Rezension (5/5*) zu Verräterkind: Roman von Sorj Chalandon

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Buchinformationen und Rezensionen zu Verräterkind von Sorj Chalandon
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Emotional und aufwühlend

Du meine Güte – was für einen Kracher hat Sorj Chalandon denn hier gezündet? Nichts Anderes als das (mein) ultimative(s) Jahreshighlight hat er mit „Verräterkind“ (aus dem Französischen übersetzt von Birgit Große, erschienen bei dtv) veröffentlicht.

Dabei stößt man (ich) bei der Lektüre der 304 Seiten öfter an seine emotionale Grenze, als einem lieb ist. Zu aufwühlend erzählt Sorj Chalandon z. B. von seinem Besuch im ehemaligen Kinderheim von Izieu, aus dem am 6. April 1944 44 jüdische Waisenkinder verschleppt und anschließend deportiert wurden – veranlasst von dem Lyoner Gestapo-Chef Klaus Barbie, dessen Prozess im Mai 1987 einen Handlungsstrang des autofiktionalen Romans darstellt.

Den anderen Prozess führt Sorj Chalandon mit bzw. gegen seinen Vater und dessen Lebenslügen. Schon als Kind wurde Sorj mit der Aussage seines Opas konfrontiert, er wäre ein „Verräterkind“. Im Lauf der Jahre erzählt der Vater dem Sohn immer neue ihn als strahlenden Helden darstellenden Geschichten. Doch dann bricht das Lügengerüst gnadenlos zusammen und es kommt zu einer tragischen Konfrontation…

Sorj Chalandon ist nicht nur Schriftsteller, sondern auch Journalist. Als „Augenzeuge“ war er tatsächlich beim Prozess gegen Klaus Barbie dabei und wurde für seine Reportage 1988 auch mit dem Albert-Londres-Preis ausgezeichnet.

In beeindruckenden Bildern und Sätzen macht Sorj Chalandon den ganzen Schmerz, die Trauer, die Wut der am Prozess beteiligten Personen für die Leserinnen und Leser sichtbar und stellt sich zwischen den Prozesstagen immer wieder den Fragen, die das Leben seines Vaters als Hochstapler und notorischen Lügner bei Sorj hervorrufen. Die zeitgleichen Prozesse haben so nie stattgefunden, aber es liest sich alles wie aus einem Guss – brillant.

Durch die enorme Emotionalität und Tragik der Geschichte lässt sich der Roman nur bedingt am Stück „genießen“; ich brauchte z. B. immer wieder Pausen, um das Gelesene verarbeiten zu können.

Trotzdem spreche ich hiermit eine absolute Leseempfehlung aus und vergebe 10 von 5* für dieses eindrucksvolle Dokument eines tragischen Kampfes zwischen Vater und Sohn, den ich keinem wünsche.

©kingofmusic


 

otegami

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17. Dezember 2021
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Super Rezi!!!! Und vor allem: sie hat mich überzeugt, dass ich das Buch unbedingt noch lesen muss! ;) (Auf meine Liste ist es schon gewandert!)
 
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