Orpheus und Eurydike. Neben Romeo und Julia die andere große Liebesgeschichte. Eigentlich weiß man, was passieren wird. Doch Salih Jamal bricht in seinem neuen Roman Orpheus mit allen Erwartungen. Gleich bei seinem Eingangsgedicht über den immerwährenden Kampf des Lebens versteht der Leser: Das, was jetzt kommt, ist etwas ganz anderes. So stürzt er in das erste Kapitel, das wie mit Maschinengewehrsalven in kleinen Absätzen die Not und Verzweiflung eines Mannes schildert, der seiner Liebe beraubt ist. Und schon ist man mitten in der Geschichte: Der Rock- und Bluessänger Orpheus, ein Suchender in unserer Zeit, schlägt sich mit Nebenjobs durch die Tage. In Nienke begegnet er der Liebe seines Lebens. Sie arbeitet als Anwältin im Unternehmen seines Großvaters, des Patriarchen Zeus. Eines Tages findet sie Beweise, die Zeus in Verbindung zu einem viele Jahre zurückliegenden Mord an einer Frau bringen. Kurz bevor sie die Unterlagen bei der Polizei abgeben kann, verschwindet Nienke spurlos. Orpheus beginnt, sie zu suchen, und stößt auf ein Geflecht aus grausamen Familiengeheimnissen, Intrigen und Verrat. Am Ende lernt er loszulassen, um Nienke für immer zu finden. Den Sänger Orpheus würdigt Salih Jamal mit kongenialer Begleitmusik. Jedes Kapitel ist mit dem Titel eines passenden Musikstücks überschrieben, die Auswahl ist grenzüberschreitend und unterstreicht die jeweilige Stimmung der Erzählung. So finden sich neben Bach, Mahler und Beethoven auch Tom Waits, die Leningrad Cowboys, Nina Hagen, Pink Floyd und sogar ABBA. Eine Playlist zum Buch ist auf YouTube hinterlegt. Jamals Roman Orpheus ist mehr als eine an die griechische Mythologie angelehnte Story. Seine Betrachtungen über das Band und die Fesseln der Familie, über Liebe, Sehnsucht und Einsamkeit, über die Jugend und das Alter und nicht zuletzt über eine verrohende Gesellschaft treffen in ihrem Ton immer den Nerv. Ob einfühlsam und poetisch, wütend und entfesselt, nachdenklich und leise oder anklagend und...Kaufen
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„Das Böse zehrt aus Bösem. Lass es einfach nicht rein und sei geduldig, es wird heilen.“ (S. 247)
Ich muss jetzt mal was zugeben: die Geschichte von Orpheus und Eurydike war mir bisher unbekannt. Was vielleicht daran liegt, dass ich mich mit der griechischen Mythologie kaum bis gar nicht auseinandergesetzt habe. Man kann schließlich nicht in allen Töpfen rühren *g*. Und trotzdem war ich auf das neue Buch von Salih Jamal -„Orpheus“ - ziemlich gespannt; hatte mich doch im letzten Jahr schon sein Erstlingswerk „Briefe an die grüne Fee“ gefesselt und begeistert.
Nun, jetzt soll ich eine Liebesgeschichte, einen Thriller, eine modern interpretierte Sage und einen mehr als passenden Soundtrack in EINEM bewerten? Puh, schwere Kost – aber okay, so wie die Leber wächst auch der Mensch an seinen Aufgaben *g*. Let´s go:
In Rückblenden erfahren die Leserinnen und Leser die tragische Liebesgeschichte des Sängers Orpheus und seiner Geliebten Nienke, die durch Zufall in ein Geflecht aus Brutalität, Tod und Orpheus´ Familie betreffende (tödliche) Geheimnisse verstrickt wird und dem auch Orpheus zum Opfer fällt.
Dabei bedient sich Salih Jamal einmal mehr einer schonungslos offenen Sprache – nichts wird beschönigt, nichts bleibt ungesagt. Und so klappt dem Leser ein ums andere Mal der Kiefer nach unten, bekommt er große, angst- und schreckerfüllte Augen und fragt sich, woher der Autor das Selbstbewusstsein nimmt, solch eine harte Ausdrucksweise zu verwenden. Okay, wenn man in manche Psychothriller oder Horrorbücher reinliest, bekommt man noch heftigeres Zeugs zu lesen – von daher kann der Leser sich bei Salih Jamal „entspannen“. Zumal das nur die eine Seite der sprachlichen Medaille ist. Die andere ist nämlich geprägt von Zärtlichkeit, Philosophie, Lyrik und – ja, man muss es so sagen: von Musik.
Allen Kapiteln stellt Salih Jamal nämlich ein Musikstück passend zum Inhalt voran (der „Soundtrack“ ist bei Youtube zu finden) und hat dabei ein unglaublich faszinierend gutes Gespür für die Stimmung des Kapitels und des Songs bewiesen. Die Bandbreite reicht von Klassik über Pop bis hin zu Death Metal, was meiner Meinung nach sehr gut die epische Bandbreite menschlicher Gefühlsregungen zeigt. „Negativ-Aspekt“ davon ist allerdings, dass ich Stücke wie die „Cello Suite No. 1“ von Johann Sebastian Bach oder „Wish you were here“ von Pink Floyd nun mit anderen Ohren und Gefühlen hören werde, da mir dann automatisch die entsprechende Szene in „Orpheus“ einfällt. Aber gut, andere Songs wie „A kind of magic“ von Queen funktionieren problemlos ob ihres transportierten Gefühls und es gibt auch schlechtere Gedanken, als sich bei guter Musik an herausragende Bücher zu erinnern – von daher: alles gut, Salih *g*.
Mit „Orpheus“ hat Salih Jamal (der für mich zu den hoffnungsvollsten Newcomern einer „jungen“ Garde deutscher Schriftsteller gehört) einen mehr als würdigen Nachfolger von „Briefe an die grüne Fee“ veröffentlicht (auch wenn man beide Bücher nicht unmittelbar miteinander vergleichen kann) und ich wünsche dem Buch trotz „harter Kost“ ein großes Publikum und Salih Jamal weiterhin viel Erfolg!