Von Frühstücksritualen und der Vorbereitung auf den Tag

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Hi people,
Könnt ihr euch noch an den Fortsetzungsroman in der Zeitung erinnern? Es gehört zu meinen lustigen Familien-Erinnerungen wie das Alltagsritual am Frühstückstisch unter der Woche ablief. Ohne Worte.

Wenn mein Papa die Türe zur Küche öffnete, war das allererste, was er tat, das Radio, das sich sozusagen neben dem Lichtschalter auf einer kleinen Anhöhe linker Hand befand, ich sehe es vor mir, anzuknipsen. Davon habe ich wohl meine Allergie gegen ständiges Radiogedudel. Papa war der erste morgens. Unsere Tassen und was wir so brauchten standen schon auf dem Küchentisch, wenn wir älteren Kinder eintrudelten; die wir mitten in der Nacht in die Schule mussten (alles, was vor acht Uhr ist, ist mitten in der Nacht). Die Milch war gekocht, das Brot geschnitten, die Butter inzwischen streichfähig, Kaba stand bereit. Ei, ich gestehe es, ich habe mindestens noch bis siebzehn Kaba getrunken. Oder Karokaffee. Für die Mama hatte Paps den Kaffee in eine Thermoskanne abgefüllt. Er war ein guter Mann! Mama kam ein wenig später in den Tag.

Wenn wir, mein Bruder und ich uns auf die Eckbank quetschten, jeder auf seinen ihm seit Jahren zustehenden Platz, konnten wir Papa nicht sehen, er war hinter einer Zeitung verborgen. Nachdem wir „hmhm“ oder „äh, echt jetzt Alter“ gebrummt hatten, nee, also spult zurück, solch einen Wortschatz hatten wir erst später, also, nachdem wir die letzte Silbe von „guten Morgen“ aus uns herausgepresst hatten, so was wie „ggggnnn“ und Platz genommen hatten, und sobald wir unseren Kaba/Karo umrührten, stillschweigend – und das Schweigen war wichtig - raschelte es und es wurde uns ein Teil Zeitung gereicht, meinem Bruder der Sportteil, mir der Fortsetzungsroman!!! Aber ohne Worte und ohne dass Papa auftauchte.

Könnt ihr euch noch an den Fortsetzungsroman erinnern? Er stand auf der Innenseite der ersten Zeitungsseite unten! Ich sehs vor mir. Besonders gehaltvoll war der Fortsetzungsroman nicht; wie ich erinnere gab es meistens Liebe, die zuerst Hindernisse überwinden musste; also der weibliche Part traf Mr. Right, verwarf ihn und warf sich Mr. Notright an den Hals, dann gab es eine Menge Missverständnisse und Verwicklungen und am Ende – ich bin heute noch gerührt – sie hatte ihn ja oftmals zu Unrecht beschuldigt, dies und jenes getan zu haben, konnte sie es kaum glauben, dass er ihr den Ring an den Finger steckte! Sie war Wachs in seiner Hand. Wie das Gleichgewicht in der Ehe ausgesehen haben mag? Sie, auf ewig dankbar, dass er sich zu ihr herabgelassen hat. Blümchenliteratur eben. Und manchmal gab es auch Dachbodenfunde oder dunkle Geheimnisse auf einem Herrengut. Sobald ein Koffer auftauchte, war klar, dass darin Briefe waren ... werft alte Koffer nicht weg, da ist IMMER ein Briefwechsel drin und führt euch zu einem Cottage, das bald euch gehört. Aber klaro, eben nur, wenn ihr den Koffer nicht weggetan habt.

Herrlich! Wir konnte aus mir eine Leserin werden, die den anspruchsvollen Roman vorzieht? Ich bin sowohl durch meine Oma wie auch den Fortsetzungsroman ausgiebig mit schlechter Lektüre gefüttert worden. Hat nicht geschadet. Jedenfalls dann nicht, wenn man in der Schule lernt, wie man den schlechten Stil vom guten unterscheidet. Der Fortsetzungsroman hatte in unserer schnelllebigen Zeit keinen Bestand. Er ist begraben. Ebenfalls stillschweigend. Heute liest man anders. Wenn man denn liest.

Ich lese gerade
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auf dem E-Reader. Schneller und bequemer kommt man nicht an neue Lektüre. Aber ich bezweifele, dass meine Kinder sich daran erinnern werden, wie ich ihnen am Frühstückstisch ein Stück Ebook überreichte. Stillschweigend. Denn etwas Stille am Tag ist wichtig. Besonders am Morgen. Wie bringt ihr eure Familie dazu, auch mal die Klappe zu halten?
Wie bereitet ihr euch auf den Tag vor? Mit Blümchenliteratur? Welche nostalgischen Gedanken habe ich in euch geweckt? Braucht ihr es manchmal ruhig? Dudelt das Radio im Hintergrund? (Macht es aus, ihr könnt sonst eure eigenen Gedanken nicht mehr hören. Falls ihr welche habt).

Eure Donnerstagswanda wünscht schon mal Frohe Ostern!
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Welch schöner Einstieg ist deine Plauderei in den DonnersTAG:)

Zeitung gab es bei uns immer, hat mich aber nie interessiert. Auch der FSR nicht. Du sagst, er ist tot. Aber noch nicht so lange. Vor ein paar Jahren (2 oder 3) gab es ihn in der hiesigen Lokalpresse noch. Und gar nicht so seicht. Sie hatten zum Beispiel mal
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Mir waren die Abschnitte aber immer zu kurz. Da verliert man den Faden. Reichte nur zum Reinlesen und dann aus der Bücherei holen.

Bei uns startet der Tag meist genüsslich und ruhig, was ein Luxus ist. In Ruhe frühstücken, Zeitung lesen (heute interessiert sie mich;)). Bisschen WR chatten. Die Kinder sind ja schon ausgeflogen.

Danach geht es dann los. Richtig gelesen wird am Vormittag selten. Da müsste das Buch schon enorm Zugkraft haben...
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Ich erinnere mich noch an ein oder zwei Fortsetzungsromane, die ich als Kind begeistert verfolgt habe. Allerdings nicht in der Tageszeitung, sondern in der Fernsehzeitung. So ca. 1970 gab es in der "Hörzu" einen solchen Roman mit dem Titel "Komödie für Kim". Den habe ich sehr interessiert gelesen und erinnere mich noch, dass die schöne, junge Kim schon in einer der allerersten Folgen tödlich verunglückte (ich war erschüttert) und ihre Freundin, mit dem ungewöhnlichen Namen Thekla, ihre Identität übernahm. War recht spannend und, da z.T. in Südfrankreich spielte, für mich damals auch schön exotisch.
In der "Hörzu" gab es noch andere Fortsetzungsromane, die ich alle las. Aber ich weiß die Titel nicht mehr. Habe eben mal gegoogelt, es gab einen mit einem Helden namens "Sigi Held", aber Google spuckt nichts dazu aus ...

Später habe ich im "Stern", den mein damaliger Freund abonniert hatte, "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" verfolgt und einen Stephen King, ich glaube, es war "Friedhof der Kuscheltiere".
Was die Tageszeitung angeht, hat in den 90ern die hiesige Zeitung - die las ich damals immerhin - eine gekürzte Fassung von Werfels "Die vierzig Tage des Musa Dagh" gebracht. Das fand ich sehr spannend und habe mir das Buch gekauft, weil ich mit der Häppchenlektüre nicht klarkam. Einen ernsthaften Roman kann ich in dieser Form nicht lesen, diese winzigen Leseportionen sind nichts für mich - als ob man mit Bärenhunger in ein Lokal käme und kriegt dann alle fünf Minuten einen Salzstengel gereicht.

Frühstücksritual - meine Mama hat uns Haferflockenbrei gekocht, damit wir morgens eine warme Mahlzeit hatten.
Mit Zimt und Zucker. Lecker!
Als mein Papa frisch verwitwet war, er war schon fast 80, hat er mal versucht, sich selbst so einen Haferbrei zu kochen, und nahm aus Versehen Muskatnuss statt Zimt. Gar nicht lecker.
Wenn Gott richtig grausam sein will, nimmt er einem alten Mann die Frau ...
Mein heutiges Frühstücksritual: Kaffee und ein Buch. Meistens kein leserundenbuch, sondern eines, das nicht viel Aufmerksamkeit verlangt. Ein richtig spannendes Buch will ich zum Frühstück nicht, sonst komme ich gar nicht mehr in die Gänge.
 
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