Rezension Rezension (5/5*) zu Meinen Hass bekommt ihr nicht von Antoine Leiris

parden

Bekanntes Mitglied
13. April 2014
5.857
7.739
49
Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
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Vous n’aurez pas ma haine...

Antoine Leiris verlor beim Anschlag im Konzertsaal Bataclan in Paris im November 2015 seine Frau Hélène, die Mutter seines 17 Monate alten Sohnes Melvil. Kurz danach postete der Journalist einen offenen Brief an die Attentäter auf seinem Facebook-Profil. Die Botschaft: 'Vous n'aurez pas ma haine' - 'Meinen Hass bekommt ihr nicht'. Denn mit ihm bekämen die Täter einen Stellenwert, den sie nicht verdient haben. Mit seinen Gedanken und Gefühlen traf Leiris einen Nerv; sein Beitrag verbreitete sich rasant, Tausende lasen und teilten ihn. In seinem Buch gibt er nun den Ereignissen eine Klammer: Er schreibt über die Zeit kurz vor den Anschlägen in Paris und kurz danach. Über das Warten, dann die Gewissheit. Er schreibt über seine Frau und über ihre gemeinsame Geschichte. Und darüber, wie der kleine Melvil eine dringend notwendige Konstante in Leiris‘ Leben ist, da er mit seinen Bedürfnissen eine klare Struktur in einen Alltag bringt, in dem nichts ist wie vorher.


"Freitag Abend habt ihr das Leben eines außerordentlichen Wesens geraubt, das der Liebe meines Lebens, der Mutter meines Sohnes, aber meinen Hass bekommt ihr nicht."


Dieser Satz ging um die Welt, und ich erinnere mich noch gut daran, als ich ihn das erste Mal gelesen habe, kurz nach dem Anschlag - Gänsehaut und Staunen. Als ich nun entdeckte, dass es hierzu auch ein Buch gab, wollte ich es unbedingt lesen.

Antonie Leiris ist Journalist, und das Spiel mit den Worten ist ihm nicht fremd. In diesem schmalen Büchlein findet er bewegende Worte, schildert seinen neuen, veränderten, aufgezwungenen Alltag ohne seine Frau, ohne die Mutter seines kleinen Sohnes. Schildert die Geschehnisse fast reportmäßig, lässt aber gleichzeitig zwischen den Zeilen die Gefühle voller Wucht aufstehen, so dass der Leser von ihnen mitgerissen wird.


"Aus der Ferne betrachtet hat man immer den Eindruck, dass derjenige, der das Schlimmste überlebt, ein Held ist. Ich weiß, dass ich keiner bin. Das Schicksal hat zugeschlagen, das ist alles. Es hat mich vorher nicht gefragt. Es hat nicht herauszufinden versucht, ob ich dafür bereit war. Es hat Hélène geholt und mich gezwungen, morgens ohne sie aufzuwachen."


Antoine Leiris ist kein Held und auch kein Heiliger. Er ist ein Überlebender, der sich weigert, dem Hass nachzugeben und sich damit auf eine Stufe mit den Terroristen zu stellen. Er will dem Kummer, der Trauer, der Verzweiflung ins Gesicht sehen und sie nicht umlenken auf etwas, auf das er wütend sein kann. Er will es schaffen, den Alltag zu leben und stark zu sein - für seinen Sohn, der nun ohne seine Mutter aufwachsen muss.

Menschlich, bereindruckend, berührend, bewegend, mahnend - kurz: Lesen!


© Parden