Rezension Rezension (5/5*) zu Sommer unter schwarzen Flügeln von Peer Martin.

wal.li

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1. Mai 2014
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Buchinformationen und Rezensionen zu Sommer unter schwarzen Flügeln von Peer Martin
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Das weiße Blatt

Nuri kommt aus Syrien. Mit ihrer Familie lebt sie in einem Flüchtlingsheim in der Einöde des Ostens. Sie geht zu Frau Silbermann, um zu erzählen. Vielleicht ist es kein Zufall, dass sie dort auf Calvin trifft, in ihrem Alter, Deutsch, stramm rechts. Nuri, die eigentlich Nura heißt, beginnt ihre Geschichte zu erzählen. Und Calvin wird entführt, nach Syrien, nach Damaskus, in ein Land der Schönheit, in ein Land, in dem die Gefahr immer gegenwärtig ist, immer größer wird. Doch auch im grünen Deutschland gibt es Gefahren, die nicht unterschätzt werden dürfen. Die Asylanten sind nicht wohlgelitten und Calvin gehört zu denen, die man am besten meidet wie der Teufel das Weihwasser.

Ausgerechnet bei Frau Silbermann, die Birkenau überlebt hat, treffen sich Nuri und Calvin. Nuri, die erzählen muss, um sich zu befreien. Und Calvin, der zunächst widerwillig zuhört und doch immer mehr in den Bann ihrer Geschichte gezogen wird. Calvin fängt langsam an zu begreifen, dass Nuri und ihre Familie wohl nicht ohne Grund geflohen sind. Nuri, die sieht, dass auch so fremdenfeindliche Typen wie Calvin ihre Erzählung der Flucht aushalten sollten. Doch kann das aufkeimende bessere Verständnis zwischen diesen beiden die Situation zwischen den Menschen, die in dem Asylantenheim leben, und denen, die in den Sozialwohnungen leben, entspannen. Eher bieten die beiden, für beide Gruppen einen Grund noch mehr aufeinander loszugehen.

Nach der Lektüre dieses aufwühlenden Romanes muss man erstmal innehalten und tief durchatmen. Eine ganze Weile sitzt man vor dem weißen Blatt bevor man beginnen kann, seine Eindrücke in Worte zu fassen. Der Autor berichtet in brutal offenen Worten von einer Wirklichkeit, von der man eigentlich nichts wissen will. Und dennoch saugt man die Worte auf, besonders die Nuris über das Leben in Syrien, wie der relative Frieden immer mehr zerbricht, wie es gefährlicher und grausamer wird. Vor Gewaltexzessen geflüchtet, landet Nuris Familie in dem so gelobten Deutschland gerade nicht in einer besseren Welt. Auch hier wird sie bedroht, auf eine brutale Art und Weise, die weit über bloßen Protest hinausgeht. In was für einem Land leben wir hier eigentlich? Natürlich geht es hier auch nicht jedem gut, doch wie kann das ein Grund sein, über andere, denen es noch schlechter geht, herzuziehen? Je weiter man liest, desto mehr ist man gebannt. Je weiter man liest, desto mehr zögert man. Es geht auf ein Ende zu, das man nicht kennen möchte. Und doch setzt man sich dem aus, um mit dem Denken fortzufahren, um endlich zu denken, sich zu informieren und zu begreifen, zu trauern und sich zu schämen. Dies ist eine Geschichte, die zwar nur ein Roman ist, in der aber so viel von unserer Wirklichkeit steckt, dass sie unbedingt gelesen werden muss.