Rezension (5/5*) zu Reise durch ein fremdes Land: Roman von David Park

Irisblatt

Bekanntes Mitglied
15. April 2022
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Schmerzhaftes Loslassen

Der nordirische Schriftsteller David Park hat eine äußerst intensive, emotional bewegende und atmosphärische Erzählung geschaffen. Kurz vor Weihnachten macht sich Fotograf Tom auf den Weg, seinen kranken Sohn Luke nach Hause zu holen. Es herrscht Schneechaos, vor unnötigen Reisen wird gewarnt, sämtliche Flüge wurden gestrichen. Nichts ist aber für die Familie wichtiger als Luke sicher zuhause zu wissen und so macht sich Tom mit dem Auto auf den Weg ins mehrere hundert Kilometer entfernte Sunderland, um seinen Sohn aus seinem Studentenzimmer abzuholen. Während der Fahrt durch die monochrome Schneelandschaft blitzen bei Tom Erinnerungen auf: Bilder und Szenen aus vergangenen Tagen - erste Begegnungen mit seiner Frau, die Geburt seines ersten Kindes Daniel, Augenblicke aus dem Familienleben, berufliche Episoden als Fotograf. Seine Gedanken fließen und werden nur durch kurze Zwischenstopps, die Stimme des Navigationsgeräts und Telefonate mit seiner Frau Lorna, seiner Tochter Lilly und Luke unterbrochen. Immer wieder glaubt Tom Daniel, seinen ältesten Sohn, zu sehen. Kaum meint er ihn lokalisiert zu haben, entgleitet er ihm jedoch wieder. Bald drehen sich Toms Gedanken überwiegend um Daniel und kreisen um seine Schuldgefühle. Er glaubt als Vater und Ehemann versagt zu haben. Während der Fahrt wird deutlich, was mit Daniel geschehen ist und warum die Familie daran zu zerbrechen droht.

David Park schreibt wunderbar poetisch. Er erschafft starke Bilder und eine große Nähe zum Ich-Erzähler Tom, dessen Schmerz, Hilflosigkeit, Angst und Verzweiflung sich unmittelbar mitteilen. Doch es geht auch um Zusammenhalt, die Hoffnung auf Vergebung und die fast unmenschliche Aufgabe loszulassen und Frieden mit der Vergangenheit zu schließen. Immer wieder richtet sich der Fokus auch auf Fotografien, ihre Ausdruckskraft, die Komposition und die Essenz eines Bildes. Tom sagt über sein Bedürfnis zu fotografieren: „(…) ich glaube, es ist der Moment dicht unter der Oberfläche oder der Blick auf das Vertraute aus einer anderen Perspektive“, was ich fotografieren will.

Ergänzt wird das Buch durch einen Link zu einer Playlist mit Songs, die Tom auf seiner Fahrt hört: Nick Cave, The National, R.E.M., The Smiths treffen genau meinen Musikgeschmack und sind in der Literatur nicht so häufig anzutreffen. Dafür gibt es von mir einen sechsten Zusatzstern. Wer ein tief emotionales Leseerlebnis mit wenig Handlung, aber starken inneren und äußeren Bildern sucht, ist auf dieser Fahrt durch ein fremdes Land genau richtig.

 
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pengulina

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22. November 2022
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Das ist ein Erlebnis. Ganz dran war ich noch nicht, aber mehrfach mit dem Zug dran vorbeigefahren, die Bahnlinie verläuft ganz nah. Wir sind damals auch nach Crosby Beach gefahren, um seine Figuren im Sand zu sehen, und als wir mal auf Guernsey waren, haben wir oben auf einem Gebäude am Hafen auch eine Gormley-Skulptur entdeckt. Der Mann ist einfach klasse.
 
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