Eric und Iwan in sein Leben. Eines Tages machen die vier einen Ausflug zu einer Hypnose-Show. Während der Vorstellung flüstert der Hypnotiseur Arthur etwas zu, was diesen veranlasst, die Kinder bei Martins Mutter abzuliefern und dann für lange Zeit zu verschwinden. Das Ereignis prägt das Leben der Jungen. Martin, der sich selbst als Versager besonders bei den Frauen empfindet, wird Pfarrer. Eric, der während einer Therapie lernt, den Menschen zu sagen, was sie hören wollen, wird Devisenhändler. Iwan, der immer Maler werden wollte, wird Fälscher.
Was bestimmt den Lauf der Dinge? Kann es eine kleine Begegnung mit einem Gaukler sein? Kann ein Fremder etwas verändern? Oder bringt er schließlich nur das zutage, was schon da ist? Ist eine Überzeugung, ein Glaube, möglicherweise stärker als tatsächliche Fähigkeiten? Redet man sich selbst ein, man sei unfähig? Kann man so eine Begabung verlieren? Bringen Zufälle den tragischen Helden in einem hervor oder einer den schutzbedürftigen Feigling? Wann kann Gaukelei als solche erkannt werden? Oder bleibt immer ein Zweifel zurück?
Die drei Brüder gehen ebenso wie ihr Vater ihren Weg, egoistisch und rücksichtslos suchen sie ihren Vorteil. Wenig scheinen sie sich daran zu stören, welche Verletzungen sie hinterlassen. Sie wirken wie Schausteller ähnlich dem Hypnotiseur, der ihnen den Vater nahm. Gefühle anderer, fremdes Geld, Schöpfungskraft, das gilt ihnen wenig.
Dieser Roman von Daniel Kehlmann, der es aufgrund kontroverser Besprechungen erstmal nicht auf die Leseliste geschafft hat, besticht überraschend durch die sich überlappenden Perspektiven, aus denen sich angedeutete Erklärungen ergeben. Erläuterungen, die den Leser schließlich mehr wissen lassen als die Akteure, ihm aber doch genug Rätsel aufgeben, um das Buch nachwirken zu lassen. Eine Komposition, die vielleicht manche abschreckt, die verzweifeln können, ob der Nichtigkeit des Lebens der Brüder, die aber auch aus nahezu den selben Gründen, zu einem großen Vergnügen werden kann. Gelungen.
Anspruchsvoll, aber es lohnt sich
„Jeder zwingt jeden, nicht so sehr, etwas zu tun, was er nicht will, als etwas zu tun, von dem er nicht weiß, ob er es will, denn fast niemand weiß, was er nicht will, es ist nicht möglich, das zu wissen.“ (Zitat Seite 217)
Inhalt
„Ich wollte es nicht wissen, aber ich habe es erfahren …“ so beginnt dieser Roman. Juan, der nun erwachsene, seit weniger als einem Jahr selbst verheiratete Ich-Erzähler, wächst mit Andeutungen auf, die Ehefrauen seines Vaters Ranz betreffend. Es geht um Teresa, die kurz nach der Rückkehr von ihrer Hochzeitsreise gestorben ist. Teresa war Juans Tante, denn sein Vater hat später deren jüngere Schwester Juana geheiratet, Juans Mutter. Nach Juans Heirat mit Luisa mehren sich in Juans Bekanntenkreis Andeutungen an die Geschehnisse in der Vergangenheit und vor allem Luisa möchte wissen, was damals wirklich passiert ist. „Vielleicht hat er all diese Jahre darauf gewartet, dass in deinem Leben jemand wie ich auftaucht, jemand, der zwischen ihm und dir vermitteln kann, ihr Väter und Söhne seid sehr ungeschickt miteinander.“ (Zitat Seite 169)
Thema und Genre
In diesem Roman, heute ein moderner Klassiker, geht es um die Möglichkeiten der Sprache als Ausdrucksmittel und Kommunikationsform, um Beziehungen, Familie, um Geheimnisse der Vergangenheit, die auch in der Gegenwart präsent sind und diese prägen und um die Frage, ob Verschweigen bereits eine Lüge ist. Wird eine Schuld durch ein Geständnis geringer, oder aber, indem man darüber schweigt und sie eines Tages dann weit zurück in der nicht mehr veränderbaren Vergangenheit liegt?
Charaktere
Juan arbeitet als Dolmetscher und Übersetzer, wie auch Luisa, mit der er seit knapp einem Jahr verheiratet ist. Sogar seine Gedanken sind von der Kraft der Sprache und der Worte durchdrungen. Am Tag seiner Hochzeit fragt ihn sein Vater: „was nun?“ und genau diese Frage stellt sich auch Juan bereits während der Hochzeitsreise und immer wieder in den Monaten danach.
Handlung und Schreibstil
Die Geschichte spielt innerhalb einer Gegenwart, die nicht ganz ein Jahr umfasst, und einer erinnerten nahen und ferneren Vergangenheit. Die Handlung besteht aus einzelnen Episoden, deren Zusammenhänge man erst gegen Ende der Geschichte erfährt, oder auch nicht. Juan schildert seine Geschichte als Ich-Erzähler, wobei seine Gedanken, Überlegungen, Befindlichkeiten und Ängste den größten Raum dieses Romans einnehmen. Es ist bekannt, dass bei Javier Marías die Sprache im Vordergrund steht, die genauen, sehr ausführlichen Beschreibungen der Gedanken seiner Hauptfiguren in langen Satzgebilden. Auch die Konflikte hinterfragen das Verhalten der Menschen in familiären Beziehungen und beobachten es aus unterschiedlichen psychologischen Blickwinkeln und Fragenstellungen.
Fazit
Sowohl die Problematik, die Fragen aufwirft und zum Nachdenken anregt, als auch die kraftvolle Sprache mit langen Sätzen und Satzfolgen, noch ergänzt durch weitere Gedankensprünge und Einschübe in Klammern, machen aus diesem Roman keine Lektüre, die man eben mal so zwischendurch liest, dieses Buch verlangt die Aufmerksamkeit der Lesenden von der ersten bis zur letzten Seite. Diese Zeit sollte man sich nehmen.
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