Buchhandlung zum goldenen Buchstaben

Pearl lebt seit ihrer Geburt vor auf den Vordersitzen im Auto auf dem Besucherparkplatz eines Trailerparks im Nirgenwo in Florida, ihre Mutter Margot, eine Ausreißerin aus gutem Hause, wohnt auf der Rückbank. Umgeben von schießwütigen Waffennarren, Waffenschmugglern, falschen katholischen Priestern, verseuchten Müllbergen in der wohl hässlichsten Gegend Floridas, Hoffnungslosigkeit und Armut herrscht im Inneren des Ford Mercury eine kleine heile Welt, geschaffen von der Pearls Mutter und ihren Träumen, die sich wie Zuckerguss über die raue Wirklichkeit außerhalb der Windschutzscheibe legt. Mutter und Tochter kramen in schönen alten Dingen aus Margots früheren Leben, das sich im Kofferraum des Ford versteckt, üben Rachmaninow-Klavierkonzerte auf dem Armaturenbrett, essen mit Silberbesteck von Limoges-Porzellan und spielen Ausflug mit dem Auto. Margot hofft seit ihrer Flucht von zu Hause vor den Fliegenklatschen ihres Vaters, eines Tages dem Leben im Auto zu entfliehen und einen richtigen Wohnsitz zu finden. All das endet, als die Waffen im Ford Mercury einziehen in Gestalt von „Mr Bad“ und seinen Pistolen, in den sich Pearls zuckersüße Mutter Margot verliebt und der den Zauber zwischen Mutter und Tochter, der aus Liebe und süßen Träumen bestand, zerstört und statt dessen die omnipräsenten Waffen und die Gewalt und das Verbrechen in den Ford bringt.
Die Geschichte liest sich wie eine Mischung aus zucker-süßen Countrysongs und grausamen Märchen, erzählt aus der Sicht von Pearl mit all ihrer Verträumtheit und jugendlichen schonungslosen Direktheit, sie strotzt vor Armut und Elend, liebenswert-verrückten und unmenschlich verbrecherischen Charakteren in Dickens‘scher Manier, für die es allesamt kein Entkommen aus der Waffenhölle gibt. Anfangs tauchen Waffen nur indirekt auf, später nimmt die Allgegenwärtigkeit von Pistolen und Co und die Waffenverliebtheit fast epische Ausmaße an. Da schenkt ein Mann seiner Angebeteten als Zeichen seiner höchsten Liebe und seines Vertrauens eine Pistole, ein Priester führt eine Kampagne „Gebt Gott eure Waffen“, die Vorwand zum Waffenschmuggel ist, immer und überall finden Schießübungen statt und Gläubige gehen mit geschultertem Gewehr zum sonntäglichen Gottesdienst.
Mit gutem Grund handelt das Buch in Florida, im hässlichen Teil, wo die Zahl der „vertretbaren Tötungen“ seit dem Inkrafttreten des „Stand-Your-Ground“ - Gesetzes enorm anstieg. Die im Buch wie selbstverständlich wirkende Alltagsgewalt, von brutalen Männern gegenüber Frauen ausgeübt, Obdachlosigkeit, Hoffnungslosigkeit am Rand des amerikanischen Traumes können auch von Träumen und Liebe nicht übertüncht werden, und das schmerzt beim Lesen. Letztlich siegt die brutale männliche Gewalt über weibliche träumerische Mutterliebe, Margot stirbt im Kugelhagel und Pearl greift später auch zur Waffe, um Rache zu nehmen.
Auch wenn manchmal sprachlich manchmal an der Grenze zum Kitsch bezüglich der Liebessongs und Kalendersprüche vermittelt das Buch für mich eine äußerst intensive und eindringliche Botschaft hinsichtlich der für uns Mitteleuropäer nicht nachvollziehbaren mythischen Waffenverliebtheit der Amerikaner, bezüglich Gewalt und amerikanischem Albtraum, in der Waffen das einzige Machtmittel und die einzige Sicherheit der ohnmächtig am Rande der Gesellschaft Lebenden zu sein scheint.
Unbedingte Leseempfehlung, für mich war es ein Lese-Highlight.
Auf das Buch bin ich vor allem durch das auffällige Cover aufmerksam geworden. Ein Krokodil, dessen Zähne ausschließlich aus Gewehrpatronen bestehen, das sieht man doch eher selten.
In der Geschichte geht es um Pearl und ihre Mutter Margot, die seit Jahren als Obdachlose in einem Auto leben. Während draußen im Trailerpark die Waffen regieren, herrschen im Inneren des Wagens die Träume vor. Was wird das Leben für die beiden Träumerinnen parat halten?
Jennifer Clement schafft es durch ihre sehr bildhafte Sprache den Leser direkt einzufangen. Auch wenn die Gegend noch so trostlos ist, kann man sie sich anhand von Vergleichen und sprachlichen Bildern sofort vorstellen.
Die Autorin zeichnet das Bild der heutigen Gesellschaft in Amerika, in der Waffen zum Alltag gehören. Manche Passagen lesen sich eher wie eine Art Karrikatur, sind aber dennoch so voller Wahrheit, dass es einem beim Lesen beinahe schmerzt.
Pearl hat mich bereits auf den ersten Seiten für sich einnehmen können, denn ihr trostloses Leben ist schon sehr bedrückend. Am liebsten würde man sie immer wieder in den Arm nehmen und sie trösten wollen.
An Mutter Margot mochte ich ihre Zuversicht und dass sie trotz allem das Träumen nicht aufgegeben hat.
Als besonderer Charakter ist mir zudem Noelle aufgefallen, die ich sehr mochte, die mir aber zur selben Zeit auch Gänsehaut verschafft hat.
Das Ende ist offen, viele Fragen bleiben ungeklärt. Das sorgt dafür, dass man noch lange über das Buch nachdenkt und sich im Geiste die Geschichte weiterspinnt wie es einem als Leser am angenehmsten ist.
Fazit: Gesellschaftskritik par excellence. Ich habe mich richtig gut unterhalten gefühlt, auch wenn mich die Lektüre doch sehr traurig gestimmt hat.
Vorweihnachtszeit in der Buchhandlung und keine Spur von Stille
„Es ist auch gar nicht so schlimm, Buchhändlerin zu sein. Noch nicht mal im Dezember. Eigentlich hab ich alles richtig gemacht.“ (Zitat Seite 70)
Inhalt:
Seit vierzehn Jahren gibt es nun Harbliebs Buchhandlungen in Wien Währing und Wien Alsergrund. Dies sind auch vierzehn Mal Hochbetrieb in der gar nicht stillen Vorweihnachtszeit und vierzehn Mal erschöpftes, aber erleichtertes Aufatmen so gegen 13 Uhr am 24. Dezember. Da sammeln sich viele Geschichten, Gschichterln und Erlebnisse an und davon handelt dieses Buch.
Personen, Orte und alles Drumherum:
Hauptprotagonistin ist natürlich die Buchhandlung selbst, die in diesen Wochen aus allen Nähten platzt und dazu kommen alle Beteiligten, die sich beinahe rund um die Uhr bemühen, dass genau das nicht passiert, sondern dass alles funktioniert. Improvisation ist gefragt, vor allem aber die Liebe zu Büchern und genau darum geht in diesem Buch. Von fragmentarischen Kundenwünschen, die dennoch erkannt werden, von einem eingespielten Team und von Freundschaft, darüber erzählen die einzelnen Episoden.
Der Autorin geht es weniger um eine chronologische Handlung, sondern um die Erlebnisse und Erfahrungen in diesen Jahren, erzählt in einzelnen kurzen Episoden und mit viel Humor. Hier ist jemand, der noch immer den Traum lebt, realistisch, mit allen Höhen und Tiefen, und daher ist es auch keine überzuckerte Romantik, die den Leser hier erwartet.
Fazit:
„Ich mag keine Buchhändlerinnen, die ständig jammern“, schreibt die Autorin auf Seite 105, aber genau das findet in den ersten Kapiteln des Buches ziemlich intensiv statt. Dann jedoch gewinnen die Geschichten an Intensität, Humor und damit Leichtigkeit. Andererseits ist es gerade diese Offenheit und ehrliche Realität, die den Leser überzeugt. Hier wird der in unseren lesebegeisterten Köpfen verklärte Beruf der Buchhändlerin entzaubert, ohne jedoch den wirklichen Zauber, nämlich die Liebe zu Büchern und zu Buchhandlungen, zu verlieren.