Rezension (5/5*) zu Walter Kempowski. Eine bürgerliche Biographie. von Walter Kempowski.

Tiram

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Buchinformationen und Rezensionen zu Walter Kempowski. Eine bürgerliche Biographie. von Walter Kempowski
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Walter Kempowski ist ein


Walter Kempowski ist ein Schriftsteller, der aus meiner Heimatstadt Rostock stammt und leider 2007 mit 78 Jahren gestorben ist.
Für meine Begriffe fand er viel zu wenig Beachtung unter den deutschen Autoren. Grass, Lenz, Böll waren Namen, die immer wieder auftauchten. Kempowski wurde eher stiefmütterlich behandelt.
Aus zwei Tagebüchern von ihm habe ich ihn ja ein wenig kennengelernt; nun war ich gespannt, was Dirk Hempel über ihn berichtet, der von 1995-2005 Redakteur für Kempowskis Projekt Echolot war. (An diesem Projekt hätte ich unwahrscheinlich gerne mitgearbeitet.)

Schweriner Gefängnis des sowjetischen Geheidienstes MWD: Hier wurde Walter Kempowski tagelang verhört und gefoltert, bis er seine Mutter verriet. Mit dieser Schuld konnte er nicht leben. Es ist der 20. März 1948, als der 18-Jährige vergeblich versucht, sich das Leben zu nehmen. Nach dem zweiten vergeblichen Versuch gibt er auf und entgleitet in den folgenden Tagen in Traumwelten. Um zu überleben, rekonstruiert er die Vergangenheit. Und so nimmt das große Erinnerungswerk Kempowskis seinen Anfang.


[zitat]Die Geschichte der Rostocker Kempowskis ist ein ständiger Wechsel von Aufstieg und Niedergang, sie ist auch eine Geschichte von der Entstehung des Bürgertums aus eigener Kraft.
Die Kempowskis waren Schneider, Lehrer, "Eigengärtner" und Schiffer...[/zitat]


Am 29. April 1929, an einem Montagabend gegen 20 Uhr, wurde Walter Kempowski geboren. Er verlebte eine behütete und anregende Kindheit, die zerbrach, als Rostock Ende April 1942 von englischen Bomben zerstört wurde. Er war erschüttert: Das Steintor, die Petri- und Nikolaikirche, alles kaputt.
Schon in der Schule war er ein Außenseiter, hielt sich von Moden und Gruppenbewegungen fern.

Ende März 1945 sollte er noch mit einem Freund in die SS eingezogen werden. Doch die beiden sagten mutig, nein, sie wollen nicht.
Verhaftet wurde er trotzdem, aber da holten ihn die Russen am 8. März 1948 aus dem Bett. Er wurde zu 25 Jahren Arbeitslager nach Bautzen verurteilt. Für ihn noch ein Glück, andere wurden in die Sowjetunion deportiert, zum Teil sogar erschossen.

Über die Zeit in Bautzen schrieb er in seinem Buch Im Block - Ein Haftbericht (1969). Nach acht Jahren wurde er entlassen. Der damalige Präsident Wilhelm Pieck hatte einen Gnadenerlass verfügt.
Walter Kempowski ging in den Westen. Stationen waren hier Hamburg (hier lebte seine Mutter), wo er mit regelmäßigen Tagebucheinträgen begann, Göttingen (Abitur), Breddorf, bis er sich in Nartum Haus Kreienhoop baute. Er war als Grundschullehrer tätig.

Ende 1959 wurde ihm vom Landesverwaltungsgericht Hamburg die Unterstützung nach dem Häftlingshilfegesetz aberkannt. Er galt nun zeitlebens als Krimineller, diese Verletzung gegen ihn hat sich zu einer "faustdicken Psychose" gefestigt.

Ersten Erfolg als Schriftsteller hatte er mit Tadellöser und Wolff.

Und nun muss ich mich am Riemen reißen, bevor ich euch die ganze Lebensgeschichte von Walter Kempowski erzähle.

Wie sein Leben als Familienvater, Ehemann, Schriftsteller weiterging und vor allem, wie es zu dem riesigen Projekt Echolot kam, das lest selbst.

Dirk Hempel hat mir Walter Kempowski sehr nahe gebracht. Als Mensch, der zu Unrecht verhaftet wurde, tut er mir leid. Als Schriftsteller und Chronist bewundere ich ihn jetzt schon, obwohl ich bisher nur zwei Tagebücher von ihm gelesen habe.

Dreierlei hat Dirk Hempels Biografie bei mir bewirkt:
1. Ich möchte alle Bücher von Walter Kempowski lesen.
2. Ich habe während des Lesens schon so einige Bücher antiquarisch gekauft.
3. Und ich möchte und werde mich intensiver dem Thema Gegen das Vergessen widmen.


 
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Helmut Pöll

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9. Dezember 2013
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das kommt sofort auf meinen Sub, @Tiram , vielen Dank für Deine Rezension. Mir gefällt Walter Kempowski sehr. Er war mir auch als Person immer sehr sympathisch, ganz unaufgeregt und ohne Starallüren. Hat er nicht lange Zeit als Grundschullehrer gearbeitet?
 

Tiram

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Ja, genau, @Helmut Pöll, das hat er. Aber er hat dann aufgehört, als die Schulreformen sich immer mehr gegen seine Natur, Kindern etwas beizubringen, entwickelt haben.
Er hätte dann gerne eine Privatschule gegründet, das scheiterte dann aber an den Finanzen.

Hier gibt es auch noch ein tolles Interview mit ihm.


Ich habe noch längst nicht über alles berichtet. Es gibt in der Biografie noch so viel über ihn zu erfahren. Auch über den unhöflichen Umgang der Literaturwelt ihm gegenüber.

Zum Glück hat er zu Lebzeiten... aber das lest lieber selbst :D