Rezension (5/5*) zu Ninth House von Leigh Bardugo

Mikka Liest

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14. Februar 2015
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Hilter am Teutoburger Wald
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Wir sind nicht mehr in Ravka

Triggerwarnung:

Rassismus, detalliert beschriebene Gewalt (auch sexuelle, auch gegen jugendliche Charaktere gericht), Klassismus, Mord, Misogynie, Sucht, Selbstmord, Selbstverletzung
Leser:innen, die Leigh Bardugos Bücher aus dem Genre ‘Young Adult’ kennen, seien hiermit gewarnt: »Ninth House« ist härter, schmutziger, grausamer, brutaler als ihre bisherigen Bücher. Das ist Dark Academie mit Betonung auf “dark”, das ist hard-boiled Fantasy.

Dieser Roman ist zutiefst originell. Er ist atmosphärisch, fesselnd, geheimnisvoll, zynisch, manchmal geradezu grotesk, mit tiefschwarzem Humor. Und das alles ist wahr, zweifelsohne. Leigh Bardugo erschafft ihre ganz eigene Welt, mit einem ganz eigenen Magiesystem, und wartet dabei mit einer Vielzahl von einfallsreichen Details auf – aber das ist es nicht, was »Ninth House« abhebt von all den anderen Fantasyromanen.

In meinen Augen ist es so besonders, weil die Geschichte immer bis auf die Knochen geht, immer markerschütternd echt. Die Autorin hat selber in Yale studiert und sich dort mit den ganz realen Geheimbünden der Universität beschäftigt. Sie kennt diese Welt, und das half ihr sicher dabei, dem Roman eine solide Grundlage zu geben.

Leigh Bardugo macht keine Gefangenen.

Bei aller Magie, allem Zauber, lässt sie ihre Leser:innen doch nie vergessen, wie hart und schmutzig die Realität ist – jedenfalls für Menschen wie ihre Heldin Alex, die nicht aus einer reichen Familie stammt und einen Großteil ihres Lebens im Drogenmilieu verbracht hat. Sexuelle Gewalt, Erniedrigung, Sucht, Kriminalität, da wird nichts geschönt; das erlebst du als Leser:in so unmittelbar mit, dass es dir durch alle Poren kriecht.

Dieses Leben lässt Alex zwar hinter sich (zumindest ein Stück weit), als sie als Studentin im Haus Lethe akzeptiert wird, doch dafür lebt sie nun in einem Umfeld, in dem Klassismus wächst und gedeiht. Ihre Gabe ist mehr Fluch als Segen: Sie kann die ‘Grauen’ wahrnehmen, die Geister der Verstorbenen – und die können sehr aufdringlich werden, wenn sie das merken. Manche sogar gewaltsam, da gibt es eine Szene, bei der ich das Buch erstmal weglegen musste. Siehe Triggerwarnung.

Das liest sich so rauh, so harsch, so schmerzhaft wie eine Schürfwunde. Und dennoch. Und dennoch kannst du dem Sirenengesang der Magie nicht entkommen, mit jeder Faser deines Seins willst du diese Welt betreten, so gefährlich sie auch sein mag.

»Das neunte Haus ist der beste Fantasy-Roman, den ich seit Jahren gelesen habe, weil er von echten Menschen handelt. Bardugos Vorstellungskraft ist brillant, und diese Geschichte – voller Schockmomente und unerwarteter Wendungen – lässt sich nicht aus der Hand legen.«
STEPHEN KING

Da kann ich Mr. King nur zustimmen.

Die Außenseiterin Alex, der vermeintlich privilegierte Gentleman-Magier Darlington, die fleißige, hochintelligente Dawes und Turner, der als Cop mit der ganzen Magie eigentlich nichts zu tun haben will … Leigh Bardugo erschafft unvollkommene, in jeder Hinsicht verwundete Held:innen, die sich so authentisch lesen, dass dir ihre Erlebnisse ganz unmittelbar zu Herzen gehen – und ja, es dir auch mal in kleine Stücke reißen.

Sie alle sind komplexer, als sie auf den ersten Blick erscheinen, sie alle haben ihre Abgründe. Sie bringen nicht nur ihre persönlichen Probleme mit, sondern verkörpern auch gesellschaftliche Problematiken, die zwischen den Zeilen immer präsent sind. So ist für Turner, weil er als Schwarzer im Polizeidienst ist, Rassismus eine bittere Realität. Joe Hill nannte Alex eine Heldin mit ‘geprelltem Herzen’, und das trifft im Grunde auf alle der wichtigen Protagonisten zu.

Das ist schmerzlich real, Fantasy hin oder her. Und genau das ist es, was aus »Ninth House« mehr macht als Eskapismus.

»Ninth House« ist Fantasy, aber es ist auch ein geschickt konstruierter Thriller, denn auf dem Campus von Yale wurde eine Studentin brutal ermordet, und Alex soll ihre Fähigkeiten einsetzen, um bei der Ermittlung zu helfen. Mehr will ich darüber noch gar nicht verraten, aber es ist hochspannend, gerade, weil man nicht mit Sicherheit weiß, wem Alex in Yale trauen kann und wem nicht.

Das Tempo ist rasanter, als man es bisher von der Autorin kannte, was gut zur härteren Gangart passt. Viele der wichtigen Informationen werden in Flashbacks enthüllt, was leicht schiefgehen kann, meines Erachtens hier aber gut gemeistert wird.

Die Dialoge sind flott geschrieben und treffen für jeden Charakter genau den richtigen Ton.

Fazit

Das ist originelle Fantasy für Erwachsene, irgendwo zwischen Dark Academia, Hardboiled Fiction und Urban Fantasy – ohne Zweifel härter als alles, was Leigh Bardugo zuvor geschrieben hat, deswegen habe ich weiter oben auch Triggerwarnungen eingefügt. »Ninth House« ist definitiv verwurzelt in der realen Welt, inklusive all der ganz realen Probleme.

Dennoch ist die Geschichte wunderbar, atmosphärisch und bezaubernd, mit großartigen Charakteren, die sich lesen wie direkt aus dem Leben gegriffen – wenn auch einem Leben mit Geistern und Magie. Und so ganz nebenbei gibt es noch eine Mordermittlung, die mit wirklich unerwarteten Wendungen aufwartet.

Aber ich kann nur nochmal betonen: Lest die Triggerwarnung. Gerade, weil man es von Leigh Bardugo nicht erwartet, war ich ein paar Mal richtig geschockt.


 
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