Versuchung (S. 79 - 104)

nineLE

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Allen Geschichten gleich, ist die Perspektivlosigkeit der vorkommenden Protagonisten, das kann man wohl voranstellend sagen. Allen gleich ist auch- auf welche Art auch immer- das "trotzdem Weiter durchwurschteln", muss ja, irgendwie...

In diesem Fall bessert die alleinerziehende, studierte Kunstgeschichtlerin Juliane, Ihr Arbeitslosengeld durch Putzen auf. Dies geschieht "schwarz" in der Wohnung ihrer ehemaligen, beruflich erfolgreichen Kommilitonin Wiebke, drei Kinder, Haus, Ehemann. Sie ist zuverlässig, zuverlässig, hat sich abgefunden, zumindest aber arrangiert mit den Gegebenheiten. Sie findet Briefe in der Wohnung, die für Untreue der erfolgreichen Wiebke sprechen, kennt sie nicht sogar den Absender der Briefe, sieht das eine Kind diesem gar ähnlich... Eine lebhafte Vorstellung von einer Erpressung beginnt, könnte man daraus Kapital schlagen? Lässt einen das selbst nicht gleich viel besser fühlen, wenn die vermeintliche erfolgreiche, geachtete Wiebke eben doch nicht so makellos ist, wie es scheint? Wie kann man das Wissen nutzen? Soll man es nutzen? Der innere Kampf und die Gedanken Julianes, wird durch äußere Umstände beendet, sie legt die Briefe ungenutzt zurück. Ein Anruf der Jobcenteragentin bringt sie auf den Boden der Tatsachen zurück, weiter im Takt...
 

Querleserin

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Ich fand sehr gut dargelegt, welchen inneren Konflikt Juliane austrägt. Die Versuchung muss sehr groß sein Wiebkes scheinbar perfektes Leben zu zerstören und / Oder Kapital daraus zu schlagen.
Der Wendepunkt ist einerseits der Anruf vom Jobcenter, andererseits die Doppeldeutigkeit der Abkürzung O.G., denn es gibt zwei Männer, die im Atelierhaus wohnen und deren Anfangsbuchstaben so lauten. Daraufhin wägt Juliane meines Erachtens ab und bedenkt, welche Folgen eine Fehler für sie und ihre Tochter haben könnte.
[zitat]Die größte Verantwortung, die ein Kind mit sich bringt, ist die Verantwortung, von nun an das Richtige zu tun. Sonja ist das Fragezeichen vor und hinter jeder Entscheidung. [/zitat]
Danach entschließt sie sich ihre Eltern um Hilfe zu bitten und die Briefe zurückzulegen.
Wie habt ihr den Lokalbericht am Ende gesehen? Für mich kommt das sehr plötzlich. Juliane hat den Täter wohl gesehen...
Ist es ein Beispiel für eine falsche Entscheidung? Ihre Chance den Täter zu identifizieren? Irgendwie passt das für mich nicht so ganz zur Geschichte, die ich ansonsten sehr gut gefunden habe.
 

Literaturhexle

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Wie habt ihr den Lokalbericht am Ende gesehen?
Ich empfand ihn als stimmig. Die Jobvermittlerin wollte ja auch mit Juliane über ihre "berufliche Zukunft" sprechen. Dabei herausgekommen ist nichts, was einen Menschen am Rand der Gesellschaft schon ärgern kann. Da werden Hoffnungen generiert, die dann aber nicht konkret werden und sich zerschlagen.
Ist es ein Beispiel für eine falsche Entscheidung?
Bestimmt. Alleine, dass die Frau Kinder hat und in Lebensgefahr schwebt, zeigt das an. Sie hat ja nur ihren Job gemacht.
Mir hat auch diese Geschichte sehr gut gefallen. Wenn man arm ist, sich vieles nicht leisten kann, ist die Versuchung etwas Unrechtes zu tun, viel größer. Da kann Recht und Unrecht schon mal verschwimmen... Das finde ich sehr gut dargelegt in den Gedankenströmen der Protagonistin.
 

MRO1975

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Wie habt ihr den Lokalbericht am Ende gesehen? Für mich kommt das sehr plötzlich. Juliane hat den Täter wohl gesehen...
Ist es ein Beispiel für eine falsche Entscheidung? Ihre Chance den Täter zu identifizieren? Irgendwie passt das für mich nicht so ganz zur Geschichte, die ich ansonsten sehr gut gefunden habe.
Das verbindende Element war hier offensichtlich dieses „Wir müssen über ihre berufliche Zukunft sprechen“. Da kann einem schon die Galle hochkommen. Da werden viele Worte gemacht, aber konkrete Hilfe kommt meist nicht. Am Ende bleibt es doch dabei, dass wer die richtige Ausbildung hat, auch ohne Jobcenter einen Job findet und die anderen werden nur verwaltet, sollen Bewerbungstraining machen und finden dann doch wieder nichts. Ist schon frustrierend.
 

SuPro

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Wie habt ihr den Lokalbericht am Ende gesehen?
...genial fand ich dieses abrupte und nicht zu vorhersehende Ende. Gerade als sich Juliane entschlossen hat, wie bisher, ohne BERUFLICHE PERSPEKTIVE, weiterzumachen - ALG II, schwarz putzen, von den Eltern Geld leihen, vor dem Vater als Looser dastehen - wird ihre Arbeitsvermittlerin brutal umgebracht, weil sie sich mit denen, die kaum BERUFLICHE PERSPEKTIVE haben, über deren berufliche Zukunft unterhalten will.
Bravourös! Dieser aufgezeigte Gegensatz schlägt doch ein wie ein satirischer Paukenschlag. Mit dieser Überspitzung und Übertreibung verdeutlicht sie Ironie und Hoffnungslosigkeit für manche (sicher nicht alle!) dieser Menschen, die von ALG II leben. Sie zeigt aber auch auf, dass man sich besser überlegen sollte, was man sagt. Noch unempathischer, distanzierter, gleichgültiger und gedankenloser als dieses „Unterhalten wir uns über ihre berufliche Zukunft“ geht’s ja wohl kaum!
 

SuPro

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was einen Menschen am Rand der Gesellschaft schon ärgern kann
...ich glaube, das Ärgerliche daran ist auch dieses überheblich distanziere, ironische und naive „Sprechen wir über Ihre berufliche Zukunft“ - Ironie tropft aus dieser Aussage und würde die Vermittlerin sich Euch nur 2 Sekunden in die Lage ihrer Klienten versetzen, würde sie sich anders ausdrücken... über eine berufliche Zukunft unterhalte ich mich mit jemandem, der ziemlich sicher eine hat... mit jemanden, der wahrscheinlich erstmal keine hat bzw. der noch viele Hürden wird nehmen müssen unterhalte ich mich über realistische Möglichkeiten und nächste Schritte...
 

Literaturhexle

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...ich glaube, das Ärgerliche daran ist auch dieses überheblich distanziere, ironische und naive „Sprechen wir über Ihre berufliche Zukunft“ - Ironie tropft aus dieser Aussage und würde die Vermittlerin sich Euch nur 2 Sekunden in die Lage ihrer Klienten versetzen, würde sie sich anders ausdrücken... über eine berufliche Zukunft unterhalte ich mich mit jemandem, der ziemlich sicher eine hat... mit jemanden, der wahrscheinlich erstmal keine hat bzw. der noch viele Hürden wird nehmen müssen unterhalte ich mich über realistische Möglichkeiten und nächste Schritte...
Ja. Das hast du sehr gut in Worte gekleidet. Die gute Frau wirkt alleine durch diesen unpassenden Satz als reine Verwalterin der Arbeitsagentur, die sich einen Kehricht für den Einzelnen interessiert.
 

SuPro

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Wenn man arm ist, sich vieles nicht leisten kann, ist die Versuchung etwas Unrechtes zu tun, viel größer. Da kann Recht und Unrecht schon mal verschwimmen...
...wahrscheinlich ist das so, wobei Neid in allen Gesellschaftsschichten vorkommt und auch ausagiert wird... vllt. subtiler...und hier wird so wunderbar gezeigt, dass man Versuchungen nachgeben, aber eben auch widerstehen kann.
 

SuPro

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Da kann Recht und Unrecht schon mal verschwimmen... Das finde ich sehr gut dargelegt in den Gedankenströmen der Protagonistin.
... dieses gedankliche Verschwimmen von Recht und Unrecht - dieser Widerstreit von ICH und ÜBER-ICH - ist einfach nur menschlich; völlig gesellschaftsunabhängig. Möglicherweise und wahrscheinlich gewinnt in den unteren Gesellschaftsschichten das ICH diesen Kampf eher...aber dass das nicht so sein MUSS wird hier wunderschön gezeigt!
 
G

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Gast
Ich fand sehr gut dargelegt, welchen inneren Konflikt Juliane austrägt. Die Versuchung muss sehr groß sein Wiebkes scheinbar perfektes Leben zu zerstören und / Oder Kapital daraus zu schlagen.
Der Wendepunkt ist einerseits der Anruf vom Jobcenter, andererseits die Doppeldeutigkeit der Abkürzung O.G., denn es gibt zwei Männer, die im Atelierhaus wohnen und deren Anfangsbuchstaben so lauten. Daraufhin wägt Juliane meines Erachtens ab und bedenkt, welche Folgen eine Fehler für sie und ihre Tochter haben könnte.
[zitat]Die größte Verantwortung, die ein Kind mit sich bringt, ist die Verantwortung, von nun an das Richtige zu tun. Sonja ist das Fragezeichen vor und hinter jeder Entscheidung. [/zitat]
Danach entschließt sie sich ihre Eltern um Hilfe zu bitten und die Briefe zurückzulegen.
Wie habt ihr den Lokalbericht am Ende gesehen? Für mich kommt das sehr plötzlich. Juliane hat den Täter wohl gesehen...
Ist es ein Beispiel für eine falsche Entscheidung? Ihre Chance den Täter zu identifizieren? Irgendwie passt das für mich nicht so ganz zur Geschichte, die ich ansonsten sehr gut gefunden habe.
Diese Kurzgeschichte hat mich wieder erreicht. Aber auch hier ist wieder jemand, der sich arrangiert. Juliane ist arbeitslos, versucht aber Wege zu finden, ihre Situation zu verbessern. Wird mit einer Chance konfrontiert mehr Geld zu machen, beschließt wegen einer Unsicherheit, diese sausen zu lassen. Und am Ende ein Schock durch die Gewalttat an der Arbeitsamt-Mitarbeiterin.
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
...wahrscheinlich ist das so, wobei Neid in allen Gesellschaftsschichten vorkommt und auch ausagiert wird... vllt. subtiler...und hier wird so wunderbar gezeigt, dass man Versuchungen nachgeben, aber eben auch widerstehen kann.
Hier stimme ich dir wieder einmal zu. :) Bei den ärmeren Schichten ist der Druck zu gewissen kriminellen Entscheidungen die treibende Kraft. Bei reicheren Schichten ist es vielleicht eher die Lust am kriminellen Tatendrang.
 
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