Handwerker beaufsichtigen, die Wohnung einrichten, mit dem Hund die Stadt erkunden: Voller Vorfreude erwartet ein Mann die Ankunft seiner Frau in Lissabon. Während Cecilia, eine Forscherin, die Verlegung ihres wissenschaftlichen Projekts vorantreibt, organisiert er den Umzug. Das Paar, so erfahren wir aus seiner Schilderung, lässt ein Leben in New York hinter sich, das durch die Ereignisse des 11. September nachhaltig erschüttert wurde. Umso verheißungsvoller scheint die Zukunft in einer hübschen Wohnung und einem ruhigen Viertel der südländischen Stadt. Doch je länger der Mann wartet und aus der gemeinsamen Vergangenheit erzählt, desto mehr drängt sich ein Verdacht auf, der seine friedlichen Routinen und die idyllische Ruhe in ein anderes Licht rückt. Mit »Tage ohne Cecilia« ist Antonio Muñoz Molina ein spannendes psychologisches Kammerspiel gelungen: Sein Roman zeigt eindringlich, wie Erinnerungen und Angst unser Erleben bestimmen – und wie unsere Realität bei näherer Betrachtung dem nicht standhält, was wir uns über unser Leben einreden.Kaufen
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"Tage ohne Cecilia" ist der zweite Roman des spanischen Autoren Antonio Munoz Molina, den ich las. Ich ahnte jedoch nicht, welch gewaltiges und einzigartiges Leseerlebnis mir dieses Mal beschert werden würde.
Der Titel ist Programm. Wir lesen von einem über weite Strecken des Romans namenlos bleibenden Erzähler, der den Sprung in ein ein neues Leben gewagt hat und nun in Lissabon der Ankunft seiner Frau Cecilia entgegen fiebert. Doch von Beginn an liegt eine düstere Atmospäre über dem Geschehen. "Ich habe mich in dieser Stadt niedergelassen, um dort auf das Ende der Welt zu warten" - so lautet der erste Satz des Romans.
Wir begleiten den Protagonisten dabei, wie der die Wohnung mit Hilfe des Handwerkers Alexis herrichtet- nicht irgendwie, sondern quasi als detailgetreue Spiegelung der vorherigen Wohnung in New York. Selbst die Lage der Wohnung weist mit der Nähe zum Fluss Parallelen zur vorherigen Bleibe in New York auf. Während der Mitfünfziger auf seine Frau Cecilia wartet, erinnert er sich. Wir lernen Cecilia kennen: die erfolgreiche Neurobiologin, die für ihren Beruf lebt und ihm die spannenden Details kognitionswissenschaftlicher Forschungen berichtet. Er erinnert sich an die gemeinsame Zeit in New York. Die Terroranschläge im September 2001 haben tiefe, einschneidende Wunden hinterlassen. Angst und Schmerz mischen sich in die Erinnerungen unseres Protagonisten. Erinnerungen spielen ihm mitunter einen Streich, wiederholt wirkt er orientierungslos. Was ist mit ihm eigentlich los?
Munoz Molina streut immer wieder sehr kenntnisreich politische und kulturelle Bezüge ein, ebenso faszinieren die Berichte über kognitionswissenschaftliche Studien. Irgendwann beginnt man als Leser zu erahnen, dass er gerade die Details neurobiologischer Forschungen über Besonderheiten der Erinnerung nicht rein zufällig einstreut. Was wäre, wenn man diese Erkenntnisse konsequent auf die Erzählung selbst anwenden würde? Währenddessen wartet der Mann auf seine Cecilia und wartet und wartet und wartet...
Die Geschichte hat mich von Beginn an begeistert, ist nicht nur die Thematik spannend, sondern auch in sehr meisterhafte, brilliante Sprache verpackt. Man spürt von Beginn an eine gewisse Schwere, die über dem Geschehen im schönen Lissabon liegt. Der Schreibstil von Munoz Molina ist sehr bildhaft und atmosphärisch sehr dicht. Zunehmend zog mich der Autor in den Bann der Erzählung. Ich wartete gemeinsam mit unserem Protagonisten auf das Auftauchen seiner Cecilia und stöberte mit ihm in den Erinnerungsstücken, staunte über die gemeinsam aufgebaute Bibliothek als Produkt aus Anreichern und Weggeben, bis ich mit dem Protagonisten in all den Erinnerungsfetzen versank und zunehmend drohte, selbst die Orientierung zu verlieren.
Habe ich jemals an das Auftauchen von Cecilia geglaubt? Ich bin mir rückblickend nicht sicher. Fakt ist jedoch, dass der Roman mit einem Paukenschlag endet: Wir erfahren Genaueres über den Zustand des Protagonisten und hören mit ihm eine AB-Nachricht Cecilias ab. Gleichzeitg passiert oder passiert etwas nicht, während der Mann immernoch auf Cecilia wartet..
Auf welche Gewissheiten können wir uns letztlich verlassen oder sind wir am Ende der meisterhaften Konstruktion dieses brilliant komponierten psychologischen Kammerstückes komplett auf den Leim gegangen? Was wäre, wenn wir am Ende mit den gewonnenen Erkenntnissen den Roman rereaden und die Grundkonstellation hinterfragen würden? Wird Cecilia auftauchen? Wartet ihr Mann tatsächlich in Lissabon auf sie? Leben sie überhaupt - Beide? Man mag es als Schwäche, oder in meinen Augen als besondere Stärke des Romans bezeichnen, dass das Ende letztlich völlig konträre Intepretationen zulässt, die alle gleichermaßen plausibel erscheinen können. Genial! So macht Literatur Spaß. Ich erwische mich immer wieder dabei, wie ich auch einige Wochen später noch über das Ende nachdenke und auf eine Eingebung warte, welche Interpretation nun die zutreffende ist.
Von meiner Seite eine unbedingte Leseempfehlung für alle mutigen Leser, die sich auf Experimente einlassen können und nicht verzagen, wenn der Roman sie selbst in das Geschehen mit hineinzieht und dadurch für Verwirrung sorgt.
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