Wie wichtig sind Genrekonventionen? Und wecken von Autorinnen verfasste Bücher andere Erwartungen?

Klara Bellis

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Für meine erste Urban-Fantasy-Veröffentlichung hat sich inzwischen einiges an Rezensionen und Lesermeinungen angesammelt. Mal auf diversen Internetplattformen, mal als E-Mail, PN oder einfach auf Zuruf. Die meisten Leser – das sind überwiegend, aber nicht ausschließlich Leserinnen – äußern sich positiv. Ab und zu auch kritisch.

Gerade bei den kritischen Äußerungen versuche ich zu erkennen, was genau gemeint ist und was ich vielleicht beim nächsten Mal besser machen kann.
Die eine oder andere Anregung konnte ich durchaus nachvollziehen und sogar umsetzen. Doch dann gibt es Momente, wo ich ratlos bin und ein Muster zu erkennen versuche.
Derzeit bin ich bei meiner ganz privaten Mustererkennung an einem Punkt angelangt, an dem ich glaube, dass es beim Genre Urban Fantasy ein Fehler ist, die Romantik zu vernachlässigen und eine Geschichte mit mehreren und nicht ausnahmslos blendend aussehenden Protagonisten sowie wechselnden Handlungsorten und Perspektiven zu erzählen.
Gleichzeitig denke ich an andere, an männliche Fantasy-Autoren (z.B. Tad Williams, Terry Pratchett oder unseren @InFo und versuche mir vorzustellen, dass diese Autoren Bücher schreiben würden, in denen es nur so von wunderschönen Männern und Frauen wimmelt, die sich pausenlos unglücklich ineinander verlieben und als Haupthandlung die ganze Zeit über an ihren unterdrückten Gefühlen leiden oder von einem Fettnäpfchen ins nächste taumeln bis zum bittersüßen Happy End. Eine Vorstellung, die mir nicht recht gelingen will.

Deshalb frage ich mich und auch hier in die Runde: Kann es sein, dass man allein dadurch, dass man als Autorin in diesem Genre (oder auch in anderen Genres) veröffentlicht, ganz andere Erwartungen bei den Leserinnen schürt – also im Fall von Urban Fantasy eher Romantik – als würde man mit einem männlichen Namen auf dem Cover stehen?
 
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Helmut Pöll

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Das ist eine schwierige Frage, @Klara Bellis , ob Leser von Autorinnen eher Romantik beim Genre Urban Fantasy erwarten oder ob Autorinnen generell eher von sich aus Romantik mit in die Geschichte bringen. Eventuell Letzteres. Aber vielleicht machen sie es auch nur, weil sie meinen, dass genau das von ihnen erwartet ist. Dann wäre es eine Art selbst erfüllende Prophezeihung.

Grundsätzlich glaube ich ja, dass die Sache ganz anders läuft. Die Leser haben zwar gewisse Erwartungen, aber der Autor sollte nicht darauf schielen, was die Leser wohl erwarten, sondern darauf, welche Geschichte er erzählen will. Mir gefällt ein Zitat von Autopionier Henry Ford ganz gut, dass zwar weit her geholt scheint, aber m.E. irgendwie passt: "Wenn ich die Leute gefragt hätte was sie wollen, dann hätten sie gesagt 'schnellere Pferde'".
 
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ManfredsBücherregal

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Ich könnte mir durchaus vorstellen das es da zumindestens bei vielen eine gewisse Erwartungshaltung gibt.
Wahrscheinlich verbinden mehrheitlich Leserinnen mit Fantasy eher auch eine romantische Geschichte und Männer eher eine abenteuerliche. In dem Zusammenhang denken diese Leser dann wohl auch das eine Autorin ebenso denkt wie sie selbst, so wie auch Leser eher eine Abenteuer erwarten wenn es ein Autor geschrieben hat.
 

alfee

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Puh, das mit der Erwartungshandlung bei männl. Oder weibl. Namen des Autoren könnte stimmen. Sicher erwartet jeder Käufer etwas Bestimmtes von einem Buch. Wenn diese Erwartung nicht erfüllt wird, ist er sicher enttäuscht.
 

alfee

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Das würde bedeuten, dass die Produktbeschreibungen so ausführlich sein müssen, dass keine Missverständnisse entstehen. Habe ich wohl bisher oft falsch gemacht, weil meine kurzinformationen immer sehr kurz waren.
 

Klara Bellis

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23. März 2014
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@Helmut Pöll : Darauf zu schielen, was die Leser vielleicht eventuell erwarten könnten, verkneife ich mir auf jeden Fall. Zumal das auch wieder nur reine Spekulation wäre, wegen der ich mir nicht das Schreiben vermiesen lassen mag, in dem ich mich zwinge, was zu schreiben, was ich eigentlich gar nicht will. ;)
Es ist nur so ein Verdacht, der mich beschleicht, dass da eine gewisse unbewusste Erwartung bei den Leserinnen dasein könnte.

@ManfredsBücherregal & @alfee : Vielleicht liegt es auch nur an meiner persönlichen Filterblase bei Facebook, in der öfter mal Werbung für Fantasy-Bücher auftaucht. Gefühlt sind das fast immer von Frauen geschriebene Bücher und sehr oft scheint, wenn ich mir die Klappentexte durchlese, eine Beziehungskiste im Mittelpunkt zu stehen. („Die siebzehnjähre XY hat ein schweres Schicksal, dann trifft sie den gutausehenden YZ, der ein dunkles Geheimnis ...“ usw. :D) Bei Büchern von Männern, zumindest bei denen, die ich kenne, ist mir das noch nicht so aufgefallen.
 

Helmut Pöll

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Vielleicht liegt es auch nur an meiner persönlichen Filterblase bei Facebook, in der öfter mal Werbung für Fantasy-Bücher auftaucht. Gefühlt sind das fast immer von Frauen geschriebene Bücher.
Ich habe das ähnlich wahrgenommen, kann aber auch an meinem eigenen Filter liegen, @Klara Bellis . Beziehungsdramen, die von Männer geschrieben wurden, sind wohl tatsächlich eher seltener.
 
20. Mai 2014
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Spannende Frage, @Klara Bellis, die ich mir auch bisweilen stelle. Ich denke das Problem ist ein zweigeteiltes: einmal die Lesererwartung, zum anderen die Auswahl der Zielgruppe bei der Vermarktung. (Brr, seht es mir nach, dass ich im Zusammenhang mit Büchern von Vermarktung spreche. Als Autorin kriege ich dabei das Schütteln, aber als Selfpublisherin komme ich nicht drumherum, meine Bücher auch als Produkt zu sehen :( )

Der Bereich Fantasy wird stark dominiert von Romantasy-Titeln, weil Romance sehr gefragt ist und entsprechend viel geschrieben wird. Wahrscheinlich beißt sich da die Katze auch in den Schwanz. Gerade in den Leser-Foren oder bei Facebook tauscht sich auf diesem Feld eine große, begeisterungsfähige Gruppe regelmäßig aus. Das gilt ja allgemein für Liebesromane. Und diese vielen, aktiven Leser(innen) haben natürlich eine gewisse Erwartungshaltung an Fantasy-Titel, eben weil sie sich immer wieder in diesem Rahmen bewegen.

Leser anderer Genres treffen sich wahrscheinlich in spezialisierteren Foren, zB SF-Foren oder Horror-Foren. Hier bei WR liegt der Schwerpunkt bei den Diskussionen eher im Bereich zeitgenössischer Literatur. Möglicherweise sind hier die Erwartungen an einen Fantasy-Roman schon ganz andere.

Als Autor von Fantasy, die keine Romantasy ist, wirkt man in der einen Umgebung als hässliches Entlein, in der anderen ist man vielleicht der Schwan. Wichtig ist also, die richtige Zielgruppe zu finden und anzusprechen. Das geht erst mal übers Cover und dann über den Klappentext. Und natürlich über die Einsortierung im Shop. Nicht jeden Roman, in dem eine Romanze vorkommt, sollte man als Liebesroman deklarieren. Zum einen ist die Konkurrenz erdrückend, zum anderen weckt man Erwartungen, die zwangsläufig enttäuscht werden, was böse Kritiken nach sich ziehen kann (oder man wird einfach ignoriert ;) )
 
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Helmut Pöll

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Leser anderer Genres treffen sich wahrscheinlich in spezialisierteren Foren, zB SF-Foren oder Horror-Foren. Hier bei WR liegt der Schwerpunkt bei den Diskussionen eher im Bereich zeitgenössischer Literatur. Möglicherweise sind hier die Erwartungen an einen Fantasy-Roman schon ganz andere.
Wenn ich mir die aktuellen Rezensionen bzw. die Beiträge der sehr aktiven Benutzer hier auf WR ansehe, dann gibt es tatsächlich einen Schwerpunkt bei Gegenwartsliteratur und Krimis. Romantasy wird zwar auch gelesen, aber doch eher weniger, ein Leseschwerpunkt ist es auf WR auf keinen Fall.

Mir als Leser - nicht als Plattformbetreiber - kommt das eigentlich sehr zugute, da ich von meinem Leseverhalten her auch eher Gegenwartsliteratur und Krimis bevorzuge. Aber da sind die Übergänge auch fließend. @Sebastian beispielsweise rezensiert Einiges an Hardboiled-Thrillern. Durch ihn habe ich z.B. Joe R. Lansdale hier für mich entdeckt.
 
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Mir gefällt das durchaus, @Helmut Pöll, wenn unser Spektrum breitgefächert ist. Mit meinem Lesegeschmack (einerseits Gegenwartsliteratur, andererseits Genre wie SF) fühle ich mich hier nicht als Exot :D Das macht für mich das Besondere an WR aus, so kannte ich das bisher noch nicht.

Das hängt auch mit dem ausgewogenen Verhältnis von männlichen und weiblichen Mitgliedern zusammen. Das bestärkt mich in meiner Wahrnehmung - um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen - dass es gar nicht so sehr darauf ankommt, ob Bücher von Frauen oder Männern geschrieben werden, sondern ob die Gruppe der Leser heterogen ist. Bücher brauchen die Aufmerksamkeit von Lesern, sie definieren sich über die Leser. Je homogener die Gruppe, desto fokussierter die Auswahl der Titel, denke ich. In einem heterogenen Umfeld sehe ich für meine Bücher bessere Chancen, bei den Büchern von @Klara Bellis schätze ich das ähnlich ein.
 

Klara Bellis

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@Helmut Pöll : Wenn ich mir hier mein reales Bücherregal anschaue, dann ähnelt es eher dem, was sich bei Whatchareadin abspielt: eine bunte Mischung aus allem. :)
Mein derzeitiges „Klara-Bellis“-Umfeld bei Facebook dagegen wird dominiert durch Romantik/Romantasy-Leserinnen und die entsprechenden Titel.
:reader6
Und ab und zu, sozusagen als statistische Ausreißer, sind auch Ekel-Horror/Splatter-Thriller dabei, bei denen ich jetzt dazu übergegangen bin, die aufdringliche buttriefende Coverwerbung wegzudrücken. :confused:
Wenn ich es so recht überlege, hat @Sabine Schäfers vielleicht wirklich recht und auch der Teich, in dem man schwimmt, trägt dazu bei, ob man als Schwan wahgenommen wird oder eher als Graugans. ;)
 

Helmut Pöll

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Mir gefällt das durchaus, @Helmut Pöll, wenn unser Spektrum breitgefächert ist. Mit meinem Lesegeschmack (einerseits Gegenwartsliteratur, andererseits Genre wie SF) fühle ich mich hier nicht als Exot :D Das macht für mich das Besondere an WR aus, so kannte ich das bisher noch nicht.
Das sehe ich auch so, @Sabine Schäfers . Wenn man immer nur in seinem eigenen Saft schmort, dann wird man mitunter betriebsblind. Das gilt m.E. für Autoren genauso wie für Leser. Durch die Vielfalt stolpert man immer wieder über Neues und Interessantes, das man ansonsten vielleicht gar nicht entdeckt hätte.
 
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ManfredsBücherregal

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Das hier die Mischung anderst ist als bei anderen Portalen hängt meiner Meinung nach sehr mit dem Altersdurchschnitt des Portales zusammen. Auf vielen anderen Portalen, zumindest den größeren, sind glaube ich doch deutlich mehr weibliche Teenager unterwegs, wodurch Genre z.B. mit einem hohen Romantik-Fantasy-Anteil deutlich höher sind.
 
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Klara Bellis

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Ich bin vor ein paar Tagen durch Zufall in eine Facebookgruppe gestolpert, in der Autoren Bücher als Wanderbücher zur Verfügung stellen können. Die Leserinnen schicken sie sich gegenseitig zu, lesen und rezensieren anschließend. Ich werde das jetzt auch mal ausprobieren, da dort auch erwachsenere Leserinnen unterwegs sind, im Vergleich zu dem typischen Jungvolk in den anderen Lesergruppen. ;)
Andererseits ist es auch dort vom Genre her vermutlich wieder nicht so ganz passend, da ich dort recht viele Liebes- und Beziehungsromane sehe. Eben die richtige „Frauenliteratur“. Manchmal zweifle ich echt an meiner Zugehörigkeit zur Leser(innen)gruppe. Ich würde nämlich Liebesromane niemals freiwillig lesen. :cool:
 

Sebastian

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18. April 2014
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Also ich muss ja gestehen, dass mich als Kerl jede Form von Romance in meinem Fantasybüchern (zumeist) stört. Ist absolut nicht meins und dabei macht es auch keinen Unterschied, welches Subgenre es ist. Ich muss dabei aber auch gestehen, dass mir ad hoc kein Titel einer Autorin einfallen würde, den ich gelesen hätte, obwohl ich da eigentlich keine Unterschiede mache. Vielleicht auf Grund der Klappentexte wieder weg gestellt. Ich kanns echt nicht sagen. Da ich aber gerade mal wieder auf diesem Trip bin, sollte ich vielleicht mal darauf achten.

Wo ich das "Problem" hingegen nachvollziehen kann ist bei den Thrillern. Hier lesen sich Bücher von Autorinnen oft anders (was definitiv nicht schlechter heißt!) als die von Autoren.
 
5. Januar 2016
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Schweinfurt
www.koeppel-sw.de
Wo ich das "Problem" hingegen nachvollziehen kann ist bei den Thrillern. Hier lesen sich Bücher von Autorinnen oft anders (was definitiv nicht schlechter heißt!) als die von Autoren.

Gut möglich, dass AutorINNEN die Gewichtung im Thriller anders legen. Ich selbst versuche, in meinen Thrillern das "ganze" Leben widerzuspiegeln. (Betonung liegt auf "versuche"! ;))
 

Helmut Pöll

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Also ich muss ja gestehen, dass mich als Kerl jede Form von Romance in meinem Fantasybüchern (zumeist) stört. Ist absolut nicht meins und dabei macht es auch keinen Unterschied, welches Subgenre es ist.
Geht mir auch so, @Sebastian . Ich lese relativ viel "Gegenwartsliteratur" und da fällt mir auf, dass Autoren da recht stark repräsentiert sind. Nach meiner sehr subjektiven Wahrnehmung scheinen Autorinnen deutlich mehr Genre zu schreiben als ihre männlichen Kollegen. Wie seht ihr das?
 

Marley

Autor
7. Oktober 2014
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Melbourne
Es gibt weibliche Autoren, die unter männlichem Psyeudonym veröffentlichen und umgekehrt. Vielleicht liegt manches auch schlicht an unserer Wahrnehmung und an unseren Vorurteilen (die ja niemand hat, jajaichweiß).