Rezension Rezension (5/5*) zu Noah: Von einem, der überlebte von Takis Würger.

RuLeka

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30. Januar 2018
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Buchinformationen und Rezensionen zu Noah: Von einem, der überlebte von Takis Würger
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Ein erschütterndes und unbedingt notwendiges Buch

Vor zwei Jahren erschien der Roman „ Stella“ von Takis Würger. Der Journalist und Autor erzählt darin die Geschichte der jüdischen Nazi- Kollaborateurin Stella Goldschlag, die als sog. „ Greiferin“ versteckt lebende Juden an die Gestapo verraten hat. Er verband damals die historische Geschichte mit einer fiktiven Liebesgeschichte. Die Kritik war zum Großteil wenig angetan und warf dem Autor „ Holocaust-Kitsch“ vor.
In seinem neuen Buch „ Noah“ geht es wieder um die Shoah und um eine reale Figur. Doch dieses Mal vermeidet Takis Würger die Fehler von damals.
Gleich zu Beginn heißt es: „ Im Frühling des Jahres 2018 in Tel Aviv sitzt ein alter Mann unter einem Kumquatbaum im Garten eines Hochhauses und erzählt seine Geschichte. Sie geht so:“
Der alte Mann, das ist Noah Klieger, ein Überlebender , der Takis Würger sein Leben erzählt . Kennengelernt hat ihn Takis Würger bei einem Vortrag vor deutschen Gymnasiasten. Daraufhin trafen sich die beiden über mehrere Monate hinweg in Tel Aviv und führten lange Gespräche. Herausgekommen ist dabei keine umfangreiche Biographie, sondern der eher nüchtern gehaltene Bericht über ein beeindruckendes Leben.
Noah Klieger wurde 1925 in Straßburg geboren. Er schloss sich bereits als Jugendlicher in Belgien dem Widerstand an und rettete gemeinsam mit seinen Eltern während des Zweiten Weltkriegs jüdische Kinder vor der Verhaftung.
Mit 17 Jahren wird Noah selbst von der Gestapo gefangen genommen und nach Auschwitz deportiert. Er wird dort Mitglied einer sog. Boxerstaffel, obwohl er zuvor noch nie geboxt hat. Er gewinnt zwar keinen einzigen seiner Kämpfe, doch die zusätzlichen Suppenrationen, die die Sportler bekamen, haben ihm wahrscheinlich das Leben gerettet.
Noah wird Zeuge unvorstellbaren Leids; rings um ihn sterben die Menschen. Aber er hat Glück, überlebt die harte Arbeit, den quälenden Hunger, die Selektionen und den Todesmarsch.
Nach der Befreiung hilft Noah bei der Überführung jüdischer Überlebenden nach Palästina. 1947 besteigt er mit 5000 anderen Juden ein altes, schrottreifes Schiff, das später unter dem Namen „ Exodus“ traurige Berühmtheit erlangen sollte. Kurz vor der Ankunft in Israel wird es von britischen Zerstörern angegriffen. In Haifa angekommen werden die Passagiere wieder auf Gefangenenschiffe nach Europa zurückgebracht. Noah selbst entging nur knapp dem Tod und kam nach einigen Irrwegen endlich in Israel an. Hier wurde er ein angesehener Sportjournalist und ist 2018 mit 93 Jahren gestorben.
Im vierten Teil des Buches dokumentiert Takis Würger kurz, was aus den Menschen wurde, die Noahs Weg gekreuzt haben, sowohl auf Täter- wie auf Opferseite. Und er lässt Noah die Fragen stellen, die ihn seitdem nicht mehr loslassen, die Frage, wie konnte so etwas geschehen.
Das Buch hat drei Nachworte, eines, in dem der Autor über die Entstehung des Buches schreibt.
Ein zweites Nachwort von Alice Klieger, der Nichte Noahs und ein drittes von Sharon Kangisser Cohen, der Chefredakteurin der Yad Vashem Studies. Alle drei liefern ergänzende Erklärungen, bekräftigen die Intention Noahs und gehen auf die Problematik des Erinnerns ein. Möglicherweise wollte sich Takis Würger damit auch gegen mögliche Kritik absichern.
Takis Würger erzählt Noahs Geschichte in einer einfachen und schnörkellosen Sprache, mit meist kurzen, knappen Sätzen. Es gibt keinen Spannungsbogen, kaum literarische Kunstgriffe. Er verzichtet auf Emotionalität und vermeidet jegliches Pathos. Denn das Buch ist ein Bericht und kein Roman.
Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, bringt uns der Text das Grauen ganz nahe. Takis Würger reiht Fakten an Fakten und der Leser füllt die Leerstellen selbst. Er schreibt so, wie Noah es damals erlebt hat, ohne das Wissen, das wir heute haben.
Beispiele:
Als Noah mit all den andern in Auschwitz ankommt, heißt es : „ Ein SS- Mann sagte, die Alten und Kranken sollten auf einen Lastwagen steigen, damit sie den Weg ins Lager nicht laufen müssten.“ Das klingt menschenfreundlich, aber nur wenn man nicht weiß, dass die Alten und Schwachen sofort umgebracht wurden.
Oder: „ Noah roch einen Geruch, den er nicht kannte.“ Wir wissen, was dieser Geruch bedeutet hat. Der Autor braucht keine zusätzlichen Worte verlieren.
Eine weitere, ganz lapidar erzählte Szene: Ein Neuankömmling fragt, wohin die Menschen auf dem Lastwagen gebracht wurden, denn sein Vater befand sich unter ihnen. „ Mayn Kind, dann Tate in gegangen in koymen. Mein Kind, dein Vater ist in den Schornstein gegangen.“
Das Buch ist voll mit solch herzergreifenden Episoden.
Noah war religiös. Seine Eltern waren gläubige Juden und hatten ihn in ihrem Glauben erzogen. Doch in Auschwitz verliert er den Glauben an Gott. „ Gott war ein Niemand. Gott hatte Auschwitz erlaubt. Es gab keine Arche.“
Doch als er nach dem Krieg seine Eltern wieder findet, die, genau wie er, wie durch ein Wunder überlebt hatten, da wusste er, „... er hatte Gott Unrecht getan.“
Wichtig erscheint mir auch, dass Noahs Geschichte nicht mit der Befreiung des Lagers endet. Sondern das Buch ruft uns eine heute vielleicht schon vergessene Tatsache in Erinnerung. Nämlich, welche Widerstände die Überlebenden überwinden mussten, um ihren verständlichen Wunsch nach einem eigenen Staat zu realisieren. Noah Klieger war zeitlebens Zionist . Er hat nicht nur um sein eigenes Überleben gekämpft, sondern auch für eine jüdische Heimat.
Noah Klieger war es wichtig, dass seine Geschichte nicht vergessen wird, v.a. die Jugend sollte sie kennen. Takis Würger hat mit diesem Buch sein Vermächtnis erfüllt. Das ist angesichts der Tatsache, dass es bald keine Zeitzeugen mehr gibt, umso bedeutsamer.
„ Noah“ ist ein bewegendes, erschütterndes und unbedingt notwendiges Buch. Ich wünsche mir viele Leser, die Noah Klieger und sein berührendes Schicksal kennenlernen. Ein Buch, das Eingang finden sollte in den Deutsch- und Geschichtsunterricht unserer Schulen.



 

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Ein erschütterndes und unbedingt notwendiges Buch


Vor zwei Jahren erschien der Roman „ Stella“ von Takis Würger. Der Journalist und Autor erzählt darin die Geschichte der jüdischen Nazi- Kollaborateurin Stella Goldschlag, die als sog. „ Greiferin“ versteckt lebende Juden an die Gestapo verraten hat. Er verband damals die historische Geschichte mit einer fiktiven Liebesgeschichte. Die Kritik war zum Großteil wenig angetan und warf dem Autor „ Holocaust-Kitsch“ vor.
In seinem neuen Buch „ Noah“ geht es wieder um die Shoah und um eine reale Figur. Doch dieses Mal vermeidet Takis Würger die Fehler von damals.
Gleich zu Beginn heißt es: „ Im Frühling des Jahres 2018 in Tel Aviv sitzt ein alter Mann unter einem Kumquatbaum im Garten eines Hochhauses und erzählt seine Geschichte. Sie geht so:“
Der alte Mann, das ist Noah Klieger, ein Überlebender , der Takis Würger sein Leben erzählt . Kennengelernt hat ihn Takis Würger bei einem Vortrag vor deutschen Gymnasiasten. Daraufhin trafen sich die beiden über mehrere Monate hinweg in Tel Aviv und führten lange Gespräche. Herausgekommen ist dabei keine umfangreiche Biographie, sondern der eher nüchtern gehaltene Bericht über ein beeindruckendes Leben.
Noah Klieger wurde 1925 in Straßburg geboren. Er schloss sich bereits als Jugendlicher in Belgien dem Widerstand an und rettete gemeinsam mit seinen Eltern während des Zweiten Weltkriegs jüdische Kinder vor der Verhaftung.
Mit 17 Jahren wird Noah selbst von der Gestapo gefangen genommen und nach Auschwitz deportiert. Er wird dort Mitglied einer sog. Boxerstaffel, obwohl er zuvor noch nie geboxt hat. Er gewinnt zwar keinen einzigen seiner Kämpfe, doch die zusätzlichen Suppenrationen, die die Sportler bekamen, haben ihm wahrscheinlich das Leben gerettet.
Noah wird Zeuge unvorstellbaren Leids; rings um ihn sterben die Menschen. Aber er hat Glück, überlebt die harte Arbeit, den quälenden Hunger, die Selektionen und den Todesmarsch.
Nach der Befreiung hilft Noah bei der Überführung jüdischer Überlebenden nach Palästina. 1947 besteigt er mit 5000 anderen Juden ein altes, schrottreifes Schiff, das später unter dem Namen „ Exodus“ traurige Berühmtheit erlangen sollte. Kurz vor der Ankunft in Israel wird es von britischen Zerstörern angegriffen. In Haifa angekommen werden die Passagiere wieder auf Gefangenenschiffe nach Europa zurückgebracht. Noah selbst entging nur knapp dem Tod und kam nach einigen Irrwegen endlich in Israel an. Hier wurde er ein angesehener Sportjournalist und ist 2018 mit 93 Jahren gestorben.
Im vierten Teil des Buches dokumentiert Takis Würger kurz, was aus den Menschen wurde, die Noahs Weg gekreuzt haben, sowohl auf Täter- wie auf Opferseite. Und er lässt Noah die Fragen stellen, die ihn seitdem nicht mehr loslassen, die Frage, wie konnte so etwas geschehen.
Das Buch hat drei Nachworte, eines, in dem der Autor über die Entstehung des Buches schreibt.
Ein zweites Nachwort von Alice Klieger, der Nichte Noahs und ein drittes von Sharon Kangisser Cohen, der Chefredakteurin der Yad Vashem Studies. Alle drei liefern ergänzende Erklärungen, bekräftigen die Intention Noahs und gehen auf die Problematik des Erinnerns ein. Möglicherweise wollte sich Takis Würger damit auch gegen mögliche Kritik absichern.
Takis Würger erzählt Noahs Geschichte in einer einfachen und schnörkellosen Sprache, mit meist kurzen, knappen Sätzen. Es gibt keinen Spannungsbogen, kaum literarische Kunstgriffe. Er verzichtet auf Emotionalität und vermeidet jegliches Pathos. Denn das Buch ist ein Bericht und kein Roman.
Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, bringt uns der Text das Grauen ganz nahe. Takis Würger reiht Fakten an Fakten und der Leser füllt die Leerstellen selbst. Er schreibt so, wie Noah es damals erlebt hat, ohne das Wissen, das wir heute haben.
Beispiele:
Als Noah mit all den andern in Auschwitz ankommt, heißt es : „ Ein SS- Mann sagte, die Alten und Kranken sollten auf einen Lastwagen steigen, damit sie den Weg ins Lager nicht laufen müssten.“ Das klingt menschenfreundlich, aber nur wenn man nicht weiß, dass die Alten und Schwachen sofort umgebracht wurden.
Oder: „ Noah roch einen Geruch, den er nicht kannte.“ Wir wissen, was dieser Geruch bedeutet hat. Der Autor braucht keine zusätzlichen Worte verlieren.
Eine weitere, ganz lapidar erzählte Szene: Ein Neuankömmling fragt, wohin die Menschen auf dem Lastwagen gebracht wurden, denn sein Vater befand sich unter ihnen. „ Mayn Kind, dann Tate in gegangen in koymen. Mein Kind, dein Vater ist in den Schornstein gegangen.“
Das Buch ist voll mit solch herzergreifenden Episoden.
Noah war religiös. Seine Eltern waren gläubige Juden und hatten ihn in ihrem Glauben erzogen. Doch in Auschwitz verliert er den Glauben an Gott. „ Gott war ein Niemand. Gott hatte Auschwitz erlaubt. Es gab keine Arche.“
Doch als er nach dem Krieg seine Eltern wieder findet, die, genau wie er, wie durch ein Wunder überlebt hatten, da wusste er, „... er hatte Gott Unrecht getan.“
Wichtig erscheint mir auch, dass Noahs Geschichte nicht mit der Befreiung des Lagers endet. Sondern das Buch ruft uns eine heute vielleicht schon vergessene Tatsache in Erinnerung. Nämlich, welche Widerstände die Überlebenden überwinden mussten, um ihren verständlichen Wunsch nach einem eigenen Staat zu realisieren. Noah Klieger war zeitlebens Zionist . Er hat nicht nur um sein eigenes Überleben gekämpft, sondern auch für eine jüdische Heimat.
Noah Klieger war es wichtig, dass seine Geschichte nicht vergessen wird, v.a. die Jugend sollte sie kennen. Takis Würger hat mit diesem Buch sein Vermächtnis erfüllt. Das ist angesichts der Tatsache, dass es bald keine Zeitzeugen mehr gibt, umso bedeutsamer.
„ Noah“ ist ein bewegendes, erschütterndes und unbedingt notwendiges Buch. Ich wünsche mir viele Leser, die Noah Klieger und sein berührendes Schicksal kennenlernen. Ein Buch, das Eingang finden sollte in den Deutsch- und Geschichtsunterricht unserer Schulen.




Tolle Rezension! Super formuliert und - das weißt Du ja - ganz in meinem Sinne ;-)
 
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