Ein kleiner Ort am Nord-Ostsee-Kanal, zwischen Natur, Kreisstadt und Industrie, kurz nach dem Jahreswechsel. Mitten aus dem Alltag heraus verschwindet eine Familie spurlos. Das verlassene Haus wird zum gedanklichen Zentrum der Nachbarn: Julia, Ende dreißig, die sich vergeblich ein Kind wünscht, die mit ihrem Freund erst vor Kurzem aus der Großstadt hergezogen ist und einen kleinen Keramikladen mit Online-Shop betreibt. Astrid, Anfang sechzig, die seit Jahrzehnten eine Praxis in der nahen Kreisstadt führt und sich um die alt gewordene Tante sorgt. Und dann ist da das mysteriöse Kind, das im Garten der verschwundenen Familie auftaucht.
Sie alle kreisen wie Fremde umeinander, scheinbar unbemerkt von den Nächsten, sie wollen Verbundenheit und ziehen sich doch ins Private zurück. Und sie alle haben Geheimnisse, Sehnsüchte und Ängste. Ihre Wege kreuzen sich, ihre Geschichten verbinden sich miteinander, denn sie suchen, wonach wir alle uns sehnen: Geborgenheit, Zugehörigkeit und Vertrautheit.Kaufen
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Gerade kehre ich von „Nebenan“ zurück – sehr schön war es dort, leise, still, ruhig, melancholisch, manchmal auch bedrückend, bedeutungsvoll und wunderbar. „Nebenan“ ist eigentlich nur der Alltag zweier Frauen, die miteinander fast nichts zu tun haben, aber über ganz fein gesponnene Linien doch durch Berührungspunkte verbunden sind – so wie es in kleinen Orten und auf dem Land wohl häufiger der Fall ist. Astrid, Ärztin in der Kleinstadt, mit erwachsenen Söhnen und pensioniertem Ehemann, fehlt Freundschaft und auch Nähe zu ihrem früheren Leben. Die atmosphärisch dichten Einblicke in ihre Gefühlswelt und auch ihre Ängste, ihre Sorgen um ihre alternde Tante Elsa, die sich anscheinend sukzessive aus dem Leben verabschiedet, sind authentisch und nachvollziehbar eingefangen. Ebenso wie die Lebenswelt und der Kummer Julias, der aus Hamburg zugezogenen Keramikerin, die sich verzweifelt nach einem Kind sehnt, das aber trotz aller medizinischer Hilfe nicht kommen will. Ohne es von der anderen zu wissen, werden beide sehr stark von einem leerstehenden Klinkerhaus angezogen, dessen Bewohner spurlos verschwunden sind.
Trotz dieses und weiterer leicht mysteriös oder bedrohlich anmutender Vorfälle, ist „Nebenan“ kein Krimi. Im Gegenteil, alle Fäden, bei denen man sich im Regelfall Lösung und Aufklärung wünscht, werden offengelassen, denn es geht dem Roman nicht um Klärung, um Abschluss. Stattdessen ist „Nebenan“ ein fast schon poetischer Schwebezustand, eine Lebensbeschreibung von Menschen und ihrem sterbenden Ort, vom schon verlorenen Kampf gegen die Landflucht und den Leerstand in Innenstädten, von der Einsamkeit im Leben und dem Unwissen, was Nebenan passiert, vom zunehmenden Verlust von Bindungen und der Sehnsucht danach. Diese Fülle an Themen, zu denen sich auch noch der Klimawandel und der unerfüllte Kinderwunsch gesellen, könnte einen Roman sehr leicht überfrachten, zu beladen wirken. Gerade dies ist hier nicht der Fall. „Nebenan“ steuert mit leichter Hand und unendlicher Eleganz durch diese Gewässer, ist sprachlich so ausgereift, in seinen Bildern so zart und empathisch, dass es eine Freude ist. Der Text bietet nicht nur zahlreiche Interpretationsmomente, er erreicht den Leser auch emotional. Kristine Bilkau gelingt es auf eindrucksvolle Art und Weise Alltag zu erzählen, denn eigentlich passiert „Nebenan“ nicht viel bis nichts und trotzdem liest man mit großer Spannung immer weiter. Die großen Stärken des Romans sind – neben dem Jonglieren mit so vielen relevanten Themen – die atmosphärischen Beschreibungen und die klugen und berückenden Innenperspektiven. Der graue, trübe, leere Ort in Schleswig-Holstein im Januar und die Wärme und Freiheit des Sommers werden ebenso erlebbar, wie akute Bedrohungen und Enttäuschungen, Gedankenkarussels und nostalgische Momente im Leben der Frauen.
Für mich ist „Nebenan“ ein absolut lesenswerter, sprachlich wunderbarer, Roman, der allerdings nur für Menschen geeignet ist, die gut damit umgehen können, dass es im Leben still ist und für die meisten Themen keine Lösung gibt.
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