Rezension Rezension (5/5*) zu Verfall und Untergang (detebe) von Evelyn Waugh.

petraellen

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11. Oktober 2020
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Schwarzer Humor

Evelyn Waugh, geboren 1903 in Hampstead, war Maler, Lehrer, Reporter und Kunsttischler, bis er in der Schriftstellerei sein Metier fand und zu einem der wichtigsten englischen Autoren des 20. Jahrhunderts wurde. Im Krieg diente Waugh als Offizier. Waugh, der seit seiner Studienzeit eine Neigung zu dandyhafter Extravaganz pflegte, liebte es, das Publikum durch kontroverse Äußerungen zu provozieren. Er starb 1966 in Taunton, Somerset.
Quelle: Diogenes Verlag

Waughs Romane wurden mehrfach unter die wichtigsten englischen Romane des 20. Jahrhunderts gewählt. Häufige Bestandteile seiner Werke sind britischer Humor, exzentrische Figuren und zynische Kritik an einer dekadenten Gesellschaft.

„Diese Geschichte wurde vor dreiunddreißig Jahren geschrieben. Ich bot sie dem Verlag an, der mein erstes Buch in Auftrag gegeben hatte, doch er lehnte sie mit der damals wie heute seltsam anmutenden Begründung ab, sie sei unanständig.“ (S. 7)
Zitat Evelyn Waugh aus dem Vorwort

Inhalt
Paul Pennyfeather, Theologiestudent und Hauptfigur von Verfall und Untergang, ist zu nett, um die Ellbogen auszufahren. Wie sein Leben verläuft bestimmt seine Umgebung. Gleich zu Beginn gerät er ohne große Schuld in eine missliche Lage. Völlig unverschuldet wird er wegen anstößigen, unsittlichen Benehmens exmatrikuliert wird und fliegt vom Scone College in Oxford.
Sein Vormund, ein wohlhabender Rechtsanwalt, entzieht ihm aufgrund des erhobenen Vorwurfs künftige finanzielle Unterstützung und verwehrt ihm weiteres Wohnrecht.
Pauls Eltern verstarben als er noch im Grundschulalter war. Nun allein auf sich gestellt bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich Arbeit zu suchen.
Sein neuer Arbeitsplatz wird eine obskure kleine Privatschule für wohlhabende Kinder der Oberschicht in Wales, obwohl Paul keinerlei der Anforderungen für die Stelle erfüllt – was aber niemanden groß stört.
Seine Kollegen sind allesamt ebenfalls Gestalten mit einem schwarzen Fleck in ihrer Vergangenheit.
Paul bekommt die fünften Klasse zugeteilt. Seine Kollegen raten ihm einfach nur dafür Sorge zu tragen, dass die Schüler ruhig sind. Zusätzlich bekommt er die Aufgabe dem jungen Beste-Chetwynde Orgelunterricht zu geben, auch wenn er das Instrument nie angefasst hat.
Schnell wird klar, Paul ist nicht der perfekte Lehrer und wird es nie sein. Die Jungs starren ihn an und kichern respektlos. Er selbst empfindet Llanabba Castle mit seinen grotesken Bewohnern wie einen grässlichen Albtraum.
Gegen Ende des Schuljahres findet ein Sportfest statt. Die Schule besitzt zwar keine Sportausrüstung und die Schüler sind auch nicht besonders motiviert. Doch es geht nicht um Sport, sondern die reichen Eltern werden erwartet, die High Society, die sehen und gesehen werden will.
Paul lernt auf diesem Fest Beste-Chetwyndes Mutter Margot kennen, die ihn für die Ferienzeit als Tutor engagiert.

„Ich sage jetzt: Auf die Plätze! Eins, zwei, drei! dann schieße ich“, verkündete Mr. Prendergast. „Auf die Plätze, eins -“ Es gab einen fürchterlichen Knall. „Ach, du liebe Zeit! Entschuldigung!“ Aber das Rennen hatte schon begonnen. Offensichtlich würde der Sieger nicht Tangent heißen, denn der saß auf dem Rasen und heulte, weil Mr. Prendergasts Kugel ihn am Fuß getroffen hatte. (S.98f)

Paul wird auf den Landsitz der Millionärswitwe eingeladen und hier hat er die Gelegenheit die Dekadenz der Oberschicht ausgiebig zu beobachten und ins Lächerliche zu ziehen. Dabei verlieben sich beide, der Aushilfslehrer Paul und Mrs. Beste-Chetwynde, ineinander und Paul macht ihr einen Heiratsantrag.
Kurz vor der Hochzeit schickt Mrs. Beste-Chetwynde ihn nach Marseille, um dort Geschäftliches zu regeln. Doch es stellt sich heraus, dass der Wohlstand der Familie scheinbar auf unsauberen Geschäften beruht. Pauls Schicksal wendet sich mit rasendem Tempo. Er wird verhaftet und zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt.
Im Vergleich zu seiner Zeit als Lehrer im Internat oder in der High Society fühlt er sich recht wohl Gefängnis. Aber seine Ruhe ist nicht von Dauer.
Margot verkündet ihm, dass sie den Politiker Maltravers heiraten werde. Gleichzeitig stellt sie ihm in Aussicht, dass diese Heirat für ihn sich hilfreich erweisen wird. Und tatsächlich es dauert nicht lange, denn mit Verbindungen zur Oberschicht und zu Privatschulen lassen sich viele Dinge inoffiziell regeln. Pauls Ruhe ist wieder vorbei.
Doch wie geht es weiter? Schafft Paul sich aus der immerwährenden Bevormundung seiner Umgebung zu befreien?

Sprache und Stil
Drei Motive durchziehen den Roman:

• Dekadenz
• Privatschulen
• Oberschicht

Der Titel des Romans „Verfall und Untergang“ deutet nicht von ungefähr an große Reiche wie zum Beispiel Rom. Waught zeichnete die Gesellschaft in seinem Roman als Korrupt und Dekadent. War nicht der Fall Roms der Dekadenz zuzuschreiben?
Einen breiten Raum nimmt das Thema Privatschulen ein, deren Schüler verzogen, reich und unmotiviert sind. Selbst die Lehrer zeichnen sich durch Inkompetenz und auch durch wenig Motivation aus. Der einzige Vorteil einer Privatschule besteht darin, dass mit Verbindungen sich vieles regeln lässt.
Waugh nimmt auch das Thema Oberschicht aus Korn. Das illustriert er am besten durch Margot Beste-Chetwynde. Alle Attribute der Oberschicht sind in dieser Figur vereint: egozentrisch, snobistisch, wankelmütig und opportunistisch. Geld spielt keine Rolle, auch wenn es aus dubiosen Quellen stammt. Sehen und gesehen werden ist das Wichtigste.
Der Roman ist voll zynischem Witz und Ironie. Trotzdem ist Waughs Art zu provozieren nicht verletzend.
Vordergründig mit hochamüsanten Dialogen geraten Waughs Figuren, in die unglaublichsten Situationen, die mit skurrilen und absurden Begebenheiten konfrontiert werden und dann versagen oder elegant entkommen. Insbesondere die Tragik seines Protagonisten scheitert an allen Ecken. Die Charaktere sind überzogen gezeichnet, aber genau das gibt einen herrlichen Einblick in die versnobte, überdrehte, ichbezogene und oberflächliche Welt der Upperclass.
Sechs Zeichnungen des Autors sind dem Buch beigefügt und runden den Roman ab. Beispielsweise sieht man zwei biertrinkende Männer im Pub, mit Krawatte, Pfeife, Hut und Stock. Die Textzeilen unter der Illustration nehmen dann im weiteren Verlauf Bezug auf das Geschehen.

Fazit
Nicht ohne Grund nennt man Evelyn Waugh auch den Meister des schwarzen Humors. Mit gnadenlosem Spott beschreibt Waugh seine Figuren. Faszinierend!

„Name?“, fragte der Arzt.
„Pennyfeather.“
„Waren Sie jemals in einem Irrenhaus oder einer ähnlichen Einrichtung? Wenn ja, nennen Sie Einzelheiten.“
„Ich war im Scone College in Oxford“, antwortete Paul. (S.228)