Rezension (5/5*) zu Hard Land von Benedict Wells

Mikka Liest

Bekanntes Mitglied
14. Februar 2015
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Hilter am Teutoburger Wald
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Das Schönste und das Schrecklichste

Wir sind im Jahr 1985, in einer Kleinstadt im Mittelwesten Amerikas. Der 15-jährige Sam erlebt im Spann weniger Monate die erste große Liebe und das Sterben seiner krebskranken Mutter. Benedict Wells schreibt seinen jungen Helden glaubhaft, authentisch, rundum sympathisch – und mit sehr viel Feinfühligkeit und Respekt. Er bannt dieses turbulente Alter, das auch ohne Trauer schon mit emotionalen Bergundtalfahrten verbunden wäre, perfekt in Worte.

Die Ära der 80er lässt er in seinen Charakteren ebenfalls wunderbar auferstehen; ich kann mich an diese Zeit noch gut erinnern und spürte in mir direkt einen Nachhall: Ja, so war das. Aber auch jüngere Leser:innen werden sich sicher wiederfinden in den angesprochenen Themen, weil die einfach eine gewisse zeitlose Allgemeingültigkeit haben. Sicher, Jugendliche erleben heute einige Herausforderungen, die es früher so nicht gab, Social Media kommen zum Beispiel mit ganz neuen Problemen und Fallstricken daher.

Aber im Kern geht es beim Erwachsenwerden immer noch um das Gleiche: Freundschaften finden, sich ein Stück weit von der Familie lösen und sie dennoch brauchen, das Entdecken der eigenen Persönlichkeit, das sich-Ausprobieren und die eigenen Grenzen Austesten, die erste große Liebe und der erste Herzschmerz… Sam ist ein intelligenter junger Mann, der sich selber und die Menschen um ihn herum ganz genau beobachtet. In vielem ist er ein typischer Jugendlicher, der sich in seiner Gruppe von Freunden aufgehoben fühlen will, dabei aber auch Angst hat, sich verletzlich zu zeigen. Durch die Krankheit seiner Mutter wird er jedoch mit schwer auszuhaltenden Ängsten und Gefühlen konfrontiert.

Dem Roman gelingt die Balance, Sam mit dieser verletzlichen Seite zu zeigen, seine Angst, seine Wut und seinen Schmerz nicht weichzuspülen, ihn dabei aber auch Positives erleben zu lassen, ohne dass es sich aufgesetzt oder kitschig liest. Dieser magische letzte Sommer der Kindheit hat seine Schattenseiten, aber auch seine goldenen Sonnenstrahlen – Benedict Wells schildert die tragischen und die komischen Momente mit der gleichen Wertschätzung und dem gleichen Gespür für die Subtilitäten der jugendlichen Seele.

Kino, Bruce Springsteen, Billy Idol, da kommt 80er-Nostalgie auf, aber keine kitschige Verklärung. Im Buch werden mehrere Filme erwähnt, wie zum Beispiel »The Breakfast Club« – und tatsächlich liest sich »Hard Land« ein wenig wie ein Film von John Hughes. Sam ist auf jeden Fall ein Held nach seinem Gusto: ein unsicherer Außenseiter, der sich im Laufe der Handlung findet und behauptet. Eine zeitlose Geschichte, meisterhaft erzählt.

Die anderen Charaktere, die rund um Sam herum die Geschichte mittragen, verkörpern die verschiedensten Persönlichkeiten, Probleme und Lebensentwürfe. Da ist der motivierte, zielorientierte Hightower mit den Schattenseiten seiner Vergangenheit. Da ist Kirstie, die sich selbst noch nicht gefunden hat, aber für Sam das perfekte Mädchen ist. Da ist Cameron, der nicht nur aufgrund seiner Homosexualität mit Vorurteilen zu kämpfen hat, sondern auch mit dem Erwartungsdruck seiner Eltern. Und natürlich Sams Eltern: die sterbenskranke Mutter und der überforderte Vater, der sich emotional ausklinkt. Sie alle wirken wie direkt aus dem Leben gegriffen, unverfälscht und hundertprozentig überzeugend.

Die Dialoge sind großartig, lesen sich im genau richtigen Tempo und Takt. Der Zauber liegt in den Details, in den vielen kleinen Dinge, die zu echt wirken, um ‘nur’ ein Roman zu sein. Beinahe fühlte ich mich, als sei ich eine Freundin von Sam, die sich beim Lesen zurückerinnert an gemeinsame Erlebnisse.

Fazit

Der goldene letzte Sommer der Kindheit ist für den 15-jährigen Sam so bittersüß, wie es nur möglich ist. Es ist der Sommer, in dem er sich zum ersten Mal mit Leib und Seele verliebt, und es ist der Sommer, in dem seine Mutter stirbt. Benedikt Wells erzählt das mit Wärme und Humor und Respekt, sodass du ganz ohne billige Effekthascherei beim Lesen die volle Bandbreite der menschlichen Regungen miterlebst – die Himmelflüge und die schwärzesten Momente der Verzweiflung. Da ist immer dieser Gedanke: Die Euphorie, das ist das Leben. Die Trauer, das ist das Leben. Und das Leben geht weiter, immer weiter, und das ist gut so.

Benedikt Wells hat ein unnachahmliches Gespür dafür, mit perfekt dosierten Details Atmosphäre aufzubauen. Er inszeniert eine Epoche, ein Stück Leben so glaubhaft, dass Leser:innen sich unverhofft in den Gefühlswelten seiner Charaktere wiederfinden, und das hat mit Pathos oder Rührseligkeit rein gar nichts zu tun. Man fühlt mit, lacht mit, leidet mit, weil man dabei ist, weil es so echt ist. Liebe, Trauer, Angst und sich blind Hineintasten in die Erwachsenenwelt… Jede:r hat mal einen Sam gekannt oder ist selber Sam gewesen.

Und das erfüllt dich mit ‘Euphancholie’, wie Sams große Liebe Kirstie das nennt: eine Mischung aus Euphorie und Melancholie. Ja, bittersüß ist das wirklich – aber auf jeden Fall wertvoll.