Gerade ist mir eine merkwürdige Sache passiert. Es geht um die Geschichte "Die rote Katze" von Luise Rinser. In meiner Jugend hatte ich, wie alle Kinder meines Jahrgangs, die Geschichtensammlung "Deutschland erzählt", da war die Geschichte drin und ich mochte sie sehr, habe sie mehrmals gelesen, und einige Sätze daraus sind mir bis heute in Erinnerung.
Eben sag ich in einer Facebook-Literaturgruppe einen Thread, der sich mit dieser Geschichte befasst. Da steht in der Inhaltsangabe: "Der Erzähler ist ein 13jähriger Junge .." Ich wollte sofort lauthals protestieren, weil ich ganz sicher war, dass ein Mädchen erzählt. Ich war sogar überzeugt, das beweisen zu können: dass nämlich die Mutter die Erzählerin, die ein Holzscheit nach der Katze geworfen hat, als "Tierquälerin" beschimpft.
Um ganz sicher zu sein, habe ich die Geschichte noch einmal herausgesucht. Und, Teufel noch eins, da heißt es wahrhaftig doch "Tierquäler"!
Ich hätte beschwören können, dass es "Tierquälerin" hieß, das wäre mein Beweis gewesen! Jetzt frage ich mich, warum dachte ich das? Weil ich selbst als Mädchen die Geschichte gelesen habe, oder weil Luise Rinser eine Frau ist?
Ich habe jede einzelne Szene der Geschichte immer wieder in Gedanken durchgespielt, wenn ich sie als elf- oder zwölfjähriges Schulkind las. Und ich bin jetzt nicht gewillt, das umzudenken. Für mich steht da ein tapferes, verzweifeltes Mädchen und das bleibt auch so!
ps. Ein Nachtrag, Zitat aus "Gewalt und ihre Rechtfertigung im Nachkriegsdeutschland" von Marcia Weber, siehe
Artikel hier
"Die Annahme, der Erzähler könnte ein Junge sein, ist durchaus plausibel, (...) vor allem auch, weil sich nach dem Krieg die Familienstrukturen änderten. Der Ausfall vieler Familienväter durch Desertion, Gefangenschaft oder gar den Tod sorgte für eine Abschwächung der Familienverhältnisse.41 Der Haupternährer der Familie, nämlich der Vater, war nicht mehr vorhanden und die Familien mussten sich fortan neu strukturieren.42 Dass der Ich-Erzähler bei Luise Rinser die Nahrungssuche übernimmt und somit Verantwortung für die Verpflegung der Familie trägt, lässt darauf schließen, dass es sich hierbei nun um einen Jungen handelt. "
Das sehe ich nun wiederum überhaupt nicht so.
Diejenige, die das Essen ranschaffen muss, ist die Mutter; wahrscheinlich schon während des Krieges selbst. Die Erzählerin (wie ich sie als kindliche Leserin sah) übernimmt für die jüngeren Geschwister ebenfalls Mutterpflichten und sieht sich in der Verantwortung.
Vielleicht liegt es aber auch an meiner späten Geburt, dass ich das so im Kopf habe.