Rezension (5/5*) zu Zweckfreie Kuchenanwendungen: Roman von Yeoh Jo-Ann

RuLeka

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30. Januar 2018
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Buchinformationen und Rezensionen zu Zweckfreie Kuchenanwendungen: Roman von Yeoh Jo-Ann
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Noch ein Geheimtipp


Auf meiner literarischen Landkarte ist Singapur ein weißer Fleck.
Singapur - ist das nicht jener hochentwickelte Stadtstaat in Asien, der aufgrund seiner florierenden Wirtschaft, seiner guten Versorgung im Bereich von Bildung und Gesundheitswesen und seiner niedrigen Kriminalitätsrate eine der attraktivsten Gegenden ist? Allerdings werden dort auch relativ harmlose Vergehen sanktioniert, z.T. mit drakonischen Strafen.
Einen nicht geschönten Einblick in den Alltag dieser Metropole erhält man mit dem ersten Roman der aus Singapur stammenden Autorin Yeoh Jo- Ann.
Der Protagonist Sukhin ist ein 35jähriger Lehrer für englische Literatur an einem College. Der Beruf macht ihm wenig Freude und mit den Jahren hat er sich zu einem richtigen Sonderling entwickelt, der den Lärm nicht mehr erträgt, seine Kollegen meidet, ab und zu bei seinen Eltern vorbeischaut, aber am liebsten allein mit seinen Büchern ist.
Einzig sein homosexueller Kollege Dennis lässt sich von Sukhins Sozialphobie nicht abschrecken, sondern versucht ihn mit seiner beständigen guten Laune aus seinem Trott herauszureißen .
Den Eltern gefällt es garnicht, dass ihr einziger Sohn noch immer unverheiratet durchs Leben geht. Deshalb versuchen sie ihn immer wieder zu verkuppeln. Doch als Sukhin bei einem Treffen mit so einer potentiellen Heiratskandidatin mitbekommt, dass die junge Frau keine Kuchen mag, ergreift er die Flucht. Völlig unvorstellbar für ihn, mit einem Menschen zusammenzuleben, der nicht der Süße von Kuchen verfallen ist.
Eines Tages stolpert Sukhin über die Kartonbehausung einer obdachlosen Frau. Sein Schreck darüber wird noch größer, als er feststellt, dass er die Frau kennt. Sie ist Jinn, mit der er seit Schulzeiten jahrelang liiert war und deren Verschwinden er immer noch nicht überwunden hat. Was war geschehen, dass die Tochter aus reichem Hause nun als Obdachlose lebt ? Hatte sie doch bei ihrer letzten Begegnung noch einen lukrativen Job bei einer Eventagentur, die „Partys für sehr gelangweilte, sehr reiche Leute“ organisierte.
Sukhin bringt anfangs nicht den Mut auf, ihr diese Frage zu stellen. „ Wo ist das Handbuch für Idioten, das erklärt, wie man die Frau, die man einmal geliebt hat, fragt, warum sie in einer Seitengasse unter einem Haufen von Kartons haust?“
Doch Sukhin kümmert sich um seine frühere Freundin, versorgt sie mit selbstgebackenem Kuchen und anderem Essen. Und er bekommt durch sie einen Einblick in eine ihm unbekannte Welt. Gemeinsam mit ihr und anderen Gleichgesinnten wird er zu einem Lebensmittel- Retter, der in Mülltonnen nach Essen fischt und daraus Gratis- Essen zubereitet für Obdachlose und Arme.
Und er erfährt, dass Jinn freiwillig dieses Leben gewählt hat, eines jenseits von Konsum und Gier.
Diese Treffen führen zu einer vorsichtigen Wieder- Annäherung der beiden, auch wenn dabei einige Missverständnisse überwunden werden müssen. Und der Misanthrop Sukhin findet zurück ins Leben.
Nicht nur der Titel des Romans ist außergewöhnlich, sondern das ganze Buch. Es ist in einem locker - leichten Ton geschrieben, liest sich, auch durch den immer wieder hervorblitzenden Humor und die pointierten Dialoge, sehr unterhaltsam. Doch davon darf man sich nicht täuschen lassen. Verhandelt die Autorin doch das große Thema nach einem sinnerfüllten Leben. Auch übt sie offen Gesellschaftskritik und spricht Probleme an, die nicht zur sauber glänzenden Kulisse Singapurs passen.
Die Figuren, obwohl meist leicht skurril, wirken glaubwürdig und lebendig und werden von der Autorin mit sehr viel Empathie gezeichnet. Sukhins Marotten sind eher liebenswert und verständlich. Im Laufe der Erzählung wächst er einem immer mehr ans Herz. Auch kann der Leser Jinns radikale Entscheidung nachvollziehen.
Sprachlich ist der Roman äußerst abwechslungsreich. Mal leicht und witzig, dann wieder melancholisch und nachdenklich. Gerade in den kursiv gesetzten Zwischentexten zeigt sich die Autorin von ihrer poetischen Seite. Diese Abschnitte geben zu Anfang Rätsel auf, ihr Sinn erschließt sich erst gegen Schluss . Es empfiehlt sich deshalb, sie dann ein zweites Mal zu lesen.
Ganz nebenbei erfährt man als Leser einiges über das Leben und die Kultur Singapurs und Essen spielt im Buch eine sehr große Rolle.
Ein großartiger Roman, der ohne jeglichen Kitsch eine ungewöhnliche Liebesgeschichte erzählt, eine Hauptfigur, die eine glaubwürdige Entwicklung durchläuft, eine rätselhafte Geschichte, die bis zum Schluss seine Spannung hält. Dazu einige kluge Sätze, wie „ Aber wenn wir nicht versuchen, bessere Menschen zu werden, fangen wir an, schlechtere Menschen zu werden.“
Schon allein, dass Yeoh Jo - Ann solch brisante Themen wie Obdachlosigkeit, Armut und Homosexualität, die es nach offizieller Lesart in Singapur garnicht gibt bzw. unter Strafe stehen, in ihrem Roman anspricht, ist mutig und lobenswert. Das dürfte neben ihrem literarischen Können auch verantwortlich sein für den großen Erfolg dort. Die Autorin erhielt für „ Zweckfreie Kuchenanwendungen“ den wichtigsten Literaturpreis ihrer Heimat.
Positiv hervorzuheben ist die feine Aufmachung, mit der der Kröner- Verlag das Buch ausgestattet hat.
Dem Roman ist zu wünschen, dass sich der Geheimtipp schnell rumspricht.