Ich bin Malala
Jawaharlal Pandit Nehru, der erste Ministerpräsident des unabhängigen Indien, gehört sicher zu den bedeutendsten Politikern des 20. Jahrhunderts. Um so schwieriger sind Biografien über solche Persönlichkeiten - denn entweder wird die Beschreibung zur Lobhudelei oder zur Abwehr genau dieser und damit einer ausschließlich kritischen Darstellung.
Shashi Tharoor gelingt es auf den ersten Blick, den Mittelweg zu finden und neben der Würdigung der herausragenden Leistungen Nehrus auch über seine Schwächen und seine Fehlentscheidungen offen zu schreiben. Dabei findet er einen gut zu lesenden, nicht wissenschaftlich überladenen Stil. Und wer sich für Nehrus Rolle im Kampf um die indische Unabhängigkeit interessiert, findet eine gute Darstellung dieser Zeit. Doch dann kommt die große Enttäuschung. Wer mehr über Nehru als Premierminister erfahren will, findet in Tharoors Buch wenig. 180 Seiten beschreiben Nehrus Weg bis zur indischen Unabhängigkeit, ganze 64 die Zeit bis zu seinem Tod. Danach folgt zwar noch eine zusammenfassende Bewertung dessen, was Nehru erreicht hat (oder eben nicht), dennoch hätte der Autor kaum deutlicher machen können, dass für ihn nur ein Abschnitt im Leben dieses Politikers wirklich interessant ist.
Für den Historiker ist das Buch kaum geeignet, da Quellenangaben fehlen. Und auch für historisch Interessierte, die einen Einstieg in Nehrus Leben bekommen möchten, wird zu wenig geboten. Denn dafür müsste man schon fast eine weitere Biografie lesen, die auch die zweite Periode angemessen behandelt. Schade, da der erste Teil des Buches viel verspricht.
Recht auf Bildung...
Am 9. Oktober 2012 wird die junge Pakistanerin Malala Yousafzai auf ihrem Schulweg überfallen und niedergeschossen. Die Fünfzehnjährige hatte sich den Taliban widersetzt, die Mädchen verbieten, zur Schule zu gehen. Wie durch ein Wunder kommt Malala mit dem Leben davon.
Als im Herbst 2013 ihr Buch "Ich bin Malala" erscheint, ist die Resonanz enorm: Weltweit wird über ihr Schicksal berichtet. Im Juli 2013 hält sie eine beeindruckende Rede vor den Vereinten Nationen. Barack Obama empfängt sie im Weißen Haus, und im Dezember erhält sie den Sacharow-Preis für geistige Freiheit, verliehen vom Europäischen Parlament. Malala Yousafzai lebt heute mit ihrer Familie in England, wo sie wieder zur Schule geht. 2014 erhält sie den Friedensnobelpreis.
Das überlebte Attentat ist es, das Malala weltbekannt machte. Auch ohne dieses Buch gelesen zu haben, wusste ich, dass dieses junge Mädchen sich den Taliban entgegengestellt hatte und weiter zur Schule ging, obwohl dies nur Jungen gestattet war. Doch erst die Lektüre des Buches ließ mich die Zusammenhänge erkennen und die Zustände Pakistans, wie sie Malala in ihrer Kindheit erlebt hat.
Meine Träume können sie nicht erschießen. Meine Überzeugungen können sie nicht töten.
Kein Mensch wird als Widerstandskämpfer geboren. Doch der Wunsch nach Lernen und Begreifen ist dem Menschen immanent. Malala hatte das Glück, einen sehr engagierten Vater zu haben. Einen Vater, der selbst eine Schule leitete, eine Mädchenschule. Und der sich selbst stets dafür einsetzte, dass wie alle Mädchen auch seine Tochter in den Genuss von Bildung kam.
Ich habe das große Glück, Tochter eines Vaters zu sein, der meine Freiheit im Denken und Reden respektiert und mich an seiner Friedensinitiative teilhaben ließ, und einer Mutter, die nicht nur mich, sondern auch meinen Vater in unserer Kampagne für Frieden und Bildung unterstützte.
Bereits im Alter von zehn Jahren begann das engagierte Mädchen damit, sich für das Recht auf Bildung einzusetzen. Seit Januar 2009, als sie elf Jahre alt war, berichtete Malala auf einer Webseite der BBC in einem Blog-Tagebuch unter dem Pseudonym Gul Makai über Gewalttaten der pakistanischen Taliban im Swat-Tal.
Ihr Blog wurde schnell in Pakistan bekannt und schließlich ins Englische übersetzt. Im Jahr 2011 wurde ihr Pseudonym aufgedeckt, als sie für den Internationalen Kinder-Friedenspreis nominiert wurde. Sie bekam den Preis damals nicht, worauf die Regierung Pakistans einen jährlichen Nationalen Friedenspreis der Jugend stiftete, der ihr verliehen und im Dezember 2011 nach ihr benannt wurde.
Ein Kind, ein Lehrer, ein Stift und ein Buch können die Welt verändern...
Malala schildert in einfacher aber deutlicher Sprache ihr Leben im Swat-Tal und die Einschränkungen, die sie und andere durch die Taliban erfuhren. Ihre Gedanken dazu, ihre Gefühle, ihre Entscheidungen, ihre Erkenntnisse, ihre Entwicklung.
Was hierzulande selbstverständlich scheint, ist an anderen Orten der Welt beschnitten und muss hart erkämpft werden, oftmals in einem aussichtslos scheinenden Kampf. Dies ist es, was das Buch deutlich macht. Aber auch die Botschaft: der Kampf um Bildung ist notwendig und lohnenswert.
Lasst uns zu unseren Büchern und Stiften greifen. Das sind unsere mächtigsten Waffen.
Das Leben vor dem Attentat nimmt einen Großteil des Buches ein. Aber auch die Geschehnisse danach werden geschildert, in einem Anhang spezifische Begriffe erläutert, die Geschichte Pakistans aufgezeigt, und es findet sich die Rede vor den Vereinten Nationen 2013 abgedruckt.
Insgesamt ein stimmiges Konzept, das mich denken lässt, dass sich vor allem auch Schülerinnen und Schüler weltweit mit dem Buch befassen sollten, damit das Recht auf Bildung immer mehr in seiner großen Bedeutung für alle Menschen erkannt und anerkannt wird.
In Pakistan gilt Malala seit dem Erscheinen ihres Buches als 'Verräterin', als Teil einer ausländischen Verschwörung gegen das Land. Ob sie je in ihre Heimat zurückkehren können wird, erscheint in diesem Zusammenhang mehr als fraglich...
Das Sprichwort 'Der Stift ist mächtiger als das Schwert' hat recht. Die Extremisten hatten und haben Angst vor Büchern und Stiften. Sie fürchten sich vor der Macht der Bildung.
Malala jedenfalls möchte nicht als das Mädchen in Erinnerung bleiben, dem die Taliban in den Kopf geschossen haben, sondern als das Mädchen, das für das Recht auf Bildung kämpft. Wer dieses Buch gelesen hat, der wird sie so sehen.
© Parden
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