Rezension (5/5*) zu Zweckfreie Kuchenanwendungen: Roman von Yeoh Jo-Ann

Emswashed

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9. Mai 2020
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Buchinformationen und Rezensionen zu Zweckfreie Kuchenanwendungen: Roman von Yeoh Jo-Ann
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Ein Karton voll Singapur

Nicht nur der Titel weckt Neugier, auch die Finger streichen voller Vorfreude immer wieder über den erhabenen Zuckerguss, der die regenbogenfarbene Torte des Covers ziert. Aber der Kröner Verlag lässt sich auch unter dem Schutzumschlag nicht lumpen, prägte kurzerhand alles noch einmal zweifarbig auf den Deckel und (ich liebe sowas) fügte noch eine Karte Singapurs auf den Innenseiten hinzu.

Wie bedeutungsschwer die Farbgestaltung ist, erfährt man dann im Buch.
Denn zunächst sind es die köstlichen Kuchen, die Sukhin, 35, im Schuldienst tätig, das Leben als Single erträglich machen. Seine leicht autistischen Züge erschweren ihm zwar den Kontakt zu seinen Kollegen, seine Vorliebe fürs Alleinsein, macht ihn aber zum fürsorglichen Sohn, der regelmäßig die Kartonsammlung seiner Eltern abstaubt. Und da wirds dann auch schon schräg. Nicht nur, dass Sukhin potentielle Partnerinnen nach ihrer Vorliebe für Kuchen beurteilt, auch seine Eltern sortieren ihre Kartons sorgfältig nach Benutzbarkeit und Schönheit. Sie wegzuwerfen kommt nicht in Frage.
Keiner ist glücklich, keiner lässt los, weder die Eltern die Pappen, noch Sukhin den ungeliebten Schuldienst, für den er sich einst entschieden hat, um sich dem Berufswunsch seines Vaters zu widersetzen.
Erst als Sukhin bei Besorgungen im Chinatown-Viertel von Singapur über eine Kartonburg auf der Straße stolpert, wendet sich sein geordnetes Leben. Er kennt die Bewohnerin dieses Provisoriums aus seiner Jugend. Jung, aus gutem Hause, aber seelisch instabil, steht sie nun voller Selbstbewusstsein vor ihm. Irritiert beginnt Sukhin ungefragt Jinn zu helfen, mit Kuchen und Kartons.

Es sieht aus und schmeckt wie eine Liebesgeschichte, die wir da mit Sukhins detailverliebten aber schüchternen Versuchen, Jinns Leben auf der Straße erträglicher zu gestalten, verfolgen. Aber im Verlauf wird klar, dass es soviel mehr zu entdecken gibt, in diesem auf Leistungsstärke optimierten Land der strengen Regeln und drakonischen Strafen. Das saubere Singapur hat auch seine Schmuddelecken und Heimlichkeiten. Hier und da kann man sie erahnen und mit dem breitgefächerten Personal rund um Sukhin und Jinn, brechen sie in diesem Roman auf skurrile und witzige Weise Bahn.

Yeoh hat genau den richtigen Ton getroffen, wenn es darum geht, anzuprangern, aber nicht zu jammern, aufzuzeigen, ohne den erhobenen Zeigefinger. Die Nebenfiguren veranschaulichen gut den Gegensatz von Effizienz und Lebensfreude. Jinns Schwester verkörpert das Singapur der Hochglanzmagazine, die unzähligen Kartons in der Geschichte berichten vom Ausstieg und der Sehnsucht nach dem wahren Leben. Sukhins hartnäckiger Lehrerkollege ergänzt diese Komposition noch um Diversität, ein Thema, mit dem sich der Stadtstaat auch nicht identifizieren möchte.

Die Schwere der Themen bekommen mit diesem tollen Roman eine Leichtigkeit, die den Kopf freipustet und Platz für die eigene Kartonburg schafft.

Ich bin begeistert und möchte einfach jedem dieses Werk der zu recht ausgezeichneten Autorin an Herz legen.

 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
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Ems, das schreibe ich ab! Deine Rezension ist sowas von treffend, genial und dazu spoilerfrei :joy :thumbsup
Die Mischung aus Leichtigkeit und Tiefsinn ist gerade das Besondere an dem auch haptisch wunderschönen Buch, das man echt super verschenken kann. Toll auf den Punkt gebracht.
Chapeau!!!
 
  • Haha
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