Liv ist Pflegerin, Mitte dreißig und führt ein scheinbar perfektes Leben in einem Osloer Einfamilienhaus. Sie liebt ihren Mann Terje und ihre beiden Kinder Rosa und Johannes. Aber was kaum jemand weiß, nicht einmal ihr Mann: Liv ist vor Jahren vergewaltigt worden.
Der Gang zum Zahnarzt ist für sie eine Herausforderung, wenn sie nachts von der Bushaltestelle nach Hause läuft, muss sie Terje anrufen. Überall lauert die Angst. Liv bemüht sich, die Oberfläche frei von Kratzern zu halten. Auch wenn sie hinter der Fassade damit beschäftigt ist, ihr Trauma zu bewältigen: Sie will die Opferrolle nicht annehmen. Der Vorfall liegt ein halbes Leben zurück, warum soll er immer noch bestimmen, was sie im Hier und Jetzt tut? Doch als eine neue Patientin ins Pflegeheim eingeliefert wird, deren Bruder vor Jahren wegen einer Vergewaltigung angeklagt worden ist, muss Liv ihr mühsam aufgebautes Leben verteidigen. Bei ihrer Familie und ihrer Freundin Frances findet sie Kraft und Trost: Sie wagt die Konfrontation und übt den Befreiungsschlag – denn sie will unbedingt die Macht über sich selbst zurück.
Heidi Furres Roman ist ein Buch mit großer Schlagkraft, ein Text, der sich mit dem Thema sexualisierter Gewalt auseinandersetzt, aber nicht die Tat, sondern die Frau, die sie erlebt hat, in den Mittelpunkt stellt. Eindringlich schildert Heidi Furre das Nebeneinander von Zweifel und Selbstbestimmtheit, Empathie und Wut.Kaufen
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Laut Statistik wird jede 10. Frau vergewaltig! Und wie gehen diese Frauen damit um?
Bei Liv (verheiratet, 2 Kinder, in Oslo lebend) fand ‚es‘ vor ca. 15 Jahren statt! Und sie versuchte ‚die Erinnerung weg zu rationalisieren‘: außer einer Freundin aus dem Studium erfuhr es niemand (und die durfte es nicht weitererzählen)! Livs Plan: ‚sie würde es aushalten, es mit aller Macht hinkriegen, weiterzulaufen‘.
Das war/ist aber nicht so einfach, wie sie sich das vorstellte: „Ich wurde von einem Werwolf gebissen. Es ist irreversibel, der Biss geht nicht weg, egal was ich tue. Ich habe alles versucht, ich habe die Wunde gesäubert, ich habe sie ignoriert, ich habe sie verheilen lassen, ich habe sie wieder aufgekratzt.“
Auf Seite 70 führt sie einen Katalog auf, der sie ‚zurückwerfen könnte‘:
‚alles, was um die Handgelenke strammt, alles, was um den Hals strammt, zu warm angezogen sein, öffentliche Toiletten, zu viele Menschen im Bus, den Körper einer anderen Person im Bus zu berühren, vereinzelte Blicke, vereinzelte Gestalten, Spannbettlaken, das Geräusch einer Gürtelschnalle……………. (und etliche mehr, die insgesamt eine knappe Seite füllen!)
Das Buch von Heidi Furre, ist das das erste von ihr, das 2023 auf Deutsch erschien, übersetzt wurde es von Karoline Hippe. Vielleicht empfinden manche Leser*innen das Buch als ein Aneinanderreihen von banalen Alltagssituationen - ich sah darin Livs Versuch, den Alltag zu bewältigen und das ging bei mir gewaltig unter die Haut!
Interessant fand ich auch die Erwähnung von ‚Il Giardino die Tarocci‘, mit der Niki de Saint Phalle ihr persönliches Trauma versuchte, zu verarbeiten. (Und ich werde definitiv diesen ‚Tarot-Garten‘ besuchen, wenn ich in der Provinz Grosseto bin!)
Fünf Sterne gebe ich diesem beeindruckenden Umgang mit einem schweren, aber (nach meiner Meinung) höchstwahrscheinlich ewigen Thema und empfehle es allen, die sich stark genug fühlen, sich damit zu beschäftigen!
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