Rezension (5/5*) zu Ins Unbekannte von Lukas Hartmann

otegami

Bekanntes Mitglied
17. Dezember 2021
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Buchinformationen und Rezensionen zu Ins Unbekannte von Lukas Hartmann
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‚Der rote Fritz‘ + Sabina, die Psychoanalytikerin

Am Anfang dachte / hoffte ich immer noch auf ein Kennenlernen der zwei Protagonisten, habe sogar ausgerechnet, dass sie altersmäßig zusammenpassen würden. Nichts war’s!!!! Zwei parallele Biografien warten hier im Buch auf die Leserschaft.

Seltsamerweise störte mich das nicht – zu interessant waren diese beiden Lebensläufe:
Sabina Spielrein stammt aus Rostow am Don und wird 1905 von ihrer Mutter in die psychiatrische Klinik Burghölzli in Zürich gebracht. Vor ihr liegen aufregende und prägende Jahre in der Schweiz, besonders beeinflusst durch den Psychoanalytiker Dr. Carl Gustav Jung.

Fritz Platten dagegen stammt aus der Schweiz, erzählt aber sein Leben rückblickend im Straflager Lipowo in Nordwestrussland, in der berüchtigten Lagerbaracke 4.

Er opferte auf dem Altar seiner fanatischen Einstellung seine Eltern, seine 4 Frauen und auch seine 2 Kinder. In Erinnerung blieb er, weil er die Reise Lenins im verplombten Zug durch Europa organisiert hatte und auch als Lenins Lebensretter bekannt wurde.

Die zwei Lebensläufe – immer abwechselnd erzählt – packten mich und wühlten mich gewaltig auf: bei Sabina das Ende und bei Fritz war mein Adrenalin während seiner ganzen Geschichte ‚am Anschlag‘.
Sehr treffend empfand ich nämlich die Beschreibung des Systems der Heimlichkeiten - 'Über das durfte nicht gesprochen werden', 'jenes durfte sie ihm nicht sagen', 'die Wahrheit werde ohnehin vertuscht'- und war mächtig angewidert davon! (Das geht mir allerdings auch mit den anderen politischen Religionen so!)

Haften bleiben wird bei mir auch der allgemein gültige Satz, der absolut zeitlos ist: „"Sobald politische Führer bereit sind, über Leichen zu sehen, gehören sie zur selben Kategorie, zu jener der Zerstörer und Mörder." (Und mit dem Erscheinungsjahr 2022 des Buches ist auch damit die politische Aktualität hergestellt!)

Ich empfand diese Lektüre als sehr bereichernd, erfuhr ich doch aus ihr einige Fakten, die mir bisher unbekannt waren. Wunderschöne Sätze voller Lebensweisheit taten ihr Übriges! Ich kann nicht anders, als die Höchstzahl der möglichen Sterne zu vergeben und drücke dieses Buch allen, die Interesse an Geschichte haben, wärmstens ans Herz.



 

Literaturhexle

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2. April 2017
19.440
49.868
49
Deine Begeisterung/Emotionalität kommt in deiner Rezension sehr gut zur Geltung! Aber nimmst du mit deinem ersten Satz nicht zukünftigen Lesern die Spannung? In der LR haben wir ja trefflich darüber spekuliert, wo die Berührungspunkte sein würden/könnten...:think
 

alasca

Bekanntes Mitglied
13. Juni 2022
3.036
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Deine Begeisterung/Emotionalität kommt in deiner Rezension sehr gut zur Geltung! Aber nimmst du mit deinem ersten Satz nicht zukünftigen Lesern die Spannung? In der LR haben wir ja trefflich darüber spekuliert, wo die Berührungspunkte sein würden/könnten...:think
Aus meiner Sicht spielt das keine Rolle - ich glaube sogar, man ist diese Info potentiellen Leser:innen schuldig, denn die Enttäuschung darüber könnte zu einem unsachlichen Urteil führen. So kann jede/r gut informiert entscheiden, ob er/sie das Buch trotzdem lesen möchte.

Ich habe das übrigens von Anfang an nicht erwartet - und zwar noch vor der Wikipedia-Lektüre;-)
 

Literaturhexle

Moderator
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2. April 2017
19.440
49.868
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denn die Enttäuschung darüber könnte zu einem unsachlichen Urteil führen.
Nee nee. Du weißt ja erstmal nicht, wie das Buch strukturiert ist und liest los. In der LR war es ein interessantes Spekulationsobjekt, ob und wo sich die beiden treffen würden... Meiner Meinung nach hat das der Autor auch kalkuliert. Es ist ganz normal, dass man nach dem Zusammenhang der beiden Biografien sucht. Das macht einen Reiz aus.

Ob einem "das Nicht-Zusammenkommen" der Protas gefällt oder nicht, das muss jeder selbst entscheiden dürfen. In der Tat hat es uns allen nichts ausgemacht - weil das Ende auf drastische Art für sich alleine steht und man erstmal schlucken muss...

Ich persönlich möchte als Leser in einer Rezension nicht zu sehr "aufgeklärt" werden. Dabei bleibe ich.
 
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Kristall86

Aktives Mitglied
22. März 2021
943
1.526
44
An der Nordseeküste
Aus meiner Sicht spielt das keine Rolle - ich glaube sogar, man ist diese Info potentiellen Leser:innen schuldig, denn die Enttäuschung darüber könnte zu einem unsachlichen Urteil führen. So kann jede/r gut informiert entscheiden, ob er/sie das Buch trotzdem lesen möchte.

Ich habe das übrigens von Anfang an nicht erwartet - und zwar noch vor der Wikipedia-Lektüre;-)
Sehr gut auf den Punkt gebracht! Ich werde das Buch definitiv noch lesen und fand diese Rezi hier hilfreich! Das stimme ich Dir vollumfänglich zu!
 
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