Rezension Rezension (5/5*) zu Mercy Seat: Roman von Elizabeth H. Winthrop.

SuPro

Bekanntes Mitglied
28. Oktober 2019
1.865
4.112
49
54
Baden Württemberg
lieslos.blog
Absolut lesenswert!

Die Autorin katapultiert uns tief in den rassistischen amerikanischen Süden der 1940er Jahre und lässt uns dort einen Tag miterleben.

Die „grausige Gertie“, ein transportabler elektrischer Stuhl und keinesfalls ein „Mercy Seat“, wird auf einem Truck nach St. Martinville in Louisiana transportiert. Dort soll um Mitternacht Will, ein junger Schwarzer hingerichtet werden.
Die Anklage: Vergewaltigung eines weißen Mädchens, das sich anschließend das Leben nahm.
Man erkennt schnell, dass sowohl beim Prozess als auch bei der Anklage etwas ganz und gar nicht in Ordnung ist.
Was da vor sich geht, ist haarsträubend und unfassbar!

In jedem Kapitel wird eine andere Person beobachtet und verfolgt. So werden nach und nach die verschiedenen Protagonisten vorgestellt und aus verschiedenen Puzzleteilen entsteht ein berührendes, beklemmendes und empörendes Bild.
Diese Erzählweise ist abwechslungsreich, interessant und kurzweilig. Man fliegt förmlich durch das Buch.

Wir lernen Lane und Seward kennen, die beiden Männer, die die „grausige Gertie“ nach St. Martinville transportieren.
Wir lernen Dale und Ora kennen, die Tankstellenbesitzer, deren Sohn im Kriegsdienst ist.
Wir lernen Hannigan kennen, den Priester, der an seinem Glauben zweifelt.
Wir lernen Polly Livingstone, den Staatsanwalt, der die Verurteilung ausgesprochen hat, seine Frau Nell und seinen Sohn Gabe, der von rassistischen Dorfbewohnern als Druckmittel benutzt wird, kennen.
Wir lernen Frank und Elma kennen, die Eltern des zum Tode verurteilten jungen Mannes.
Und natürlich lernen wir Will kennen, der in einer Gefängniszelle sitzt und auf seine Hinrichtung wartet.

Durch wunderschöne und detaillierte Beobachtungen werden uns Orte und Szenen nahegebracht. Wir bekommen präzise Einblicke in die Gedankenwelt der jeweiligen Protagonisten.
Die Geschichte ist beklemmend und empörend. Sie berührt und wühlt auf. Eine gespannte Neugierde wächst, je näher es Richtung Mitternacht, dem Zeitpunkt der geplanten Hinrichtung, geht.

Es ist ein Buch, in dem man sich ab einem bestimmten Zeitpunkt unweigerlich fragt, was man selbst getan hätte, weil man das Dilemma erkennt. Man spürt Druck, Angst und Verzweiflung und ist sich gleichzeitig der unaussprechlichen Schuld bewusst, die mit einer bestimmten Entscheidung verbunden wäre.

Es ist auch ein Buch, in dem man sich - mal wieder - fragt, warum um alles in der Welt die Hautfarbe ein Wertkriterium sein soll.

Ich finde den Roman absolut lesenswert und empfehle ihn gerne weiter.