Sechster Leseabschnitt: Seite 372 - 445

Literaturhexle

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Hier diskutieren wir über den Sechsten Leseabschnitt von Seite 372 bis 445 (Kapitel CVIII oder Ende des Zweiten Teils sowie des Romans)
 

Querleserin

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Wadern
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Ein gelungenes Ende - eigentlich fast ein Happy End. Willie entscheidet sich den Bardo zu verlassen, da ihn die Erkenntnis ereilt, dass er tot ist. Das wollen die anderen gar nicht hören...
Für Lincoln ist es eine Befreiung als der Junge geht, erst dann kann auch er die Kapelle verlassen. Auch Mr Beavins und Mr Vollmann entschließen sich endlich der Tatsache ins Auge zu sehen, dass sie nicht wieder ins Leben zurückkehren können.
Mir hat gut gefallen, dass kurz vor ihrer Materienlichtblüte ihre Erscheinungsform die Gestalt annimmt, die sie hätten sein können. Glücklich auch, dass sie Miss Traynor befreien!
Der Schluss ist dagegen politisch, dass der Schwarze Thomas Havens Lincoln begleitet und so die Rechte der Schwarzen untermauert, hat mich beeindruckt. Ein starkes Ende und ein wirklich außergewöhnlicher Roman.
Eine Frage bleibt: Warum hat er die Figuren in der Vergangenheit reden lassen? Warum nicht im Präsens? Oder gliche der Roman dann zu sehr einem Theaterstück? So bleibt immer eine Distanz und die Figuren geben ja auch teilweise wieder, was andere sagen...Am Anfang hat mich das etwas befremdet, irgendwann habe ich mich daran gewöhnt. Die Wirkung wäre noch unmittelbarer.
@Leseglück: Wie wirkt das im englischen Original?
 

Leseglück

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Mir hat auch sehr gut gefallen, dass die Leben von Hans Vollman, roger bevins und Anderen im Bardo sozusagen zu Ende gelebt wurden. Sie nahmen die Gestalten an, die sie - wären sie nicht zu früh gestorben - noch hätten annehmen können. Das ist das schöne an Literatur: hier ist alles möglich...selbst die irgendwie zu früh gestorbenen können ihr Leben weiterleben - zumindest in der Vorstellung, denn: " None of that ever was, he said,. And it never will be."

Am Ende begleitet der Geist eines Sklaven den Präsidenten aus dem Bardo. Er sitzt ganz in Lincoln drin, verschmilzt mit ihm.
Das wirkt auf mich auch wie eine politische Aussage @Querleserin . Lincoln wird immer der Präsident bleiben, der für die Sklavenbefreiung steht (und dafür sogar ermordet wurde).
Ich hätte noch eine weitergehende Interpretation: Der Geist eines Sklaven im amerikanischen Präsidenten: könnte das nicht als Sinnbild dafür gesehen werden, dass sich zum ersten Mal ein Präsident der Schuld, die durch die Sklaverei auf Amerika lastet, angenommen hat und dass ab jetzt alle künftigen Präsidenten die noch zu lösende Rassenfrage in sich tragen sollten.
Lincoln wird in dem Roman sehr positiv dargestellt (trotz einzelner Quellen, die gegenteiliges Aussagen). Er wird als ein Mensch gezeigt, der liebt. Nicht nur seinen Sohn. Er hat auch tiefes Mitgefühl mit den Soldaten im Bürgerkrieg. Irgendwie ein Gegenbild zu Donald Trump finde ich.

Wie wirkt das im englischen Original?
Ich fand es irgendwie ganz natürlich, dass alles im past perfekt geschildert wird...die Geister erzählen von etwas das abgeschlossen ist, davon was in dieser Nacht geschehen ist (Obwohl das ja gar nicht sein kann, denn die meisten Geister sind ja danach ins Jenseits gegangen...) Eigentlich ganz interessant über die Zeitform nachzudenken.
Es stimmt schon, die ganze Geschichte bekommt so eine Patina...irgendwie wird alles noch weiter in die Vergangenheit gerückt.

So bleibt immer eine Distanz und die Figuren geben ja auch teilweise wieder, was andere sagen.
Die Figuren können "räumlich" ineinander kriechen, ihre Grenzen sind nicht so ganz klar wie bei den Lebenden. Wenn also einer erzählt, was der Andere gesagt hat, so fließt alles schön ineinander - wie bei einem Chor
 

Literaturhexle

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Danke @Leseglück!
Durch deine umfassenden, klaren Beiträge fühle ich mich immer auch etwas erleuchtet:)
Ich würde mich deiner Interpretation anschließen. Das muss schon so gelesen werden. Bestimmt auch ein Grund für den Booker Preis!
 
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