Die Autistinnen
Mir hat das Buch recht gut gefallen. Ein Buch über Tiere, das diesmal nicht esoterisch besetzt ist, sondern rein naturwissenschaftlich, das auf viele empirische Studien aufgebaut ist. Jede Menge Forschungsergebnisse
von Labor und Feldstudien, verschiedene Ergebnisse im Bereich der Verhaltensforschung und viele mehr sind dem Band zu entnehmen. Viele Theorien, die ich auch in seriösen esoterischen Büchern gelesen habe, werden hier bestätigt. Grob gesagt, Tiere können sehr wohl denken und fühlen, Tiere sind Persönlichkeiten. Dies wissen alle Tierhalter*innen, die in der Lage sind, ihren Alltag mit ihren Haustieren von Auge zu Auge zu gestalten und nicht von oben herab.
Ich habe mir in dem Buch ganz viel Text angestrichen, obwohl ich nicht auf alles eingehen kann. Aber meine Bücher betrachte ich häufig als Nachschlagewerke, wenn ich Zitate zu einer bestimmten Thematik suche, finde ich sie schneller, wenn ich mich an die Markierungen halte.
Interessant ist auch, dass die Autorin Autistin ist, und sie sich mit Tieren identifizieren kann. Ihre Denkart ist ähnlich wie bei Tieren. Beide Wesensarten denken rein visuell. Und Grandin bezeichnet ihre Muttersprache als eine Bildsprache, die frei vom Verbalen ist. Deshalb hat sie es geschafft, sich in die Tiere einzufühlen, und hat viele Methoden entwickelt, wie Tiere, vor allem die, die in Schlachthäusern getötet werden, human behandelt werden.
Herausgefunden hat sie auch die Formen der Intelligenz, die von Tier zu Tier verschieden sein soll, wie dies auch bei uns Menschen der Fall ist. Temple Grandin war in der Lage, auch mithilfe der Gehirnforschung "Parallelen zwischen tierischer und menschlicher Intelligenz zu entdecken, die der normalen Tierforschung entgangen war."(2015, 13)
Die Autorin hat über vierzig Jahren mit Tieren zugebracht. Sie hat in Amerika und in Kanada Methoden entworfen, mit denen die Tiere in den Schlachthöfen so getötet werden, dass sie dabei nicht gequält werden und der Vorgang sich zügig abspielt. Sie hat sich schon in jungen Jahren mit Tierwissenschaft auseinandergesetzt. Sie ging an die Uni und studierte Tierpsychologie. Derzeit ist sie Professorin an der Colorado State University. Sie ist um die Welt gereist und hat sich viele Schlachthäuser angeschaut. Die Schlachthäuser in Europa wären katastrophal. Schlechte Behandlung, viele Tiere würden bei lebendigem Leib geschlachtet werden, wenn z. B. der Bolzenschuss versagt, und die Tiere zappelnd an den Haken hangen.
Sie konnte herausfinden, was Tieren Angst macht. Sie schafft es, sich auf die Ebene der Tiere zu begeben, um die Dinge aus deren Perspektive zu erschliessen.
Das sollte der Mensch nicht nur mit Tieren machen; Der Mensch sollte lernen, sich in sein menschliches Gegenüber hineinzuversetzen, um die Welt aus seiner Sicht besser erfassen zu können. Das nennt die Autorin auch empathisches Verstehen. Wie wollen Menschen Tiere verstehen, wenn sie nicht einmal in der Lage sind, Menschen zu verstehen, die anders denken und anders empfinden als der Durchschnitt es tut?
Interessant fand ich auch die Form der Wahrnehmung, die die Autorin beschreibt. Tiere und Autisten seien in der Lage, Details wahrzunehmen, die der „normale Mensch“ nicht kann.
"Das liegt daran, dass das Nervensystem eines normalen Menschen unzählige Details vernachlässigt und die Lücken mit dem füllt, was er zu sehen erwartet. "(303)
Grandin ging auch in die Hirnforschung und verglich das Gehirn von Menschen und das der Tiere. Darüber hat sich die Autorin über mehrere Kapitel ausgelassen, dass ich unmöglich auf die Details eingehen kann, werde aber ein Beispiel einbringen. Die Gehirne zwischen Mensch und Schwein würden zum Beispiel auf dem ersten Blick identisch aussehen. Unterschiede fand sie schließlich an dem Neokortex. Was ist ein Neokortex? Ist hier nachzulesen.
Hier sind die Gehirne ein wenig unterschiedlich, Mensch und Tier würden die Welt dadurch unterschiedlich wahrnehmen, aber Mensch und Tier hätten auch viele Gemeinsamkeiten. In dem Buch sind viele interessante Beispiele zur Gehirnforschung, Großhirn, Kleinhirn, etc. zu Mensch und Tier angegeben und so verweise ich Weiteres auf das Buch.
Aber Tiere hätten alle möglichen Rezeptoren, sog. Sinnesorgane, die die Menschen nicht haben würden, und die Tiere seien dadurch in der Lage, Dinge zu tun, die die Menschen wiederum nicht tun können.
Grandin spricht auch von Basisemotionen, die die Tiere gemeinsam mit den Menschen haben würden. Sexuelle Anziehung, Trennungsangst zwischen Muttertier und Kalb, Soziale Bindung, die Freude am Spielen und Herumbalgen. Wenn man Tierkinder beim Spielen beobachten, dann ähneln sie dabei auch den Menschenkindern.
Was die wenigsten wissen, ist, dass
"Die meisten Tiere >>übermenschliche<< Fähigkeiten haben. Tiere haben tierische Begabungen. Vögel sind Navigationsgenies, Hunde Geruchsgenies und Adler visuelle Genies – jedes Tier besitzt auf einem anderen Gebiet eine besondere Begabung."
Das soll aber nicht heißen, dass Hunde nur riechen können. Natürlich können sie wesentlich mehr, deshalb empfehle ich dieses Buch selbst zu lesen, um sich auch die Details vornehmen zu können.
Als besonders intelligent wurden Vögel bezeichnet.
"Vögel benutzen für ihre Lieder dieselben Wechsel von Rhythmus und Tonhöhe wie menschliche Musiker und können sie auch in eine andere Tonart setzen. Vögel verwenden Accelerandos, Crescendos und Diminuendos und viele Tonleitern, die Komponisten auf der ganzen Welt verwenden. "(280)
Wenigstens sind die Singvögel frei, sie landen in kein Schlachthaus und können ihr Potenzial in ihrem Umfeld völlig frei entfalten.
Interessant fand ich die These, dass Hunde von Wölfen abstammen, und durch die Domestizierung über den Menschen ist aus dem Wolf ein Haushund geworden. Bemerkenswert daran ist, dass nicht nur der Mensch den Hund domestiziert hat, sondern im Umkehrschluss auch der Hund den Menschen. Man fand durch Ausgrabungen heraus, dass vor etwa 10000 Jahren im Todesfall der Mensch zu seinem Hund bestattet wurde.
Am Ende des Buches habe ich mir die Frage gestellt, weshalb Temple Grandin als ein wirklich sehr tierliebender Mensch, und nicht nur ich habe mir die Frage gestellt, sondern viele andere Menschen auch, in der Lage ist, in einer Fleischfabrik zu arbeiten? Wie schafft sie es, beim Schlachten zuzuschauen?
Ihre Antwort:
"Ich weiß noch, wie ich nach der Entwicklung meines Schlachthofsystems den Blick über den Hof schweifen ließ, in dem hunderte von Tieren in den Gehegen standen. Ich fühlte mich ganz bedrückt, weil ich soeben eine hocheffektive Schalachtfabrik entworfen hatte. Und Kühe sind die Tiere, die ich am allermeisten liebe.
Damals wurde mir klar, dass keines dieser Tiere existieren würde, wenn sie der Mensch nicht gezüchtet hätte. Seitdem weiß ich, welche Verantwortung damit einhergeht: Wir schulden ihnen ein anständiges Leben und einen anständigen Tod. Ihr Leben sollte so unbelastet wie möglich sein, und genau das ist mein Job.
Dieses Buch habe ich deshalb geschrieben, weil ich den Tieren mehr wünsche als nur ein unbelastetes Leben und einen schnellen schmerzlosen Tod. Ich will, dass sie auch ein schönes Leben haben und eine sinnvolle Beschäftigung bekommen. Ich glaube, das sind wir ihnen schuldig." (308)
Mich macht das jetzt nicht zu einer Fleischkonsumentin, Grandin selbst konnte nicht auf Fleisch verzichten, aber ihre Einstellung ist für mich nachzuvollziehen. Die Natur ist grausam, aber wir müssen es nicht auch noch sein. Sie hatte in einem Dokumentatiionsfilm gesehen, wie Raubtiere Beutetiere zerreißen. Das hatte sie dermaßen erschreckt, dass sie persönlich auch lieber in einem Schlachthaus getötet werden würde als die Eingeweide von einem Löwen herausgerissen zu bekommen. Deshalb spricht sie von einem humanen töten. Die Tiere bis zu dem Tod gut zu behandeln, einfach weil sie es verdient hätten gut behandelt zu werden, denn sie opfern sich für uns Menschen.
Ich bin nach wie vor dafür, sämtliche Schlachthäuser zu schließen, denn auch glückliche Tiere leben gerne. Für mich selbst gibt es kein humanes Töten, gerade was die Art in unseren Schlachthäusern hierzulande betrifft. Die Tiere erleben schon vorher den Stress, wenn sie aus ihrem Umfeld herausgerissen werden. Die Kühe sehen, wie die Kühe vor ihnen niedergestreckt werden …
Mein Fazit?
Wie ich eingangs schon geschrieben habe, findet man in dem Buch wirklich viele interessante wissenschaftliche Untersuchungen, die mich alle sehr neugierig gestimmt, und mich in meinem Denken weitergebracht haben. Aber es sind sehr viele Fachbegriffe, die den einen oder anderen abschrecken könnten. Aber ich fand sie wichtig, weil sie ja auch dadurch das Naturwissenschaftliche unterstreichen, und ein Buch dadurch auch glaubwürdiger wird.
Und hier geht es zu dem biografischen Film "Du gehst nicht allein" auf Youtube, der sehr sehenswert ist, da es nicht nur um Tiere geht, sondern zusammen mit den Tieren steht auch der Autismus im Vordergrund. Den Film, den ich mir mehrmals angeschaut habe, gibt es auch bei Amazon auf DVD zu kaufen oder man kann sich den Film dort auch virtuell ausleihen.
Meine Gedanken zu dem Buch
Ich finde es sehr interessant, dass Temple Grandin sich mit den Tieren identifizieren konnte. Dass sie außerdem noch ihre Muttersprache als die visuelle bezeichnet und nicht als die Amerikanische, fand ich faszinierend. Sie bestätigt meine Theorie, dass die Identitätsentwicklung bei einem Menschen sehr unterschiedlich verlaufen kann und selten genetisch gesteuert wird. Auch ich habe mehrere Identitäten:
1. Deutsche Identität
2. Identität als Weltmensch
3. Tierische Identität
Ähnlich wie die Autorin kann ich mich mit meinen Haustieren identifizieren, nur habe ich nie darüber gesprochen, weil es so untypisch ist. Mein Kater Momo besaß Charaktereigenschaften, die sich absolut mit meinen gedeckt haben.
Doch um aus allen drei Identitäten eine zu machen, kam mir folgender Gedanke:
Der Mensch ist das, was er innerlich fühlt und denkt.
Nirgends abgeschrieben. Habe ich selber aus mir herausgezogen.
Trotzdem möchte ich einen Naturwissenschaftler hinzuziehen, der meine These deckt, damit auch ich glaubwürdig erscheine. Ein Zitat von Erik Erikson, deutsch-amerikanischer Psychoanalytiker, der die Identitätsentwicklung folgendermaßen beschreibt:
(= I.) [engl. identity development], [EW, PER], Identität wird laut Erikson (1968) durch Interaktion mit anderen und im Kontext der eigenen Kultur gebildet. Sie umfasst u. a. versch. Bereiche der Selbstwahrnehmung wie bspw. Geschlecht, Gruppenzugehörigkeiten, persönliche Eigenschaften (Persönlichkeitsmerkmal) oder eigenen Kompetenzen, wird während der gesamten Entwicklung gebildet und ist somit als ein Prozess zu verstehen, der lebenslang dauert.
Wie man lesen kann, ist die Identitätsentwicklung ein lebenslanger Prozess, das heißt, dass die Identität niemals abgeschlossen ist, und sich bis zum Lebensende jederzeit neu wandeln kann. Nur nutzen das so wenige, und übernehmen ein Leben lang die Identität, die ihnen von den Eltern in die Wiege gelegt wurde.
Asperger-Syndrom, eine Form des Autismus – mittlerweile gibt es viele Bücher dazu auf dem Markt, die aufklären wollen und Hilfestellung leisten sollen, sowohl für die Betroffenen als auch die Angehörigen.
Auch wir als Eltern eines betroffenen Kindes haben versucht, uns dadurch ein wenig schlauer zu machen.
Bei unserer Suche sind wir dann auch auf „Schattenspringer – Wie es ist anders zu sein“ von Daniela Schreiter gestossen.
Mein Eindruck:
Daniela Schreiter beschreibt in 5 Kapiteln ihr Leben als Asperger-Autistin. Sie erzählt in Bild und Wort, wie es ist, anders zu sein und sich dadurch bisweilen wie ein Alien zu fühlen. Umrahmt ist die Story von einer Einleitung und einer Erklärung zum Asperger-Autismus von Benjamin Falk.
Scheinbar normale Dinge führen bei Asperger-Autisten schnell zur Überforderung, sowohl körperliche Reize betreffend, als auch die Interaktion mit anderen Menschen. Die Zeichnungen sind liebevoll gestaltet und die Texte dazu sind leicht verständlich, so daß nicht Betroffene sich sehr gut in ihre Welt hinein versetzen können.
In vielen Dingen, die die Autorin beschreibt, hat sich unserer Junior wieder erkannt. Durch das Buch war er nun auch besser in der Lage, seine Befindlichkeiten zu artikulieren. Uns als Eltern hat das Buch in manchen Dingen aufgezeigt, warum Junior so „tickt“ wie er tickt. Viele seiner Verhaltensweisen, die für uns nicht nachvollziehbar waren und bestenfalls eine Stirnrunzeln ausgelöst haben, sind für uns tolerabel geworden.
Und auch für Geschwisterkinder ist das Buch ein hilfreicher Wegweiser zum besseren Verständnis für den andersartigen Bruder bzw. die andersartige Schwester. Das äußert sich unter anderem darin, daß unsere 11-jährige Tochter der Autorin vor einiger Zeit per Facebook-Chat unbedingt mitteilen musste, daß sie nun weiß, wie sie mit ihrem Bruder umgehen muß. Und bei jedem Gespräch, in dem es zum Thema Asperger kommt, wird „Schattenspringer“ von ihr dermaßen angepriesen, daß man meinen könnte, sie bekäme Provision dafür. ;)
Fazit:
Auch wenn das Buch nicht durchgängig, sondern nur auf den ersten Seiten coloriert ist: Für alle, die mit Asperger-Autisten zu tun haben – sowohl Betroffene und Familienangehörige als auch Pädagogen und Integrationskräften – ist diese Graphic Novel aus unserer Sicht absolut zu empfehlen!
Die junge Juli erhält zwei Monate nach einem Selbstmordversuch endlich einen Therapieplatz auf der Tagesstation einer Psychiatrischen Klinik. Juli leidet an einer autistischen Störung und einer generellen Angststörung. Sie hat ihren Tagesablauf minutiös geplant, kommt es zu einer Abweichung des Plans und sei es nur für eine kurze Zeit, verfällt sie in ihre Angstzustände. Trotzdem ist Juli fest entschlossen, die Therapie anzunehmen, auch wenn ihr in der Klinik alles Angst bereitet: die neuen Menschen, das Sprechen vor einer Gruppe oder sich dem Therapeuten zu öffnen und Privates von sich preis zu geben. Sophie, die an einer bipolaren Störung leidet und Philipp, der schizophren ist, können eine Beziehung zu Juli aufbauen. Als es zu einem Vorkommnis in der Klinik kommt, beschließen die Drei an einem Freitag, mitten in den vormittäglichen Therapiestunden, gemeinsam die Klinik zu verlassen. Sie werden das gesamte Wochenende miteinander verbringen und auf Menschen stoßen, die sich für „normal“ halten und teilweise sogar schlimme Vorurteile gegen psychisch kranke Menschen haben und bald kann man nicht mehr sagen, wer hier eigentlich der Erkrankte und wer der Gesunde ist.
Alles in allem habe ich als Leserin eine Geschichte geboten bekommen, die mal zu Tränen rührt, die schockiert, mal zum Lächeln verleitet, aber immer wachrüttelt. Die mich gefesselt hat, noch lange nicht loslassen wird, die mich zum Diskutieren anregt und die mich zunächst einmal tatsächlich sprachlos zurückgelassen hat. Niah Finnik hat ihre Geschichte bis ins Detail hervorragend ausgefeilt, wie z.B. den Brief der Mutter, den die Protagonistin Juli mit sich drei Monate herumgeschleppt hat oder die vielen anderen unverzichtbaren Stücke in Julis Handtasche. Die beschriebenen Strukturen der einzelnen Erkrankungen, wie sich sich tatsächlich auch in manchen Punkten gleichen und wo sie voneinander abweichen, zeugen von hervorragender Recherche und Sachkenntnis der Autorin, die selbst Asperger-Autistin ist. Die wunderbaren Charaktere sind brillant gezeichnet und glaubhaft. Ein einzigartig gelungenes Debüt der Autorin Niah Finnik, in schöner, ansprechender Sprache verfasst, in atemraubendem Tempo erzählt.
Von Herzen gerne vergebe ich diesem Buch fünf von fünf möglichen Sternen und empfehle es absolut weiter, an Leser, die eine beeindruckende Geschichte auf höchstem Niveau mit lernfähigen sowie außerordentlichen Figuren genießen wollen. Niah Finnik hat sich mit ihrem Erstlingswerk als wunderbare Geschichtenerzählerin bewiesen, sehr gerne möchte ich mehr von ihr lesen.
Am liebsten wäre Christopher in einer Weltraumkapsel allein auf endloser Fahrt. Die Menschen, ihre Launen und Stimmungswechsel sind dem autistischen Jungen ein ewiges, kaum lösbares Rätsel. Seine Welt stellt sich als streng logisches Fakten- und Zahlenwerk dar. Er schätzt es nicht, angefasst zu werden, nimmt Speisen nur an, wenn sie einander auf dem Teller nicht berühren und nennt die Welt der Primzahlen sein Zuhause. Und Sherlock Holmes natürlich, der in seiner glasklaren Logik für den Jungen ein natürliches Vorbild darstellt. Folgerichtig schlüpft Christopher, als er Wellington, den Hund der Nachbarin Mrs. Shears, mit einer Mistgabel erstochen auffindet, in die Rolle des viktorianischen Superhirns.
Die Story, versehen mit zahlreichen Schautafeln, Zeichnungen und Tabellen aus Christophers überreicher Innenwelt, entwickelt gehörige Spannung und staubtrockenen Humor. Ganz gegen den Willen seines Vaters beginnt Christopher seine "Ermittlungen", wird mit einem mehr als unvermuteten Hundekiller konfrontiert, enttarnt ungeahnte amouröse Verflechtungen und löst so nebenbei das Geheimnis um seine "verstorbene" Mutter.
Wichtiger und spannender jedoch: Der Leser erhält ein seltenes und kostbares Seelenporträt eines Autisten. Wie lebt ein Junge, der das Mienenspiel seiner Mitmenschen nicht deuten kann? Der ihre metaphernreiche Sprache (Wörter wie "futtern" oder "Augapfel" sind für Christopher beständige Fallstricke) nicht versteht? Der immer die Wahrheit sagt? Dem ein strikter Tagesablauf alles bedeutet, neue Eindrücke hingegen zum gefährlichen Kollaps führen können? Durch den Spiegel von Christophers Auge erleben wir uns Menschen gleichsam als unlogische Geisteszwerge und emotionale Irrläufer, dauerbehindert durch Gefühle, Ressentiments, aber eben auch durch Zweifel und Skrupel. Mark Haddon hat uns mehr als einen Krimi geschenkt -- einen wundervollen Einblick in eine fremde Seelenwelt. --Ravi Unger
Was bedeutet Neurodiversität
Die Autorin beginnt ihren Essay mit einem kurzen persönlichen Blick auf ihren eigenen Autismus. Ich erfahre, dass ihr Sätze im Kopf hängen bleiben und sich wiederholen. Sie bewegt sich unsicher in der Welt, weil ihr nicht klar ist, welche Erwartungen ihre Umwelt an sie richtet. Ihre empfundene Unzulänglichkeit, lässt sie permanent angespannt sein. Sie ist von einer tiefen Trauer erfüllt, die sie nicht greifen kann. Nachts wird sie von Alpträumen heimgesucht.. Seit ihrem achtzehnten Lebensjahr befindet sie sich in Therapie. Jetzt als sie uns an ihrem “Sosein” teilhaben lässt, ist sie gerade aus der Psychiatrie entlassen worden und bei einem kompetenten Neurologen, der sie erstmalig, mit Erfolg, auf eine Autismus – Spektrum – Störung testet.
Die Autorin begibt sich mit ihrem hochfunktionalen Autismus in die Öffentlichkeit, weil sie glaubt, dass diese Beeinträchtigung gerade bei jungen Mädchen und Frauen zu selten diagnostiziert wird. Introvertierte anpassungsfähige Mädchen werden als normal erachtet und fallen aus dem Raster, weil sie keine Probleme machen.
Eine autistische Frau, die eine Doktorarbeit in theoretischer Philosophie schreiben kann, aber immer wieder neu überlegen muss, wie man eigentlich eine Scheibe Brot abschneidet, ist dagagen eine seltene Figur im kollektiven Bewusstsein. S. 19
Die Autorin zeigt welche sieben Kriterien erfüllt sein müssen, damit man von einer autistischen Spektrumstörung sprechen kann. Sie hat tief in der Geschichte berühmter Frauen recherchiert, die von ihrem Umfeld als eigenbrötlerisch, unsozial, menschenfeindlich und zurückgezogen beschrieben wurden, die, so vermutet die Autorin, einfach nur neurodivers waren.
Fazit: Das war jetzt gar nicht meins. Die melancholische Stimmung, die sich durch das gesamte Buch zog, hat es mir nicht leicht gemacht bis zum Ende zu lesen. Diese Melancholie ist mir bei skandinavischen Schriftstellerinnen schon häufiger begegnet. Die Mutmaßungen über autistische Künstlerinnen waren mir zu abstrakt. Es entspricht nicht meiner Erfahrung, dass Neurodiversität noch immer stiefmütterlich behandelt würde. Wenn ich das Internet öffne begenen mir viele Seitenhinweise zum Thema, darunter auch einige Selbsttests, die erste Hinweise auf die Möglichkeit einer Neurodiversität geben. Das einzige was ich dem Buch und der Intention der Autorin Zugute halten mag ist, dass es in der belletristischen Literatur (nahezu) keine Geschichten über neurodiverse Frauen gibt.