Rezension Rezension (5/5*) zu Maschinen wie ich von Ian McEwan.

Helmut Pöll

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9. Dezember 2013
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München
Buchinformationen und Rezensionen zu Maschinen wie ich von Ian McEwan
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Träumen Androiden?

Träumen Androiden? Und wenn ja, zählen sie dann bei Schlaflosigkeit elektrische Schafe? Diese Frage stellte MItte der 1970er Jahre erstmal der US-Science-Fiction-Autor Philip K. Dick, dessen Roman Blade Runner in der Verfilmung von Ridley Scott zum Kultwerk avancierte. Dick und Scott erzählen die Geschichte von Androiden mit außergewöhnlichen physischen, wie geistigen Fähigkeiten, deren Lebensdauer aus Sicherheitsgründen aber begrenzt wurde. Als die Maschinenmenschen Gefühle und Bewusstsein entwickeln, gehen sie sprichwörtlich über Leichen, um der eigenen Zerstörung zu entrinnen. Blade Runner kam 1982 in die Kinos, die Handlung spielte im Jahr 2019.

Damit wären wir bei Ian McEwan und seinem neuesten Roman „Maschinen wie ich“. Der bekennende Blade-Runner-Fan McEwan hat die Jahreszahlen umgedreht. 2019 erschien sein Roman, die Handlung spielt 1982. Anfang der 1980er Jahre war die IT-Branche allerdings noch meilenweit von künstlicher Intelligenz entfernt. Aber dieses Problem löst der Autor bravourös. Wenn Geschichte immer nur eine von vielen möglichen Geschichten ist, und der Weg dorthin über viele zufällige Weggabelungen führt, dann genügt eine winzige Änderung auf dem Weg, um zu einer völlig anderen Geschichte zu kommen.

In McEwans Roman verlieren die Briten den Falklandkrieg und verlassen die EU. Margaret Thatcher wird abgewählt. John F. Kennedy und John Lennon werden nicht erschossen. Um 1982 künstliche Intelligenz zu haben und Haushaltsroboter wie Adam, genügt es, wenn ein Genie wie der Mathematiker Turing nicht zu früh Selbstmord begeht. Dann kann er noch die Erfindungen machen, die uns 30 Jahre früher ins digitale Zeitalter katapultieren. Aber ist das besser?

Auf den ersten Blick schon. Der Roboter Adam nimmt seinem Besitzer Charlie viel lästige Arbeit im Haushalt ab. Er ist ein überaus gescheiter Gesprächspartner und aufgrund seiner nahezu unendlichen analytischen Fähigkeiten ein begnadeter Börsenspekulant. Das macht die verkrachte Existenz Charlie schnell zu einem wohlhabenden Mann. Aber ähnlich wie in Blade Runner entwickelt der Maschinenmensch Gefühle, er hat moralische Prinzipien. Und damit nimmt das Unglück seinen Lauf. Adam zerbricht schließlich an seiner Unfähigkeit, die inkonsequenten Handlungen und Lügen seiner menschlichen Mitbewohner zu verstehen.

Aber was wollte McEwan damit sagen? Das das Leben ohne Inkonsequenzen, ohne die täglichen kleinen oder größeren Schwindeleien unerträglich wäre? Vielleicht auch, dass die kleinen Macken uns alle aus-, und letztlich auch erst liebenswert machen. Und dass Gegenwart, vor allem eine friedliche Gegenwart, eine sehr zerbrechliche und beschützenswerte Sache ist, aber nie selbstverständlich.