Rezension (5/5*) zu Sisi von Karen Duve

alasca

Bekanntes Mitglied
13. Juni 2022
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Hochgradig unterhaltsam mit kritischer Wucht

Ein Mythos wird gründlich zerlegt. Mit beißender Ironie entlarvt Duve die Absurdität und Sinnlosigkeit höfischen Lebens. Da wird sich geopfert - für nichts. Das erste Opfer auf dem Altar der Monarchie ist Sisi selbst. Aber sie sorgt tatkräftig für Ausgleich und dafür, dass sich gleich reihenweise Menschen für sie opfern. Und nicht nur Menschen.

Bei der Lektüre des Romans hilft es, etwas von Pferden und vom Reiten zu verstehen. Die furios geschilderten Reitjagden sind überwältigend, das reiterliche Können der Kaiserin war zweifelsfrei überragend. Aber: Es bereitet nicht wirklich Genuss, zu lesen, wie Pferde zuschanden geritten, in demütigenden Dressuren abgerichtet und wie Gegenstände benutzt werden. Man kann als Reiterin nur noch besser ermessen, was all das bedeutet. Insgesamt hat man nur vordergründig ein Herz für Tiere.

Am Anfang hatte ich den Eindruck, dass Duve womöglich ganz ohne Handlung auskommen will. Eine Reihe absurder Anekdoten zum Thema monarchischer Willkür, Verschwendung und Launenhaftigkeit, so schien es. Aber sehr bald kristallisiert sich die eigentliche Protagonistin des Romans heraus: Marie Luise von Wallersee, ihre Nichte, die Sisi als leicht beeindruckbaren Teenager zu sich nimmt und später zwingt, den gestörten Grafen Georg Larisch zu heiraten. Wie das naive, wohlerzogene Mädchen in den Bann der manipulativen Kaiserin gerät und von ihr, die rücksichtslos ihre Interessen verfolgt, ins Unglück geführt wird, ist die eigentliche Story dieses Romans.

Sollte man anfangs noch irgendwelche Sympathien für Sisi, den immerhin arbeitenden Kaiser oder die Monarchie gehegt haben: Das gibt sich im Lauf der Lektüre gründlichst. Spätestens bei der Schilderung der Jagdvergnügungen des Kaisers, der während einer einzigen Treibjagd 40 Gämsen abknallt oder just for fun 3 Steinadler und einen Seeadler vom Himmel holt. Auch des Kaisers Jagdverhalten Frauen gegenüber ist dermaßen unwürdig, dass man ihn nur verachten kann. Das alles sagt Duve, ohne es zu sagen - sie zeigt es.

Sprachlich ist der Roman ein Schmankerl. Eine Menge Originalzitate wurden eingearbeitet, mehr oder weniger verändert; das verleiht dem Text Authentizität. Nicht dass Duve das Kopieren nötig hätte: Wie sie mit knappen, messerscharfen Sätzen die monarchische Schande bloßlegt, das war mir purer literarischer Genuss.

Wie gut, dass die Monarchie und die Privilegien des Adels abgeschafft wurden. Leider nicht deren Reichtümer, Grundbesitz und Einfluss, die samt und sonders auf Mord, Intrigen und Ausbeutung gründen. Innerlich habe ich während der Lektüre reihenweise Molotow-Cocktails geworfen. Bemerkenswert, wie ein mutmaßlicher Kolportageroman wie "Sisi" solche Gedanken hervorbringen kann. Duve hat da wohl was richtig gemacht.

Fazit: Hochgradig unterhaltsame Histo mit kritischer Wucht. Lesen!


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