Rezension Rezension (5/5*) zu Slow Horses: Ein Fall für Jackson Lamb von Mick Herron.

Renie

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19. Mai 2014
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lahmer Gaul = cleverer Gaul

Auch wenn der Romantiker unter den Spionage-Affinen es gerne glauben möchte ... aber nicht jeder britische Geheimagent ist ein knackiger James Bond. Denn es gibt da die "Slow Horses". Das sind jene Agenten, die im Dienst an der britischen Krone versagt haben, in welcher Form auch immer. Einem Geheimagenten kündigt man nicht. Die Versager unter den Geheimdienstlern werden strafversetzt und haben sich fortan mit äußerst anspruchslosen und stumpfsinnigen Tätigkeiten rumzuschlagen, i. d. R. am Schreibtisch. In Mick Herrons Roman "Slow Horses" geht es um eben diese Agenten.
Abgesehen von den anspruchslosen Aufgaben, stellt man den Slow Horses einen Arbeitsplatz zur Verfügung, der an Schäbigkeit nicht zu überbieten ist. Strafe muss sein.

"'... In Slough House zu sitzen bedeutet, nicht mehr gebraucht zu werden.'"

Die Truppe, um die es in diesem Roman geht, ist im Slough House untergebracht (slough = Sumpf). Hierbei handelt es sich um ein unscheinbares Gebäude mitten in London. Die Büroräume sind deprimierend. Das Interieur ist muffig und angeranzt. Hier versumpfen fünf Männer und drei Frauen unter der Führung von Jackson Lamb in ihrem langweiligen Arbeitsalltag. Im Laufe der ersten Kapitel erfährt der Leser, aus welchem Grund sie den Slow Horses zugeordnet wurden. Einzig die Vorgeschichte von Jackson Lamb bleibt zunächst im Unklaren. Jackson Lamb ist ein alter erfahrener Geheimagent, der mit seinem schlechten Aussehen, seiner mangelnden Körperhygiene sowie seinen katastrophalen Umgangsformen kokettiert. Er ist ein Chef, wie ihn keiner haben möchte, auch wenn er seine Mitarbeiter nur selten bei der Arbeit stört.
Der größte Teil der Slow Horses hat resigniert und sich mit dem Dasein in der Versenkung abgefunden. Sie sehen sich selbst als Verlierer, die keinen Grund haben, ein bisschen Selbstbewusstsein an den Tag zu legen. Nur zwei von ihnen wollen nicht akzeptieren, dass sie ausrangiert wurden.

"Es war das Starren auf den Computerbildschirm. Dafür war sie eigentlich nicht zum Secret Service gegangen, aber darauf war es hinausgelaufen. Ja, sie hatte das Gefühl, als wäre sie dort gestrandet, als hätte sie keine andere Zukunft als jene, die jeden Morgen hinter der Tür mit der abblätternden Farbe von Slough House auf sie wartete und sich endlos, Minute um Minute, hinzog, bis sich die Tür beim Hinausgehen wieder hinter ihr schloss. Und die Zeit dazwischen verbrachte sie mit der Wut über die Ungerechtigkeit der Welt."

Anfangs lässt man sich von dem Autor Mick Herron tatsächlich einlullen. Er beschreibt seine Protagonisten und ihren Werdegang - zugegebenermaßen - auf sehr humorvolle Weise. Doch fragt man sich, was "Slow Horses" zu einem Agentenroman macht. Als das wird er schließlich verkauft.
Und plötzlich überschlagen sich die Ereignisse und eine Entführung bestimmt das Geschehen. Die Handlung nimmt mächtig an Fahrt auf und wird sehr sehr spannend.
Man ahnt es, die Slow Horses werden aus ihrer Lethargie gerissen und schalten sich in die Aufklärung des Verbrechens ein. Und am Ende wird alles gut. Die Guten gewinnen und die Bösen haben das Nachsehen.

Doch das wäre zu einfach und hätte die Serie um das Ober-Slow Horse Jackson Lamb, die aus diesem Roman entstanden ist, nicht zu dem gemacht, was sie in England ist: ein unglaublicher Erfolg und eine mehrfach ausgezeichnete Agentenserie, deren Verfilmung geplant ist.

Denn Mick Herron macht aus einem Krimi, bei dem es um eine Entführung geht, ein Psycho- und Intrigenspiel innerhalb des britischen Geheimdienstes. Die beteiligten Abteilungen arbeiten gegeneinander. Handlungen und Entscheidungen werden von den Ambitionen einzelner Geheimdienststrategen bestimmt. Und mittendrin ist Jackson Lamb mit seinen Slow Horses, die als Versager ihrer Aussenseiterrolle mehr als gerecht werden. Das macht Spaß, insbesondere wenn man feststellt, dass selbst, wenn ein Gaul lahm ist, er immer noch ein cleverer Gaul sein kann.

"Irgendjemand muss immer bezahlen. Schau zu, dass nicht du es bist."

Mick Herron erzählt die Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven. Das ist oft verwirrend, zumal er gerade zu Beginn eines neuen Abschnittes den Leser im Unklaren lässt, welcher der Protagonisten gerade die Handlung bestimmt. Darüberhinaus hat er die gemeine Angewohnheit, Abschnitte zu beenden, indem er den Ausgang einer Szene offen lässt und erst seitenweise später für Auflösung sorgt. Dadurch wird man als Leser durch die Handlung getrieben, schließlich will man wissen, ob sich Vermutungen, die man entwickelt hat, am Ende bewahrheiten.

Fazit:
Ein Geheimagenten-Roman, mit Geheimagenten, die so gar nicht dem Geheimagenten-Klischee entsprechen. Eine Geschichte, die aufgrund der Charaktere sehr viel Spaß macht und durch seine Spannung überzeugt. Ich hoffe, dass es noch weitere Romane über die Slow Horses geben wird. Ich bin Fan geworden.

© Renie