Unlearn Patriarchy 2
Ich mag diese Art von Büchern sehr gerne, wo sich (wie in diesem Fall) viele faszinierende Frauen vereinen, um uns Leser:innen den Horizont zu erweitern.
Wie auch schon im ersten Teil, gibt auch Unlearn Patriarchy 2 wieder Einblicke in ganz unterschiedliche Bereiche, die unser Leben mal mehr, mal weniger berühren. Dadurch dürfte in den beiden Büchern und in den 13 Essays dieses Teils für jede Interessenslage etwas dabei sein. Und selbst wenn man sich auf den ersten Blick nicht für ein Thema interessiert oder sich nicht damit identifizieren kann, findet man doch in allen interessante Denkanstöße. Vor allem weil die einzelnen Essays wirklich lang sind und gute Einblicke - meist über das oberflächliche hinaus - liefern.
Wie immer bei solchen Sammlungen gibt es Essays, die einem besser gefallen als andere. Für mich waren das vor allem die, die nicht einen Punkt immer wieder wiederholt haben, sondern wirklich in jedem Satz etwas neues hatten. Am meisten überrascht und deshalb gefallen hat mich Unlearn Architektur.
Vor allem schätze ich diese Sammlung dafür, dass man Autor:innen und Themen kennenlernt, in die man im Nachgang tiefer eintauchen kann. So lernt man an sich selbst ganz neue Interessenslagen kennen. Ich finde dieses Buch sorgt dafür, dass man danach mit offeneren Augen durch die Welt läuft und deshalb kann ich es jedem nur wärmstens empfehlen.
Im zweiten Band mit der Prämisse „Das Patriarchat verlernen“ stellen Emilia Roig, Alexandra Zykunov und Silvie Horch als Herausgeber:innen einen bunten Mix aus Themen zusammen, die aufzeigen, wie stark unsere heutige Gesellschaft weiterhin historisch fest verankerte, patriarchale Systeme als Grundlage haben und somit eine Ungleichheit weiterhin besteht. Die Essays zielen dabei allerdings nicht darauf ab, allein mit dem erhobenem Zeigefinger zu arbeiten, sondern weisen stets auch einen sowie persönlichen als auch systemischen Weg aus dem Ungerechtigkeitssystem.
So versammelt der Band, nachdem er eingangs einige grundsätzliche Begrifflichkeiten wie z.B. „BIPoC“, „cis“, „intersektional“ etc. erläutert, 13 Essays von insgesamt 14 Autor:innen, darunter auch eine der Herausgeber:innen Alexandra Zykunov zu den Themengebieten Körper, Architektur, Erziehung, Sport, Ableismus, Recht, psychische Gesundheit, Klasse, Gender Pay Gap, Kreig und Genozid, Kirche, Medizin sowie Literatur. Aus dieser Liste geht bereits hervor, dass sich die Autor:innen bzw. Wissenschaftler:innen nicht „nur“ mit weißen feministischen Themen beschäftigen, sondern jedes Feld intersektional betrachten, d.h. „unter Beachtung der Verschränkung und Wechselwirkung (englisch: intersection) verschiedener Unterdrückungssysteme und Diskriminierungsformen wie Sexismus, Rassismus, Ableismus, Klassismus, Homo- und Transdiskriminierung“. Soll heißen, es ist nicht nur nachgewiesen so, dass weiße, cis Frauen eine schlechtere medizinische Versorgung erhalten, sondern vor allem dass – kommen mehrere Faktoren zusammen – eine noch viel schlechtere Versorgungssituation für z.B. eine Schwarze, arme Frauen, die zusätzlich eine geistige Behinderung aufweist, nachweisbar ist.
Gerade diese immer wieder in den Texten anhand von Beispielen und wissenschaftlichen Untersuchungen nachgewiesenen Diskriminierungen in der heutigen Zeit rütteln auf und berühren beim Lesen immer wieder. Wichtig ist für mich, dass die Texte größtenteils auf wissenschaftlichen Daten basieren und dies auch sehr ausführlich durch die Anmerkungen im Anhang untermauert wird. So kann niemand mehr die Augen vor den Ungerechtigkeiten mit der Begründung verschließen, dass seien doch alles nur subjektive Einschätzungen und Befindlichkeiten. Da es sich um Essays handelt, gibt es meist zu Beginn oder zum Ende eines Textes hin durchaus auch persönliche Schilderungen von Lebensumständen oder Geschehnissen, die die jeweilige Autor:in betrifft, so funktionieren nun einmal Essays, aber dies wird immer im Text verdeutlicht und nie vermischt. Die Essays sind allesamt unheimlich kluge, wissenschaftlich fundierte Kommentare zur Entstehung und aktuellen Situation von gesellschaftlichen Problembereichen.
Allein im allerersten Text zu Thema „Körper“ von Yassamin-Sophia Boussoud erschien mir die Wortwahl manchmal gefühlt etwas unwissenschaftlich. Dieser Text ist inhaltlich definitiv auch erhellend und lesenswert, leider enttäuschte er mich sprachlich, werden doch recht heftige Formulierungen genutzt wie „Fickbarkeit“ oder recht sperrige Formulierungen angewandt. Darin kommen Sätze vor wie: „Meines Erachtens lässt sich diese Theorie auch auf dicke, fette, dick_fette, mehr- und hochgewichtige, nicht normschöne Schwarze und Braune Frauen, weiblich gelesene und weiblich misgenderte Personen anwenden.“ Zum einen wird leider nirgends, auch in den Anmerkungen nicht, erläutert, wo der Unterschied zwischen den verschiedenen Bezeichnungen für Übergewichtigkeit liegt, zum anderen verliert man hier ab und an den Faden, wenn alle Varianten einzeln aufgezählt werden. Somit vermute ich, dass Leser:innen, die sich dieses Buch ganz unbedarft greifen, um einmal einen ersten Blick in diese Themenbereiche zu werfen, gerade vom ersten Text über „Körper“ abgeschreckt werden könnten. Hätten die Herausgeber:innen diesen in die Mitte des Buches gesetzt, wären die Leser:innen schon quasi „im flow“ und der Text dadurch leichter verständlich.
Insgesamt kann man für dieser detaillierten, gehaltvollen Zusammenstellung nur den Hut ziehen und sich darüber bestens ein breites Wissen aneignen, um sich die vielfältigen, real existierenden Diskriminierungen in unserer Welt vor Augen zu führen. Wer darüber hinaus tiefer in gewisse Themen einsteigen möchte, bekommt durch die ausführlichen Literaturhinweise im Anhang die Chance dazu.
Da mir persönlich noch der Vorgängerband fehlt (übrigens ist es nicht zwingend notwendig diesen vorab gelesen zu haben), werde ich diesen nun auch noch lesen, denn man wird durch die Lektüre definitiv klüger und auch schlagfertiger für gewisse Diskussionen.
4,5/5 Sterne
Argumente gegen das Patriarchat
Patriarchale Prägungen und Strukturen bestimmen unseren Alltag in fast allen Aspekten. Einiges offenbart sich auf den ersten, anderes erst auf den zweiten Blick. Wo und wie werden Frauen und Minderheiten diskriminiert und benachteiligt?
„Unlearn Patriarchy 2“ ist eine feministische Anthologie, herausgegeben von Emilia Roig, Alexandra Zykunov und Silvie Horch.
Meine Meinung:
Das Sachbuch enthält 13 Aufsätze, die von 14 verschiedenen Autorinnen verfasst wurden. Vorangestellt ist ein einleitendes Intro, unterzeichnet von den Herausgeberinnen. Zudem enthält das Buch ein Glossar mit wichtigen Begriffen sowie abschließende Anmerkungen.
Der Sammelband ist die Fortsetzung von „Unlearn Patriarchy“, lässt sich jedoch auch ohne Vorkenntnisse der ersten Anthologie verstehen.
Die einzelnen Essays lassen sich ebenfalls unabhängig voneinander und in beliebiger Reihenfolge lesen, da sie ganz unterschiedliche Themen behandeln. Es geht unter anderem um Architektur, Medizin, Kirche, Erziehung und Sport. Viel Wert wird dabei auf intersektionale Gerechtigkeit gelegt. Damit deckt die Anthologie ein breites Feld an Aspekten und verschiedene Alltagssituationen ab.
Während mir manche diskriminierende Facetten bereits bekannt waren, haben andere der Beiträge meine Augen weiter geöffnet. Die Aufsätze fußen auf solider, fachkundiger Recherche und können mit vielen Details aufwarten. Sie bieten eine Menge Stoff zum Nachdenken und Diskutieren.
Stilistisch ist das Sachbuch naturgemäß verschiedenartig. Einige der Beiträge haben mir in sprachlicher Hinsicht besser gefallen als andere. In der Summe konnte mich die Anthologie aber auch in diesem Punkt überzeugen.
Die Gestaltung des Covers ist für meinen Geschmack zu textlastig und langweilig. Der einfache, aber prägnante und sinnige Titel passt für mich allerdings gut.
Mein Fazit:
„Unlearn Patriarchy 2“ ist eine inhaltlich wichtige und in der Umsetzung gelungene Anthologie, die ich wärmstens empfehlen kann.