Wer etwas auf sich hält in New Ross, County Wicklow, und es sich leisten kann, lässt seine Wäsche im Kloster waschen. Doch was sich dort hinter den glänzenden Fenstern und dicken Mauern ereignet, will in der Kleinstadt niemand so genau wissen. Denn es gibt Gerüchte. Dass es moralisch fragwürdige Mädchen sind, die zur Buße Schmutzflecken aus den Laken waschen. Dass sie von früh bis spät arbeiten müssen und daran zugrunde gehen. Dass ihre neugeborenen Babys ins Ausland verkauft werden. Der Kohlenhändler Billy Furlong hat kein Interesse an Klatsch und Tratsch. Es sind harte Zeiten in Irland 1985, er hat Frau und fünf Töchter zu versorgen, und die Nonnen zahlen pünktlich. Eines Morgens ist Billy zu früh dran mit seiner Auslieferung. Und macht im Kohlenschuppen des Klosters eine Entdeckung, die ihn zutiefst verstört. Er muss eine Entscheidung treffen: als Familienvater, als Christ, als Mensch. Mit wenigen Worten erschafft Claire Keegan eine ganze Welt. Auf unnachahmliche Weise erzählt Kleine Dinge wie diese von Komplizenschaft und Mitschuld, davon, wie Menschen das Grauen in ihrer Mitte ignorieren, um in ihrem Alltag fortfahren zu können – davon, dass es möglich ist, das Richtige zu tun.Kaufen
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Dieser kleine, nur 112 Seiten starke, Roman ist es wert, etwas genauer betrachtet und vorgestellt zu werden. Schauplatz ist das Städtchen New Ross, im Südosten der Republik Irland gelegen. Man schreibt das Jahr 1985, ein kalter Winter steht bevor und der Kohlenhändler Bill Furlong hat alle Hände voll zu tun. Fünf Töchter hat er, die bislang gut einschlagen, Musikinstrumente erlernen, im Kirchenchor singen und in der angesehenen Schule St. Margarets unterrichtet werden, die Seite an Seite und in Verbindung zum Nonnenkloster steht, das Furlong regelmäßig mit Brennmaterial beliefert. Furlong ist zu jedermann freundlich, verschenkt zum Verdruss seiner Frau gerne das Kleingeld in seinen Taschen, er hat eine soziale Ader.
Wir verfolgen Furlongs Gedankengänge, haben Anteil an seinem arbeitsreichen Alltag und seinen Begegnungen mit anderen Menschen. Bill Furlong ist ein guter, christlich geprägter Charakter, der zu schätzen weiß, was er erreicht hat, der aber auch weiß, dass nicht jedem Menschen ein so glückliches Schicksal beschieden ist. „Furlong war aus dem Nichts gekommen. Aus weniger als dem Nichts, könnte man sagen.“ Sein Werdegang hätte ganz anders verlaufen können, wenn nicht die gut situierte Mrs. Wilson seine damals 16- jährige schwangere Mutter weiter in ihrem Haushalt beschäftigt hätte, anstatt sie, wie seinerzeit üblich, als moralisch verworfenes Mädchen fortzujagen. Über seinen Vater weiß Furlong nichts, seine Sehnsucht nach Identität und Wurzeln ist jedoch unverkennbar.
Über dem Ort thront das Kloster. Man erzählt sich seltsame Geschichten darüber, denen Furlong zunächst aber keinen rechten Glauben schenkt. Junge „gefallene“ Mädchen sollen dort unter unwürdigen Bedingungen leben und als Arbeitskräfte in der angeschlossenen Wäscherei Buße tun. Die allgemeine Empörung hält sich in Grenzen, da die Kirche Einfluss und Macht besitzt. Eine gute Portion Doppelmoral hört man heraus - was hinter den dicken Mauern passiert, ist nicht von Interesse.
Weihnachten steht vor der Tür. Bei einer weiteren Kohlelieferung zum Kloster macht Furlong Entdeckungen, die ihn zutiefst verstören. Er fühlt sich hin und her gerissen zwischen den Verpflichtungen seiner Familie gegenüber und jenen als Christenmensch. Was soll er tun?
Das schmale Buch liest sich wie eine Parabel, entwickelt dabei große Intensität. Der Schreibstil ist ruhig, aber sehr atmosphärisch. Man kann sich die Krähen in der Winterkälte, den Nebel, die leeren Straßen mit den frierenden Menschen bildlich sehr gut vorstellen. Insbesondere lernt man Bill Furlong sehr gut kennen, der immer wieder feststellt, dass auch kleine Dinge aus der Nähe betrachtet ganz anders wirken als aus der Ferne. Die Geschichte hätte das Zeug zum Weihnachtsklassiker, wenn auch der komplette Verlauf nichts Märchenhaftes an sich hat, sondern sehr realistisch gehalten ist, wie uns die Autorin in ihrem kurzen Nachwort belegt.
Wenn der Steidl Verlag sagt: „Mit wenigen Worten erschafft Claire Keegan eine ganze Welt“, möchte ich ihm uneingeschränkt zustimmen. Riesige Lese-Empfehlung!
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