Der größte Teil des Lebens ist gelebt, die Tage sind gekommen, in denen die Lebensernte eingefahren wird. Vieles, was er sich vorgenommen hatte, hat er erreicht, manches, was er erreichen wollte, ist auf der Strecke geblieben. Eine Begebenheit hat in all dem Drunter und Drüber, das seinen Lebensweg so holprig machte, zeitlebens im Unterbewussten rumort. Der Vater, Küfermeister in einer südbadischen Kleinstadt, kehrt bereits im ersten Kriegsjahr schwer verwundet, kriegsuntauglich und desillusioniert zurück nach Hause. Er macht aus seiner Abneigung gegen den NS-Staat keinen Hehl. In der Werkstatt, am Wirtshaustisch sagt er, was er über Adolf Hitler und »seine Bande« denkt: »Die müssen wieder weg.« Der Ortsgruppenleiter verwarnt ihn, aber er lässt sich nicht mundtot machen und bringt mit seiner Renitenz sich und seine Familie in existenzbedrohende Schwierigkeiten und sich schließlich ins Gefängnis. Nach Kriegsende drängen auch jene wieder zur Geltung, die das Leben des Vaters beschädigt haben, der Lehrer zum Beispiel. Damit wird er nicht fertig. Er hält sich nun mehr und mehr im Wirtshaus auf, kommt ins Saufen, zerstört die Familie. Der Sohn, der Ich-Erzähler des Romans, ist ein introvertiertes, leicht versponnenes, überängstliches Kind, das unter der Unbesonnenheit und gelegentlichen Brutalität des Vaters leidet und viele Stunden im Luftschutzkeller verbringt, auch wenn es keinen Fliegeralarm gibt. Die Großmutter tröstet ihn, wenn seine Angst vor dem Vater übermächtig wird. Oben in der Mansarde hört er, wenn der Vater betrunken nach Hause kommt und in der Küche mit Geschirr um sich wirft.Kaufen
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„Wie mein Vater Hitler den Krieg erklärte“ von Felix Schmidt ist sicherlich kein Buch, das im Regal oder auf dem Verkaufstisch einer Buchhandlung ins Auge springt. Das Cover ist mit seinem Landschaftsmotiv in gedeckten Grüntönen dezent zurückhaltend. Der Titel, in weißer Schrift vor einem Himmel mit düsteren Regenwolken, unauffällig. Fast möchte man meinen, dass dieser Roman sich vor der Aufmerksamkeit scheut, die ihm gebührt.
Und dieser Roman hat ganz viel Aufmerksamkeit verdient, soviel ist sicher.
Felix Schmidt hat mit „Wie mein Vater Hitler den Krieg erklärt“ einen Roman mit autobiografischen Zügen geschrieben.
Der namenlose Ich-Erzähler ist zu Beginn ein Journalist in den 80ern, der sich an seine Kindheit in den Kriegsjahren und der Nachkriegszeit erinnert, die er in einer Kleinstadt in Südbaden verbracht hat.
Sein Vater, Küfermeister der Stadt und derjenige, der Hitler den Krieg erklärte – war kein einfacher Mensch. Mit Beginn des 2. Weltkrieges ging er an die Front und kehrte nach kurzer Zeit verwundet und kriegsuntauglich wieder zurück. Von da an ging er auf Konfrontationskurs mit den örtlichen Nationalsozialisten und hielt mit seiner Abneigung gegenüber Hitlers Ideologie nicht hinter dem Berg, ungeachtet der Konsequenzen für sich und seine Familie. Der Mann war ein Sturkopf und rechthaberisch.
Seine Frau sowie seine beiden Söhne litten unter der Dominanz des Vaters. Insbesondere der Ich-Erzähler, der zu diesem Zeitpunkt um die 10 Jahre alt war und ein ängstliches und verschlossenes Kind, stand immer wieder im Zentrum der Aufmerksamkeit des strengen Vaters.
Wie die meisten Schulkinder der damaligen Zeit ließ sich der Junge von der Begeisterung seiner Lehrer für Hitler und den Nationalsozialismus mitreißen und hätte gern zu Hitlers Jugendbewegung dazugehört. Doch Vater ließ ihn nicht.
Vater und Sohn hatten also ein angespanntes Verhältnis. Der Vater, weil er Hitler und den Nationalsozialismus lautstark ablehnte und der Sohn, der gern dazugehört hätte, aber nicht durfte und sich für die Einstellung seines Vaters schämte.
Mit Sieg und Einmarsch der Alliierten wird das Leben in Deutschland in eine neue Richtung gelenkt. Die Nationalsozialisten sollen für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden. Doch vielen von ihnen gelingt es, nahezu unbemerkt die Seiten zu wechseln und ihre Nazi-Vergangenheit zu leugnen oder zu verharmlosen – so auch in der südbadischen Kleinstadt.
Mit dieser Ungerechtigkeit und Verlogenheit kommt der Vater nicht zurecht. Der Krieg und die Zeit danach hinterlassen Wunden, sowohl beim Vater als auch beim Sohn.
Felix Schmidt erzählt diese Geschichte auf eine sehr warmherzige Weise. Die Figuren dieses Romans sind ihm wichtig, jede auf seine Art. Er wählt seine Worte mit Bedacht, als ob er vermeiden möchte, jede noch so kleine Erinnerung an die damalige Zeit zu verlieren. Das macht mir diesen Roman und seine Figuren sehr vertraut, zumal ich mich dabei ertappe, dass ich an eigene Familienmitglieder denke, die den Krieg erlebt haben und mir als Kind viel aus dieser Zeit erzählt haben.
Daher ist dieser kleine Roman mit gerade mal ca. 150 Seiten ein, für mich, sehr persönlicher Leseschatz, den ich bewahren werde.
Ob man ihn als Roman gegen den Krieg und gegen Rechts liest, was ihn angesichts unserer heutigen Zeit, in der gerade ein Krieg in Europa stattfindet und wir in Deutschland nach wie vor mit Rechtsradikalismus konfrontiert werden, leider topaktuell macht;
oder, ob man ihn als die Geschichte eines konfliktbeladenen Vater-Sohn-Verhältnisses liest;
„Wie mein Vater Hitler den Krieg erklärte“ ist und bleibt ein Roman, der dem Leser viel zu geben hat und trotz aller Zurückhaltung bei der Umschlaggestaltung ganz viel Aufmerksamkeit verdient.
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© Renie
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