Ungezähmt

„Wir warten auf jemanden, der uns an die Hand nimmt und uns unseren Weg zeigt. Aber dieser Jemand können nur wir selbst sein.“
Das sind wahre Worte, die im Vorwort zu dem Ratgeber „Entdecke den Wofür“ von Ali Mahlodji stehen. Nur allzu oft stehen wir uns selbst im Weg. Der Autor nimmt uns mit auf eine Reise, woher wir kommen, wo wir heute stehen, wo wir hinmöchten. Jedes Leben ist anders, jeder Lebensweg ist ein anderer. Und so erzählt Ali Mahlodji zunächst einmal ausführlich seinen eigenen Lebensweg.
Ali Mahlodji war schon sehr viel in seinem Leben: Flüchtlingskind, Stotterer, Schulversager. Er fand heraus seine Begabung zu nutzen, wurde Unternehmensberater und rasselte ins Burn Out. Mit seinem Startup whatchado fand er seine Bestimmung.
Wenn Ali Mahlodji von sich und seinem Werdegang erzählt (und ich habe ihn auch schon in Interviews erlebt) mag man ihm sehr gerne folgen. Sein jovialer umgänglicher Ton findet sich auch in diesem Buch wieder.
Das ganze Buch ist ziemlich hip aufgemotzt, es gibt eine interaktive App des Verlags, mit dem man sich Videobotschaften des Autors ansehen kann. Viele Kapitel beginnen mit kleinen Übungen. Alles in allem wirkt das Buch in seiner Aufmachung als Rutsche für ausgepowerte junge Managertypen mit hervorragender Ausbildung und genug Erspartem, um sich aus der Tretmühle so mancher Konzerne lösen zu können, um in einer NGO und dergleichen ihre Bestimmung zu finden. Ja, jedes Leben ist anders, jeder Lebensweg ist ein anderer. Aber ob sich der durchschnittliche Lebensweg jemals mit diesem Buch kreuzt?
Ali Mahlodji lässt kindliche Glaubenssätze und bestehende Autoritäten hinterfragen. Bei jedem Hinweis, wie man zu einem glücklichen selbstbestimmten Leben findet, findet sich auch wieder eine autobiografische Anekdote. Auch geht er mit der ALI-Methode hausieren (Atmen – Lächeln – Innerlichkeit) die nur zufällig denselben Namen trägt, wie der Autor.
Einer seiner Tricks, Hürden und Hindernisse zu überwinden, ist, sich ein Vorbild zu suchen. So sagt er: „Mir hilft die Frage: Was würde Barack Obama jetzt tun?“
Ich könnte mir vorstellen, Barack Obama würde jetzt ein gutes Buch lesen.
Kurzmeinung: Aussteigerbücher müssen mich durch die Persönlichkeit überzeugen, die dahintersteht. Das Fräulein ist mir im Buch etwas zu zurückhaltend.
Am Ende des eigentlichen Buches stellt Kathrin Heckmann unter der Überschrift „Zum Nachwandern“ die im Buch erzählten und im Leben erlebten Fernwanderwege vor, die sie gegangen ist. Das sind: die Uckermärker Landrunde in Brandenburg, der Nordseewanderweg in Dänemark, der South West Coast Path in England, der Amatola Trail in Südafrika, und der Bibbulmun Track in Westaustralien.
Gerne hätte die geneigte Leserin ja etwas über die Buschtoilette erfahren, aber, niente. Auch Begegnungen mit den Leuten kommen zu kurz und man vermisst in den Erzählungen Fräulein Heckmanns Systematik. Weder sind ihre „Kurzgeschichten zum Wandern“ chronologisch geordnet, man weiß nie, in welchen Jahr sie unterwegs ist, noch sonst nach einem erkennbaren System. Und was dazwischen ist, zwischen den Reisen, weiß man auch nicht.
Was man bekommt, sind unzusammenhängende Kurzgeschichten über Fernwanderungen des „Fräulein Draußen“. Diese sind sympathisch und eloquent geschrieben, entsprechen aber selten dem, was man erwartet hat.
Was hat man erwartet? Was Persönliches. Man wollte das Fräulein kennenlernen.
Man wollte mehr als zwei, drei Worte zu den Beweggründen, ein Leben im Draußen zu führen. Insoweit erwartete man sehr viel mehr als nur das, was auch in einem Wanderführer steht, aber weniger als das, was in einem Tierlexikon steht. Das heißt, weniger kalte Information und mehr Eindruck und Gefühl. Mehr Erzählung als Aufzählung. Mehr vom Fräulein. Das Draußen ging größtenteils in Ordnung. Obwohl.
Das Fräulein ist nämlich außerordentlich belehrend was die Flora und Fauna angeht, in dem es unterwegs ist. Das ist durchaus manchmal interessant. Aber das Fräulein nimmt den Leser nur dann wirklich mit auf die Wanderschaft, insoweit es den persönlichen Bezug zu sich herstellt, zum Beispiel wie es lernt, über seine Insektenphobie hinwegzukommen oder seine Angst vor Bären überwindet.
Die Kurzgeschichten/Trails stehen leider völlig verbindungslos hintereinander. Wie halt in einem Kurzgeschichtenbuch. Nie weiß man, was das Fräulein dazu bewogen hat, gerade hierhin oder dorthin zu marschieren und in welcher Reihenfolge ihr welche Ideen in den Kopf kamen. So sagt man ein ums andermal: Aha, anstatt Ahhh!
Ein einziges Mal, beim Beschreiten und Abschreiten des Bibbulmun Track in Westaustralien kam das Wanderbuch dem nahe, was die geneigte Leserin in ihm gesucht hat. Aber kaum ließ die geneigte Leserin sich in die Erzählung ein, war sie schon zu Ende. Und die nächste begann.
Fazit: Schade, dass Fräuleins Reisen so verkürzt daherkommen, durchsetzt mit Natur-Belehrungen, die zwar auch ins Buch gehören, aber viel feiner dosiert sein müssen, denn wenn die Leserin ein Tierlexikon durchlesen will, dann guckt sie in ein Tierlexikon. Man merkt halt, dass das Buch aus einem Blog kommt und nicht aus einem Guß ist.
Kategorie: Reisebericht
Verlag: Ullstein.Paperback, 2020.
Allein ist man stark, gemeinsam unschlagbar
"Wer aus der gewohnten Bahn geworfen wird, meint manchmal, dass alles verloren ist. Doch in Wirklichkeit fängt nur etwas Neues an." (Gisela Rieger)
Das Kinderheim Villa Konfetti muss dringend saniert werden, da kommt die Nachricht über eine Erbschaft gerade zur rechten Zeit. Wäre da nur nicht die Auflage, dass sie das Haus innerhalb von 6 Monaten renoviert haben müssen. Wie sollen sie das anstellen mit dem bisschen Geld, was die Stiftung für sie hat! Außerdem scheint die Stadt ebenfalls ein großes Interesse an dem Grundstück zu haben. Ein Wasserrohrbruch stellt die Heimleitung und die Kinder vor neuen Herausforderungen. Da hilft es nur noch, dass sie Helfer finden, denen sie möglichst wenig bezahlen müssen. Alle Hoffnung ruhen nun auf dem Ritter aus dem Seniorenheim, einem Indianer ohne Wohnung, dem grünhaarigen Straßenkind mit Sozialstunden und der verwöhnten Prinzessin in Designerjeans, deren Vater den Geldhahn zugedreht hat. Wird es ihnen gelingen, das Haus wieder rechtzeitig bewohnbar zu machen?
Meine Meinung:
Das bezaubernde Cover mit der in die Jahre gekommenen Villa, die mich sofort an Pippis Villa Kunterbunt erinnert, gefällt mir recht gut. Der Schreibstil ist kurzweilig, unterhaltsam, humorvoll und bewegend. Dabei sind die recht kurzen Kapitel alle mit kurzen Zitaten und netten Illustrationen versehen. Villa Konfetti ist ein recht kleines überschaubares Kinderheim, das von Frau Pippinger geleitet und nun kurz vor dem Aus steht. Bisher gehörte das Haus einer Gräfin, die nun nach ihrem Tod testamentarisch festgehalten hat, das dieses Haus unter bestimmten Auflagen weiter der Stiftung gehören soll. Nur 6 Monate haben sie Zeit, um das marode Haus zu renovieren. Schon das allein ist schwierig genug, doch wie soll man renovieren, wen einem kaum Geld zur Verfügung steht? Bruno Brombach vom Stiftungsrat zum Beispiel hat die Idee, seinen alten Freund Henry zu fragen, der früher Elektriker war und nun im Seniorenheim lebt. Außerdem ist da noch Walter der Schreiner, der seine Miete nicht mehr bezahlen kann. Die obdachlose Kitty, die man beim Klauen erwischt hat und nun statt Gefängnis lieber Sozialstunden ableistet. Und zu guter Letzt die verwöhnte Alina, deren Vater ihren Geldhahn zudreht hat, wenn sie nicht dieses Projekt durchzieht. Vier ganz unterschiedliche Menschen treffen nicht nur zum Arbeiten aufeinander, sondern leben alle sehr bescheiden während der Renovierung im alten maroden Gartenhäuschen. Gerade durch das Zusammenleben werden die einzelnen Macken, die jeder von ihnen hat, gut dargestellt. Ebenso die Sorgen und Problem, die jeder von ihnen hat oder vor denen sie stehen. Der 80-jährige Henry, der sich noch zu jung fühlt fürs Altersheim und dem es dort zu langweilig ist. Walter, der Angst hat, auf der Straße zu stehen. Die 18-jährige Kitty, die ihren Hund Rasko vermisst und nicht weiß, wie ihre weitere Zukunft aussieht. Und die 22-jährige Alina, die sich nach der Liebe ihres Vaters sehnt und nicht weiß, was sie werden will. Die Geschichte um Freundschaft, Liebe, Zusammenhalt und Hoffnung zeigt hier ganz besondere Menschen auf, die alle sehr vielschichtig sind und ihre Ecken und Kanten haben. Zudem zeigt es, was man allein durch Zusammenhalt und Talent alles bewältigen und leisten kann. Gerade die Veränderung, die alle insbesondere die vier Helfer mitmachen, hat mich überrascht und sehr bewegt. Aber auch die Zwischentöne der Heimkinder fand ich ganz bezaubern und herzergreifend. Die beiden Autoren haben hier ein wirklich gutes sozialkritisches Buch geschrieben. Niemals hätte ich so eine anrührende, authentische Geschichte dahinter erwartet, die mich total ergriffen hat. Besonders die Charaktere der vier Helfer fand ich bemerkenswert dargestellt. Dazu noch das Ende mit dem Blick in die Zukunft hat mir gut gefallen, weshalb ich dieses Buch unbedingt empfehle und es 5 von 5 Sterne von mir bekommt.