Es ist heiß. Freibadwetter. Da sind das Schwimmbecken, die Liegewiese und der Sprungturm mit dem Siebener, der gesperrt ist seit dem Unglück damals. Aber die Vergangenheit lässt sich nicht ewig abriegeln. Das weiß Kiontke, der Bademeister, so gut wie alle anderen hier. Wie Joe und Lenny, oder Isobel, die immer mehr im Gestern lebt. Für sie alle ist das Freibad ein Ort, der ihren Lebensweg bestimmt. Mit feinem Humor und großem Einfühlungsvermögen erzählt Arno Frank vom Weggehen und Zurückkommen, vom Bleiben und der Suche nach dem Glück. Ein Buch, so leuchtend wie der letzte Spätsommertag.
Brütende Hitze. Die halbe Stadt ist im Freibad. Da ist Kiontke, der Bademeister, der noch immer am Beckenrand steht, auch wenn die Leute meinen, dass es ihn eigentlich hätte umhauen müssen, dieses Unglück damals. Da ist Renate, die hinter der Kasse sitzt und zu viel raucht und die zwei, vier, acht Sachen an Kiontke mag, was sie natürlich niemals zugeben würde. Joe wiederum versucht anzuschwimmen gegen das Loch in ihrem Leben und die ungebetenen Erinnerungen. Lennart hat es aus der großen Welt hierher zurückverschlagen, zurück zu den Anfängen und zu Joe. Da ist Isobel, die das Freibad schon kannte, als es das Freibad noch gar nicht gab, und da ist ein Mädchen, das den Seemann machen will, erst vom Dreier, dann vom Fünfer, und schließlich vom Siebener – aber der ist gesperrt, seit Jahren schon, seit dieser Katastrophe damals, die wie ein fernes Donnergrollen unter diesem flirrenden Sommertag liegt.Kaufen
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Auf den ersten Blick wird hier ein Sommertag in einem Freibad der deutschen Provinz geschildert. Da sind zum einen die unterschiedlichen Besucher. Allen voran die namenlose Ich-Erzählerin mit dem ihr lästigen Bruder im Schlepptau. Sie hat heute Großes vor: Sie will den Seemann vom Siebenmeterbrett springen, einen Sprung, der äußerst schwierig ist und viel Konzentration erfordert. Langsam tastet sie sich an die Aufgabe heran, indem sie zunächst aus niedrigerer Höhe springt. Der Bruder ist skeptisch, traut ihr den Sprung nicht zu. Zwischendurch beobachtet sie das Treiben in und um die Becken. Die letzten warmen Sommertage locken viele Menschen ins kühle Nass.
Verwundert sind die Badegäste, ausgerechnet heute Josefine Brinkmann beim Schwimmen anzutreffen. Schließlich ist ihr Mann Max, Sohn des erfolgreichsten Unternehmers der Stadt, kürzlich mit dem Auto verunglückt. Später am Tag soll die Beerdigung stattfinden. Auch Max´ Schulfreund Lennart, ein berühmter Fotograf, kommt aus diesem Anlass in die Heimat, geht zunächst aber ins Freibad. Erzieherin Melanie hat zehn quirlige Kindergartenkinder mitgebracht, die heute das Seepferdchen ablegen sollen. Die hoch betagte, pensionierte Lehrerin Isobel Trautheimer kommt täglich zum Ziehen ihrer Bahnen, sie war mit dem bereits verstorbenen Erbauer des Schwimmbades verheiratet. Ihre demenzielle Erkrankung bringt es mit sich, dass sich ihre Erinnerungen verselbständigen und sie aus der Zeit treiben lassen. Es hat durchaus etwas Rührendes, wenn ihre Rückblicke sie in glückliche Ehejahre und zur Entstehungsgeschichte des Freibads leiten, dessen Zukunft heute mehr als ungewiss ist.
Jeder scheint jeden zu kennen, das Freibad wirkt wie eine Art Mikrokosmos, der jedem Leser bekannt vorkommt, weil sich die mittlerweile aussterbenden Freibäder in der Provinz so sehr ähneln. Man bekommt nostalgische Gefühle, so präzise und authentisch wird der Schauplatz beschrieben. Die individuellen Gedanken der Protagonisten werden ergänzt durch Begegnungen, Gespräche und Beobachtungen der Figuren unter- und übereinander. Neben der Ich-Erzählerin steht Bademeister Kiontke im Fokus. Er ist seit Jahrzehnten eine feste Instanz und kümmert sich um Ordnung, Sauberkeit und die technischen Abläufe im Bad. Zum weiteren Personal gehören Renate an der Kasse und Sergej hinter der Kiosktheke.
Bereits auf der ersten Seite des Romans wird klar, dass Kiontke durch ein schweres Unglück belastet ist, das vor etwa drei Jahren am Sprungturm geschah. Trägt er die Schuld oder zumindest die moralische Verantwortung dafür? Oder ist er nur das Opfer übler Nachrede? Was genau passiert ist, erfährt man erst nach und nach, dass es den Bademeister aber nachhaltig bis in seine Träume hinein verfolgt, spürt man dauerhaft. Dieses Unglück schwebt wie ein Schatten über der Handlung und durchzieht den Roman mit latenter Melancholie. Daneben gibt es aber auch allerhand alltägliche, lockere und zuweilen lustige Szenen. Die Späße von Witzeerzähler Sergej mögen nicht die neuesten sein, zum Lachen sind sie aber allemal. Die Figuren treffen aufeinander, entwickeln im Zusammenspiel ihre eigene Dynamik. Es passiert de facto nicht viel, aber doch wird die Handlung kontinuierlich vorangetrieben, das Menschliche dominiert. Man spürt, dass etwas von Bedeutung in der Luft liegt, zentral dabei ist der titelgebende Sprung vom (seit dem Unglück gesperrten) Siebener.
Jede Figur hat ihren eigenen Hintergrund, der sachte und mit einfühlsamer Hinwendung offengelegt wird. Dabei treten verschiedene Themen, Probleme und Sehnsüchte hervor, die die einzelnen Menschen umtreiben: Wunsch nach Veränderung, Orientierung oder Neuanfang; Umgang mit Alter, Tod und Verlust; Brüche im Leben, vergangene Liebe, alte Freundschaften; Heimat, Herkunft, Rückkehr und anderes mehr. Man lernt das Figurenkarussell immer besser kennen, dringt in die Tiefe der vielschichtigen Charaktere ein. Die einzelnen Perspektiven wechseln sich ab, was die Lektüre extrem kurzweilig macht, aber auch den ein oder anderen Cliffhanger mit sich bringt, so dass man das Buch kaum aus der Hand legen mag.
Stilistisch beherrscht der Autor sein Handwerk. Jede Perspektive hat ihren eigenen unverwechselbaren Ton. Insbesondere die Ausführungen der Ich-Erzählerin regen mit ihrer Allgemeingültigkeit und Tiefe zum Nachdenken an, viele Sätze mag man sich herausschreiben.
Arno Frank ist es gelungen, einen absolut nicht alltäglichen Sommerroman zu schreiben, der immer mehr Tiefgang entwickelt und zum Ende mit einem großartigen, bemerkenswerten Twist zur Höchstform aufläuft – wenn man den Roman denn aufmerksam gelesen hat. Denn Konzentration ist notwendig, um all die kleinen Hinweise zu erkennen, die am Ende ein Ganzes ergeben und die wichtigsten Fragen klären. Für mich ganz ein herausragendes Buch, das definitiv Lust auf weitere Werke des Autors macht und breite Leserschichten jeden Alters ansprechen sollte. Riesige Leseempfehlung!
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