Rezension (5/5*) zu Stunden aus Blei von Radka Denemarková

Wandablue

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18. September 2019
9.605
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49
Brandenburg
Vom Zustand der Welt. Eine Desillusionierung.
Kurzmeinung: Herausfordernde Lektüre!

Im dem umfangreichen Werk der Autorin wird zuerst die östliche Diktatur China kritisiert und hinterfragt, jedoch nicht, ohne auch einen Blick auf die zahllreichen Errungenschaften und Schönheiten dieses Landes zu werfen, dann aber wird auch die moderne westliche Welt kritisiert, wenngleich zentriert und heruntergebrochen auf die Tschechei:

„Während des offiziellen Besuchs des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping wird auf der Prager Burg über Fußball und die neuesten Škodamodelle gesprochen. Unerwähnt bleibt aber, dass China ein Auge auf ein großes Projekt mit dem Hersteller der Automarke Škodas geworfen hat, dass es die Schlüsselbereiche der Industrie, die Hütten- und Maschinenbauindustrie, besetzen möchte, dass sich die chinesische Investitionsgruppe gerne Maschinenbauriesen und slowakischen Eisenhüttenwerke einverleiben möchte und dass China immer weitere tschechische Immobilien und Medien aufkauft und seine Anteile in Banken erhöhen möchte.“

Dieser Bandwurmsatz ist einer der wenigen, die man im Werk findet, denn zumeist beschränkt sich die Autorin auf die Aneinanderreihung harter, kurzer aphorismusähnlicher Hauptsätze, die man sofort als Sinnspruch notieren möchte: „Der Feind von Tschechien ist geistlose Gleichgültigkeit“. Erinnert an "Zuerst das Fressen, dann die Moral".

Die Zentralperson „die Schriftstellerin“ ist nicht die Autorin, könnte aber durchaus einige Züge von ihr tragen, denn „die Schriftstellerin“ führt durch das Werk: „In China hatte sie Europa im Kopf. In Europa hat sie China im Kopf.“

Das Werk von Radka Denemarkova ist ziemlich speziell und schwer einzuordnen. Es ist eine Klage, eine Trauerrede, es ist Anklage; es ist Philosophie, insbesondere Vaclav Havel und Konfuzius spielen eine herausgestellte Rolle; es ist ein Theaterstück, oft historischer Abriß und nur in Fragmenten auch ein Roman, dessen Handlung allerdings spärlich ausfällt. Sie steht nicht im Vordergund. Im Vordergrund steht das Denken über die Welt und das Zerschlagen von Illusionen über ihren Zustand. Wiederkehrende Motive durchziehen das Werk, wie zum Beispiel die schwarzen Krähen, das „Buch von Maß und Mitte“, die Gesänge aus dem alten China und natürlich die unzähligen bleiernen Stunden der Menschheit! Surrealistische Figuren wie zum Beispiel ein tausendjähriger, unsterblicher Kater, der sprechen und denken kann und seinerseits die Menschen beurteilt, begleiten und kommentieren die Handlung. Vielleicht ist die Botschaft des Werkes, dass die Tiere die besseren Menschen sind. Wenn das nicht die Botschaft ist, dann ist es die, dass wir uns Illusionen darüber machen, jemals in einer guten, freien Welt leben zu können; und dass wir die Strukturen, die uns gefangenhalten, meistens nicht einmal durchschauen. Der Roman spielt in der oberen Gesellschaftsschicht, dort, wo die Menschen die Bodenhaftung verloren haben.

Fazit: Ein ausuferndes Opus, durchaus geistreich, das tiefe und scharfsichtige Einblicke in mancherlei gesellschaftliche und politische Zusammenhänge gewährt. Es triftet jedoch öfters ins Unverständliche, Surreale ab und ist durch seine Länge und seine monotone Schreibweise mit den kurzen Hauptsätzen leider auch anstrengend. Ich möchte nicht behaupten, dass ich dieses Werk - man kann es nicht anders bezeichnen denn als Werk, alles andere wäre unangemessen - in seiner Vielschichtigkeit und Tiefe ganz und gar verstanden habe.

Kategorie: Fragmentarischer Roman. Belletristik.
Verlag: Hoffmann & Campe, 2022

 
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Literaturhexle

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2. April 2017
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Dieser Roman hat dich ja einelange Weile begleitet. Er schien mitunter fordernd (das schreibst du auch) und zäh (das schreibst du nicht) zu sein. Trotzdem der Wanda-Orden mit 5 ganzen, uneingeschränkten Sternen?!
Du siehst mich überrascht;)
Allerdings ist das alles, nur kein Buch für mich.

Fragementarischer Roman.
Schreibfehler oder gewollt :p
 

Wandablue

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18. September 2019
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Das Empfinden von Zähigkeit entstand sicherlich durch die pure Länge - da ja noch andere Leseverpflichtungen da sind und es keine leichtgängige Lektüre ist ..war ich oft genervt.
 
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