Rezension Rezension (5/5*) zu Wo wir Kinder waren von Kati Naumann.

Bibliomarie

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10. September 2015
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Eine deutsche Familiengeschichte

Vier Generationen lang ist das Stammhaus der Puppenfabrik Langbein auch das Herz der Familie. Seit der Gründung durch Albert Langbein und seiner Frau Mine sind Puppen und Plüschtiere mehr als nur Ware. Vom kleinen Beginn an, da die Einzelteile in mühseliger Heimarbeit gefertigt und zu den Langbeins zur Montage gebracht wurden, waren Direktor und Mitarbeiter eine verschworene Gemeinschaft. Doch die Zeiten sind nicht einfach, Weltkriege und Mangelwirtschaft der DDR bis hin zur Enteignung haben die Langbeins immer wieder herausgefordert.

Bis hin in die Gegenwart, als drei Cousins, Iris, Jan und Eva das inzwischen lange leerstehende Haus ausräumen. Die drei haben sich auch nicht mehr viel zu sagen, zu unterschiedlich sind ihre Lebenswege verlaufen. Iris stammt vom Zweig der Familie ab, die gleich nach Kriegsende in den Westen gingen, ihr fehlt bis auf ein paar schöne Ferienerinnerungen die Bindung an Sonneberg, aber auch in den Generationen davor gab es immer wieder Probleme zwischen Geschwistern.

Kati Naumanns Roman ist eine großartige Familiengeschichte, warmherzig und lebendig erzählt, hat sie mich sofort in Bann gezogen. Es ist aber auch die deutsche Geschichte der letzten hundert Jahre. Heruntergebrochen auf eine kleine Stadt, eine kleine Gemeinschaft, eine Familie, aber mit den gleichen Auswirkungen. Inflation und Hunger nach dem Ersten Weltkrieg, ein mühsamer, zum Scheitern verurteilter Prozess einer neuen Staatsform und schon wehen die Fahnen mit dem Hakenkreuz auch in Sonneberg. Nach der bitteren Kriegszeit kommt die Teilung Deutschlands und damit auch die Teilung der Familie. Verstaatlichung, Enteignung, Gleichschaltung – und plötzlich die Wende.

Historie entfaltet oft im Kleinen eine besondere Wirkung, wenn man Ereignisse daran festmachen kann, was sie für einzelne Menschen bewirken. Das ist mir in diesem Roman ganz besonders bewusst geworden. Aber das ist nur der Hintergrund, im Mittelpunkt stehen die Menschen und nicht nur die Cousins der Gegenwart haben mir sehr gut gefallen, eine besondere Lieblingsfigur ist für mich Flora, die vom „Drückerkind“ zur Direktorin aufsteigt. Großherzig, liebevoll und weise lenkt sie die Geschicke der Fabrik und der Familie.

Unterhaltsam zu lesen, immer wieder mit Rückblenden in die Vergangenheit aufgelockert, ist das Buch eine wirkliche Leseempfehlung.