Vierter Leseabschnitt: Seite 227 - 302

Literaturhexle

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Hier diskutieren wir über den vierten Leseabschnitt von Seite 227 bis 302 (Anfang des Zweiten Teiles bis Kapitel LXX)
 

Renie

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Der Reverend hat es in sich. Er weiß, was uns im Jenseits erwartet. Verblüffend, dass er als aufrechter Geistlicher für die Abteilung "Hölle" vorgesehen ist.
Dieses ganze Szenario "jüngstes Gericht" hat mich irgendwie gestört. Das war mir ein wenig zu dick aufgetragen: zu plakativ und drastisch. Der "Himmel" war mir zu paradiesisch dargestellt - hatte was von Zuckerwatte. Die "Hölle" war mir zu infernalisch - hatte was von Breughel.

Eine Frage an euch: Mir ist das mit Willie und der Liane nicht ganz klar. Die Liane will ihn festhalten? Aber warum?
 

Sassenach123

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@Renie
Was die Liane angeht, bin ich mir auch nicht sicher. Aber Kinder scheinen in dieser Zwischenwelt nichts zu suchen zu haben. Es wird von einem anderen Mädchen berichtet, dass auch mit Ranken verwachsen ist. Bislang hatte ich aber den Eindruck, dass alle anderen Zwischenweltler auch der Meinung sind, Willie gehöre dort nicht hin, sie versuchen aber die Ranken zu entfernen. Wie du siehst, ich bin genauso ratlos....
 

Renie

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@Renie
Was die Liane angeht, bin ich mir auch nicht sicher. Aber Kinder scheinen in dieser Zwischenwelt nichts zu suchen zu haben. Es wird von einem anderen Mädchen berichtet, dass auch mit Ranken verwachsen ist. Bislang hatte ich aber den Eindruck, dass alle anderen Zwischenweltler auch der Meinung sind, Willie gehöre dort nicht hin, sie versuchen aber die Ranken zu entfernen. Wie du siehst, ich bin genauso ratlos....
Dann bin ich beruhigt ;) Mal lesen, was die anderen meinen.
 

Querleserin

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30. Dezember 2015
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Wadern
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Ich hatte die Frage zu den Ranken auch schon im letzten Abschnitt gestellt. Ein Erklärungsversuch:
Kinder in ihrer Unschuld sollten eigentlich direkt weitergehen, wie ihr richtig sagt, sind sie nicht für diese Zwischenwelt vorgesehen.
Bleiben sie trotzdem, weigern sich also weiterzugehen, wie Willie, der auf seinen Vater wartet, kommt es zur Katastrophe.
Ganz zu Beginn gibt es ein Beispiel (S.50), die kleine Traynor, sie ist im Zaun gefangen, ein Teil davon und sie hat ihre Sprache fast verlernt. Auf sie wird auch wieder verwiesen, als die Ranken beginnen zu wachsen:
"Falls der Fall von Miss Traynor irgendwelche Rückschlüsse zuließ, so würden auf diese Ranke bald diverse weitere folgen, bis der Junge (wie Gulliver!) vollkommen am Dach festgezurrt war." (142)
Die Verpanzerung entfernt ihn weiter vom Licht, verhindert also, dass er den Ort freiwillig verlassen kann. Die anderen erinnern sich, dass sie Miss Traynor im Stich gelassen haben, die sich nach dem ersten Panzer immer wieder verwandelt.
Es scheint so, als müssten Kinder weitergehen, tun sie es nicht, werden sie im Zwischenreich festgehalten...warum?
Das weiß ich auch nicht ;)

Die Vorstellung des Reverend von Himmel und Hölle kann auch von seinen eigenen Religionsvorstellungen geprägt sein. Vielleicht würde diese bei einer anderen Person auch anders aussehen. Die Frage bleibt, warum er für die Hölle vorgesehen ist.
In diesem Teil werden auch der Rassismus und die Sklaverei thematisiert, die auch auf dem Friedhof vorherrschen. Wenn die schwarzen Toten aus ihrem Leben erzählen und dann von den Weißen vertrieben werden...ein Abbild der damaligen Gesellschaft.
 

Literaturhexle

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Verblüffend, dass er als aufrechter Geistlicher für die Abteilung "Hölle" vorgesehen ist.
Das ist ja bisher kaum zu glauben, bei allem, was der Reverend von sich erzählt, war er doch ein anständiger Gottesdiener.

Entweder seine Phantasie ist mit ihm durchgegangen (was er aber in seinen Überlegungen ausschließt) oder er hat die Haltung der Wächter aus reiner Angst überinterpretiert. Ich bin zuversichtlich, dass wir noch eine Auflösung bekommen.
Die Vorstellung des Reverend von Himmel und Hölle kann auch von seinen eigenen Religionsvorstellungen geprägt sein.
Das meinte ich auch, als ich mutmaßte, seine Phantasie sei mit ihm durchgegangen. Diese Szene ist einfach ZU plakativ ;)

Zu der Liane habe ich keine weiteren Ideen. Kinder gehören nicht in den Bardo. War nicht anfangs auch von faulem Zwiebelgeruch die Rede in Bezug auf Kinder?

Erneut haben mich die unterschiedlichsten Aussagen in Bezug auf Abe Lincoln fasziniert. Es gibt die eine Wahrheit eben nicht.

Schwarz und Weiß ist ein weiteres Thema der Amerikanischen Geschichte. Ich könnte mir vorstellen, dass das noch raumgreifender wird. Die Darstellung der Stimmen aus dem Massengrab und der Erlebnisse der Schwarzen fand ich höchst eindrucksvoll. Es scheint fast, als würden die Bewohner des Bardo in Willie eine Art Heilsbringer sehen, dem sie unbedingt ihr Leben schildern müssen. Das geht über reine Langeweile weit hinaus.
 

Leseglück

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In dieser Februarnacht 1862 ist auf diesem Oak Hill Friedhof ja ganz schön was los! Ich bin weiter berührt und auch amüsiert bei der Lektüre.

Amüsant fand ich z.B. den armen Professor, dessen genialer Beitrag zur Wissenschaft niemand anerkannt hat, wobei er selbst inzwischen nicht mehr sagen kann, um welches Thema es da ging. Gott sei Dank bekommt er Anerkennung von einem Essiggurkenhersteller. Als Ausgleich versichert der Professor diesem Fabrikanten wiederum, dass seine Gurken die Besten waren...
Hier musste ich über die menschlichen Eitelkeiten schmunzeln...

Anderseits gehen mir die Botschaften vieler anderer Geister schon sehr nah, besonders die von den Sklaven. Wie schrecklich, dass sie auch im Bardo mit ihren Klagen kein Gehör finden...

Warum genau wollen alle Geister ihre Botschaft Willi zu Gehör bringen? Sie haben Hoffnung, dass Willi bald wieder ins Diesseits darf (er wurde ja von seinem Vater umarmt und wie ein Lebendiger behandelt).Dort soll er dann ihre Botschaft weiterreichen an die Lebenden.

Bei der Beschreibung von Lincoln widersprechen sich die Quellen wieder, so wie bei der Beschreibung des Empfangs im Weißen Haus.
Originell wie der Autor die sich widersprechenden Quellen einfach unkommentiert so nacheinander auflistet.

Während es von dem öffentlichen Lincoln verschiedene Ansichten gibt, ist doch die Trauer des privaten Lincoln in dem Roman eindeutig beschrieben. Zu der Trauer um den kleinen Sohn gibt es nur eine Geschichte.

Die Erlebnisse des Reverend im Totenreich fand ich ein bisschen gruselig, sowohl die Vorstellungen vom Himmel als natürlich auch die von der Hölle...da kann man ja nur hoffen, dass das alles Phantasie ist!
 

Renie

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Erneut haben mich die unterschiedlichsten Aussagen in Bezug auf Abe Lincoln fasziniert. Es gibt die eine Wahrheit eben nicht.
Das habe ich so noch nicht gesehen. Für mich waren die unterschiedlichen und sich widersprechenden Aussagen ein sich Lustigmachen über die Qualität der Wahrnehmungsgabe von Lincolns Zeitgenossen. Aber du hast Recht: die eine Wahrheit gibt es nicht. Jeder gibt das wieder, was er tatsächlich gesehen hat, zumindest glaubt, gesehen zu haben.
 

Literaturhexle

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Hier musste ich über die menschlichen Eitelkeiten schmunzeln...
Das ist genau das Besondere an diesem Buch: Dass Humor und Ernsthaftigkeit so dicht beieinander sitzen!

Auch diese drei Junggesellen, die ihre Hüte vom Himmel werfen...

Angesichts von soviel Skurrilität dürfte mir dieses Buch überhaupt nicht gefallen... Aber das Gegenteil ist der Fall!

Ich habe nun auch den vorletzten Teil gelesen und freue mich, dass unsere aufgeworfenen Fragen tatsächlich beantwortet werden :)
Aber dazu mehr im nächsten Abschnitt.