Nationale Interessen

Buchseite und Rezensionen zu 'Nationale Interessen' von  Klaus von Dohnanyi
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4 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Nationale Interessen"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:240
EAN:9783827501547
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Rezensionen zu "Nationale Interessen"

  1. 4
    27. Jan 2023 

    Bedenkenswert

    Ein augenöffnendes Buch, das tatsächlich meine Haltung zum Ukraine-Krieg und dazu, wie mit ihm umzugehen ist, verändert hat.

    Das Buch widmet sich drei Themen: Unser Umgang mit und unser Stellenwert bei den USA, unsere Rolle in der EU und das Erkennen und die diplomatische Durchsetzung unserer nationalen Interessen, mit einem klugen Abstecher in das Thema der nationalen Identität. Dohnanyi beweist umfassende historische und politische Bildung und verfügt aus seiner Zeit als Politiker über einschlägige Erfahrung.

    Das Buch kam vor dem Ausbruch des Ukrainekrieges heraus. Was für mich sehr für Dohnanyis Standpunkt spricht, ist, dass er den Ausbruch des Krieges vorhersagt, wenn bestimmte politische Aktionen nicht unterlassen und bestimmte Verhaltensweisen nicht verändert werden. Das geschah nicht - und nun haben wir den Salat. Mich macht das ganz beklommen - wie kriegen wir denn nun die Kuh vom Eis? Gehen wir derzeit in die falsche Richtung? Wenn D. recht hat, machen wir damit alles nur noch schlimmer.

    Dohnanyi ist der Verfechter der geduldigen, unpädagogischen Diplomatie in der Annäherung an Russland. Auf der einen Seite. Auf der anderen Seite mahnt er zu mutigem Handeln - den Amerikanern gegenüber. Er kann glaubwürdig belegen, dass wir schlecht beraten wären, uns weiterhin zum Instrument der amerikanischen geopolitischen Interessen machen zu lassen. Vor allem auch warnt er davor, sich dem Antagonismus der USA gegenüber China anzuschließen.

    Er kann auch belegen, dass nicht Putins grundsätzliche Machtgier, sondern historische Gründe und schwerwiegende diplomatische Fehler, vor allem seitens der Amerikaner, den Angriff auf die Ukraine ausgelöst haben. Das diplomatische Versagen der USA, zur Zeit des Mauerfalls geschlagen mit ihrem bislang dümmsten Präsidenten George. W. Bush, hat Russland an die Seite Chinas und von Europa weg getrieben. D. zitiert hierzu, wie für alle seine Behauptungen, viele Quellen aus Politik und Diplomatie.

    Dohnanyis Ansatz in Sachen Europapolitik hat mich ebenfalls überzeugt: Gnadenlos pragmatisch und ergebnisorientiert plädiert er für den Verzicht auf Sanktionen, juristischen Zwang und pädagogischen Anspruch und setzt auf Vorbild und - siehe oben - geduldige Diplomatie.

    Nicht oder ungenügend berücksichtigt wurde aus meiner Sicht die Angst der baltischen Staaten vor einer russischen Übernahme und das historische Verhalten Russlands ggü. Polen und der ehemaligen Tschechoslowakei. Hier sehe ich Widersprüche und hätte mir eine explizite Einordnung Dohnanyis gewünscht.

    Stilistisch ist das Buch recht trocken geraten, wenn auch sprachlich souverän. Das hat zu tun mit D.s völligem Verzicht auf propagandistische oder dramatisierende Sprache - was ich sehr positiv bewerte. Es gibt die für Sachliteratur übliche Redundanz, aber das hält sich in Grenzen und ist auch, aufgrund der Komplexität der Themen, nicht ohne Nutzen. Am Schluss fasst D. seine Standpunkte noch einmal zusammen und spricht konkrete Handlungsempfehlungen aus.

    Insgesamt: Ein substantielles Buch mit sehr bedenkenswerten Sichtweise.

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Franz von Papen: Hitlers ewiger Vasall

Buchseite und Rezensionen zu 'Franz von Papen: Hitlers ewiger Vasall' von  Reiner Möckelmann
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5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Franz von Papen: Hitlers ewiger Vasall"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:480
EAN:9783805350266
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Rezensionen zu "Franz von Papen: Hitlers ewiger Vasall"

  1. Lesenswerte Biographie

    Bisweilen frage ich mich, wem auf der Rangliste der größten A...löcher in der deutschen Geschichte der zweite Platz zukommt und schwanke zwischen Alfred Hugenberg und Franz von Papen. Über letzteren hat nun Reiner Möckelmann eine Biographie vorgelegt, die den bezeichnenden Untertitel "Hitlers ewiger Vasall" trägt. Darin beschreibt er den Lebensweg des Kurzzeitkanzlers, Vizekanzlers unter Hitler und Botschafter in der Türkei. Schon als Kanzler trug der antidemokratische und bis ins Mark kaisertreue Papen mit seinem "Preußenschlag", der Absetzung der geschäftsführenden Landesregierung Preußens, maßgeblich zur Zerstörung der Weimarer Republik bei. Nachdem sein kurzlebiges "Kabinett der Barone" sich nicht halten konnte, betrieb der Intrigant seine Wiederernennung als Kanzler, indem er auf das Pferd Hitler setzte. Doch der lehnte als Führer der stärksten Fraktion im antidemokratischen Lager verständlicherweise eine Rolle in zweiter Reihe ab, sodass sich nun Papen mit der Vizekanzlerschaft zufrieden gab, dies in der Hoffnung, Hitler mithilfe seiner konservativen Kabinettskollegen einzurahmen. Das dieser Plan nicht klappte, ist hinlänglich bekannt, zudem zeigte sich in der praktischen Politik nichts von Mäßigung seitens Papens, im Gegenteil, er wirkte an zahlreichen Gesetzen zur Etablierung der faschistischen Regierung aktiv mit, hatte auch nichts gegen antijüdische Maßnahmen. Mit seinem Beitrag zur Reichskonkordat trug er zudem dazu bei, Hitler international hoffähig zu machen. Seine als Akt des Widerstandes geltende Marburger Rede stammt tatsächlich aus der Feder seines Beraters Edgar Jung. Als dieser kurze Zeit später in der "Nacht der langen Messer" nach dem sogennanten Röhmputsch ermordet wurde, folgte keine deutliche Reaktion Papens. Im Gegenteil, weiterhin stellte er seine Dienste Hitler zur Verfügung, zuletzt als Botschafter in der Türkei, wo er den Kriegseintritt dieses Staates auf seiten der Alliierten lange, aber letztendlich nicht erfolgreich verhindern konnte.

    Nach dem Krieg stilisierte sich Papen dann in seiner apologetischen Autobiographie "Der Wahrheit eine Gasse" - der Titel ist der reine Hohn - als emsiger Arbeiter für das Wohl Deutschlands und eigentlicher Widerständler dar, der mit seinem Wirken Schlimmeres verhindert habe (was, bitteschön, hätte den noch schlimmer kommen können?). Tatsächlich kannte Papen einige der Widerständler, doch diese trauten ihm - vermutlich zu recht - nicht und vermieden enge Kontakte mit ihm, geschweige denn, dass sie ihn in irgendwelche Pläne eingeweiht hätten. Versuch, nach dem Krieg in die CDU einzureten, wurden vom damaligen Vorsitzenden Adenauer, ansonsten nicht sehr zurückhaltend im Umgang mit ehemaligen Nazifunktionären, aus gutem Grund abgelehnt. So blieb Papen bis zu seinem Ende im Jahr 1969 der ewige Vasall Hitlers, der nicht in der Lage war, sich seiner Vergangenheit in ehrlicher Weise zu stellen und sich stattdessen die Wirklichkeit zurechtbog.

    Sicherlich ist Möckelmanns Studie mit 39,95 € (31,96 € für wbg Mitglieder) nicht ganz billig, aber sie ist es wert, gelesen zu werden.

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Die Patin: Wie Angela Merkel Deutschland umbaut

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Patin: Wie Angela Merkel Deutschland umbaut' von Gertrud Höhler
NAN
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Inhaltsangabe zu "Die Patin: Wie Angela Merkel Deutschland umbaut"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:296
EAN:9783280054802
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Gegenwartsbewältigung

Buchseite und Rezensionen zu 'Gegenwartsbewältigung' von Max Czollek
NAN
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Inhaltsangabe zu "Gegenwartsbewältigung"

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:208
EAN:9783446267725
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Der neue Tugendterror

Buchseite und Rezensionen zu 'Der neue Tugendterror' von Thilo Sarrazin
NAN
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Inhaltsangabe zu "Der neue Tugendterror"

Über die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland. Ungekürzte Lesung. 800 Min.
Audio CD
Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht. Doch im Alltag begegnet man so manchem Denk- und Redeverbot. Thilo Sarrazin analysiert in seinem neuen Hörbuch den grassierenden Meinungskonformismus. Wer Dinge ausspricht, die nicht ins gerade vorherrschende Weltbild passen, der wird gerne als Provokateur oder Nestbeschmutzer ausgegrenzt. Mit gewohntem Scharfsinn prangert Thilo Sarrazin diesen Missstand an, zeigt auf, wo seine Ursachen liegen, und benennt die 14 vorherrschenden Denk- und Redeverbote unserer Zeit.

Format:Audio CD
Seiten:11
EAN:9783868043686
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Inside Duisburg-Marxloh

Buchseite und Rezensionen zu 'Inside Duisburg-Marxloh' von Franz Voll
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4 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Inside Duisburg-Marxloh"

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:224
Verlag: Orell Füssli
EAN:9783280056349
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Rezensionen zu "Inside Duisburg-Marxloh"

  1. 4
    19. Nov 2017 

    No-Go-Area?

    Eine Stadt verkommt, ein Stadtteil kippt, wer kann, haut ab. Vermüllte Häuser, verängstigte Bewohner, kriminelle Elemente. Wird Duisburg-Marxloh zu Deutschlands erster No-go-Area? Das Detroit Deutschlands? Oder kann der Problembezirk im Ruhrgebiet für andere Städte mit ähnlichen Problemen Lösungen aufzeigen? Und vor allem: Was kann man tun?

    Franz Voll vom »Team Wallraff« war monatelang in Marxloh unterwegs. Er hat mit langjährigen Einwohnern und neuen Zuwanderern gesprochen, hat Prominente, Politiker und Polizisten interviewt. Sein Fazit: Von Marxloh lernen heißt anderswo die gleichen Fehler zu vermeiden. Dieses Buch ist das Porträt eines besonderen Stadtteils und seiner Menschen - investigativer Journalismus, professionell recherchiert, mit schockierenden Wahrheiten und verblüffenden Einsichten.

    Als ich auf dieses Buch stieß, wollte ich es sofort lesen. Nein, nicht weil ich in diesem Duisburger Stadtteil lebe, aber weil ich beruflich mit zahlreichen Menschen aus Marxloh in Kontakt komme und auch immer wieder dort vor Ort bin. Dort leben meist Menschen mit geringem Einkommen, oftmals Hartz-, IV-Empfänger, dazu noch überdurchschnittlich viele Menschen mit Mirgrationshintergrund. Seit einiger Zeit berichten diese Menschen aber von einer deutlichen Verschlechterung der Lebensumstände. Viele Zuwanderer, Bulgaren und Rumänen, würden das Stadtbild verschlechtern, viele Spielplätze seien gar nicht mehr nutzbar, und alles würde abwärts gehen. Da interessierte mich dieses Buch eben sehr, um zu erfahren, wie viel ist eigentlich dran an den Berichten einzelner Einwohner oder auch an den schlagzeilenträchtigen Medienberichten?

    Sehr erstaunt hat mich zunächst, dass Marxloh nicht immer das Problemviertel von Duisburg war, sondern ganz im Gegenteil, einmal eines der reichsten Stadtteile. Wer früher eine der begehrten Wohnungen in Marxloh bekam, hatte es geschafft - der war wer! Spaßeshalber habe ich mal geforscht, was Eigentumswohnungen in Marxloh heute so kosten - und nicht schlecht gestaunt. Unzählige Zwangsversteigerungen und auch sonst nur ein Bruchteil dessen, was vergleichbare Wohnungen in bevorzugten Wohnlagen kosten. Traurig. Doch so sieht es nun einmal heute aus in Marxloh:

    "Die Menschen in diesem Stadtteil sind zu 65 Prozent Migranten. In den Schulen werden Klassen gebildet, die bis zu 85 Prozent aus Migranten bestehen, die aus 40 Nationen kommen. Manche sprechen beim Eintritt ins Gymnasium kein einziges Wort Deutsch."

    Marxloh ist ein Armutsbezirk mit einer hohen Arbeitslosenzahl und mit vielen daraus entstehenden sozialen Problemen: 16 Prozent Arbeistlosigkeit, 19000 Einwohner, 64 Prozent davon mit ausländischen Wurzeln. Überall fehlt es an Geld, so dass Marxloh zusehends verfällt. Nicht alle Hauseigentümer kümmern sich ausreichend um ihren Besitz, aber vor allem die Stadt selbst hat kein Geld mehr - Schwimmbäder, Straßen, Schulen, Kindergärten, alles kommt zum Stillstand, und Stillstand bedeutet Verfall. Trotzdem sind sich die Befragten einig: Marxloh ist keine No-Go-Area. Und Franz Voll hat mit vielen Bewohnern gesprochen. Besonders wichtig waren ihm dabei die jungen Menschen, die doch eine Perspektive brauchen. Aber auch mit Hartz-IV-Empfängern, mit Drogendealern, Prostituierten, Schwarzarbeitern und Rumänen - und mit Politikern, Polizeibeamten, Feuerwehrleuten, Lehrern. Sechs Monate hat der Autor sich Zeit genommen, um diesen Stadtteil und seine Menschen näher kennenzulernen und um letztlich ein möglichst umfassendes Bild von Marxloh zu präsentieren.

    Marxloh hat eine lange Tradition als Einwanderungsgebiet. Die Stahlwerke und die Kohlengruben zogen immer schon Arbeiter aus anderen Ländern an, teilweise gezielt angeworben von den Werken. Zunächst nur als Lösung auf Zeit gedacht, blieben doch viele der Arbeiter und gründeten Familien, so dass heute Menschen bereits in 2. und 3. Generation dort leben, teilweise auch mit deutschem Pass. Dadurch gab es ausreichend Zeit, sich aneinander zu gewöhnen, was auch gut funktioniert hat. Selbst der Bau der Moschee in Marxloh stellte so kein wirkliches Problem dar. Was für große Unruhe sorgte, war dann tatsächlich der große Zuzug von EU-Bürgern, Rumänen und Bulgaren, die widersinnigerweise als EU-Bürger keinen Anspruch auf einen Sprachkurs oder Integrationskurs haben - die Plätze werden von den zahllosen Flüchtlingen aus anderen Ländern belegt, die in den vergangenen Jahren noch zusätzlich dazu kamen. Von EU-Bürgern müsste der Sprachkurs selbst gezahlt werden, was die Motivation nicht sonderlich erhöht und die Integration noch zusätzlich erschwert.

    Doch was ist Integration eigentlich? Auch dieser Frage geht Franz Voll nach und stellt erstaunt fest: alle reden davon, aber eigentlich weiß keiner genau, was das sein soll. Jeder hat sein eigenes Bild und persönliche Erwartungshaltungen, so dass es schwierig ist, da auf einen Nenner zu kommen. Kopftuch weg und Deutsch lernen? Moschee abreißen und alle ab zum Fußball? Und wer bewertet eine gelungene Integration?

    "Wie soll sich ein Zugewanderter integrieren? Und ab welchem Zeitpunkt gelten Zuwanderer als integriert? Sind sie integriert, wenn sie die Sprache des Landes sprechen? Oder müssen sie noch in einem Kegelverein oder in einem Sportverein tätig sein? Reicht die Funktion des Kassenwarts aus oder wird mehr Engagement verlangt?"

    Vielleicht kommt die Aussage einer Befragten der Sache am nächsten, die kein Problem damit hat, dass fremde Menschen um sie herum leben, dass diese sich aber benehmen sollen. Wenn man Gast ist, soll man sich auch so benehmen. Der Gastgeber hat Pflichten, aber der Gast eben auch.

    Franz Voll hat ein buntes Bild von Marxloh gezeichnet, das manche der Vorurteile durchaus bestätigt, das aber auch die anderen Seiten des Stadtteils zeigt. Die seit einiger Zeit zur Verfügung gestellte zusätzliche Hundertschaft reguliert die deutlichen Nachteile der Sparmaßnahmen bei der Polizei in den vergangenen Jahren, so dass Konflikte meist rasch geregelt werden können. Aber die Aussage eines Befragten macht auch nachdenklich:

    "Über die Ansammlung vieler Migranten muss man sich eigentlich nicht wundern; auch ich geh dahin, wo ich mich am wohlsten fühle und am schnellsten zurechtkomme. Lässt die Kommune diese Ansammlung zu und ergreift keine frühzeitigen Maßnahmen, um Probleme wie Kriminalität oder Bandenkriege zu verhindern,darf sie sich nicht darüber beschweren, hilflos und überfordert zu sein. Der Drops ist gelutscht."

    Probleme gibt es durchaus, das ist durch Franz Volls Bericht deutlich geworden. Aber die Art der üblichen Medienberichterstattung ist oftmals vollkommen überzogen - und vielfacht waren die Reporter gar nicht vor Ort, sondern haben abgeschrieben, was andere behauptet haben.

    Die Zuwanderer aus Osteuropa bereiten allerdings wirklich Schwierigkeiten. Das liegt zum einen an den anderen Lebensgewohnheiten - sobald das Wetter es zulässt, findet das Leben draußen statt, in großen Gruppen bis zu 150 Leuten, Grillen und spielende Kinder bis nach Mitternacht sind da kein ungewohntes Bild. Dass sich da Anwohner gestört fühlen, liegt auf der Hand, und dass da ein Einsatzwagen der Polizei nicht ausreicht, ebenso. Zum anderen liegt es daran, dass nicht, wie von der Politik gemutmaßt (oder schöngeredet) wurde, vorrangig die gebildeten Menschen nach Deutschland kommen, sondern vielfach die Roma, die in Rumänien zu den Geächteten und den Rechtlosen zählen. Dumm wären sie, wenn sie nicht kämen. Sie bekommen als EU-Bürger zwar keine Hartz-IV-Unterstützung, wohl aber Kindergeld - und bei durchschnittlich sechs Kindern ist das kein Betrag, der nicht ins Gewicht fällt. Doch mit den Problemen müssen jetzt nicht die Politiker fertig werden, die diese Entscheidung getroffen haben, sondern die Bevölkerung vor Ort. Und das schafft Unmut.

    Müll, Dreck, Verwahrlosung - zwei Straßen in Marxloh scheinen fest in der Hand dieser Zuwanderer zu sein. Hier entstand der Begriff der No-Go-Area, im Sinne eines rechtsfreien Bezirks mit erhöhter Gewalttätigkeit. Ich muss gestehen, als ich dem Interview mit einem anonymisierten rumänischen Roma folgte, stieg bei mir der Blutdruck deutlich. Eine Geburtsurkunde für ein 'zusätzliches' Kind zu beschaffen, stellt wohl kein Problem dar - und schon erhöht sich das Einkommen durch das gezahlte Kindergeld noch einmal. Schwarzarbeit ist ebenso selbstverständlich, und man klaut dort zwar nicht selbst, gibt aber entsprechende Tipps weiter an zahlende Interessenten. Für die eigenen Kinder kauft man aber kein Spielzeug, denn die können in die Läden mit den vollgefüllten Regalen gehen und sich das 'nehmen', was sie wollen. Klauen sei das nicht. Dazu kommen noch etwa 40 bis 60 Mitglieder des ehemaligen gefürchteten rumänischen Geheimdienstes Securitate in Duisburg und Umgebung, die die Strippen ziehen - organisierte Einbrüche, Drogenhandel, Prostitution. Ich muss gestehen: ein sicheres Gefühl schafft das nicht.

    Nach der Lektüre habe ich das Gefühl, mir nun ein umfassenderes und vielseitigeres Bild von Duisburg Marxloh machen zu können und die Berichte der Einwohner besser einordnen zu können, die immer wieder an mich herangetragen werden. Doch bei allem Optimismus, den manche Aussagen in diesem Buch zu verbreiten suchten, bleibt bei mir das Bild der Problematik mit den Roma haften, die sich zudem noch stets in riesigen Familiensippen ansiedeln. Wenn man Gast ist, soll man sich auch so benehmen? Wenn das der Maßstab für Integration ist, ist diese Gruppe der Zugezogenen jedenfalls noch weit davon entfernt.

    Insgesamt jedenfalls eine durchaus interessante Lektüre...

    © Parden

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Über Grenzen: Vom Untergrund in die Favela

Buchseite und Rezensionen zu 'Über Grenzen: Vom Untergrund in die Favela' von Lutz Taufer
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Inhaltsangabe zu "Über Grenzen: Vom Untergrund in die Favela"

Von der RAF zum Weltfriedensdienst: Das Leben Lutz Taufers gleicht einer Suchbewegung, in der das gesamte Terrain der westdeutschen radikalen Linken vermessen wird: Rebellion gegen die verkrusteten Verhältnisse der Adenauerära in der badischen Provinz, 1968 in Freiburg, Basisgruppe Politische Psychologie in Mannheim, Sozialistisches Patientenkollektiv in Heidelberg, Mitglied des Kommandos Holger Meins der RAF, 20 Jahre Haft, ein Dutzend Hungerstreiks bis an den Rand des Todes, nach der Freilassung ein Jahrzehnt Basisarbeit in den Favelas von Rio de Janeiro, heute im Vorstand des Weltfriedensdienstes. Ein herausragendes Dokument der Zeitgeschichte.

Autor:
Format:Kindle Edition
Seiten:288
Verlag: Assoziation A
EAN:
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Helmut Schmidt: Die späten Jahre

Buchseite und Rezensionen zu 'Helmut Schmidt: Die späten Jahre' von Thomas Karlauf
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5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Helmut Schmidt: Die späten Jahre"

Die späten Jahre
Gebundenes Buch
Was hat Helmut Schmidt als Kanzler außer Dienst
wirklich bewegt?

Fast alle Biographien Helmut Schmidts enden mehr oder weniger mit dem Jahr 1982, dem Jahr seines Ausscheidens aus dem Kanzleramt. Von seinem Leben in den dreiunddreißig Jahren danach drang nur wenig nach außen. Wie aber wurde dieser Mann, der 1982 noch als durchschnittlicher Kanzler galt, zu einem Idol der Deutschen?

Kein anderer Politiker der Bundesrepublik hat eine solche fast kultische Verehrung genossen wie Schmidt. Sein Ruhm gründet allerdings weniger auf der Kanzlerzeit als vielmehr auf seiner zweiten Karriere danach: als Publizist und Elder Statesman, der - scheinbar unbeeinflusst von der Tagespolitik - über den Parteien stand und unbeirrbar an seinen politischen und ethischen Grundsätzen festhielt. Damit erfüllte er zugleich die Sehnsucht weiter Teile der Gesellschaft nach Führung. Die Biographie der späten Jahre 1982 bis 2015 erzählt, wie es dem Kanzler außer Dienst gelang, am Ende so gesehen zu werden, wie er gesehen werden wollte.

Thomas Karlauf, der seit 1987 fast alle Buchveröffentlichungen Schmidts betreute, besaß uneingeschränkten Zugang zu dessen Privatarchiv. Seine Biographie entfaltet ein intimes Stück deutscher Zeitgeschichte, gespiegelt im Leben jenes Mannes, den viele Deutsche zum Vorbild schlechthin erklärten.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:560
EAN:9783827500762
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Rezensionen zu "Helmut Schmidt: Die späten Jahre"

  1. 5
    20. Aug 2017 

    Schwere Kost / Aber ziemlich gut recherchiert

    Ich habe mir von der Biografie mehr versprochen. Nicht, dass der Biograf schlecht recherchiert hätte. Nein, das hat er nicht, es liegt nur etwas an der unterschiedlichen Erwartung. Das Buch ist nur politisch, man erfährt dabei kaum etwas über die menschliche Seite von Helmut Schmidt. Es gab doch noch ein Leben vor der Politik ... Wie verlief seine Kindheit? Wo kommt er her? Aus welcher Herkunftsfamilie stammt er? Welche Schulen und Bildungseinrichtungen hat er besucht? Wo und wann hat seine politische Karriere begonnen? Was hat ihn zu dem Menschen gemacht, der er war?

    Deshalb bin ich wohl etwas mit diesem Buch arg überfordert gewesen. Wenn man bisher noch gar nichts über Helmut Schmidt gelesen hat, dann würde ich eher dazu raten, auf einfachere (Auto)-Biografien zu greifen. Ich habe mal etwas recherchiert im Netz, schon allein Helmut Schmidt hat recht viele Bücher über sich herausgebracht.

    Allerdings sind die vielen anderen Schmidtbücher auch recht politiklastik, aber es gibt verschiedene Filme, die sich auch auf sein Leben beziehen.

    Auch wenn die Biografie sich im Untertitel auf die späten Jahre bezieht, hätte ich trotzdem noch damit gerechnet, ein paar Kapitel aus seinem Leben vor der Politik zu lesen.

    Karlauf hat gute Arbeit geleistet, ohne Frage … Ich empfehle allerdings Schmidt-Unkundigen, sich erstmal leichtere Literatur zu dem Thema vorzunehmen, sodass man etwas Hintergrundwissen bekommt, und dann erst Karlauf zu lesen. Für die auf diesem Gebiet besseren Gebildeten ist dieses Buch auf jeden Fall weiter zu empfehlen.

    Ich selbst werde mir zu der Thematik erst noch andere Medien suchen, und im Anschluss daran werde ich mir erneut Karlaufs Buch vornehmen.

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