Rezension (5/5*) zu Kostbarkeiten des Lebens - Gesammelte Feuilletons und Prosa von Klaus Gräbner

petraellen

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11. Oktober 2020
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Der Dichter aus dem Baltikum

Am 14.05.1855 wurde Eduard Heinrich Nikolas Graf von Keyserling auf Tels-Paddern in der russischen Ostseeprovinz Kurland geboren.
Er war das siebte von zehn Kindern von Eduard Ernst Hermann Graf von Keyserling (1809) und seiner Frau Theophile, geb. v. Rummel (1816).

Nach dem Abitur 1875 begann er das Studium der Rechtswissenschaften. 1878 nahm er in Wien und Graz das Studium der Philosophie und Kunstgeschichte auf.
Er lebte zunächst in Wien, später in Italien und München, wo er als freier Schriftsteller arbeitete und der Schwabinger Bohème angehörte.

Seine letzten Lebensjahre verbrachte Keyserling erblindet und gelähmt in München. Insgesamt ist über Keyserlings Leben wenig bekannt. Nach seinem Tod wurden alle Aufzeichnungen und Dokumente gemäß seinem Testament von seiner Schwester Hedwig vernichtet.

Erst sehr spät kam ich mit Keyserling im Rahmen eines Seminars „Fin de Siècle“ in Berührung. Zunächst skeptisch befasste ich mich mit dem Autor, aber spätestens bei „Wellen“, war der Bann gebrochen. Es folgten seine ersten Erzählungen „Nur zwei Tränen“ und „Mit vierzig Tagen Kündigung“ erschienen im Jahr 1882. Besonders bekannt sind seine Schlossgeschichten, „Beate und Mareile" erschienen 1903, „Fürstinnen" erschienen 1917. Doch schnell wurde mir klar, dass bei Nachforschungen über Keyserling Grenzen gesetzt sind.
Eine Autobiografie hat er nicht verfasst, und es gibt auch keine Biografie über ihn. Aus seinen Münchner Jahren 1895 bis zu seinem Tod 1918 existieren Erinnerungen und Anekdoten seiner Schwabinger Zeit, zu deren Boheme er gehörte. Schwieriger sind Quellen seiner Kindheit-Jugend- und Studienjahre zu finden. Offensichtlich liegt ein dunkler Schatten auf seiner Vergangenheit, weshalb er nach München zog und dort von zwei seiner Schwestern umsorgt wurde. Später erblindete er dort infolge einer schweren Syphilis. Trotzdem „schrieb“ er weiter, indem er seine Texte diktierte.

Nicht nur seine dunkle Vergangenheit hat Einfluss auf die spärlichen Quellen seines Lebens und Schaffens, sondern auch sein Vermächtnis, seinen Nachlass komplett zu vernichten. Manuskripte, Briefe, persönliche Dokumente, Aufzeichnungen und vielleicht auch Tagebücher sind wortwörtlich verheizt worden. Es stellt sich die Frage: Was wollte er verheimlichen? Seine dunkle Vergangenheit?
Die Fragen werden wir nicht beantworten können.

Der Manesse Verlag hat mit dem Sachbuch „Kostbarkeiten seines Lebens“ mit dem Untertitel „Gesammelte Feuilletons und Prosa“ eine Zusammenstellung seines Werkes und Lebens veröffentlicht. Neben einer „Chronik samt genealogischen Abriss“ werden nicht nur literarische Texte, Feuilletons, Aphorismen und Theaterkritiken aufgeführt. „Briefe von und an Eduard von Keyserling“ und ein umfangreicher „Bildteil mit Keyserling Kommentaren“ geben Einblick in sein Leben. Das berühmte Porträt von Keyserling, gemalt von Louis Corinth im Sommer 1901, fehlt nicht. Kommentar von Keyserling:

„Es mag trotz der Brutalität , die drinsteckt, gut jemalt seein, und gut unterhalten hat er mich dabeei. So aussehn aber möcht ich lieber nich.“

Das Spektrum geht weiter über Theaterkritiken, zahlreiche Texte zum deutschsprachigen Kultur- und Gesellschaftsleben im Teil „Kunst und Ästhetik“ und „Bühne und Buch“ bis zu fünf verschollenen Erzählungen Keyserlings., die in diesem Band erstmalig veröffentlicht sind.

Das Sachbuch ist eine perfekte Ergänzung zu den bereits erschienen Büchern „Landpartie - Gesammelte Erzählungen“ Band 1 und „Feiertagskinder - Späte Romane“ Band 2.

Otto Taube in seinem Text (S. 479f.)

„«Seine Stimme war tief, sein gleichfalls tiefes Lachen trocken. Seine Sinne äußerst scharf entwickelt; was atmet es nicht in seinen Werken von Düften! Sein Hauptsinn aber war der, den er nachmals einbüßte: das Gesicht.»“



Kostbarkeiten des Lebens
Gesammelte Feuilletons und Prosa
Eduard von Keyserling
Schwabinger Ausgabe

Herausgegeben und kommentiert von Klaus Gräben und Horst Lauinger

Unter Mitarbeit von Reinhard Oestreich und Jochen Reichel

Nachwort von Lothar Müller

Manesse Verlag, München 2021