Das Buch Anderswo
Alles, was mit Magie in Berührung kommt – egal, ob für einen Sekundenbruchteilwahrer Magie oder für jene Momente, die der Illusion auf den Bühnen der Welt gehören – wird irgendwann selbst magisch. So geht es auch Puschkin, dem weißen Kaninchen eines Zauberers in Montparnasse, das abseits der Vorstellung sein Leben im Zylinderkabinett verbringt – jenem Ort, an dem Tücher wie Schmetterlinge fliegen und Tauben zu Plastikrosen werden. Dort, wo die Schuhmaus alle Geschichten kennt und der Regenbär die Seerosen gießt, wo die Pikdame die Geheimnisse hütet und die Puschelwuschelohrenkatze ihr Unwesen treibt: Genau dort taucht eines Tages direkt vor Puschkins Hasennase ein winziges Mädchen auf, das einen Schlüssel im Rücken hat und sich nur bewegt, wenn man ihn dreht. Schnell wird klar, dass Eugenie, wie dieses Mädchen heißt, nicht in das Zylinderkabinett gehört, und so macht sich Puschkin mit ihr auf den Weg zum von allen gefürchteten Schmuckfrosch – der einzigen Hoffnung, die Eugenie noch zu haben scheint… (Verlagsbeschreibung)
Wohin verschwinden die Kaninchen, die ein Zauberer während einer Show so gekonnt aus seinem Zylinder zaubert? Oder die Karten, die auf der Bühne während eines Zauberertricks so strahlend im Rampenlicht stehen? Nun, natürlich im Zylinderkabinett, der Welt hinter den Illusionen. Hier finden sich alle kleinen und großen Gegenstände und Lebewesen, die jemals mit Magie in Berührung gekommen sind. In ihrer ganz eigenen magischen Welt.
"Es gab nichts, was es nicht gab, und gleichzeitig Dinge, die nicht sein konnten. So wie die Gestalt, die eines Tages in einem der Gänge stand."
Fabienne Siegmund hat hier eine kleine fantastische Novelle geschrieben, irgendetwas zwischen Hans Christian Andersen und Alice im Wunderland. Die oft kleinen Dinge, die hier zum Leben erwachen, das Spieluhrmädchen, was plötzlich in das Zylinderkabinett gerät und durch das Drehen am Schlüssel zum Leben erwacht, all das erinnerte mich an die Märchen des dänischen Schriftstellers. Und Puschkin, das weiße Kaninchen, die lebendigen Spielkarten, die Kartenstadt, die Puschelwuschelohrenkatze und noch anderes mehr gemahnte an die Erzählung von Alice im Wunderland. Und doch hat die Autorin hier eine ganz eigene Welt geschaffen und da hinein eine leise märchenhafte Geschichte gezaubert.
Erzählt wird das Geschehen aus der Perspektive des weißen Zaubererkaninchens Puschkin, das vom Typ her eigentlich ängstlich ist, durch die Aufgabe rund um das kleine Spieluhrmädchen aber zusehends über sich hinauswächst. Von wachsender Freundschaft ist hier die Rede, davon, sich den eigenen Ängsten zu stellen, von Loyalität im Angesicht böser Mächte und von dem, wie man wirklich sein will. Und man begegnet auf Schritt und Tritt den seltsamsten Figuren - neben der benannten Puschelwuschelohrenkatze gibt es da noch die Schuhmaus, die durchsichtige Eisschnecke, den Regenbär, den Joker, den grimmigen Schmuckfrosch u.v.a.
Der Schreibstil wirkt etwas antiquiert märchenhaft, manches wird nur angedeutet und bleibt im Bereich des Mystischen. Und passend zu dem Märchenstil arbeitet die Erzählung auch wenig mit Emotionen, so dass man als Leser/Hörer eher weniger mitschwingt. Die Botschaft wird aber trotzdem deutlich, und das offene Ende wirkt auf mich passend.
Max Hoffmann liest die ungekürzte Hörbuchfassung (2 Stunden und 19 Minuten) souverän und akzentuiert, was für ein angenehmes Hörerlebnis sorgt.
Eine nette kleine märchenhafte und atmosphärische Novelle für zwischendurch - für alle, die Märchen und Magie mögen.
© Parden
Kurzmeinung: Große Literatur. Ich liebe diesen Roman!
Der Autor, Leo Vardiashvili, selbst geboren in Georgien und seit seinem 12. Lebensjahr nach England immigriert, schreibt in seinem Debütroman „Vor einem großen Walde“, über seine alte Heimat und beweist damit großes erzählerisches Geschick.
Die Erzählung ist einerseits eine Hommage an Vardiashivlis gebeuteltes Heimatland, von dem er schreibt: „Georgien trennte sich von der Sowjetunion und wurde 1991 zur Republik. Hastig gebildete Parteien stritten sich um den Thron dieser frisch geprägten „Republik“. Es dauerte nicht lange, bis man zu den Waffen griff.“
Bürgerkrieg ist immer hässlich und zieht sogenannte „Kollateralschäden“ nach sich. Wenn man auf die Straße geht, um Nahrung zu besorgen, kann es sein, dass man nicht mehr nach Hause kommt. Ein Menschenleben zählt nichts mehr. Und andererseits ist „Vor einem großen Walde“ eine Erzählung von endlich zugelassenen Emotionen und ihrer Aufarbeitung.
Denn, es gelingt einer kleinen Familie Tbillisi und das Land zu verlassen. Vater Irakli und die beiden Söhne Sandro und Saba Sulize-Donauiri bauen sich in England ein neues Leben auf, freilich ein Leben ohne Mutter, die sie zurücklassen mussten. Schuldgefühle plagen Vater Irakli, die Schatten der Vergangenheit und eine große unterdrückte Traurigkeit lassen die Familie nicht los. „Unsere Familie war in den Jahren unserer Abwesenheit ausgestorben. Großmütter, Großväter, Onkel, Tanten und Cousins waren verloschen wie billige Lichterketten.“
Als die Kinder groß sind, zieht es den Vater zurück. Dort gilt er bald als verschollen. Georgien ist immer noch ein Land größter politischer Willkür und Wirren. Auch der ältere Bruder Sandro, der dem Vater folgt, verschwindet. Als auch Saba, unser Icherzähler nach Georgien aufbricht, beginnt das innere Gemenge von bisher unterdrückten Gefühlen und Empfindungen, von Trauer und Schuldgefühlen, von Verlorenheit und nicht gefestigter Identität, in Saba zu wallen. Davon handelt der Roman in erster Linie. Es kommt nicht so sehr auf die Geschichte selber an, auf das Suchen und Finden, sondern auf die Emotionen.
Der Kommentar und das Leseerlebnis:
Es ist großes Kino wie der Autor eine eigentlich banale Geschichte zur Vergangenheitsbewältigung benutzt und daraus große Literatur macht!
Saba kämpft mit den Stimmen seiner Toten im Kopf. Da ist einmal die Stimme seiner Mutter, die er lange nicht zu ertragen vermochte, weil es einfach zu schmerzlich gewesen wäre, aber in Tbilissi hört er sie wieder. Er redet mit der Stimme seines Lieblingsonkels Ansor, der ihn immer ermutigt hat, sich selbst zu vertrauen, mit der Stimme des Säufers Surik, der noch in den Überresten des alten Elternhaus wohnt und sein erster Kumpel gewesen ist. Und auch Nino, die seine engste Spielgefährtin war und durch eine verirrte Gewehrkugel früh verstarb, erhebt ihre freche Stimme wie eh und je. Sie kennt seinen inneren Schweinehund am besten und fordert ihn zu provokanten Verhaltensweisen heraus, wenn sie ihn als „Muttersöhnchen“ verhöhnt. Die inneren Stimmen Sabas sind ein besonderer Charm dieser Erzählung. Für Saba sind sie nicht tot, sondern quietschlebendig. Das kommt uns bekannt vor. Nehmen wir doch alle unsere Toten innerlich mit. Doch wenn Saba sich nicht eines Tages von ihrem Rufen und ihrem Einfluss auf ihn verabschieden kann, wird er nicht lebensfähig werden und nicht offen sein für die Zukunft.
Weiterer Charme entwickelt sich durch Sabas Tbillisischen Gastgeber Nador und seine Frau Katinor. Das muss man lesen, das will ich nicht vorwegnehmen! Nador ist eine Marke. Nador ist toll. Nador muss man lieben. Nadors Flüche sind legendär!
Es ist jedoch niemand in Tbillisi, der keine Verluste erlitten hätte, nicht einmal der fiese Kommissar Kom Kelkabiani. Der Autor erzählt einfühlsam von den großen Katastrophen durch Politik und Geschichte und ihren Spuren. Einfühlsam und mit feinem Humor, liebevoll.
Der Autor erzählt gleichwohl eine Geschichte von verbrannten Dörfern, vom sinnlosen Töten, von Menschlichkeit und Unmenschlichkeit, von Widerstand und Ergebung, er erzählt die Legende vom Baba-Jaga-Wald, von Verrat und Freundschaft, von Vergebung und Liebe. Das Ganze ist eingebunden in den landschaftlichen Charmes eines Landes, das von hohen Bergen umgeben ist und einfach wunderschön sein muss. Er erzählt davon, wie es ist, seine alte Wohnung zerbombt vorzufinden oder verwahrlost, er erzählt vom Wiedererkennen und erneuten Verlieren.
Die Sprache ist ganz eigen. Sehnsüchtig und melancholisch, eigenartig traurig und doch wunderschön mit sanften Bildern, sie hat einen Rhythmus, der mich verzaubert. Apropos Zauber, sicher, die Story hat etwas Märchenhaftes an sich, das geheimnisvolle Kaleidoskopi-Mansukript zum Beispiel oder die Drifts in Sabas Kopf, die großen Märchen-Wälder, die Begegnungen mit unerwartet guten Menschen, andererseits, wie könnte sie sonst erzählt werden? Wie könnte man sonst darstellen, wie es in Saba aussieht, konfrontiert mit den Herrlichkeiten und den Scheußlichkeiten seiner Heimat, die nicht seine Heimat bleiben kann. „Draußen vor dem Walde“ ist eine wunderbare Vergangenheitsbewältigungsgeschichte, denn „Bevor es besser werden kann, muss es erst schlimmer werden“.
Fazit: Ich bin verzaubert und habe deutlichere politische Bezüge in keinem Augenblick vermisst, da der Autor sich auf die Gesamtzusammenhänge bezieht. Dass das moderne große Thema von Vertreibung, Migration und Heimatverlust in eine Art Märchen verpackt ist, darf nicht davon ablenken, wovon tatsächlich erzählt wird! In meinen Augen zählt der Autor zu den ganz Großen! „Vor einem großen Walde“ ist Literatur vom Feinsten.
Kategorie: Anspruchsvolle Literatur
Verlag, Claassen/Ullstein 2024
Leo Vardiashvili, 1983 in Georgien geboren, lebt seit seinem zwölften Lebensjahr in England. Er ist Steuerberater und hat nun seinen ersten Roman veröffentlicht, in dem er viel aus seiner eigenen Biographie verarbeitet hat.
Der Ich-Erzähler Saba ist noch ein Kind, als er 1992 mit seinem Vater und dem zwei Jahre älteren Bruder Sandro vor dem Bürgerkrieg Georgien nach London flieht. Die Mutter bleibt vorerst zurück, denn das Ersparte reicht nicht für ihr Visum.
Der Vater Irakli arbeitet hart, um sie nachkommen zu lassen. Endlich hat er das Geld beisammen, doch der freundliche Landsmann, der sie aus Georgien holen soll, erweist sich als Betrüger.
Letztendlich stirbt die Mutter, ohne ihre Familie jemals wieder gesehen zu haben.
Elf Jahre nach dem Tod seiner Frau, die Söhne sind längst erwachsen, reist Irakli zurück in die alte Heimat, um seine toten und lebenden Verwandten zu besuchen. Doch dann hören die Brüder nichts mehr von ihm. So macht sich Sandro auf den Weg nach Georgien, aber auch er scheint dort zu verschwinden. Nun reist Saba ihm nach.
Schon kurz nach seiner Landung gerät Saba ins Visier der Polizei. Aber er findet auch im Taxifahrer Nodar einen verlässlichen Freund. Gemeinsam mit ihm macht sich Saba auf die Jagd nach den geheimen Botschaften, die Sandro ihm hinterlassen hat. Es ist ein lebensgefährliches Abenteuer, das die beiden Männer quer durch die Viertel von Tbilissi führt und schließlich zu einem Kloster im Kaukasus und am Ende bis über die Grenze nach Ossetien vor einem großen Walde.
Immer dabei sind auch die Geister der verstorbenen Familienmitglieder und Freunde, als ermutigende Stimmen im Kopf von Saba.
Es gibt aber noch weitere surreale und märchenhafte Elemente in diesem Roman. So irren beispielsweise Nilpferde, ein Tiger und andere wilde Tiere durch die Straßen und Wälder von Tbilissi. Dabei greift Leo Vardiashvili auf ein tatsächliches Ereignis zurück, das in Wirklichkeit erst später stattfand. 2015 sind aus dem Zoo von Tbilissi Tiere ausgebrochen.
Auch der Titel „ Vor einem großen Walde“ verweist auf ein Märchen der Gebrüder Grimm. „ Vor einem großen Walde wohnte ein armer Holzhacker mit seiner Frau und seinen zwei Kindern,…“ so beginnt „ Hänsel und Gretel“. Und so wie diese Kinder Brotkrumen auf den Weg streuen, um wieder nach Hause zu finden, so verteilt Sandro überall seine rätselhaften Botschaften, die nur sein Bruder verstehen kann.
Leo Vardiashvili erzählt von Georgien und dessen unheilvoller Geschichte. Ein Land, das an der Schnittstelle von Europa und Asien liegt, und das schon immer die Begehrlichkeiten anderer Mächte geweckt hat. Georgien war auch eine der ersten Sowjetrepubliken, die nach Unabhängigkeit strebten. Doch damit kamen Gewalt und Krieg ins Land.
Der Roman beschreibt die Auswirkungen von Krieg und Gewalt, Flucht und Vertreibung am Beispiel einer Familie. Er zeigt auch , was der Verlust der Heimat bedeutet.
Dabei scheint immer wieder die Liebe zu Land und Leuten durch. So entstehen vor den Augen des Lesers die alten malerischen Viertel der Hauptstadt und die wilde Landschaft abseits der Zivilisation. Auch erfährt man viel über georgische Bräuche und die Kultur des Landes, so z.B. die legendäre Gastfreundschaft. „ Jeder Gast ist ein Geschenk Gottes“, so lautet ein georgisches Sprichwort. Doch der Autor verschweigt auch nicht die weniger schönen Seiten des Landes, so z.B. die allgegenwärtige Korruption.
„ Vor einem großen Walde“ ist ein spannender Roadtrip durch ein mir unbekanntes Land und gleichzeitig eine anrührende Familiengeschichte.
Doch die überbordende Fabulierfreude des Autors hat leider zu einigen Längen im Buch geführt. Auch hätte ich auf die vielen märchenhaften Elemente verzichten können und hätte weniger skurrile Momente und kauzige Figuren gebraucht.
Das Buch erzählt wirklich sehr realitätsnah und ergreifend, wie es für eine Familie in einer dramatischen Lage - zb Kriegssituation ist. Pläne in der Familie müssen über den Haufen geworfen werden, neue Pläne werden gemacht, es gibt Konsequenzen.
Das Buch zeigt wie schwer das Leben in Kriegsgebieten für Familien ist, vor was für Situationen man steht. Wie es ist, wenn Menschen ihre Heimat verlassen müssen. Saba, sein Bruder und der Vater fliehen vor dem Bürgerkrieg in Georgien. Die Mutter bleibt zurück - erst Jahre später wird nach ihr gesucht.
Der Schreibstil ist sehr beschreibend und flüssig lesbar. Beim Lesen spührt man die Angst der verschiednen Personen so richtig. Das Buch regt zum Nachdenken an und man lernt zu schätzen, dass man nicht in einem Kriegsgebiet lebt.
Von mir gibt es eine Empfehlung für dieses Buch - vielleicht ist gerade die jetzige Zeit genau richtig dafür.
Georgien, ein Vielvölkerstaat, ein kleines Land auf dem direktesten Weg zwischen Europa und Asien. Deshalb haben schon viele ein Auge darauf geworfen, ob in der Antike, oder in der Neuzeit
In den neunziger Jahren, als das Chaos eines Bürgerkrieges in Georgien ausgebrochen ist, entschließt sich eine Familie zu gehen. Der Vater mit den zwei kleinen Söhnen macht sich auf den Weg nach England, die Mutter soll später nachkommen, weil das Geld nicht für alle reicht. Nach zwanzig Jahren endlich macht sich der Vater auf den Rückweg, zuerst folgt ihm der erste Sohn, dann der zweite, um beide zu suchen, den Verbleib der Familie zu ergründen.
Eine abenteuerliche Suche beginnt.
Saba erfährt von den schrecklichen Schicksalen von den Lebenden und von den Toten, die sich bei ihm melden, alle haben Geheimnisse versteckt, die ihn auf den Weg führen sollen. Machen ihn aufmerksam, führen ihn in die Irre und helfen ihm, um dann wieder zu verschwinden, in ihr Schattenreich, oder wo sonst sie auch immer sein mögen.
"Vor einem großen Walde" spielen sich die politischen Schlüsselszenen ab.
Es ist nicht der geheimnisvolle Wald einer Baba Yaga, sondern die Demarkationslinie der Russen zwischen Südossetien und Georgien. Eine tödliche Linie, die Mensch und Tier voneinander trennt, uralte Pfade, Georgien war schon währen der Bronzezeit besiedelt, werden durch Stacheldraht, Gräben und Palisaden zu Todesfallen gemacht und es wird scharf geschossen.
Die erzählte Geschichte ist beispielhaft für viele Fluchtschicksale dieser Welt.
Die Ezählweise des Autors erinnert ein wenig an persische Dichtung, nur blühen in ihr keine Rosen und singen keine Nachtigallen. Nur die hässlichen Hinterlassenschaften Russlands, die es in die georgische Erde und in manche georgische Köpfe gesät hat wuchern darin weiter.
Auf jedem georgischen Friedhof rostet ein Exemplar des ersten Panzers der Berlin erreicht hat vor sich hin, so sehen die russischen Rosen der Vergebung aus.
Ein Buch, das spannend ist, aber auch leider ein paar Längen hat.
Man kann das Buch als Anregung nehmen, um sich über seine Handlung hinaus mit der langen wechselvolle Geschichte Georgiens zu befassen. Dort, wo gestern die Menschen gelitten haben, gehen heute die Touristen spazieren.
Dazu sei empfohlen:MAGAZIN AMNESTY AMNESTY-MAGAZIN SEPTEMBER 2023: GEORGIEN
EIN TAL VOLLER STACHELDRAHT
REZENSION – Erst nachdem Daniel Alvarenga (37) die Dreharbeiten seines nach eigenem Script selbst produzierten Kinofilms „Hundswut“ abgeschlossen hatte, schrieb er als „Buch zum Film“ seinen gleichnamigen Roman, der im Februar als sein literarisches Debüt im Verlag HarperCollins erschien. Dies war eine gute Entscheidung. Denn während der Film wohl nur in bayerischen Kinos läuft, ist sein packender Psychothriller nun überall zu lesen. Nur seien allzu zart besaitete Leser gewarnt!
Der seit seiner Jugend in Bayern wohnende Autor schildert einen fiktiven Vorfall aus dem Jahr 1932 in einem kleinen Bergdorf in der tiefsten bayerischen Provinz. Man lebt dort, als sei die Zeit irgendwann stehen geblieben. Mit der Großstadt München will man nichts zu tun haben und schon gar nichts von dem wissen, was die Nazis dort neuerdings treiben. Alles bleibt im Dorf und wird von Bürgermeister Bernhard „Hartl“ Aichinger und Großbauer Georg Steiner geregelt. Dies gilt auch, als eines Tages vier Kinder bestialisch ermordet und zerfleischt im Wald gefunden werden. Eine Meldung nach München kommt für den Bürgermeister nicht in Frage: „Bevor i dene wos meld und dann oan vo dene Nazis im Dorf hob, regel i's liaber selber.“ So beginnt er seine Ermittlung, unterstützt von Großbauer Steiner, Landgendarm Xaver und Gastwirt Lugg.
Anfangs glauben die Dörfler noch, ein Wolf könne für die grausame Bluttat verantwortlich sein. Die Dorfälteste setzt im Waschhaus das Gerücht in die Welt, es sei ein Werwolf: „Wenn di a kranker Wolf beißt, und due überlebst as, dann host du die Hundswuat a. Dann bist du verfluacht und musst wia a Wolf lebm.“ Doch weder einen Wolf noch einen Werwolf, sondern einen Menschen hält der Bürgermeister für den Mörder: „Mir wissn olle ganz genau, das des koa Wolf war! Aa koa tollwütiger! A Wolf jagt, wenn er Hunger hod! A Wolf zerfetzt ned vier Kinder und lassts dann im Wald verrecken. Und a Wolf vergeht si aa ned an am junga Madl, bevor ers umbringt. … Des war koa Viech, des war a Mensch!“
Schon bald gibt es weitere Mordfälle gleicher Brutalität. Ein Mörder muss schnell gefunden werden, um das Dorf zu beruhigen. Als Verdächtigen machen Bürgermeister und Großbauer den ohnehin schon von allen Dörflern misstrauisch beäugten Einsiedler Joseph Köhler aus, der seit dem Tod seines Sohnes und später auch seiner Frau schwermütig ist und mit Tochter Mitzi einsam am Wald wohnt. Man verschleppt ihn in den Bierkeller des Wirtshauses, um ihm den Prozess zu machen. Obwohl Köhler standhaft seine Unschuld beteuert, sind sich die Dörfler schnell einig, den Schuldigen gefunden zu haben. „Nichts hielt eine Gemeinschaft so effektiv zusammen wie der gemeinsame Hass auf jemand anderen.“ Als aber alle Versuche scheitern, Köhler zu einem Geständnis zu bewegen, meint Dorfpfarrer Hias Lechner in ihm einen vom Teufel besessenen Hexer zu erkennen, und zieht den aus dem Mittelalter berüchtigten „Hexenhammer“ zu Rate. Köhler soll nach Kirchenrecht als Werwolf angeklagt und verurteilt werden. Die Stimmung im Dorf nimmt nun eine bedrohliche Wendung: Der Wahn erfasst auch die eigentlich vernünftigen Bewohner und die Gewalt setzt sich durch. Als der Fall für das Dorf endlich abgeschlossen ist, geht das normale Leben weiter, als habe sich niemand schuldig gemacht, „weil es das immer tat, weil es das musste“.
In drastischen Bildern schildert Alvarenga sehr plastisch und authentisch den allmählichen, durch haltlose Gerüchte angefeuerten Gesinnungswandel unter den einfachen, meist ungebildeten Dorfbewohnern, wie sie sich in ihrer Bigotterie vom Pfarrer leicht beeinflussen und zum Äußersten treiben lassen. Sehr glaubhaft, in ihrer Düsternis ungemein realistisch und lebendig wirkt die erschreckende Handlung nicht zuletzt durch die drastischen Dialoge in bayerischer Mundart. Die wirklichkeitsnahe Schilderung macht in ihrer erschütternden Brutalität auch vor den grausamsten Szenen nicht Halt, wovon mancher Leser sich vielleicht abgestoßen fühlen kann. Doch andererseits ist es gerade diese Direktheit in der szenischen Darstellung sowie die psychologisch tiefgreifende Charakterisierung der Personen, wodurch Daniel Alvarengas Debütroman „Hundswut“ so eindrucksvoll ist, seine Leser so fasziniert und packt.
Unsterblich
Er ist unsterblich, dass heißt, wenn er irgendwie stirbt, ist er bald wieder da. So hat er Jahrtausende miterlebt und nichts vergessen. Von allen, die ihn kennen wird er „B“ genannt. Zwar will er nicht sterben, aber er will sterblich sein. Viele haben über die vielen Jahre schon versucht, ihm dazu zu verhelfen. Alle sind sie gescheitert. Das US-Militär hat ihm ein Angebot gemacht, ihm bei der Beantwortung der Fragen zu helfen. Nach und nach ergeben sich tatsächlich einige Spuren. Doch verfolgen einige hier auch ihre eigenen Ziele.
Im Regal fällt das Buch sofort auf durch das farblich auffällig gestaltete Cover und natürlich die Namen der Autoren. Wobei vorher nicht unbedingt bekannt sein muss, dass Keanu Reeves in Verbindung mit den BRZRKR-Comis (Berserker) und einer Serie in diesem Universum steht. China Mièville steht für Science Fiction oder Fanstasy. Das ist eine tolle Mischung, die ein bemerkenswertes Buch hervorbringen kann. Die Idee eines B, der nach seiner Geschichte sucht, der Sterblichkeit erreichen will, ist sehr ansprechend. Auch das Hörbuch mit den unterschiedlichen Sprechern klingt vielversprechend. Leider kann man die Geschichte nur als Hörbuch nicht vollständig erfassen. Zu elegisch sind einzelne Passagen und zu gering sind die Hinweise gestreut, so dass man es irgendwie nicht richtig schafft, den roten Faden zu finden. Vielleicht funktionieren Hörbuch und Buch im Zusammenhang besser, dann besteht die Möglichkeit nachzulesen oder zurück zu blättern, wenn man nicht sicher ist, ob man alles richtig erfasst hat. Beim Download eines Hörbuch ist leider auch kein Booklet vorhanden, mit dem einiges erläutert werden könnte. Dennoch sind einige Passagen mitreißend geschrieben bzw. vorgetragen und zum Ende hin bekommt man doch den Hauch einer Ahnung. Auch die tollen Sprecher reißen einiges heraus. Im Ergebnis bleibt allerdings der Eindruck, dass man nicht alles erfasst hat, was natürlich auch an der eigenen mangelnden Aufmerksamkeit liegen kann.