Als auf einem Berg oberhalb der Stadt Pompeji tote Vögel gefunden werden, hat der Zuwanderer Jowna alias Josephus alias Josse eine Eingebung: Wenn da wirklich ein Vulkan grollt, wie von manchen behauptet wird, sollte man das Weite suchen. Ohne Schulbildung, Geld und Einfluss gelingt es ihm, sich an die Spitze einer Aussteigerbewegung zu setzen.
Bald fürchtet das Stadtoberhaupt Fabius Rufus, die Vulkangerüchte könnten Pompeji schaden. Erst als sich ein paar wohlhabende Bürger für die Gründung einer neuen Siedlung zu interessieren beginnen, die in sicherer Entfernung am Fenster des Meeres liegt, schaltet sich Livia ein, die mächtigste Frau der Stadt.
Allmählich wird der Aussteiger Josse zum Aufsteiger. Seine Weggefährten mit ihrer Schwäche für Fliegenpilzsud und Philosophie werden ihm zur Last, die eigenen Ideen fangen an, ihn zu stören. Doch wie wirft man Überzeugungen über Bord, ohne seine Anhängerschaft zu verprellen? Wie macht man eine Kehrtwende, ohne sich zu drehen?
Eugen Ruges ›Pompeji‹ ist eine Erfindung, die auf geschichtlicher Wahrheit beruht und zugleich durch ihre Gegenwärtigkeit verblüfft: die Geschichte einer verhängnisvollen Verblendung im Vorfeld einer Katastrophe. Eine schillernde Parabel über Verführbarkeit, Verrat und Wahn.Kaufen
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Der wohl berühmteste Vulkanausbruch in der Antike war der Vesuv (79 n.Chr.) und hat viele Pompejianer überrascht. Noch heute sind die Abdrücke und ausgeformten Hohlräume ihrer Leichen in den ausgegrabenen Ruinen zu bestaunen. Angesichts dieses schauerlichen Denkmals fragt man sich, ob die Menschen nicht gewarnt waren und allerlei Gedankenspiele beflügeln die Vorstellung dieses Ereignisses. Eugen Ruge hat daraus seine ganz eigene Version komponiert.
Die Zeit errechnet sich nach den verstrichenen Jahren der Gründung Roms, so schreiben wir die Jahre Achthundertund.... die Christen sind noch nur eine unbedeutende Sekte. Der auktoriale Erzähler ist Zeitgenosse und Augenzeuge der Vernichtung Pompejis und erinnert an die Geschehnisse davor, als die ersten toten Vögel am Fuße des Berges gefunden werden. In 18 Schriftrollen weiß er von allen wichtigen und emporsteigenden Persönlichkeiten der Stadt, von ihren Absichten und teils pikanten Unternehmungen zu berichten. Deshalb möchte er sein Zeugnis gut verschlossen wissen, denn "keine Katastrophe passiert zweimal auf dieselbe Art", den Toten kommt die Warnung zu spät, doch nachgeborene Generationen "mögen klüger, vernünftiger und reifer sein" und diese "Farce mit Vergnügen lesen".
Jowna, alias Josephus, genannt Josse ist der tragische Held in dieser Geschichte. Er ist der Sohn eines pannonischen (ungarischen) Metzgers, der über Rätien (Bayern) nach Kampanien einwandert und also Ausländer in Pompeji, ein Protektorat Roms, ist. Ein Jahr bereits geht Josse zur Schule, als diese und auch ein Großteil der Infrastruktur durch ein Beben zerstört wird. Ab da lungert die Jugend des Städchens herum, die Erwachsenen murren, weil Hilfe aus Rom nicht anlaufen will und Spekulanten quetschen aus den Ruinen auch noch das letzte Bißchen Gewinn.
Freizeit und Ventil wird im "Hühnerstall" gesucht, wo die Jugend sich versammelt, quatscht und streitet. Josse ist eher stiller Beobachter und aufsaugender Schwamm für Ideologien, Fremdwörter und Wissenschaftsvorträge. Unter anderem wollte man dem Vogelsterben auf den Grund gehen und ein geladener Experte behauptete, dass der Monte Somma, der viel größere Nachbar des Vesuvs, ein Vulkan sei, der ausbrechen werde. Fasziniert von dieser Idee, setzt Josse zu seiner ersten Rede an, die nur aus einem Satz besteht, nämlich dass man sich angesichts der Immobilität des Berges halt selbst von der Stelle bewegen müsste. Kurzum, der Vulkanverein wird gegründet und man zieht ans Fenster zum Meer (Küste), um nicht nur Korruption und Bevormundung zu entkommen, sondern auch eine eigene neue Stadt zu gründen.
Diese Unabhängigkeit passt weder Rom, noch Pompejis Politiker und bald schon beginnt das Gezerre um die richtigen Leute. Josse gerät in die Arme einer schönen und mächtigen Frau, verrät Freunde. Geld und Macht locken, aber Josses fünfte und letzte Rede wird machtvoll und endgültig vom Vesuv selbst kommentiert.
Ruges Roman mag aus der großen Sammlung von Büchern, Filmen und Dokumentationen zum Ausbruch des Vesuvs stammen und doch hat er hier ein Alleinstellungsmerkmal verdient, weil er aus den bekannten Ereignissen ausbricht. Sein fiktionaler Held durchlebt eine verunsicherte, unter römischer Knute unzufriedene und korrupte Gesellschaft im Schatten ihres Untergangs. Alle sind mit ihrem Aus- und Fortkommen derart beschäftigt, dass die unmittelbare Gefahr ignoriert wird. Dabei wird das Zeitgeschehen nur ein einziges Mal vorauseilend verlassen für den Bericht nach dem Ausbruch, ansonsten werden dem Wissen und den Möglichkeiten nichts Zukünftiges hinzugefügt, Pikantes allerdings auch nicht verschämt verschwiegen. Und doch wurde ich das Gefühl nicht los, dass Ruge mir etwas über meine Zeit und meine Entscheidungen erzählen will.
Der Leser darf selbst beurteilen, ob er klüger, vernünftiger und reifer ist, um aus dieser, für uns vergnüglichen, Reise an den Schauplatz der verpatzten Entscheidungen die richtigen Schlüsse zu ziehen, denn diese bleiben für hier und heute ungesagt und sind doch mit jedem Satz latent sichtbar.
Ruge weiß mit seinen Protagonisten umzugehen, er schont sie nicht, er stellt sie bloß, er lässt sie all das durchleben, was er anzuprangern sich zur Aufgabe gemacht hat. Dabei ist er vergnügt, augenzwinkernd und präzise, damit all seine Eindeutigkeiten ihre Zweitbedeutungen auf festen Füßen offen, verborgen zur Schau tragen können. Darin ist er ein gerngelesener, ungeschlagener Meister.
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