Rezension Rezension (5/5*) zu Nach Mattias von Peter Zantingh.

Literaturhexle

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2. April 2017
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Buchinformationen und Rezensionen zu Nach Mattias von Peter Zantingh
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Mosaik verschiedener Perspektiven ergibt ein vollständiges Bild


Der Roman „Nach Mattias“ mutet vom ersten Moment wie eine Sammlung von Erzählungen an, die alle dasselbe Thema haben, nämlich das Leben „Nach Matthias“. Mattias war ein junger Mann in den Zwanzigern. Plötzlich und unvermittelt ist er ums Leben gekommen. Auf welche Art und Weise bleibt lange das gehütete Geheimnis des Autors, wodurch man zwangsläufig zum Spekulieren animiert wird.

Jedes der Kapitel ist mit dem Namen der Person überschrieben, aus deren Sichtweise es angelegt ist. Die Personen stehen nicht alle im engen Verhältnis zu Mattias, mitunter sind flüchtige Bekannte darunter oder der Zusammenhang mit dem Verstorbenen ergibt sich gar nur mittelbar. Dadurch entsteht eine Art Puzzlespiel: Erst, wenn man das letzte Teil an seinen Platz gerückt hat, ergibt sich das ganze Bild. Das Spannende ist, dass wir nicht nur schrittweise Mattias in all seinen Facetten kennenlernen, sondern auch sein Umfeld und die Umstände seines Todes.

Seine Lebensgefährtin Amber kommt am Anfang und am Ende zu Wort, sie setzt quasi den Rahmen. Amber und Mattias haben zusammen gelebt. Nun lebt sie allein in der Wohnung zwischen all den Erinnerungen. Eine Woche nach seinem Tod wird zudem ein bestelltes Fahrrad geliefert, das fortan wie eine Mahnwache im Flur steht. „Trauer ist wie ein Schatten. Der richtet sich nach dem Stand der Sonne, fällt morgens anders als abends.“ (S.7)

Amber geht in den Park und wird Zeuge, wie ein Pitbull das kleine Hündchen einer alleinstehenden alten Frau angreift. Quentin, ein alter Freund von Mattias, joggt vorbei und greift beherzt ein. Amber begleitet die Seniorin zum Tierarzt, beide führen ein berührendes Gespräch über Verluste.

Quentin wird uns im nächsten Kapitel wiederbegegnen. Mattias und er wollten gemeinsam ein Musikcafé eröffnen, bevor es passierte. Quentin läuft jetzt, um zu vergessen. Dieser Sport spielt ihm Chris zu, der als Jugendlicher nach und nach sein Augenlicht verlor und nun einen Sparringspartner zum Trainieren braucht. Beide Männer werden sich gegenseitig helfen, sie werden sich ein neues Ziel suchen. Auch Chris selbst kommt später noch zu Wort. Über seine Blindheit sagt er: „Das schwerste von allem ist der Verlust von Erinnerungen. Weil ich heute mit dem Akt des Erinnerns den schwarzen Schleier der Gegenwart über sie lege.“ (S. 173)

Die schlaflosen Großeltern, denen Mattias zur diamantenen Hochzeit einen Netflix-Gutschein schenkte, damit sie die Nächte besser überstehen, bringen viel von ihrem eigenen Leben mit hinein: Bei ihnen ist wahrlich nicht alles eitel Sonnenschein, die Nerven liegen zuweilen blank, aber: „Das Eis ist dick nach 60 Jahren. Da bricht man nicht so ohne weiteres ein.“ (S. 81)

Naturgemäß leidet Mutter Kristianne entsetzlich. Sie muss wieder raus, deshalb fängt sie an, sich in der Flüchtlingshilfe zu engagieren. Dort wird sie gebraucht, macht neue Erfahrungen und knüpft wertvolle Kontakte. Sie schöpft vorsichtig Hoffnung, als der Frühling anklopft und die Tage länger werden...

Andere Abschnitte wie der von Verkaufstalent Nathan oder von Roadie Issam lesen sich zwar fesselnd, der Zusammenhang wird aber zunächst nur angetupft, das große Ganze ergibt sich wie erwähnt erst am Ende der Lektüre.

Das Bild von Matthias wird immer genauer: Er war ein junger Mann mit Visionen und Ideen. Er war liebenswert, Freunde und Familie schätzten ihn sehr, konnte er doch gut zuhören, war empathisch und hilfsbereit. Mattias war kein Typ für den unverbindlichen Small Talk, er stritt sich nie.

Das Buch wird gerne mit Simone Lapperts „Der Sprung“ verglichen. In der Tat kann man durchaus deutliche Parallelen in der Struktur der Romane erkennen: Ein einschneidendes Erlebnis hat Einfluss auf verschiedene Personen. Peter Zantingh gelingt es meiner Meinung nach aber noch besser, die einzelnen Puzzlesteine zusammenzufügen. Er behält den ernsten, jedoch nie hoffnungslosen Ton konstant bei. Wirklich jeder Abschnitt hat Tiefe und ist auf seine Art lesenswert, auch wenn der Bezug zum Protagonisten zunächst zu fehlen scheint.

„Nach Matthias“ ist ein Buch über Trauer und wie man sie überwindet. Es ist ein geschickt gewebtes Mosaik aus verschiedenen einzelnen Erzählungen, die ein tragfähiges Ganzes bilden und Hoffnung machen. Großartig, dass der Verlag eine Playlist hintenangestellt hat, deren Musikstücke wunderbar zum Tenor des Romans passen.

Ich hoffe, dass noch mehr Werke dieses talentierten Autors ins Deutsche übersetzt werden und spreche eine große Lese-Empfehlung aus.

4,5/5 Sterne



 

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Der Roman „Nach Mattias“ mutet vom ersten Moment wie eine Sammlung von Erzählungen an, die alle dasselbe Thema haben, nämlich das Leben „Nach Matthias“. Mattias war ein junger Mann in den Zwanzigern. Plötzlich und unvermittelt ist er ums Leben gekommen. Auf welche Art und Weise bleibt lange das gehütete Geheimnis des Autors, wodurch man zwangsläufig zum Spekulieren animiert wird.

Jedes der Kapitel ist mit dem Namen der Person überschrieben, aus deren Sichtweise es angelegt ist. Die Personen stehen nicht alle im engen Verhältnis zu Mattias, mitunter sind flüchtige Bekannte darunter oder der Zusammenhang mit dem Verstorbenen ergibt sich gar nur mittelbar. Dadurch entsteht eine Art Puzzlespiel: Erst, wenn man das letzte Teil an seinen Platz gerückt hat, ergibt sich das ganze Bild. Das Spannende ist, dass wir nicht nur schrittweise Mattias in all seinen Facetten kennenlernen, sondern auch sein Umfeld und die Umstände seines Todes.

Seine Lebensgefährtin Amber kommt am Anfang und am Ende zu Wort, sie setzt quasi den Rahmen. Amber und Mattias haben zusammen gelebt. Nun lebt sie allein in der Wohnung zwischen all den Erinnerungen. Eine Woche nach seinem Tod wird zudem ein bestelltes Fahrrad geliefert, das fortan wie eine Mahnwache im Flur steht. „Trauer ist wie ein Schatten. Der richtet sich nach dem Stand der Sonne, fällt morgens anders als abends.“ (S.7)

Amber geht in den Park und wird Zeuge, wie ein Pitbull das kleine Hündchen einer alleinstehenden alten Frau angreift. Quentin, ein alter Freund von Mattias, joggt vorbei und greift beherzt ein. Amber begleitet die Seniorin zum Tierarzt, beide führen ein berührendes Gespräch über Verluste.

Quentin wird uns im nächsten Kapitel wiederbegegnen. Mattias und er wollten gemeinsam ein Musikcafé eröffnen, bevor es passierte. Quentin läuft jetzt, um zu vergessen. Dieser Sport spielt ihm Chris zu, der als Jugendlicher nach und nach sein Augenlicht verlor und nun einen Sparringspartner zum Trainieren braucht. Beide Männer werden sich gegenseitig helfen, sie werden sich ein neues Ziel suchen. Auch Chris selbst kommt später noch zu Wort. Über seine Blindheit sagt er: „Das schwerste von allem ist der Verlust von Erinnerungen. Weil ich heute mit dem Akt des Erinnerns den schwarzen Schleier der Gegenwart über sie lege.“ (S. 173)

Die schlaflosen Großeltern, denen Mattias zur diamantenen Hochzeit einen Netflix-Gutschein schenkte, damit sie die Nächte besser überstehen, bringen viel von ihrem eigenen Leben mit hinein: Bei ihnen ist wahrlich nicht alles eitel Sonnenschein, die Nerven liegen zuweilen blank, aber: „Das Eis ist dick nach 60 Jahren. Da bricht man nicht so ohne weiteres ein.“ (S. 81)

Naturgemäß leidet Mutter Kristianne entsetzlich. Sie muss wieder raus, deshalb fängt sie an, sich in der Flüchtlingshilfe zu engagieren. Dort wird sie gebraucht, macht neue Erfahrungen und knüpft wertvolle Kontakte. Sie schöpft vorsichtig Hoffnung, als der Frühling anklopft und die Tage länger werden...

Andere Abschnitte wie der von Verkaufstalent Nathan oder von Roadie Issam lesen sich zwar fesselnd, der Zusammenhang wird aber zunächst nur angetupft, das große Ganze ergibt sich wie erwähnt erst am Ende der Lektüre.

Das Bild von Matthias wird immer genauer: Er war ein junger Mann mit Visionen und Ideen. Er war liebenswert, Freunde und Familie schätzten ihn sehr, konnte er doch gut zuhören, war empathisch und hilfsbereit. Mattias war kein Typ für den unverbindlichen Small Talk, er stritt sich nie.

Das Buch wird gerne mit Simone Lapperts „Der Sprung“ verglichen. In der Tat kann man durchaus deutliche Parallelen in der Struktur der Romane erkennen: Ein einschneidendes Erlebnis hat Einfluss auf verschiedene Personen. Peter Zantingh gelingt es meiner Meinung nach aber noch besser, die einzelnen Puzzlesteine zusammenzufügen. Er behält den ernsten, jedoch nie hoffnungslosen Ton konstant bei. Wirklich jeder Abschnitt hat Tiefe und ist auf seine Art lesenswert, auch wenn der Bezug zum Protagonisten zunächst zu fehlen scheint.

„Nach Matthias“ ist ein Buch über Trauer und wie man sie überwindet. Es ist ein geschickt gewebtes Mosaik aus verschiedenen einzelnen Erzählungen, die ein tragfähiges Ganzes bilden und Hoffnung machen. Großartig, dass der Verlag eine Playlist hintenangestellt hat, deren Musikstücke wunderbar zum Tenor des Romans passen.

Ich hoffe, dass noch mehr Werke dieses talentierten Autors ins Deutsche übersetzt werden und spreche eine große Lese-Empfehlung aus.

4,5/5 Sterne



...tja, du hast es wieder mal geschafft! Um dieses Buch werde ich wohl nicht herumkommen…:D
 
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