Orpheus und Eurydike. Neben Romeo und Julia die andere große Liebesgeschichte. Eigentlich weiß man, was passieren wird. Doch Salih Jamal bricht in seinem neuen Roman Orpheus mit allen Erwartungen. Gleich bei seinem Eingangsgedicht über den immerwährenden Kampf des Lebens versteht der Leser: Das, was jetzt kommt, ist etwas ganz anderes. So stürzt er in das erste Kapitel, das wie mit Maschinengewehrsalven in kleinen Absätzen die Not und Verzweiflung eines Mannes schildert, der seiner Liebe beraubt ist. Und schon ist man mitten in der Geschichte: Der Rock- und Bluessänger Orpheus, ein Suchender in unserer Zeit, schlägt sich mit Nebenjobs durch die Tage. In Nienke begegnet er der Liebe seines Lebens. Sie arbeitet als Anwältin im Unternehmen seines Großvaters, des Patriarchen Zeus. Eines Tages findet sie Beweise, die Zeus in Verbindung zu einem viele Jahre zurückliegenden Mord an einer Frau bringen. Kurz bevor sie die Unterlagen bei der Polizei abgeben kann, verschwindet Nienke spurlos. Orpheus beginnt, sie zu suchen, und stößt auf ein Geflecht aus grausamen Familiengeheimnissen, Intrigen und Verrat. Am Ende lernt er loszulassen, um Nienke für immer zu finden. Den Sänger Orpheus würdigt Salih Jamal mit kongenialer Begleitmusik. Jedes Kapitel ist mit dem Titel eines passenden Musikstücks überschrieben, die Auswahl ist grenzüberschreitend und unterstreicht die jeweilige Stimmung der Erzählung. So finden sich neben Bach, Mahler und Beethoven auch Tom Waits, die Leningrad Cowboys, Nina Hagen, Pink Floyd und sogar ABBA. Eine Playlist zum Buch ist auf YouTube hinterlegt. Jamals Roman Orpheus ist mehr als eine an die griechische Mythologie angelehnte Story. Seine Betrachtungen über das Band und die Fesseln der Familie, über Liebe, Sehnsucht und Einsamkeit, über die Jugend und das Alter und nicht zuletzt über eine verrohende Gesellschaft treffen in ihrem Ton immer den Nerv. Ob einfühlsam und poetisch, wütend und entfesselt, nachdenklich und leise oder anklagend und...Kaufen
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Orpheus und Nienke könnten ein glückliches Paar sein. Wäre nicht Orpheus nicht Enkel des mächtigen und skrupellosen Patriarchen Zeus und Nienke dessen Anwältin. Ein 40 Jahre alter ungeklärter Mordfall lässt die ehemalige Polizistin nicht in Ruhe. Die Indizien weisen auf Zeus, doch bevor Nienke ihre früheren Kollegen einschalten kann, verschwindet sie spurlos.
Die Geschichte von Orpheus und Eurydike sei die traurigste Liebesgeschichte, die es gibt, behauptet der Autor. Die Geschichte von Orpheus und Nienke ist nicht nur traurig und eine Liebesgeschichte, sondern auch eine Geschichte über Macht, Besessenheit und Begierde. Ein Thriller, eine Parabel, eine Achterbahn der Gefühle, und – so seltsam es für ein Buch vielleicht klingen mag – ein musikalischer Hochgenuss.
Es ist eine frauenarme Familie, in der Orpheus und sein jüngerer Brüder Ari aufwachsen. Die Mutter verstarb bei Aris Geburt, die Großmutter Hera bleibt – bis auf einen entscheidenden Moment – unsichtbar. Der Vater vergeistigter Humanist. Der Onkel alternativer Bohemien, die einzige Bezugsperson für Orpheus und Ari als sie Kinder waren. Es sind die alten Männer, die diese Familie beherrschen. Orpheus Großvater hat ein Stahlimperium, die Großonkel haben sich mit Reedereien und Nachtclubs Meer und Unterwelt untereinander aufgeteilt. Mit strengem Regiment und ohne Skrupel führt Zeus sowohl Familie als auch Untergebene und Handlanger, ist sich aber nicht zu gut auch sich selbst die Hände schmutzig zu machen.
Die Parallelen zur griechischen Mythologie sind nicht zufällig sondern wohl platziert. Natürlich kann man dieses Buch auch lesen, ohne Ahnung von der griechischen Götterwelt zu haben, aber es bereitet ungemein mehr Vergnügen, die Zusammenhänge zu erkennen und zu analysieren. Ich habe sehr viel nebenher nachgelesen und dabei gelernt. Auch wenn man die Geschichte vom mythologischen Orpheus und seinem Bruder kennt, auch wenn man ahnt, was passiert, trifft es einen mit voller Wucht. Wie eine Raubkatze, die im Dunkeln nur auf den richtigen Moment wartet, springt dich die schreckliche Wirklichkeit an.
Jedes Kapitel ist musikalisch unterlegt, von der idyllischen Morgenstimmung zur Unheil dräuenden Cellosuite von SeBEASTian Bach, Zeitsprünge, magische Momente, vergangene Tage, unendliche Sehnsucht, besser kann man Emotionen nicht transportieren. Die Gefühle, die Orpheus für Nienke hat, seine große Liebe zu ihr, seine Verzweiflung, sie verloren zu haben, muten manchmal etwas pathetisch an. Wer wie Orpheus kaum zärtliche Zuneigung gekannt hat, wer über Gefühle nicht zu sprechen kommt, neigt im Extremfall wie eine Sprudelflasche unter Druck aufzuschäumen, überzugehen, brodelnd, explosiv. „Kummer ist ein hungriges Tier ohne Schlaf“, sagt Orpheus, in seinen Alpenträumen leidet er an Glückssucht. Denn ja, er sucht das Glück und für kurze Zeit hatte er es gefunden. So beginnt dieses Buch. Und so endet es.
„We're just two lost souls
Swimming in a fish bowl
Year after year
Running over the same old ground
And how we found
The same old fears
Wish you were here“ (Songtext von Wish you were here; Pink Floyd)