Der größte Teil des Lebens ist gelebt, die Tage sind gekommen, in denen die Lebensernte eingefahren wird. Vieles, was er sich vorgenommen hatte, hat er erreicht, manches, was er erreichen wollte, ist auf der Strecke geblieben. Eine Begebenheit hat in all dem Drunter und Drüber, das seinen Lebensweg so holprig machte, zeitlebens im Unterbewussten rumort. Der Vater, Küfermeister in einer südbadischen Kleinstadt, kehrt bereits im ersten Kriegsjahr schwer verwundet, kriegsuntauglich und desillusioniert zurück nach Hause. Er macht aus seiner Abneigung gegen den NS-Staat keinen Hehl. In der Werkstatt, am Wirtshaustisch sagt er, was er über Adolf Hitler und »seine Bande« denkt: »Die müssen wieder weg.« Der Ortsgruppenleiter verwarnt ihn, aber er lässt sich nicht mundtot machen und bringt mit seiner Renitenz sich und seine Familie in existenzbedrohende Schwierigkeiten und sich schließlich ins Gefängnis. Nach Kriegsende drängen auch jene wieder zur Geltung, die das Leben des Vaters beschädigt haben, der Lehrer zum Beispiel. Damit wird er nicht fertig. Er hält sich nun mehr und mehr im Wirtshaus auf, kommt ins Saufen, zerstört die Familie. Der Sohn, der Ich-Erzähler des Romans, ist ein introvertiertes, leicht versponnenes, überängstliches Kind, das unter der Unbesonnenheit und gelegentlichen Brutalität des Vaters leidet und viele Stunden im Luftschutzkeller verbringt, auch wenn es keinen Fliegeralarm gibt. Die Großmutter tröstet ihn, wenn seine Angst vor dem Vater übermächtig wird. Oben in der Mansarde hört er, wenn der Vater betrunken nach Hause kommt und in der Küche mit Geschirr um sich wirft.Kaufen
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„Da ist es wieder, dieses Gefühl. Es ist so betagt wie ich, es ist mein lebenslanger Begleiter. Ich kenne das alles. Es ist wie das Crescendo in der Musik, steigt langsam an, erreicht einen Höhepunkt und verebbt dann wieder. […] Es ist ein diffuses Gefühl existenzieller Bedrohung, dem man hilflos ausgeliefert ist. Es ist so, als hechle ein großer bissiger Hund ständig hinter einem her. Es ist Grauen, Lähmung und Panik in einem und kommt von tief unten aus einer Seelenschicht, in die das, was man mit dem Allerweltsbegriff Angst umschreibt, nicht hinabreicht. Es ist ein Seelengefängnis. Wie nur bin ich da hineingeraten?“ (S. 9)
Ausgehend von diesem Gefühl und dieser Frage nimmt uns Autor Felix Schmidt, der mit „Wie mein Vater Hitler den Krieg erklärte“ seinen zweiten autobiografisch-fiktionalen Roman im kleinen, aber feinen Hamburger Osburg Verlag veröffentlicht hat, mit auf eine (emotionale) Reise in seine Vergangenheit.
Dabei sind die Grenzen zwischen Wahrheit und Fiktion nicht wirklich erkennbar. Das macht (mir) aber nichts. Im Gegenteil: es zeigt, wie gut es Herrn Schmidt gelingt, „in einem Fluss“ zu schreiben – was man zwar bei einem gelernten Journalisten voraussetzen kann, jedoch nicht (das zeigt die Erfahrung) muss *g*.
In sparsamen, jedoch einfühlsamen und inhaltsschweren Worten und Sätzen reist Herr Schmidt an den Ort seiner Kindheit und erinnert sich dort u. a. an seinen tiefbraunen sprich nazitreuen Lehrer, der es schaffte, zwischen Vater und Sohn eine Kluft zu schaffen, die ein Leben lang nicht mehr zusammenwachsen sollte. Und doch ist das Buch eine Hommage an einen Vater, der widersprüchlicher nicht sein kann bzw. konnte.
Selbstkritisch reflektiert Felix Schmidt das Unverständnis seinerseits gegenüber dem Vater, der sich vehement gegen Hitler und seine todbringenden Schergen gewehrt hat – auch in der Nachkriegszeit, als viele Westen von Nazis „rein gewaschen“ wurden und alte, teils hochdotierte Posten wiederbekamen, als sei nichts gewesen. Dieses System funktioniert heutzutage leider immer noch (zu) gut…Felix Schmidt beschönigt nichts, agiert kindlich-naiv ohne Weitblick; aber woher soll man als Kind/ Jugendlicher auch diesen Blick auf die Welt hernehmen?
Einzige „Konstante“ in seinem jungen Leben war die Großmutter, die versuchte auszugleichen „[…] was die Eltern mir an Liebe nicht geben konnten.“ (S. 19). Die Bescheidenheit der Großmutter spiegelt sich auch in einem Absatz wieder, in dem Felix Schmidt in wenigen Sätzen, dafür aber voller Emotionen und Dankbarkeit, ihren Tod verschriftlicht hat. Intensiver und wertschätzender geht´s nicht.
Am Ende steht er „[…] wieder vor dem Haus, in das ich hineingeboren wurde und wo ich nach einer schweren Geburt den ersten Schrei ausstieß.“ (S. 152) und fragt sich ob „[…] von der Angst, die ich in diesem Haus ausgestanden habe, etwas zurückgeblieben [ist].“ (S. 154)
Und so endet nach knapp 160 Seiten ein Buch, das – so kurz es auch ist – durch seine Intensität der gewählten Worte mehr an Inhalt bietet als manch 600 Seiten-Roman!
Außergewöhnlich, intensiv, großartig – die Liste ließe sich beliebig verlängern.
Glasklare 5* und eine absolute Leseempfehlung! Und klarer Kandidat für die „King´s Crown Juwels 2022“!
©kingofmusic