Wer schläft denn bis zwölf...

Xirxe

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19. Februar 2017
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Walters Erinnerungen und Selbstreflexionen werden zusehends schmerzhafter. Typisch Mensch hat er die unangenehmen Dinge vergessen wie das, was sich um Weihnachten '84 herum ereignet. Er ist wirklich ein typisch männliches Exemplar seiner Zeit, was sich mit der Generation Yvonnes nicht ganz so gut verträgt. So realisiert er auch langsam, was er mit der Trennung von Gisela verloren hat.
Ich glaube, früher war unsere Welt voller Walters; heute sind sie seltener geworden, existieren aber noch immer. Männer, für die Arbeit, Pflicht und Disziplin immer an erster Stelle stehen und die dann glauben, dafür dürfen sie sich auch mal was erlauben. Um dann mit Mitte 40 die Torschlusspanik zu bekommen und mit einer viel jüngeren Frau nochmal von ganz vorne anfangen. Bis sie merken, dass das Alte doch nicht so schlecht war ...
 

parden

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13. April 2014
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Niederrhein
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Der Charakter von Walter wird sehr deutlich, wie @Xirxe schön geschildert hat. In all seinem derzeitigen Handeln ein Aufbegehren. Bier und Wildsau statt gesunder Schonkost. Und die Angst, dass es ihm nun so gehen könnte wie er sich seinerzeit verhalten hat. Geht Yvonne fremd? Das innere Chaos spiegelt sich im äußeren, die Wohnung muss einem Saustall gleichen.
 
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Literaturhexle

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Er ist wirklich ein typisch männliches Exemplar seiner Zeit, was sich mit der Generation Yvonnes nicht ganz so gut verträgt
Ja. Seine Reflexionen zeigen dem Leser immer mehr von Walters Charakter. Es sind immer wenige Grundthemen oder -Episoden, die pro Kapitel geschildert werden. Manches ist ganz neu (wie z.B. das Wildschwein), manches knüpft an bereits Gelesenes an und führt ein Thema weiter (Verhältnis zu Exfrau und Sohn, Yvonnes soziale Ader...). Dieses wird sprachlich so gut umgesetzt, dass ich fast von einer Komposition sprechen möchte. Da ist nichts zufällig, ganz stark.
Dabei werden die Gedankengänge klarer, er springt nicht mehr so oft hin und her. Dadurch wird die Lektüre angenehmer, flüssiger.
 

Anjuta

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8. Januar 2016
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Essen
Walter läuft in diesem Kapitel mit Bluterguss am Kopf (vom Wumms im Bad) im Haus herum und blickt sich zB im Spiegel an. das heißt wir sind im Gedankenfluss wieder an dem Tag von Kapitel 1 und 2. Aber da liegt er ja eigentlich im Bad. Also haben wir es hier wohl eher mit seinen Fantasien beim Liegen zu tun, mit bloßen Vorstellungen eher als mit Erinnerungen. So sehe ich das auch mit dem Wildschweinbraten - eine kleine häusliche Rebellion gegen Yvonne, die dieses Schwein ja nie im Haus haben wollte. Fantasierte Rebellion, so verstehe ich dieses Kapitel. Könnt Ihr das nachvollziehen, oder bin ich auf dem Holzweg?
 

Querleserin

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30. Dezember 2015
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@Anjuta: Bin auch noch nicht viel weiter, aber ich glaube eher, dass es tatsächlich Erlebtes ist. Lass mich überraschen.
Interessant fand ich auch, dass Walter das Ereignis des Fremdgehens völlig verdrängt hat und die eisige Stille Giselas nicht deuten kann.
Auch seine Mutter trug Pferdeschwanz - Freud lässt grüßen ;)
 
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Literaturhexle

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Interessant fand ich auch, dass Walter das Ereignis des Fremdgehens völlig verdrängt hat
Das ist aber doch typisch für ihn: dass er sein eigenes Zutun und Verschulden ausblendet oder auch nicht erkennt. Er kann sich nicht in andere Menschen hinein versetzen. Dafür gibt es immer mehr Situationen. Durch diese Unsensibilität tappt er bei seinen Gegenübern auch gern in Fettnäpfe. Das fängt mit seiner Reaktion auf die Brust-OP einer Bekannten an, geht über die Frauengeschichten bis hin zu seinem Sohn. Immer wieder.
 
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Bibliomarie

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[. Er ist wirklich ein typisch männliches Exemplar seiner Zeit, was sich mit der Generation Yvonnes nicht ganz so gut verträgt. So realisiert er auch langsam, was er mit der Trennung von Gisela verloren hat.
Ich glaube, früher war unsere Welt voller Walters; heute sind sie seltener geworden, existieren aber noch immer. Männer, für die Arbeit, Pflicht und Disziplin immer an erster Stelle stehen und die dann glauben, dafür dürfen sie sich auch mal was erlauben. ...[/QUOTE]
 

Bibliomarie

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Das stimmt, seltener sind sie geworden, aber es gibt sie immer noch. Walter ist ein Prototyp und auch ein Kind seiner Zeit.
 

Bibliomarie

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Erstaunlich wie lange Walter gebraucht hat um zu erkennen, welchen Fehler er mit Gisela gemacht hat. Jahrzehntelang hat er nicht verstanden, wieso sie ihn verlassen hat. Nur wegen dieser einen Geschichte - für die er ja gar nichts konnte - so hat sich das bei ihm festgesetzt.
Ein emotional verarmter Mensch.
 

Atalante

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Trotz aller Tragik finde ich die Schilderungen auch amüsant. Wie @Querleserin schon angedeutet hat, schaut fReud mehrmals um die Ecke. Auch als er Gisela zufällig in der Stadt trifft. Da fällt sein Blick auf ihr Dekolleté und die Salatgurke ragt "aus ihrem Beutel, kräftig und lang". Das wäre doch ein Einsatz für die fränkische Ärztin gewesen. Armer Walter!;)

Ebenso amüsant finde ich seine Wildschwein-Rebellion. Ein Element, das das Buch für mich auch zunehmend zu einer Satire macht, über die Spezies gesundlebender Gutmenschen und deren zwanghafte Politische Korrektheit, verkörpert durch Yvonne.
 
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Atalante

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Walter läuft in diesem Kapitel mit Bluterguss am Kopf (vom Wumms im Bad) im Haus herum und blickt sich zB im Spiegel an. das heißt wir sind im Gedankenfluss wieder an dem Tag von Kapitel 1 und 2. Aber da liegt er ja eigentlich im Bad. Also haben wir es hier wohl eher mit seinen Fantasien beim Liegen zu tun, mit bloßen Vorstellungen eher als mit Erinnerungen. So sehe ich das auch mit dem Wildschweinbraten - eine kleine häusliche Rebellion gegen Yvonne, die dieses Schwein ja nie im Haus haben wollte. Fantasierte Rebellion, so verstehe ich dieses Kapitel. Könnt Ihr das nachvollziehen, oder bin ich auf dem Holzweg?

Ich habe die Wildschwein-Episode zunächst auch als Phantasie gedeutet. Da sie sicher später als Realität erweist, halte ich sie für maßlos überzogen. Ehrlich, wer ist schon so blöd und taut ein Wildschwein in der Badewanne auf. Walter kann noch nicht mal kochen. Das ist für mich absolut unglaubwürdig. Jeder andere hungrige Mensch, der mal etwas anderes als die verordnete Schonkost will, hätte Selbige in den Müll geworfen und wäre ins nächste Restaurant gegangen.

Aus diesem Grund hätte ich es lieber bei einer phantasierten Wildschwein-Rebellion belassen. Doch der Anruf bei Gisela und das Rezept-Googeln, sehr schön auch das Esperanza-Passwort, verfrachten die Szene in die Realität. Oder?
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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@Atalante
Ich bin schon davon ausgegangen, dass es die Wildschwein-Rebellion (phantastischer Ausdruck!) wirklich gegeben hat. Aber nicht genau an diesem Tag. Dann hätte der von der Mutter zur Hilfe gebetene Sohn dem Vater doch geholfen...

Aber, hier ist dein Ansatz interessant, es könnte auch reines Wunschdenken gewesen sein: dass sich jemand um ihn kümmert....

Was die halbe Wildsau betrifft, traue ich Walter da alles zu: um sie schnell loszuwerden (Yvonne war sauer), hat er sie in Gänze in die Truhe werfen müssen. U d was man im Ganzen einfriert, muss auch im Ganzen wieder raus... Böse Falle:)