Rezension Rezension (5/5*) zu Judas: Roman von Amos Oz.

KaratekaDD

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13. April 2014
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Neustrelitz
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Buchinformationen und Rezensionen zu Judas: Roman von Amos Oz
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JUDAS - Das Buch vom Verrat

Schmuel Asch, ein israelischer Student an der Hebräischen Universität meint sein Studium abbrechen zu müssen, weil seine Eltern auf Grund von Firmenpleite dies nicht mehr unterstützen können. Außerdem hat seine Freundin ihn verlassen. Hinzukommt, dass Schmuel mit seinem Diplomthema nicht mehr weiter kommt, er arbeitet über Jesus aus der Sicht der Juden. Es ist das Jahr 1958 und Jerusalem ist geteilt. Schmuel sucht sich eine Arbeit und eine Bleibe, diese besteht ohne langes Suchen dann gleich in der Tätigkeit als „Betreuer“ eines alten intellektuellen Mannes nebst Logis und ziemlich spartanischer Verpflegung.

Eingestellt hat ihn Atalja Abrabanel, sie ist die Schwiegertochter des alten Gerschom Wald. Spröde, unnahbar und zwanzig Jahre älter als unser Student. Dessen Aufgabe besteht darin, dem Alten Gesellschaft zu leisten, Abend für Abend diskutieren sie über „Gott und die Welt“. Das passt zur bisherigen Beschäftigung unseres Helden, einen asthmatischen, intellektuellen nicht sehr sportlichen Typ, der allerdings eine immer mehr größere Neugier nach der Frau zeigt, welche mit der Zeit zu etwas „Zuwendung“ ihrerseits führt.

Das ist die eine Geschichte, die in JUDAS erzählt wird, die Geschichte einer Liebe zwischen einem jungen Studenten und einer erwachsenen Frau, eine Liebe deren Gegenseitigkeit eher keine Zukunft hat.

Schmuels Neugier zielt über Atalja aber noch auf einen anderen Umstand, denn er sucht nach der Beziehung zwischen dem alten Mann und der Frau, dass sie seine Schwiegertochter ist, wird ihm erst später offenbart. Ataljas Mann fiel im Unabhängigkeitskrieg. Ihr Vater, Scheathiel Abrabanel, der den Namen eines jüdischen Gelehrten und Politikers in portugisischen Diensten im 15./16. Jahrhundert trägt, arbeitete in der Jewish Agency und in der Zionistischen Weltorganisation, lehnte aber die Staatsgründung ab, wodurch er zum „Verräter“ wurde und sich zurückzog. Nach dem Tode seines Schwiegersohnes nahm er dessen Vater Wald bei sich auf.

Nun dreht sich die Geschichte um den Verrat. Um einen vermeintlichen Verrat. Den des JUDAS, der seinen Meister JESUS angeblich verriet und die Römer zur Kreuzigung überredete, dafür 30 Silberlinge von der Priesterkaste bekam, die er gar nicht nötig hatte. Warum sollte er im Garten Gethsemane den Nazarener verraten, durch den „Judaskuss“ bezeichnen, wo doch inzwischen jeder diesen Prediger kannte? War es ein Verrat an Eretz Israel, wenn Scheathiel Abrabanel, der viele palästinensische Araber seine Freunde nannte, die Staatsgründung ablehnte, weil er den Krieg voraus sah, der die Völker, Juden wie Araber, Jahrzehnte beschäftigen würde?

„Das Hauptübel liegt darin, dass die Unterdrückten insgeheim davon träumen, selbst zu Unterdrückern ihrer Unterdrücker zu werden.“ (Seite 249)

Das Buchthema ist kein religiöses, es ist ein politisches. Es geht um den „Verrat“ vor 2000 Jahren, für den die Christen alle Juden verantwortlich machten und so den Grundstein für den Antisemitismus insbesondere in Europa legten. Es ist gleichermaßen ein „Verrat“ des Scheathiel Abrabanel, der den dauerhaften und immer noch überaus aktuellen Konflikt in Palästina sah, und darum das große Ziel des Zionismus, eine Heimstatt für die Juden der Welt zu finden, zum Zeitpunkt als es möglich wurde, ablehnte, weil der „Verräter“ dies nicht auf Kosten eines anderen alteingesessenen Volkes erreichen wollte. „Noch ein Liliputstaat um den Preis eines ewigen Krieges:“ (Seite 246)

Seine Überzeugungen zu vertreten und zu begründen, unangenehme Meinungen zu äußeren, führen insbesondere in Zeiten kriegerischer Konflikte oder revolutionärer Perioden auch zu Isolierung und zum Vorwurf des Verrats.

„Wer bereit ist, sich zu verändern…, wer den Mut hat, sich zu verändern wird immer wieder von jenen als Verräter bezeichnet werden, die zu keiner Veränderung fähig sind und eine Heidenangst vor Veränderung haben, die Veränderung nicht verstehen und sie ablehnen.“ (Seite 273)

Zurück zur Liebesgeschichte. Gerschom Wald verliert noch einmal einen Sohn, als Schmuel auszieht. Die Zuneigung, die er Atalja zeigte, überträgt sich auch auf den alten weißhaarigen, teilweise gelähmten Alten und der gibt diese zurück. Doch Schmuel geht nicht als Verlierer aus dem Haus in Jerusalem weg. Er dürfte als ein anderer gehen, als der er kam.

„Durch seinen Tod [Micha Walds] bekam ich diesen Winter in seinem Haus geschenkt, im Schoß seines Vaters und seiner Frau. Er ist es, der mir diesen Winter geschenkt hat. Den Winter, den ich vergeudet habe. Obwohl ich dort Freiheit und Einsamkeit im Überfluss genoss.“ (Seite 329)

Es geht ihm wie dem Leser, der nach der letzten Seite des Buches nachdenklich und um vieles Wissen reicher ein bei aller Geschichte und Politik sehr gefühlvolles Buch aus der Hand legen wird.


* * *

Es dauert eine Weile, bis der Leser zum Kern der Geschichte, also zum Thema JUDAS und Verrat vordringt. Zu Beginn wird der Geschichte des Schmuel Asch größerer Raum gegeben. Erst als Gerschom Wald und Schmuel miteinander ins Gespräch kommen, werden die Inhalte politischer.

Gleichermaßen nimmt die Spannung der Liebesgeschichte und der Geschichte um die Familie Wald / Abrabanel und der Darstellung des Judas-Verrates zu. Die Gegenüberstellung der Geschichte um Jesus / Judas und der Staatsgründung Israels unter ständiger Hinweise auf die Rolle David Ben Gurions wird ebenso immer detaillierter. Oz gelingt es dabei den Spannungsbogen bis zum Schluss weiter zu steigern. Gleichermaßen will der Leser nun erfahren wie es mit Schmuel & Atalja, Schmuel & Wald, mit Judas & Abrabanel weiter geht. Die Tragödie des Scheathiel Abrabanel und die des Judas wirken wie der Ausgangspunkt für jahrhundertelange (Juden / Christen) und jahrzehntelange (Juden / Araber) Kriege, Unterdrückung, für Kreuzzüge verschiedenster Art.

Der Roman ist damit ein Buch für den Frieden. Aktuell unter den Völkern in Palästina und überhaupt für einen Frieden unter den Religionen.

 

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